Rede von
Wolfgang
Schmitt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beginne mit einer kurzen Notiz aus der „Süddeutschen Zeitung" vom vergangenen Freitag. Dort heißt es:
Die Lage der 46 ärmsten Länder der Welt hat sich in den vergangenen zehn Jahren dramatisch verschlechtert. Hauptgrund dafür sei die abnehmende Förderung durch die Industriestaaten,
heißt es in einem Bericht der UNCTAD. Weitere Gründe seien Bürgerkriege, die Vertreibung großer Teile der Bevölkerung und der Zusammenbruch der staatlichen Ordnung in den Ländern des Südens. Dies führe zu sinkender Landwirtschaftsproduktion, zu Hungersnöten und Seuchen.
Laut UNCTAD sind die ärmsten Länder, in denen 440 Millionen Menschen leben und die in der Mehrzahl auf dem afrikanischen Kontinent liegen, mit 170 Milliarden DM verschuldet. Eine Trendwende ist laut diesem UNCTAD-Bericht nicht in Sicht. Ich füge hinzu, daß laut einer kürzlich veröffentlichten Studie die Entwicklungshilfe der OECD-Staaten auf dem niedrigsten Stand seit zwei Jahrzehnten angelangt ist.
Geld ist nicht alles. Ich will auch nicht die politische Verantwortung der Eliten des Südens an der Misere der Entwicklungsländer leugnen. Aber der Einzelplan 23, um den es hier geht, folgt in seinem Ge-
Wolfgang Schmitt
Samtvolumen einem für die Entwicklungsländer verhängnisvollem Trend. In diesem Jahr wird der Anteil der deutschen Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt auf den Tiefststand von 0,33 % sinken. Die Bundesregierung entfernt sich damit immer weiter von dem selbstgesetzten Ziel, den Entwicklungsetat schrittweise auf 0,7 % des Bruttosozialprodukts anzuheben.
Die Zeit der hehren Gipfelworte ist vorbei. Wir fordern die Regierung auf, Farbe zu bekennen. Entweder Sie sagen: Wir haben den Mund zu voll genommen, das 0,7 %-Ziel ist nicht erreichbar, wir werden uns weiter davon entfernen, oder - wofür ich selbst plädiere - Sie ändern endlich Ihre Politik. Durch das ständige Herunterbeten von Versprechungen, die dann doch nicht eingelöst werden, leistet die Bundesregierung gewollt oder ungewollt einen nicht unerheblichen Beitrag zur Politikverdrossenheit und gefährdet damit die internationale Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland.
Der Weltsozialgipfel in Kopenhagen hat die Schere zwischen verbalem Anspruch und harter Wirklichkeit gezeigt. Auf deutscher Seite war von stärkerer Armutsbekämpfung, Maßnahmen gegen Kinderarbeit, gezielter Frauenförderung und der Unterstützung der sogenannten 20/20-Initiative die Rede. Doch wie paßt dies alles mit diesem Haushaltsentwurf zusammen?
Lassen Sie der eigenen Ankündigungspolitik endlich Taten folgen, und sorgen Sie für eine deutliche Anhebung der Mittel in den nächsten Jahren! Das wäre eine Politik, die auf die größer gewordenen Entwicklungsprobleme reagiert und den Hoffnungen an eines der reichsten Länder auf eine Entwicklungszusammenarbeit wirklich entsprechen würde.
Wenn Bundesentwicklungsminister Spranger ankündigt, keine weiteren Einschnitte in seinem Haushalt mehr mitzutragen, so ist damit noch nichts gewonnen. Der ursprüngliche Ansatz des Einzelplanes 23 ist um noch einmal 150 Millionen DM gekürzt worden. Diese Tendenz wird sich in den nächsten Jahren möglicherweise fortsetzen. Der Kompromiß in der Kohlefinanzierung beispielsweise wird auch vom Einzelplan 23, so fürchten wir, seinen Tribut fordern.
Nun wird gesagt, Geld allein sei nicht alles, wir müßten effektiver, konzeptioneller und länderzentrierter arbeiten, die Entwicklungszusammenarbeit müsse als Querschnitts- und als Zukunftsaufgabe begriffen werden. Dem können wir nur zustimmen. Aber wenn die nötigen finanziellen Mittel für diesen Zweck vorenthalten werden, dann werden auch diese durchaus sinnvollen Ansätze bereits in ihrer Umsetzung vereitelt.
