Rede von
Rolf
Schwanitz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als vor einigen Tagen der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Zusammenhang mit dem ostdeutschen Rentenrecht kurioserweise empfahl, den Einigungsvertrag zu ändern, haben die meisten eher belustigt zur Seite gesehen. Anders die sächsische Staatsregierung in Dresden. In einer Agenturmeldung von Montag war folgendes zu lesen:
Sachsens Justizminister Heitmann hat die Vorschläge des CDU/CSU-Fraktionschefs im Bundestag, Schäuble, zur nachträglichen Änderung des Einigungsvertrages begrüßt. Neben Rentenfragen sei auch in der Eigentumsproblematik eine Nachbesserung notwendig, sagte Heitmann heute im MDR 1 - Radio Sachsen. Das Prinzip „Rückgabe von Entschädigung" habe Folgen, die der Deutschen Einheit nicht förderlich seien.
Meine Damen und Herren, bei manchen kommt die Erkenntnis spät, aber immerhin. In der Tat waren die offenen Vermögensfragen in den vergangenen vier Jahren das zentrale investive, soziale und mentale Hemmnis im inneren Vereinigungsprozeß der Deutschen.
Die offenen Eigentumsfragen und der „Geburtsfehler der deutschen Vereinigung", wie Lothar de Maizière sagte, das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung", haben den Deutschen Bundestag folglich wie kein anderes ostdeutsches Thema in den letzten vier Jahren beschäftigt.
Es begann 1991 mit der Debatte um das sogenannte Enthemmungsgesetz, gefolgt vom Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz im Jahre 1992; dann die Anpassungsgesetze im Sachen- und im Schuldrecht. Ich erinnere an das Registerverfahrenbeschleunigungsgesetz. Trotz eineinhalb Jahre dauernder Auseinandersetzung und eineinhalb Jahre dauerndem Gezerre in der Koalition um die Alteigentümeransprüche im Zusammenhang mit der Bodenreform ist es im September letzten Jahres, quasi kurz vor Toresschluß der letzten Legislaturperiode, endlich zum Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz gekommen.
Fast alle diese Gesetze haben massiv in die Lebenssphären der Menschen eingeschnitten, ohne daß deren Inhalt bis heute auch nur annähernd vom Kreis der Betroffenen erfaßt worden ist. Daß der Gesetzgeber nahezu permanent mit der Korrektur und Ausbesserung dieser Verhältnisse beschäftigt werden mußte, hat etwas damit zu tun, wie mit den Interessen der Ostdeutschen im Einigungsprozeß umgegangen worden ist.
Rolf Schwanitz
Wer sich die Mühe macht und sich heute in der Rückschau die Debatten zu diesen Gesetzen noch einmal ansieht, stellt vor allen Dingen eines fest: Während die Opposition sowie die ostdeutschen Länder - vor allem sei hier das Land Brandenburg erwähnt - stets kritisch, aber konstruktiv an diese Fragen herangegangen sind, gefiel sich die Bundesregierung in passivem Optimismus, statt sich schnell der Lösung der offenen Vermögensfragen zuzuwenden. Sie mußte von der Opposition - in sehr vielen Fällen von der SPD - zum Handeln getrieben werden.
Die Regierungserklärung, die wir im vergangenen November debattierten, steht hier in gerader Tradition. Der Kanzler und die Justizministerin haben in dieser Debatte weder Ostdeutschland im allgemeinen noch die offenen Vermögensfragen und Nutzerrechte im besonderen auch nur mit einem Wort erwähnt. Mit uns ist eine solche Strategie des Aussitzens und des Verdrängens existentieller Probleme der Menschen in Ostdeutschland nicht zu machen, meine Damen und Herren.
