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    Plenarprotokoll 13/31 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 31. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 30. März 1995 Inhalt: Abwicklung der Tagesordnung 2321 A Erweiterung der Tagesordnung . . . 2439 D Tagesordnungspunkt II: Wahl des Wehrbeauftragten (Drucksache 13/1000) . . . . . . . . . . 2321 A Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1995 (Haushaltsgesetz 1995) (Drucksachen 13/50, 13/414) Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt (Drucksachen 13/504, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 05 Auswärtiges Amt (Drucksachen 13/505, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung (Drucksachen 13/514, 13/527) in Verbindung mit Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Rudolf Scharping SPD 2322 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 2333 D Otto Schily SPD 2344 C Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2344 D Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . . 2349 A Michael Glos CDU/CSU 2349 C Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . . 2349 D Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2354 C Dr. Gregor Gysi PDS 2354 C I fans Klein (München) CDU/CSU . . 2357 D Jochen Feilcke CDU/CSU 2358 C Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 2360 B Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saarland) 2369 B Michael Glos CDU/CSU 2375 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 2379 D Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . 2384 B Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2386 D Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . 2389 A Günter Verheugen SPD 2391 B Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . 2395 C Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . 2396 D Ulrich Irmer F.D.P 2397 D Günter Verheugen SPD . . . . . . 2398 B Eckart Kuhlwein SPD 2399 D Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA . 2401 D Eckart Kuhlwein SPD . . . . . . . . . 2401 D Jürgen Augustinowitz CDU/CSU . 2403 A Dr. Erich Riedl (München) CDU/CSU . 2403 C Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 2406 B Paul Breuer CDU/CSU 2409 B Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2411 A Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . 2412 B Ulrich Heinrich F.D.P. 2412 D Jürgen Koppelin F.D.P 2413 B Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 2415 B Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2416 C Norbert Gansel SPD 2417 C Dietrich Austermann CDU/CSU . . . 2418 C Dr. Emil Schnell SPD 2421 A Armin Laschet CDU/CSU . . . 2422 B, 2431 B Michael von Schmude CDU/CSU . . . 2424 C Wolfgang Schmitt (Langenfeld) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2425 D Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 2427 B Dr. R. Werner Schuster SPD . . . . 2428 C Karl Diller SPD 2429 B Eckart Kuhlwein SPD 2429 C Dr. Ingomar Hauchler SPD 2430 A Dr. Winfried Pinger CDU/CSU . . . 2430 D Dr. Willibald Jacob PDS 2431 C Eckart Kuhlwein SPD (Erklärung nach § 31 GO) 2439 A Namentliche Abstimmungen . . . 2433 C, 2436 C Ergebnisse . . . . . . . . . . . 2433 C, 2436 C Haushaltsgesetz 1995 (Drucksachen 13/528, 13/529, 13/966) . . . . . . . 2439 B Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1994 bis 1998 (Drucksachen 12/8001, 13/530) . . . . . . . . . . 2439 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Initiative zum Karabach-Konflikt (Drucksache 13/1029) 2439 D Vizepräsident Hans Klein 2441 C Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 2441 C Tagesordnungspunkt VI a: Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Francke (Hamburg), Peter Kurt Würzbach und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Karsten D. Voigt (Frankfurt), Uta Zapf und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Olaf Feldmann und der Fraktion der F.D.P.: Unbefristete und unkonditionierte Verlängerung des Nichtverbreitungsvertrages zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea Lederer, Heinrich Graf von Einsiedel und der weiteren Abgeordneten der PDS: Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Nichtverbreitung von Kernwaffen zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Beer, Ludger Volmer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Reform und Stärkung des Nichtweiterverbreitungsvertrages für Atomwaffen und das Mandat der Bundesregierung für die Verlängerungskonferenz in New York (Drucksachen 13/398, 13/429, 13/537, 13/838) Uta Zapf SPD 2440 B Klaus Francke (Hamburg) CDU/CSU . 2441 D Ludger Volmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2442 B Dr. Olaf Feldmann F.D.P 2443 A Andrea Lederer PDS 2443 C Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . 2444 C Nächste Sitzung 2445 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2447* A 31. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 30. März 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 30. 03. 95 Blunck, Lilo SPD 30. 03. 95 Büttner (Ingolstadt), SPD 30. 03. 95 Hans Büttner (Schönebeck), CDU/CSU 30. 03. 95 Hartmut Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Hartenstein, Liesel SPD 30. 03.95 Heym, Stefan PDS 30. 03. 95 Meißner, Herbert SPD 30. 03. 95 Scheel, Christine BÜNDNIS 30. 03. 95 90/DIE GRÜNEN Tippach, Steffen PDS 30. 03. 95 Vergin, Siegfried SPD 30. 03. 95
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Andrea Lederer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)

    Ja, selbstverständlich.


