Ich antworte Ihnen doch schon. Warten Sie doch eine Sekunde ab!
Wenn Sie die Ereignisse von 1968 gerade in meinem Umfeld genauer wissen wollen, muß ich Ihnen dazu folgendes sagen: Zehn Studentinnen und Studenten meiner Sektion Rechtswissenschaft sollten relegiert werden. Genau dagegen habe ich mich gewandt. Sie sind alle zehn nicht relegiert worden. Den Verweis habe ich bekommen. Es kann an anderen Sektionen Relegierungen gegeben haben; an der juristischen Sektion waren sie vorgesehen, sind dann aber alle zehn nicht durchgeführt worden. Aber vorgesehen waren sie in diesem Zusammenhang, ganz genau.
Nur deshalb kam ich ja in die Situation, dazu etwas sagen zu müssen. So rollte dann der Stein, wie er bei uns in solchen Zeiten zu rollen pflegte.
Jetzt muß ich aber versuchen, zum eigentlichen Thema wieder zurückzukommen. Das ist jetzt die Massenarbeitslosigkeit, weil es das größte Problem in Ost und West ist. Die Konzeptionen der Bundesregierung diesbezüglich sind völlig ungeeignet, das Problem auch nur zu reduzieren.
Allein über die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts wird sich hier nichts verändern. Die Unternehmen kommen mit immer weniger Arbeitskräften aus und sind dennoch in der Lage, mehr zu produzieren.
Wir brauchen eine andere Verteilung der vorhandenen Arbeit und damit eine Verkürzung der Arbeitszeit. An dieser Erkenntnis führt inzwischen nichts mehr vorbei. Obwohl dies seit Jahren bekannt ist, ist die Bundesregierung nicht bereit, das Arbeitszeitgesetz zu ändern. Dazu würde übrigens auch ge-
Dr. Gregor Gysi
hören, die Zahl der zulässigen Überstunden drastisch zu reduzieren. Hunderttausende Arbeitsplätze könnten damit geschaffen werden.
Wir benötigen darüber hinaus Änderungen in der Steuer- und Finanzpolitik; denn Ihr Argument, daß zu hohe Löhne die Wirtschaft zu stark belasten, ist tausendfach widerlegt. In Wirklichkeit sind die Realeinkünfte in den letzten Jahren stets gesunken. Das gilt übrigens nicht nur für die Beschäftigten, sondern auch für die Empfängerinnen und Empfänger von Sozialhilfe, für Studentinnen und Studenten, für Azubis, für Rentnerinnen und Rentner und selbst für Soldaten. Aber das Problem der Massenarbeitslosigkeit ist dadurch um keinen Schritt reduziert worden.
Der Kostenfaktor Lohn hat prozentual inzwischen beträchtlich abgenommen. Darauf ist ja die F.D.P. so stolz. Lag dieser Faktor nämlich 1980 noch bei fast 44 %, so liegt er heute nur noch bei 40 %, und trotzdem hat sich an der Massenarbeitslosigkeit nichts geändert.
In dieser Zeit sind auch die Gewinne ganz enorm gestiegen, aber sie sind nicht investiert worden.
Im übrigen wissen auch Sie: Wenn Sie die Kaufkraft immer weiter reduzieren, organisieren Sie auch Umsatzrückgänge im Handel und im Dienstleistungsbereich und Produktionsrückgänge und damit Arbeitslosigkeit.
Dafür gibt es viele Ursachen. Über die Arbeitszeit habe ich schon gesprochen.
Hinzu kommt eine Steuergesetzgebung der Koalition, die zwar große Konzerne immer stärker begünstigt, aber den Mittelstand in seiner Existenz zunehmend gefährdet. Das gilt in besonderem Maße auch für die neuen Bundesländer. Denn die Steuererleichterungen, die Ihnen vorschweben - da haben Sie einfach nicht recht, Herr Solms - und die Sie umsetzen wollen, nützen den großen Konzernen und genau nicht den mittelständischen und kleinen Unternehmen. Wenn Sie z. B. die Körperschaftsteuer, die Gewerbesteuer, die Gewerbekapitalsteuer reduzieren oder abschaffen, dann tangiert das den Mittelstand so gut wie überhaupt nicht, weil dieser diese Steuern nicht bezahlt. Es handelt sich nur um eine Geste an die großen Konzerne.
