Nein, ich möchte jetzt wirklich nicht.
Ich möchte im übrigen die Vertreter der SPD auffordern, so wie ich das getan habe, in Gesprächen mit Herrn Cetin, der ja jetzt der Vorsitzende der beiden zusammengeschlossenen sozialdemokratischen Parteien ist, in der Türkei das zu sagen, was sie hier sagen, hinzufahren und bei der Sozialistischen Internationale und bei ihren Partnern darauf hinzuwirken, daß das, was sie so gern hätten, in der Praxis geschieht, statt hier bloß herumzuposaunen und in der Praxis nichts zu machen.
Es geht um einen schwierigen Balanceakt. Ich sage es noch einmal: Wir dürfen nicht übersehen, in welcher Zerreißprobe sich die Türkei befindet. Wenn Sie Verantwortung tragen würden, müßten Sie sich anders verhalten.
Ich möchte gern noch etwas anfügen, was mir sehr wichtig zu sein scheint. In der Zeit des Ost-WestKonfliktes mußten wir zum Teil unwahrscheinlich viel Geduld mit Regierungen aufbringen, die mit Freiheit und Menschenrechten wenig im Sinn hatten.
- Ausgerechnet Sie! - Diese Politik hatte damals einen guten Grund und war letztlich auch erfolgreich; sie hat mit zum Wandel beigetragen. Heute behandeln wir die Staaten, die um Demokratie ringen, zum
Teil wesentlich strenger und schlechter - unter Hinweis auf unsere Wertmaßstäbe, zu denen sie sich im übrigen auch bekennen und die sie gern einhalten würden, wenn sie denn die Kraft hätten, es zu tun.
Das sollten wir uns sehr genau überlegen. Das mag theoretisch Sinn machen, wir müssen jedoch sehr aufpassen, daß dies im praktischen Ergebnis nicht zu einer Bestrafung ausgerechnet der Staaten führt, die ernsthaft zu uns hin wollen, aber eben noch mit großen eigenen Problemen zu kämpfen haben. Das kann letztlich, wenn ich es richtig sehe, nicht unser Ziel sein.
Sie müssen sich auch anhören, daß ich natürlich mehr als Sie bei meinen Auslandsreisen und gerade in der Türkei, und zwar immer als erstes, auf folgendes angesprochen werde: Lieber deutscher Außenminister, was haben Sie eigentlich zu über 95 Anschlägen auf türkische Einrichtungen in den letzten drei Wochen in Deutschland zu sagen?
- Ja, das haben wir ja gestern in der Debatte gesagt.
- Was haben Sie eigentlich zu den Ereignissen in Mölln und Solingen zu sagen, die Jahre zurückliegen? Sie als deutscher Außenminister, waren ja - Herr Lippelt, hören Sie genau zu - im letzten Jahr dabei, als die ermordeten Kinder und Erwachsenen in der Türkei zu Grabe getragen worden sind! - Ich habe als Außenminister eine Gesamtschau vorzunehmen. Ich kann Ihnen nur sagen: Solange wir nicht in der Lage sind, im eigenen Haus Ordnung zu halten - ich will das allerdings nicht vergleichen -, sollten wir - ich sage das noch einmal - mit aufgeblasenen Bakken nach draußen etwas vorsichtiger sein.
Meine Damen und Herren, seit dem 1. Januar dieses Jahres ist Deutschland zum drittenmal im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. So wie für uns die globale Vertretung unserer Wirtschaftsinteressen noch stärker in den Vordergrund rückt, so wird von einem Industriestaat unserer Größenordnung globale Mitverantwortung erwartet.
Ich habe gerade auf meiner Reise in die Golfstaaten, nach Ägypten und nach Ankara in der letzten Woche wieder gemerkt, über welch großes Freundschaftskapital wir gerade in der arabischen Welt verfügen. Viele dieser Staaten ringen mit vergleichbaren Problemen, nämlich mit dem Fundamentalismus. Algerien ist das allerbeste Beispiel, das der Europäischen Union die größten Sorgen bereitet. Da ist erneut guter Rat teuer. Es hat keinen Sinn, hier große Erklärungen abzugeben, sondern es wird draußen gefragt: Wie kann geholfen werden? Wie sind denn die Deutschen bereit zu helfen? Da wird dann alles ein wenig kleinlauter.
Wir müssen diese bedrängten Staaten in ihren Bemühungen um Modernisierung unterstützen. Vergessen Sie bitte nicht: 23 % der Weltbevölkerung hängen dem Islam an. Das sind 1,3 Milliarden Men-
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
schen auf dieser Erde. Wir sind in einer riesigen Gefahr, daß wir die Religion des Islam gleichsetzen mit Terrorismus und Fundamentalismus. Ich kann nur sagen: Bitte keine neuen Feindbilder aufbauen.