Rede von Dr. Hermann Otto Solms
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Gysi, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich diese Reisen nicht kritisiere? Ich halte diese Reisen für nützlich. Gerade diese Reise zur Weltfrauenkonferenz in Peking halte ich für ausgesprochen notwendig. Ich habe mich ja auch von diesen Reisen öffentlich nicht distanziert. Ich bin sogar der Meinung, daß die Reisen für die Abgeordneten in den Ausschüssen ausgesprochen nützlich sind. Deswegen habe ich hier nichts zurückzunehmen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Andrea Lederer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)

    Herr Solms, dann hätten Sie in diesem Zusammenhang genau diese Reise nicht erwähnen sollen, sondern auf andere Beispiele hinweisen können; denn die Kritik an einer übermäßigen Reisetätigkeit ist ja nicht unbegründet. Machen wir uns doch nichts vor, daß nicht wenige von uns gerne nach Australien fahren, um sechs Wochen lang dort die Verwaltungsstruktur kennenzulernen und sich vielleicht auch noch einiges andere anzusehen. Das wird uns halt übel genommen.

    (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Nach Tunesien!)

    - Nein, das mache ich nicht. Nein, Frau Baumeister, wenn Sie nachsehen, werden Sie feststellen, daß ich da keineswegs beteiligt bin.
    Lassen Sie uns zu einem ernsteren Thema kommen, nämlich zu dem 8. Mai 1995. Ich finde es erschreckend, daß die Position von Richard von Weizsäcker, die er am 8. Mai 1985 verkündet hat, nach wie vor in Teilen der CDU/CSU keinen Anklang findet. Ihr Verhältnis zu diesem Tag bleibt - gelinde formuliert - ambivalent, und das gilt auch für Sie persönlich, Herr Bundeskanzler.
    Am 8. Mai erlebten die deutschen Kriegstreiber, die Massenmörder, die gesamte nazistische Barbarei ihre Niederlage. Aber immer noch gibt es zahlreiche Vertreter der Union, die diesen Tag auch als Niederlage empfinden, eben z. B. Herr Dregger, und sich damit mit jenen in eine Reihe begeben. Sie fühlen sich außerstande, diesen Tag als Tag der Befreiung zu empfinden. Herr Schäuble hat hier um Verständnis dafür geworben, daß es Menschen gibt, die Ehepartner, Väter, Söhne, Brüder verloren haben. Deshalb sei dieser Tag für diese Menschen ein Tag der Trauer. Ich frage mich: Warum ist für solche Menschen nicht der 30. Januar, der Tag der Machtergreifung Hitlers, oder der 1. September, der Tag des Ausbruchs des Krieges, der Trauertag? Warum gerade der Tag, an dem der Spuk endlich ein Ende hatte?

    (Beifall bei der PDS)

    Solchen Leuten ist es letztlich auch zu verdanken, daß es immer noch keine Entschädigung z. B. für Sinti und Roma, für Homosexuelle, für ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, für Deserteure der Deutschen Wehrmacht, für Kommunistinnen und Kommunisten der alten BRD gibt, die von den Nazis verfolgt wurden.
    Daraus resultieren auch sämtliche Peinlichkeiten in der Vorbereitung des 8. Mai 1995. Der Bundestag weiß heute noch nicht endgültig, wie er diesen Tag begehen soll. Unser rechtzeitiger Antrag auf Sondersitzung fand bisher keine Zustimmung. Zum Staatsakt wurden nur die Repräsentanten der vier Siegermächte eingeladen anstatt Repräsentanten aller vom Zweiten Weltkrieg betroffenen Länder. Das führt doch nicht nur zu diplomatischen Verstimmungen mit Polen. Es animiert offensichtlich auch zu Diskussionen in Vertriebenenverbänden, die Grenzfrage weiterhin offenzuhalten und Ansprüche gegen Polen zu stellen. Der Bundesaußenminister läßt sich seinerseits davon treiben und konstruiert ein Junktim zwischen den berechtigten Entschädigungsansprüchen von Tschechen, die unter dem Nationalsozialismus gelitten haben, und Forderungen der Sudetendeutschen. Die Unwilligkeit und Gefühllosigkeit, die die Vorbereitungen auf den 50. Jahrestag der Befreiung von der Nazi-Diktatur begleiten, lassen leider befürchten, daß hier ein Schlußstrich gezogen werden soll. Wir appellieren und warnen: Machen Sie aus dem diesjährigen 8. Mai kein Begräbnis dritter Klasse für die Lehren aus der deutschen Vergangenheit!

