Rede von
Ingrid
Matthäus-Maier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Waigel, diese Rede haben wir schon einige Male gehört -
eine Rede nach dem Motto: Alles in Ordnung, alles im Griff, keine Probleme! Aber auch ein solches Gesundbeten kann nicht über die Wirklichkeit hinwegtäuschen.
Die Steuer- und Abgabenbelastung der Bürger ist die höchste aller Zeiten. Die Staatsverschuldung ist die höchste aller Zeiten. Die Zinsbelastung der öffentlichen Haushalte ist auch die höchste aller Zeiten. In jeder Minute zahlt der Staat 280 000 DM Zinsen. Allein im Bundeshaushalt betragen die Zinslasten 95 Milliarden DM, während der Umweltetat lediglich 1,3 Milliarden DM ausmacht. Dagegen helfen auch forsche Reden nichts. Herr Waigel, wenn Sie sich hier immer nach der Art eines Anrufbeantwor-
Ingrid Matthäus-Maier
ters wiederholen, dann sage ich: Seien Sie lieber ein Finanzminister, der handelt! Tun Sie etwas Grundsätzliches gegen die hohe Arbeitslosigkeit, gegen die explodierende Staatsverschuldung und die drükkende Abgaben- und Steuerlast, meine Damen und Herren!
Heute wollen Sie uns weismachen, Sie hätten im Haushalt 1995 gespart. Aber wo denn? Sie ziehen die Fälligkeit der Mineralölsteuer vor; das macht einmal 2,6 Milliarden DM. Sie verkaufen Anteile an der Lufthansa und andere Beteiligungen; das macht einmal 1,5 Milliarden DM. Sie verkaufen zwei Staatsbanken; das macht einmal über 11 Milliarden DM. Sie verkaufen Grundstücke in den neuen Bundesländern; das macht einmal 1,3 Milliarden DM. Alles zusammen macht es über 15 Milliarden DM. Jeder sieht doch, daß solche einmaligen Verkaufserlöse kein Sparen sind.
Weil die von Ihnen geplante Kürzung der Arbeitslosenhilfe die Menschen sofort von der Arbeitslosenhilfe in die Sozialhilfe hineinschiebt, ist auch Ihr Plan der Kürzung der Arbeitslosenhilfe überhaupt kein Sparen, sondern ein Verschiebebahnhof zu Lasten der Gemeinden. Eine Aktion „Bundesfinanzen saniert, Gemeindefinanzen ruiniert" wird es mit der SPD nicht geben, meine Damen und Herren.
Wo Sie die Ausgaben in der Tat herunterfahren, tun Sie es einseitig und wirtschaftspolitisch unvernünftig. Nehmen wir z. B. Ihre Nacht-und-Nebel-Aktion der Kürzung des Zuschusses für die Bundesanstalt für Arbeit. Vergessen Sie denn eigentlich, daß wir immer noch über 3,8 Millionen registrierte Arbeitslose haben?
Sie verwehren mit Ihrer Kürzung fast einer halben Million Arbeitslosen die Chance, wieder Arbeit zu finden. Dies ist eine Demütigung für diese Menschen und außerdem arbeitsmarktpolitischer Unsinn, meine Damen und Herren.
Wir stellen uns unter Sparen etwas anderes vor. Ein solider Finanzminister müßte bei den Personalausgaben nicht nur unten, sondern auch bei den Parlamentarischen Staatssekretären sparen. Da legen Sie aber wieder einen drauf.
Ein solider Finanzminister müßte bei der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung sparen. Statt dessen werden über 400 Millionen DM für Broschüren und Anzeigen ausgegeben, z. B. allein an Silvester, meine Damen und Herren, eine große Jubelanzeige für Helmut Kohl. Meine Anfrage ergab: 2,5 Millionen DM Kosten. Wenn ich Ihnen das vorhalte, dann sagen Sie immer: 2,5 Millionen DM sind doch gar nichts. - Es ist doch eines Ihrer Probleme, daß bei Ihrer Regierung die Milliarde die kleinste Recheneinheit geworden ist, meine Damen und Herren.
Ein solider Finanzminister müßte natürlich bei den Beschaffungen der Bundeswehr kürzen. Aber Herr Waigel beharrt auf der Beschaffung des Jäger 90 und reißt damit neue Milliardenlöcher auf. Wir werden Sie an diesen Punkt erinnern, meine Damen und Herren. Im Laufe des Jahres wird in diesem Bundestag abgestimmt. Wir werden als Sozialdemokraten der Beschaffung nicht zustimmen.
Ein solider Finanzminister müßte Steuersubventionen abbauen. Wir haben eine ganze Liste von Steuersubventionen, die man abbauen kann, vorgelegt. Aber, meine Damen und Herren, Sie wehren sich.
Ich will nur ein Beispiel nennen. Das bringt „nur" 100 Millionen DM. Aber das ist auch Geld. Wenn wir sagen: Schaffen Sie endlich die steuerliche Absetzbarkeit von Schmiergeldern ab!, dann sagen Sie: Das ist doch gar nicht schlimm. Wenn eine Firma, die besticht, das Bestechungsgeld von der Steuer absetzen kann, dann könne man doch damit leben, weil der bestochene Beamte das Bestechungsgeld versteuern muß. - Ja, so ist es. Was ist das denn für eine Denkweise? Sprechen Sie einmal mit diesen Damen und Herren! Wehren Sie sich nicht immer dagegen, daß endlich auch die steuerliche Absetzbarkeit der Schmiergelder abgeschafft wird! Das stärkt das Rechtsbewußtsein in diesem Lande, und die ehrlichen Steuerzahler zahlen dann nicht mehr länger für die anderen mit.