Dasselbe gilt für Burundi. Der deutsche Außenminister und der deutsche Verteidigungsminister werden mehr als früher gefragt: Wenn ihr wohlfeile Ratschläge habt, seid ihr dann bereit, dort mit Soldaten hineinzugehen und zu helfen, die Situation in den Griff zu bekommen? Die Frage würde ich dann, wenn es ernst wird, an Sie richten.
Ich komme gleich noch auf dieses spezielle Problem.
Der Einsatz für die Menschenrechte - ich möchte das noch einmal sagen; ich habe es schon vorher angedeutet - bleibt der moralische Imperativ unserer Außenpolitik. Er wird auch nicht auf anderen Altären geopfert. Ich weise das zurück. Ich bin in der Außenpolitik überhaupt mehr für Einsichten als für Altäre, z. B. für die Einsicht, daß wir neben unseren Wertvorstellungen auch Interessen haben, daß aber diese Interessen nicht von den Wertvorstellungen getrennt werden dürfen bzw. zu trennen sind.
Meine Damen und Herren, ich komme auf das, was Herr Verheugen und Herr Voigt offensichtlich von mir als Antwort wollen, zu sprechen. Mir wird ja vorgeworfen, daß ich Militarisierung der deutschen Außenpolitik betreibe, Druck entwickele in Richtung auf ständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat - im übrigen als erstes gefordert von der SPD. Sie haben recht, Herr Verheugen, daß wir uns auf Grund der deutschen Vergangenheit, daß sich insbesondere die SPD auf Grund ihrer Vergangenheit nicht schämen muß, die Debatte über Bundeswehreinsätze zu führen. Das haben Sie mir mehrfach entgegengehalten. Da haben Sie recht. Andere Parteien haben das auch getan.
Aber: Sie in der SPD brauchten sich auch nicht zu schämen, wenn Sie sich bei so wichtigen Fragen wie der gesamten transatlantischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und den schwierigen Einsätzen bei friedenserhaltenden Maßnahmen in der Welt bald zu einer klaren Position durchringen würden, einer Position, die Deutschland, die NATO und die WEU nicht ins Abseits stellt. Noch sind Sie dazu nicht bereit.
Es wird immer alles mögliche erklärt und gefordert. Wenn es notwendig ist, sich in den Fragen praktisch zu bewegen, sind Sie leider Gottes sehr stark in der Vergangenheit verhaftet. Ich will keine Militarisierung oder „Germans to the front". Ich möchte nur gern, daß uns unsere Partner und Freunde nicht weiter scheel ansehen und uns vorhalten, daß wir zwar gern Vorteile für uns in Anspruch nehmen, aber uns mehr oder weniger davor drücken, Pflichten zu übernehmen. So auf jeden Fall meinen einige.
- Ich unterhalte mich nachher mit Ihnen, Herr Voigt.
Ich komme zum Schluß. Meine Damen und Herren, ein Nachbar, mit dem wir geschichtlich immer eng verbunden waren und der besonders unter den Untaten des Nationalsozialismus gelitten hat, sind die Tschechen. Ich bin für die Diskussion, die zum Thema Polen geführt worden ist, dankbar. Ich bin glücklich darüber, daß wir im Verhältnis zu Polen entscheidende Schritte vorangekommen sind. Ich wünsche mir sehr - ich habe das hier bei der Regierungserklärung gesagt -, daß das mit der Tschechischen Republik genauso geht. Ich habe in der Regierungserklärung gesagt: Wir schulden den Opfern des nationalsozialistischen Unrechts Gerechtigkeit und Genugtuung. Ich habe mich über die Reaktion - weil das ja nicht so sicher war - meines tschechischen Kollegen gefreut.
Wir rechnen Unrecht nicht auf. Ich bin zuversichtlich, daß wir hier im Geiste einer echten Versöhnung bald zu einer guten Lösung kommen werden.
Das ist nicht nur für Deutsche und Tschechen wichtig - ich sage das bewußt am Schluß -, das ist für ganz Europa von Bedeutung. Havel hat einmal gesagt: „Wenn Westeuropa nicht den Schlüssel zu Osteuropa findet, verliert es den Schlüssel zu sich selbst. " Wir Deutsche sollten uns in besonderer Weise dieser Wahrheit, wie ich meine, bewußt sein. Wir haben jedenfalls vor, als Regierung so und in diesem Sinne zu handeln.
Vielen Dank.