    (Beifall bei der PDS)

    Das Ganze muß vor dem Hintergrund eines zunehmenden Rechtsextremismus in Deutschland gesehen werden. Anstatt ihm eine klare Abfuhr zu erteilen, wird durch eine solche Politik versucht, Zustimmung auch aus diesen Reihen zu erheischen. Herr Bundeskanzler, das ist ein Spiel mit dem Feuer.
    Da bleibt es eben nicht aus, daß sich Ihre Junge Union in Berlin gegen ein - wie die es nennt - Judendenkmal wendet. Das sind die Früchte solcher Politik. 50 Jahre nach dem Ende des Hitler-Faschismus und des Zweiten Weltkrieges wäre es höchste Zeit, daß auch durch die Unionsfraktion und die Union selbst ein klares, eindeutiges und unmißverständliches Bekenntnis dahin gehend ablegt wird, daß dieser 8. Mai ein Tag der Befreiung und nichts anderes war.

    (Beifall bei der PDS)

    Sie, Herr Außenminister, verwechseln das Amt des Außenministers mit dem eines Handelsreisenden für die deutsche Exportwirtschaft, insbesondere für die Rüstungsindustrie. Fragen der Menschenrechte werden regelmäßig an das Ende der Tagesordnung gesetzt, so daß sie meistens nicht mehr behandelt werden. Sie mahnen die türkische Regierung zu deren Einhaltung - jetzt zitiere ich wörtlich aus einer dpa- Meldung - „bei ihren Militäroperationen" und „zur Verhältnismäßigkeit im Einsatz", sind also im Grundsatz für militärische Einmärsche, heute im Nordirak, und wer weiß, wo morgen. Warum haben Sie nicht den Aggressionsakt an sich verurteilt, wie es nach Völkerrecht dringend geboten war?

    (Beifall bei der PDS - Zuruf des Bundesministers Dr. Klaus Kinkel)

    - Bei Ihrer Außenpolitik, Herr Kinkel, bekomme selbst ich Sehnsucht nach Hans-Dietrich Genscher, und das will schon etwas heißen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der PDS)

    Wir wollen auch keine neuen zeitweiligen Kunstpausen bei Waffenlieferungen, wie jetzt bezüglich der Türkei, wenn auch sehr unvollständig, vorgesehen. Lassen Sie uns doch mit dem Rüstungsexport endlich und ein für allemal Schluß machen, lassen Sie uns jegliche Beihilfe zu Kriegen und Bürgerkriegen, jegliche Beihilfe zum Töten endlich und ein für allemal einstellen, egal für wen, egal gegen wen!

    (Beifall bei der PDS Zurufe von der CDU/ CSU)


    Dr. Gregor Gysi
    - Also wissen Sie, wenn Sie - wie ich - gegen den Einmarsch in die CSSR im Jahre 1968 gewesen sind,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Da sind Ihre Kommunisten mit dabeigewesen!)

    so ist das schon gar keine Rechtfertigung dafür, heute Waffen in die ganze Welt zu liefern, heute an vierter Stelle der Exporteure in der Welt zu stehen und überall am Krieg beteiligt zu sein! Macht es Ihnen denn gar nichts aus, daß das kurdische Volk auch mit deutschen Waffen niedergemetzelt wird? Darüber sollten Sie einmal nachdenken!

    (Beifall bei der PDS)

    Die türkische Regierung führt einen Krieg gegen die Kurden, und zwar in der Türkei und außerhalb der Türkei. In diesem Zusammenhang ist es eben für die Bundesregierung bezeichnend, den Stopp für die Abschiebung von Kurden aufzuheben, wobei Sachsen, Bayern, Baden-Württemberg und Berlin darum bemüht sind, nun auch tatsächlich Kurden in die Türkei abzuschieben. Ihr Leben dort ist unmittelbar gefährdet. Aber dies kümmert weder Herrn Kanther noch Herrn Stoiber noch Herrn Biedenkopf, und die CDU/SPD-Regierung in Berlin und Baden-Württemberg leider auch nicht.
    Daß das Ganze überhaupt möglich ist, hängt eben damit zusammen, daß mit Hilfe der SPD das Grundrecht auf Asyl faktisch abgeschafft wurde, eine verhängnisvolle Entscheidung, deren Auswirkungen Schritt für Schritt schrecklicher werden.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Also, wissen Sie, was Sie reden? So ein Quatsch!)