In wenigen Wochen wird das Land Brandenburg einen Gesetzentwurf zu den Nutzerrechten und zum Abbau von Investitionshemmnissen im Bundesrat einbringen. Dieser Gesetzentwurf greift die Fragen auf, mit denen die SPD-Bundestagsfraktion die Justizministerin bereits in der Novemberdebatte konfrontiert hat. Wir fordern die Bundesregierung mit unserem Antrag auf, sich endlich diesen Problemen zuzuwenden und ihre Vorstellungen auf den Tisch zu legen. Oder sollen die Interessen der ostdeutschen Nutzer endgültig zu den Akten gelegt werden, frei nach dem Motto: Was interessiert mich mein Gerede in der Vergangenheit; gewählt wird in diesem Jahr schließlich in anderen Ländern? Nein, meine Damen und Herren, so kann man mit den Menschen nicht umgehen. Sie haben sich gegenüber den neu auftretenden Problemen im Osten genauso wie gegenüber den Konsequenzen Ihres bisherigen Handelns zu stellen.
Meine Damen und Herren, worum geht es?
Erstens. Die Umgehung und Aushöhlung des Vermögensgesetzes muß gestoppt werden. Seit 1990 ringen wir darum, wie beim Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung" die Interessen des redlichen Erwerbers gewahrt werden können und wie er vor Restitution geschützt werden kann. Unter großen Anstrengungen haben wir beispielsweise die Härte der sogenannten Stichtagsregelung mehrfach abgemildert. Wir haben damit dafür gesorgt, daß zunehmend weniger Personen pauschal als unredliche Erwerber eingestuft werden und um ihr Eigentum bangen müssen.
Es war dabei immer unstrittig, daß redlicher Erwerb von Eigentum durch den heutigen Nutzer den Restitutionsanspruch des Alteigentümers abwehrt. Die Entwicklung im Osten geht heute jedoch in eine andere Richtung. Seit geraumer Zeit weichen Alteigentümer zunehmend häufig auf den Zivilrechtsweg
aus. Sie lassen feststellen, ob der damalige Eigentumserwerb überhaupt rechtswirksam zustande gekommen ist. Wird dies vom Gericht verneint, war der Erwerb mit Mängeln behaftet und zivilrechtlich unwirksam, so spielt die Redlichkeit des Erwerbers überhaupt keine Rolle mehr.
Die mühsam aufgebauten Schutzmechanismen des verwaltungsrechtlichen Vermögensgesetzes greifen nicht. Geradezu grotesk ist dies dort, wo der heutige Besitzer, der heutige Eigentümer das Haus vom Staat, also aus Volkseigentum, erworben hat. Diesen Erwerb heute nach den Grundsätzen des Rechtsstaates und nicht im Lichte der damaligen politischen Verhältnisse und verwaltungsseitigen Praktiken in der DDR zu betrachten stellt die Situation auf den Kopf und gefährdet in massiver Weise die berechtigten Interessen der heutigen Eigentümer.
Wir fordern deshalb eine gesetzgeberische Maßnahme, damit all jene redlichen Erwerber, die im berechtigten Vertrauen auf das korrekte Handeln der staatlichen Stellen den Immobilienkauf getätigt haben, ihr Haus oder ihr Grundstück behalten können. Eine solche Umgehungsstrategie der Alteigentümer können wir nicht tatenlos hinnehmen, meine Damen und Herren.
Es geht zweitens um den Bereich der Kündigungsschutzrechte. Bereits Ende letzten Jahres haben wir Sozialdemokraten uns für die Verlängerung des besonderen Kündigungsschutzes bei Gewerberäumen eingesetzt. Es war eine sehr sinnvolle Regelung, daß der Mieter von Gewerberäumen einer Kündigung dann widersprechen konnte, wenn sie eine erhebliche Gefährdung der wirtschaftlichen Lebensgrundlagen zur Folge gehabt hätte.
Der Vermieter war bei Kündigungen im Zusammenhang mit Mieterhöhungen an die ortsübliche Miete bei vergleichbaren Gewerberäumen gebunden.
Wir appellieren in unserem Antrag erneut an Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, sich im Interesse des ostdeutschen Mittelstandes für eine Wiederauflage dieser Regelung zu entscheiden. Revidieren Sie Ihre ablehnende Haltung, und verschließen Sie sich nicht länger einem bewährten Instrument, das wir viele Jahre erfolgreich genutzt haben.