Ein Wort zur Debatte um die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit. Die Diskussion um den Europäischen Entwicklungsfonds hat gezeigt, daß eine Orientierung an einer starren 30-%-Grenze für multilaterale Entwicklungszusammenarbeit, wie sie vom Haushaltsausschuß beabsichtigt ist, nicht sinnvoll, sondern geradezu falsch ist. Mit dieser unflexiblen Haltung wird auf der europäischen Ebene unnötig Porzellan zerschlagen und werden die AKP-Staaten, darunter die ärmsten Staaten Afrikas, in besonderer Weise benachteiligt und vor den Kopf gestoßen.
Statt dessen fordern wir, den Europäischen Entwicklungsfonds in die Verantwortung des Europäischen Parlaments zu geben. Die parlamentarische Kontrolle ist nach unserer Auffassung die beste Gewähr dafür, daß die auch von uns erkannten Mißbräuche und Mißstände im Europäischen Entwicklungsfonds zurückgefahren werden können.
Nötig wäre allerdings eine Diskussion über die Praxis der multilateralen Entwicklungsagenturen. Wir haben es dort mit teilweise skandalösen Fehlentwicklungen zu tun. Die anstehenden Verhandlungen über den 8. Europäischen Entwicklungsfonds und die Wiederauffüllung der Weltbankmittel bieten der Bundesregierung eine gute Gelegenheit, weitere Finanzzusagen von qualitativen Veränderungen abhängig zu machen.
Es wäre schon viel gewonnen, wenn in diesem Hause der im letzten Jahr mit den Stimmen der Regierungskoalition beschlossene Antrag zur Weltbank seinen Niederschlag in der künftigen Praxis dieser Institution fände. Die vorschnelle Festlegung auf Kürzungen wird dagegen dazu führen, daß die deutschen Einflußmöglichkeiten schwinden. Eine Politik nach dem Motto „Wir zahlen weniger, wollen aber mehr zu sagen haben" ist verantwortungslos und blauäugig.
Wir sollten bei der kritischen Überprüfung der Entwicklungszusammenarbeit auch vor der eigenen Tür kehren. Ich erinnere daran, daß der ehemalige Parlamentarische Staatssekretär im BMZ, Herr Repnik, noch Ende 1993 die Auffassung vertrat, aus der Perspektive von Rechnungsprüfern - so sagte er damals - sähen bei Anlegung gleicher Maßstäbe bilaterale Projekte nicht soviel besser aus als die Projekte der Europäer. Für uns kann das nur heißen, daß auch die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit einer gründlichen Überprüfung unterzogen werden sollte. Die Weltbank hat mit ihrem Wapenhans-Bericht gezeigt, wie ein erster Schritt zu einer solchen kritischen Bestandsaufnahme aussehen könnte.
Ein Blick auf die Länder, mit denen die Bundesregierung entwicklungspolitisch kooperiert, weist Staaten wie Indien, China, Indonesien und die Türkei als Hauptempfänger deutscher Gelder aus. Dabei stellt sich die Frage: Berücksichtigt die Bundesregierung hierbei die von ihr selbst aufgestellten Kriterien wie
Wolfgang Schmitt
die Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, marktwirtschaftliche Orientierung und eine demokratische Beteiligung der Bevölkerung an den politischen Prozessen?
Untersucht man die Liste der Länder, die am stärksten gefördert werden, genau, dann gewinnt man den Eindruck, daß mit wachsender ökonomischer bzw. politischer Bedeutung eines Landes die Bedeutung der genannten Kriterien abnimmt. So finden bei der Türkei als strategisch wichtigem NATO-Partner - der, wie wir aktuell erleben, gravierend die Menschenrechte mißachtet - diese Bedingungen keine Anwendung. Reden und Handeln klaffen, wie so oft bei dieser Bundesregierung, auch in diesem Falle weit auseinander. Und das ist der eigentliche Skandal in der Entwicklungspolitik dieser Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, der Minister hat am vergangenen Freitag gesagt:
Eine angemessene Mittel- und Personalausstattung des BMZ wird zur Nagelprobe für die Fähigkeit Deutschlands, über den Tag und über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen.
Wie wahr! Diesen Satz, Herr Minister, können wir Bündnisgrünen unterschreiben. Allerdings hat diese Regierung die von Ihnen angesprochene Nagelprobe nicht bestanden.