    Mit den jetzt geplanten Änderungen zum Asylbewerberleistungsgesetz und mit anderen gesetzlichen Änderungen werden Ausgrenzung und Demütigung vorangetrieben. Als der erste abgelehnte Asylbewerber Selbstmord beging - soweit ich mich erinnere, war das 1983 Kemal Altun -, gab es eine breite öffentliche Betroffenheit. Joschka Fischer hielt damals seine erste große Rede dazu im Bundestag. Beute überdauert eine solche Meldung kaum den Tag. Wie herzlos ist die Politik unter der schwarz-gelben Koalition inzwischen geworden und mit ihr unsere Gesellschaft!

    (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Sehr richtig!)

    Der Wind dreht sich. Die Stimmung in der Gesellschaft beginnt, den Fährten zu folgen, die diese Regierung so verantwortungslos gelegt hat. Nach neuesten Umfragen ist inzwischen ein Drittel der Bevölkerung der Ansicht, daß es zu viele Ausländer in unserem Land gibt, und die Mehrheit befürwortet Abschiebungen von Kurden in die Türkei. Der Druck, von oben erzeugt, wuchert nun von unten auf ausnahmslos alle Parteien. Die PDS wird stets dagegen auftreten, auch wenn es untaktisch und unpopulär ist. Solche Fragen dürften eigentlich von keiner demokratischen Partei der Taktik unterworfen werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Demokratische Partei? Daß ich nicht lache!)

    Die Reue über die Erzeugung intoleranter Stimmungen kommt in der Geschichte meistens zu spät. Auch das ist eine wichtige Lehre des 8. Mai 1945.

    (Beifall bei der PDS)

    Aber auch vereinigungspolitisch sind die Ergebnisse der Tätigkeit der Bundesregierung äußerst kritisch zu beleuchten. Die Abgeordnetengruppe der PDS verkennt keinesfalls, daß es seit der Vereinigung auch positive Entwicklungen für die Menschen in den neuen Bundesländern gibt. Hinsichtlich der persönlichen Freiheiten und des Zuwachses an Demokratie ist allerdings darauf hinzuweisen, daß diese bereits mit der Wende im Herbst 1989 erkämpft wurden und nicht erst seit der Vereinigung am 3. Oktober 1990 gegeben sind.

    (Beifall bei der PDS)

    Wir verkennen nicht, daß beim Aufbau von Stadtzentren und bei der Entwicklung der Infrastruktur einschließlich der Telekommunikationssysteme erhebliche Fortschritte gemacht wurden.
    Aber dem stehen viele Negativseiten gegenüber. Nichts hat sich seitdem an der Verachtung gegenüber ostdeutschen Biographien geändert. Der Elitewechsel ist mit Hilfe der Gauck-Behörde, besonderer Kündigungsvorschriften, insbesondere der sogenannten Bedarfskündigung, der Schließung von Einrichtungen und über andere Instrumentarien fast komplett organisiert worden. Mag zunächst noch Verständnis dafür geherrscht haben, soweit es um die ehemalige politische Klasse der DDR ging, so hörte dieses Verständnis spätestens dann auf, als deutlich wurde, daß es ebenso die pädagogische, die medizinische, die wissenschaftliche, die technische und die künstlerische Intelligenz trifft. Wahrscheinlich gab es noch nie in der Geschichte Europas ein so riesiges Heer an arbeitsloser Intelligenz wie in den neuen Bundesländern.
    Aber es hat ja nicht nur die sogenannte Elite getroffen. Die Hälfte der Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern wurde vernichtet. Das wirkte sich auf alle Schichten der Bevölkerung gleichermaßen aus. Noch kämpfen Menschen z. B. in Dessau um die wenigen verbliebenen Arbeitsplätze oder warten in Bischofferode darauf, daß Sie, Herr Bundeskanzler, Ihr ausdrücklich abgegebenes Versprechen einhalten, nämlich dort 700 Ersatzarbeitsplätze zu schaffen. Wissen Sie, wie viele Arbeitsplätze dort inzwischen geschaffen worden sind? Es sind unter 30. Die Menschen haben Ihnen geglaubt und darauf gehofft, daß dort wirklich 700 Ersatzarbeitsplätze geschaffen werden. Fast keiner davon ist in Sicht.
    Allein in der Landwirtschaft wurden zwei Drittel der Arbeitsplätze zerschlagen. Die landwirtschaftliche Produktion wurde stark reduziert. Dort sticht Ihr Argument von der maroden Wirtschaft nicht. Die Produktivität in der Landwirtschaft der DDR war nicht niedriger als in der Landwirtschaft der alten Bundesrepublik. Hier wurde schlicht und einfach an die Bedürfnisse des Westens angepaßt.

