Rede von
Ingrid
Matthäus-Maier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Nein. - Meine Damen und Herren, wenn Sie an all das herangehen und endlich ernsthaft die Steuerhinterziehung bekämpfen und wenn Sie darauf verzichten, im Verteidigungshaushalt jetzt schon wieder über 650 Millionen DM daraufzulegen, dann haben Sie auch das Geld, um in einer Stunde dem SPD-Antrag zuzustimmen, im Rahmen eines dreijährigen Kindergartenbauprogramms 25 der Baukosten durch den Bund zu finanzieren. Es kann nicht sein, daß der Bund den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz beschließt, wofür wir Sozialdemokraten alle sind, und
Ingrid Matthäus-Maier
Sie sich dann als Bund weigern, das mitzufinanzieren.
Die Probleme und die Haushaltslöcher verschieben Sie auf 1996: Freistellung des Existenzminimums, Kindergeld, Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, Bahnreform, Arbeitslosenhilfe, Kohleverstromung - insgesamt rund 30 Milliarden DM, für die es noch keine Finanzierung gibt. Da der Bundesfinanzminister gern das Bild einer punktgenauen Landung benutzt - heute haben Sie es einmal weggelassen -, darf ich die „Wirtschaftswoche" zitieren, die sagt:
An zusätzlichen Schulden geht da wohl kein Weg vorbei. Schon im dritten Jahr hintereinander trifft der Bayer die anvisierten Plandaten mit der Präzision einer abgesägten Schrotflinte.
Das würde ich nicht gerne über mich hören.
Sagen Sie doch den Menschen heute, wie Sie die Haushaltslöcher 1996 stopfen wollen! Soll es eine höhere Neuverschuldung geben, oder haben Sie schon wieder neue Pläne zur Steuer- und Abgabenerhöhung in der Tasche? Ich erinnere mich gut daran, daß der Bundesfinanzminister im letzten Jahr eine höhere Mineralölsteuer oder eine Autobahngebühr für Pkw angedeutet hat. Ich sage Ihnen: Lassen Sie das Versteckspiel und das Täuschen der Bürger, legen Sie die Wahrheit auf den Tisch! Oder wollen Sie die Menschen wieder von heute auf morgen mit Steuererhöhungen überfallen, wie Sie es in der vorigen Woche - Gott sei Dank erfolglos - mit Ihrer Müllsteuer versucht haben?
1996 soll das Jahr der Steuersenkungen sein, und das ist auch richtig nach Ihrer Lawine von Steuer- und Abgabenerhöhungen der letzten Jahre. Aber Ihre Steuerpolitik ist bisher unausgegoren. Die Presse schreibt: „Beitrag zur Verwirrung", „Durchgewurstelt", „Kein Konzept", „Zuviel versprochen", „Steuertorso", und so geht das immer weiter. Zum einen fehlt Ihr Gesetzentwurf zur Verbesserung der Eigenheimföderung für kleine und mittlere Einkommen. Wir werden das nicht vergessen: versprochen und nicht gehalten. Legen Sie das schnell vor! Zum anderen haben Sie einen unzureichenden Tarifentwurf für die Steuerfreistellung des Existenzminimums vorgelegt. Gott sei Dank haben Sie den Buckeltarif vom letzten Dezember zurückgezogen. Aber der neue Tarif ist auch nicht viel besser; denn er führt bereits bei einem Einkommen zwischen 15 000 DM und 30 000 DM im Jahr zu einem Grenzsteuersatz von fast 30 %. Rechnet man die Sozialabgaben dazu, dann bleiben von jeder dazuverdienten Mark nur gut 50 Pfennige. Da schreibt dann doch die unverdächtige „Zeit":
Wer geringe Einkommen so hoch besteuert, treibt die Leute in die Schwarzarbeit und zerstört legale Arbeitsverhältnisse. Der neue Steuertarif schröpft Niedrigverdiener - Waigel als Jobkiller.
Da die „Zeit" recht hat, fordern wir Sie auf, auch diesen Tarif zu ersetzen und einen dritten Entwurf vorzulegen.
Beim Familienlastenausgleich haben Sie sich endlich in eine richtige Richtung bewegt, nämlich hin zu unserem Modell: 250 DM Kindergeld vom ersten Kind an, direkt als Abzug von der Steuerschuld. Das ist ein Teilerfolg für uns. Aber, meine Damen und Herren, die große Entlastung für die Familien mit Kindern ist das nicht. Beim ersten Kind macht nämlich die Entlastung nicht, wie Sie immer sagen, den Unterschied zwischen 70 DM und 200 DM, also 130 DM aus, sondern Sie müssen berücksichtigen, daß die Mindestentlastung aus dem Kinderfreibetrag wegfällt. Das heißt: Als Entlastung verbleiben beim ersten Kind nur 65 DM, beim zweiten Kind nur 5 DM - das ist die große Reform -; beim dritten und vierten Kind kommt es in vielen Fällen sogar zu einer Schlechterstellung gegenüber dem bisherigen Recht.
Großzügig sind Sie dagegen bei der Entlastung der Spitzenverdiener - das kennen wir bei Ihnen -, die mehr als 240 000 DM im Jahr verdienen. Sie sollen eine Entlastung nicht in Höhe von 200 DM, sondern von sage und schreibe 277 DM bekommen.
Das heißt: Die Entlastung ist pro Kind und Monat 77 DM höher als bei Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen. Das sind im Jahr fast 1 000 DM mehr.
Wir Sozialdemokraten werden das Motto „Wer hat, dem wird gegeben" nicht mitmachen. Wir werden bei unserem Konzept bleiben: 250 DM vom ersten Kind an.
Ihre Gewerbesteuerpläne können Sie gleich abkoppeln. Sie sind nämlich nicht nur gemeindefeindlich, weil keine Gemeinde weiß, was sie als Ausgleich bekommt,
sondern auch mittelstandsfeindlich. Der kleine Handwerker um die Ecke, der in eine neue Maschine investiert und Arbeitsplätze schafft, soll nach Ihrer Vorstellung die Steuersenkung für die Deutsche Bank finanzieren. Das wird es mit Sozialdemokraten nicht geben, meine Damen und Herren.
Schließlich:. Die mangelnde Verläßlichkeit und Stetigkeit in Ihrer Finanzpolitik mußten Bürger und Wirtschaft in den letzten Jahren leidvoll genug erfah-
Ingrid Matthäus-Maier
ren. Das letzte Beispiel dafür ist die „famose" Müllsteuer. Was Sie sich bezüglich dieses Themas in den letzten Wochen geleistet haben, geht nun wirklich auf keine Kuhhaut: Freitag wurde es vorgetragen. Sonntag wurde die SPD beschimpft, weil sie dagegen war. Mittwoch wurde es zurückgezogen. - Dann können unsere Argumente gar nicht so falsch gewesen sein.
Nein, meine Damen und Herren, Kritiker verspotten den Finanzminister Waigel längst als PleitenPech-und-Pannen-Theo. An Ihren Pleiten und Pannen werden wir uns aber nicht beteiligen.