Rede von
Dr.
Michael
Luther
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schwanitz, ich möchte kurz auf Ihren Antrag eingehen. Er ist als Zusatztagesordnungspunkt bei mir leider etwas spät angekommen, so daß ich mich mit ihm inhaltlich nur wenig beschäftigen konnte.
Folgendes: Der Einigungsvertrag - Sie haben recht - ist kein Dogma. In der Zeit vom 18. März 1990 bis zum August 1990, als der Einigungsvertrag abgefaßt wurde, wurde vieles festgestellt und aufgeschrieben; aber bei weitem nicht alles konnte vom Einigungsvertrag erfaßt werden. Deshalb haben wir uns in der letzten Legislaturperiode vorgenommen - ich denke, auch in dieser -, das, was neu erkannt wird, anzufassen, aufzugreifen, zu überdenken und dann entsprechende Bestimmungen zu korrigieren. Über solche Dinge denken wir in unseren Arbeitsgruppen nach; auch Sie tun das. Darüber freue ich mich. Sie sind recht herzlich zu diesen Diskussionen eingeladen. Sie werden verstehen, daß nicht alles, was Sie in den Antrag hineingeschrieben haben, aus meiner Sicht sinnvoll erscheint. Ich denke, wir sollten darüber in den Ausschüssen reden. Vielleicht können Sie das nächste Mal, wenn Sie einen Antrag im Deutschen Bundestag einbringen, ihn uns etwas früher zur Verfügung stellen.
Meine Damen und Herren, Hauptgrund, warum wir heute zu diesem Thema reden, ist ein Antrag der PDS. Dieser Antrag spricht von der Vertreibung ostdeutscher Bürger durch Westdeutsche.
Passend zu Ihrem Antrag auf der vorliegenden Drucksache, meine Damen und Herren von der PDS, ist Ihre Kleine Anfrage mit dem Titel: „Vertreibung der ostdeutschen Nutzer mit Hilfe des Zivilrechts". Demnach beziehen Sie sich auf Aussagen von „Verbänden der ostdeutschen Nutzer restitutionsbehafteter Grundstücke, vor allem aus dem Berliner Raum", die darauf hinweisen, daß „durch bestimmte Lücken in den rechtlichen Regelungen" die Gefahr bestünde, daß „die redlich erworbenen Nutzungs- und Eigentumsrechte ostdeutscher Eigenheim- und Grundstücksbesitzer" verlorengehen würden.
Dr. Michael Luther
Weiterhin reden Sie von „Seminaren der Anwälte der Alteigentümer" und von „Massenveranstaltungen mit Hunderten von Teilnehmern" - schon die Semantik kommt mir sehr bekannt vor -, in denen „die Umgehung der Verwaltungs- und verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen auf dem Zivilrechtsweg mit Hinweisen auf die einschlägigen Urteile des BGH geübt und propagiert" wird. Zumindest das letzte Wort, „Propadanda", paßt. Was Sie, meine Damen und Herren von der PDS, betreiben, ist Propaganda. Ihre weitere Argumentation dient nur dem einen Zweck, nämlich Angst unter den Menschen in den neuen Bundesländern zu schüren.
Unter dem Vorwand, helfen zu wollen, verunsichern Sie die Menschen absichtlich. Damit die von Ihnen verbreitete Unsicherheit auch den richtigen Nachdruck bekommt, legen Sie Ihrem Antrag eine vermeintliche Schätzung zugrunde, die angeblich 40 % der Grundstücke betrifft, bei denen durch fehlerhafte Rechtsgeschäfte in der DDR der redliche Erwerber heute gefährdet sei.
Lassen Sie mich einiges zur grundsätzlichen Klärung sagen. Der Einigungsvertrag besagt in Art. 19 ganz klar:
Vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene Verwaltungsakte der Deutschen Demokratischen Republik bleiben wirksam. Sie können aufgehoben werden, wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen dieses Vertrages unvereinbar sind. Im übrigen bleiben die Vorschriften über die Bestandskraft von Verwaltungsakten unberührt.
Den größten Eingriff in die Verwaltungsakte der DDR stellt - richtig! - das Vermögensgesetz dar. Dadurch sollen Enteignungen aufgehoben werden, da Enteignungen eben im höchsten Maße nicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen in Übereinklang gebracht werden können. Dabei schützt jedoch das Vermögensgesetz den redlichen Eigentümer und Nutzer aus der DDR-Zeit. In diesem Fall ist, wie Sie wissen, eine Restitution nicht möglich, und der Alteigentümer muß sich mit der Entschädigung nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz zufriedengeben.
Der Bundesgerichtshof selbst hat mehrfach betont, daß das Vermögensgesetz dem sozialverträglichen Ausgleich sogenannten Teilungsunrechtes dienen soll. Es bezwecke nicht, allgemeine Risiken des Rechtsverkehrs aus der Zeit der DDR aufzufangen.
Das Bundesverwaltungsgericht spricht in einem Urteil vom 30. Juni 1994 klare Worte - ich zitiere sinngemäß -: Ebenso wie sich der Alteigentümer seinerzeit mit dem Verlust seiner Vermögenswerte abfinden mußte, konnte der Erwerber grundsätzlich darauf vertrauen, daß es bei seinem Eigentum bleiben würde, und sich darauf einrichten. Für ihn stand gleichfalls im Vordergrund, daß es der Staat war, der ihm an Stelle des Voreigentümers den Vermögenswert verschaffte.
Daß sich dieses nach dem Herbst 1989 änderte, gehörte nicht zu den allgemeinen Rechtsrisiken in der DDR; denn dieses Risiko verwirklichte sich erst und nur infolge der Änderung der politischen Verhältnisse. Dieser besonderen Interessenlage des Erwerbers trägt das Vermögensgesetz Rechnung, indem es in seinem § 4 Abs. 2 den redlichen Erwerber schützt.
Bei der staatlichen Veräußerung von Vermögenswerten Geflüchteter, die zu einem tatsächlichen Eigentümerwechsel geführt haben, gebietet daher sowohl die Situation des Geschädigten wie die des Erwerbers die Anwendung des Vermögensgesetzes, gleichgültig, welcher weitere Mangel dem Rechtsgeschäft anhaftet, und unbeschadet der Frage, ob ein solcher Mangel zivilrechtliche Ansprüche auslösen kann oder nicht. Sofern solche Ansprüche bestehen, ist die Restitution nicht auf die Rückübertragung des zivilrechtlich verlorengegangenen Eigentumsrechts, sondern auf die verbindliche Feststellung der Eigentümerposition nach dem Vermögensgesetz gerichtet. - Soweit zu dem Zitat; ich glaube, dem ist nichts hinzuzufügen.
Etwas anders wirkt allerdings - ich gebe es zu - auf den ersten Blick die Position des BGH im Urteil vom 24. Juni 1994.