Noch wesentlich drückender schwebt über den Ostdeutschen das Auslaufen des Schutzes der Mieter vor Eigenbedarfskündigungen zum Jahresende. Die Lage am ostdeutschen Wohnungsmarkt wird sich bis zum 31. Dezember dieses Jahres nicht entscheidend entspannt haben. Wir sollten deshalb undogmatisch wie 1992 erneut eine Verlängerung der Schutzfristen ins Auge fassen. Vogel-Strauß-Politik hilft uns da nicht weiter. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, können die Folgen Ihrer Irrtümer von damals, die Folgen der falschen wirtschaftlichen Pro-
Rolf Schwanitz
gnosen von damals nicht heute auf dem Rücken der ostdeutschen Mieter abladen. Wir jedenfalls werden einer solchen Strategie nicht folgen. Wir werden das nicht mitmachen, meine Damen und Herren.
Aber die Frage des Wegfalls des Kündigungsschutzes stellt sich nicht nur bei den Mietverträgen. Unter schwierigen Diskussionen haben wir im September 1994 den Kündigungsschutz für Datschennutzer im Schuldrechtsanpassungsgesetz umfangreich geregelt. Für die Ostdeutschen ist damit gesichert, daß sie über viele Jahre hinweg, einige Personen zeit ihres Lebens, über das Grundstück für Freizeit und Erholung Nutzungsrecht in Anspruch nehmen können.
Wesentlich schlechter gestellt sind hingegen Nutzer, die das Grundstück zu Wohnzwecken verwenden. Ich erinnere z. B. an Inhaber von Überlassungsverträgen zu Wohn- oder gewerblichen Zwekken, soweit die Nutzer nur geringfügig in das Gebäude investiert haben. Hier laufen Schutzrechte Ende dieses Jahres aus.
Wir können doch nicht zusehen, wie Tausende durch Eigenbedarfsklagen zwar ihre Datschen behalten, ihren Wohnraum oder ihre gewerbliche Existenz jedoch verlieren. Wo bleibt da das richtige Maß zwischen den schützenswerten Gütern! Diese Schief-lagen müssen wieder ins Lot gebracht werden, meine Damen und Herren. Eine Erweiterung der Schutzrechte ist hier unumgänglich.
Ein dritter Bereich, über den dringend geredet werden muß, ist der Bereich der Beseitigung von Investitionshemmnissen. Dabei geht es nicht nur um die Verlängerung des Investitionsvorranggesetzes; denn dieses Gesetz läuft bekanntlich zum Jahresende aus. Es geht darüber hinaus auch um schnellere und einfachere Entscheidungen dort, wo nach geltendem Recht ohnehin nicht mit einer Restitution zu rechnen ist.
Gemeint sind Objekte, die zwischen 1945 und 1949 enteignet wurden oder die als Komplettierungskäufe geschützt sind. In beiden Fällen scheidet die Restitution aus, weshalb solche Anträge, die Investitionen oder Veräußerungen verhindern, weiterhin nicht mehr geschützt werden müssen. Dies betrifft sowohl die allgemeine Verfügungssperre als auch die erforderliche Grundstücksverkehrsgenehmigung. Wir brauchen eine weitere kritische Durchleuchtung der Investitionsblockaden im geltenden Recht. Dort, wo Zweckbestimmungen zu eng erscheinen, muß erweitert werden; dort, wo wir Klarheit über den Vorrang des Erwerbers haben, müssen möglichst schnell und rechtlich zwingend die Investitionstätigkeit und die Investitionsfähigkeit des Objektes hergestellt werden. Darum geht es.
Die offenen Vermögensfragen begleiten uns als Ballast der ökonomischen und sozialen Entwicklung im Osten noch über viele Jahre hinweg. Sie treten dabei in verschiedenen Erscheinungsformen zutage, anfangs als Welle von Restitionsanträgen mit enormen Belastungen für Verwaltung, Justiz und Investitionen, dann als sozialer Einschnitt bei Wohnungen,
Haus und Grundstücken und letztlich auch als Infrastruktur- und Standortproblem der Städte und Gemeinden im Osten mit negativer Wirkung für die künftigen Jahre.
Lösen Sie sich, meine Damen und Herren von der Koalition, vom Wunschtraum, daß dieses Thema vom Tisch ist und Ihnen in der Zukunft erspart bleibt. Kommen Sie zurück zur Realität; stellen Sie sich diesen Problemen auch hier im Bundestag, und handeln Sie.
Recht herzlichen Dank.