    Dr. Gregor Gysi
    Und so sind eben auch die massenhaften Betriebsstillegungen in der Industrie in den neuen Ländern äußerst unterschiedlich zu bewerten. Natürlich gab es Fälle, daß Betriebe so marode waren, daß sie nicht gehalten werden konnten. Aber es gab auch andere Fälle, bei denen es reale Sanierungsmöglichkeiten gab, die nicht genutzt wurden, um Konkurrenz von vorneherein auszuschließen.
    Mit großer Sorge stelle ich fest, daß die Erfahrungen der Menschen aus den neuen Bundesländern für die Gestaltung dieser Bundesrepublik Deutschland weder gefragt noch genutzt werden. Im Gegenteil, schon wieder ist Anbiederei zum höchsten Motto erklärt worden. Aber damit sind ja nicht nur Chancen für die Entwicklung dieser Bundesrepublik vertan worden, sondern es wurde künstlich auch im Denken und Fühlen der Menschen ein Ost-West-Widerspruch zementiert, bei dessen Überwindung wir wesentlich weiter sein könnten.

    (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch)

    Zu dieser Zementierung tragen auch der Bundesfinanzminister und sehr viele Rednerinnen und Redner hier in der Haushaltsdebatte unmittelbar bei.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Denn immer wieder wird auf die ungeheuren Ausgaben zum Aufbau in den neuen Bundesländern hingewiesen. Regelmäßig wird dabei jedoch verschwiegen, daß es sich bei diesen Ausgaben zu einem großen Teil um Sozialtransfers handelt, d. h. um Zahlungen an Bürgerinnen und Burger, auf die Rechtsanspruch besteht, unabhängig davon, ob die Bürgerin bzw. der Bürger in Thüringen oder in Bayern wohnt. Nur den neuen Bundesländern, nicht aber den alten werden solche Leistungen wie Kindergeld, Wohngeld, Arbeitslosenunterstützung angerechnet.
    Aber dieses Geld wird ja regelmäßig konsumiert, und zwar zum größten Teil in Form von Westprodukten, wodurch westdeutsche Unternehmen nicht schlecht verdienen. Gleiches gilt für Transferleistungen, mit denen tatsächlich Aufbaumaßnahmen im Osten finanziert werden; denn auch hier sind die Nutznießer in aller Regel westdeutsche Unternehmen.
    Seit Jahren wird festgestellt, daß es nicht wenige gibt, die an der Einheit erheblich verdienen; nur ist diese Bundesregierung nicht bereit, sie auch für die Kosten heranzuziehen.
    Neuerdings werden die Ostdeutschen auch noch damit verschreckt, daß mittels einer dritten Mieterhöhungsverordnung, die in das Vergleichsmietensystem führen soll, Wohnungen für viele kaum noch bezahlbar sein werden. Ich ersuche Sie, Herr Bundeskanzler, sorgen Sie dafür, daß die geplante Mieterhöhung zum 1. Juli 1995 unterbleibt! Die Einkünfte der Ostdeutschen sind nicht so gestaltet, daß diese verkraftbar wäre. Sorgen Sie dafür, daß die Wohnungsgesellschaften endlich von den Altschulden, zumindest von ihrer Tilgung, freigestellt werden! Dann hätten diese Gesellschaften auch die Mittel, um in Zukunft notwendige Sanierungsmaßnahmen ohne Mieterhöhungen durchzuführen.

    (Beifall bei der PDS)

    Lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wir bezahlbare Wohnungen auch in den alten Bundesländern realisieren können, anstatt darüber nachzudenken, wie die Unbezahlbarkeit von Wohnungen und die Obdachlosigkeit vom Westen auch in den Osten eingeführt werden!

    (Beifall bei der PDS)

    Und da eben so viel darüber geredet wurde: Sorgen Sie dafür, daß wirklich das politische Strafrecht aus dem Rentenrecht beseitigt wird! Sorgen Sie auch dafür, daß Rentenerhöhungen nicht durch Abschmelzungen von Zuschlägen praktisch nicht stattfinden! Erkennen Sie endlich Arbeit in der früheren DDR gleichermaßen an, auch rentenrechtlich, und leisten Sie einen Beitrag dazu, daß Ostdeutsche die Möglichkeit erhalten, künftig selbstbewußter in die Gestaltung dieser Bundesrepublik einzugreifen!