Nein, der Mittelstand hat in der F.D.P. seit Jahren keine Lobby mehr. Das muß einmal deutlich ausgesprochen werden.
Dadurch muß die PDS auch das übernehmen. Sie hätten das gern tun können, aber Sie haben das seit Jahren vernachlässigt.
Wir haben deshalb jetzt einen eigenen Unternehmerverband gründen müssen, weil sich die F.D.P. nicht mehr darum kümmert.
Natürlich verschweigen Sie regelmäßig den Zusammenhang, daß diese Steuern nur noch einen geringen Teil des Steueraufkommens überhaupt ausmachen. Ein Drittel des Steueraufkommens ist die Lohnsteuer, und die wird von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesem Land bezahlt. Das sprechen Sie in einer solchen Haushaltsdebatte nicht einmal aus.
Außerdem ist es gar nicht mehr lukrativ, in die Wirtschaft zu investieren. Dafür haben Sie doch gesorgt. Ich nenne Ihnen dazu zwei Zahlen: Während das Bruttoinlandsprodukt seit 1990 jährlich um ca. 2 % anstieg, stiegen die jährlichen Zuwächse der Finanzderivate um 53 % - eine wahre Explosion! Das Einkommen aus Vermögen bei den Unternehmen machte einmal 7 % aus und liegt heute bei 50 %. Das heißt, es wird nicht mehr gewirtschaftet, es wird nur noch spekuliert. Das ist das eigentliche Problem.
Die Bankpleite in Großbritannien ist ein Signal dafür, wohin die Verlagerung von Produktions- zum Finanzkapital führen kann. Es wird jetzt schon deutlich, daß wir einen Überhang an Geld haben, der irgendwann zu einem schlimmen Schwarzen Freitag führen kann.
Es ist auch falsch, wenn die Bundesregierung behauptet, daß eine solche Bankpleite in Deutschland nicht passieren könnte. Eigentlich müßten sofort gesetzliche Schritte unternommen werden, um wenigstens Produktionsunternehmen Devisenspekulationen zu untersagen. Denn bei solchen Spekulationen hat die deutsche Metallgesellschaft bei Öltermingeschäften Milliardenverluste gemacht. Verluste machten auch VW, die Münchner Rückversicherung und andere Konzerne. Wenn aber Produktionsunternehmen solche Devisenspekulationen betreiben und dabei erhebliche Verluste erleiden, dann müssen sie zum Ausgleich dafür in ihre Produktionsstruktur eingreifen; daß heißt, sie gefährden Arbeitsplätze. Deshalb muß der Gesetzgeber hier Stoppschilder aufstellen.
- Ach, Mensch, lassen Sie doch Ihre blöden Zwischenrufe, die wirklich ohne jede Substanz sind! Sie haben doch gar keine Ahnung von der DDR. Ihr können Sie wirklich viel vorwerfen; nur, mit Devisen war sie nicht reichlich bestückt, und deshalb konnte sie damit auch nicht allzuviel spekulieren.
Ich will Ihnen etwas sagen: Der amerikanische Nobelpreisträger für Ökonomie James Tobin - der ist nicht Mitglied der PDS - hat errechnet, daß weltweit jährlich 360 Milliarden Dollar eingenommen werden könnten, wenn nur ein halbes Prozent Steuern auf diese Derivatgeschäfte erhoben werden würde. Diese Geschäfte machen in der Bundesrepublik jährlich 6 000 Milliarden Mark aus. Überlegen Sie sich: ein halbes Prozent Steuern, das wäre eine Mehreinnahme von 30 Milliarden DM für Ihre Kasse, Herr Waigel! Und 2 % ergäben 120 Milliarden DM. Ich finde, 2 % Steuern auf diese Art von Geschäften, das könnte doch glatt noch eine Forderung der CDU/
Dr. Gregor Gysi
CSU sein. Dann könnte die SPD in scharfer Opposition 3 % fordern, und dann ahnen Sie, was wir fordern würden und was man damit in der Gesellschaft alles anfangen könnte zur Schaffung von sozialer Gerechtigkeit und zur Schaffung von Arbeitsplätzen.
Ich muß mich hier noch mit Herrn Fuchtel kurz auseinandersetzen, der bestritten hat, daß es Armut in unserer Gesellschaft gibt. Herr Fuchtel, ich möchte gern einmal - -