Rede von
Wolfgang
Spanier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte große Lust, einen kleinen Exkurs über Trüffelschweine vorauszuschicken - vielleicht trauen Sie mir da einen gewissen Sachverstand zu -, habe aber gerade gehört, daß meine Zeit sehr knapp bemessen ist. Deswegen verkneife ich mir das.
Zur Sache: Herr Töpfer, Sie haben an dieser Stelle am 25. November 1994, so glaube ich, die Grundsätze Ihrer Wohnungs- und Städtebaupolitik formuliert und dabei ganz besonders zwei Grundsätze herausgehoben: Erstens, Wohnungs- und Städtebaupolitik ist angewandte Familienpolitik. Zweitens, Wohnungs- und Städtebaupolitik ist angewandte Sozialpolitik.
An diesen Maßstäben muß sich Ihre Politik natürlich messen lassen. Wenn man diese Maßstäbe an die wichtige Entscheidung, um die es in dieser Debatte geht, anlegt, dann sind Sie Ihren eigenen Ansprüchen - das muß ich Ihnen sagen, Herr Töpfer -, dann ist auch die Koalition ihren Ansprüchen mit diesem Gesetzentwurf nicht gerecht geworden:
Die soziale Abfederung - ich bleibe in diesem Bild - reicht nicht. Die Harten, die mit der Einführung der Vergleichsmiete vorgesehen sind, schlagen voll durch.
Wir fordern im Zusammenhang mit der Einführung der Vergleichsmiete - Herr Luther, da haben Sie etwas falsch verstanden; zumindest habe ich das Ihren Worten entnommen - ein doppeltes Junktim, nämlich eine Verbesserung beim Wohnsondergeld und Verbesserungen beim Wohngeld West. Beides muß zusammen gesehen werden.
- Natürlich steht das in unserem Antrag. Das müssen Sie überlesen haben.
Ich werde Ihnen gern ein Viertelstündchen Nachhilfe leisten. Vom Beruf her, denke ich, habe ich da eine gewisse Qualifikation einzubringen.
Wenn wir dieses Junktim nicht beachten, dann laufen immer mehr Menschen in den neuen wie in den alten Bundesländern Gefahr, daß die Mieten zur Armutsfalle werden, dann werden sich Verunsicherung und Angst bei Mieterinnen und Mietern zunehmend breit machen. Verunsicherung und Angst ist bereits jetzt nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern auch in den alten Bundesländern, wie ich in meinem Wahlkreis festgestellt habe, in durchaus besorgniserregender Weise verbreitet.
Auf die Auswirkung der Einführung der Vergleichsmiete ist heute schon mehrfach hingewiesen worden, ebenso darauf, daß es natürlich zu erhöhten Mietbelastungen kommen wird und daß „natürlich" Haushalte mit niedrigen Einkommen von diesen wachsenden Mietbelastungen besonders betroffen werden.
Wir halten den Koalitionsvorschlag zum Wohngeld für unzureichend. Wir haben dafür mehrere Gründe. Zum einen: Wir haben Zweifel, ob der vorgesehene Freibetrag - das ist der eine Baustein - tatsächlich ausreichend ist, um die Mieterhöhungsspielräume wirklich aufzufangen.
Wolfgang Spanier
Wir haben zweitens die Sorge, daß die Regelung, daß schon ab einer Mieterhöhung von 30 DM das Wohngeld neu beantragt werden kann - zugestanden sei, daß dies eine Verwässerung bedeutet -, natürlich bürokratischen Aufwand schafft und das Ganze nur funktioniert, wenn alle, vor allen Dingen die Betroffenen, auch tatsächlich informiert sind, daß es diese Neuregelung gibt. Das ist - das ist vorhin schon angesprochen worden - angesichts der verkürzten Frist aber auch ein grundsätzliches Problem. Im Gutachten der Expertenkommission, die sich ausführlich zum Wohngeld äußert, wird auf Schätzungen hingewiesen, daß ca. 50 % der Wohngeldberechtigten ihren Anspruch nicht geltend machen. Dies ist ähnlich wie bei der Sozialhilfe und geschieht übrigens aus ähnlichen Motiven, gerade bei älteren Menschen aus Scham, schon bei der Miete von der Unterstützung durch den Staat abhängig zu sein.
Wir kritisieren an Ihrem Vorschlag natürlich besonders die Finanzierung; darauf ist schon hingewiesen worden. Es ist in der Tat für uns absolut nicht akzeptabel, daß 43 Millionen DM dadurch erwirtschaftet werden, daß sie beim sozialen Wohnungsbau gekürzt werden. Das bedeutet - ich hoffe, die Zahl ist richtig; man mag mich korrigieren, wenn sie falsch ist -, daß in den neuen Bundesländern ca. 500-1000 Sozialwohnungen weniger gefördert werden können. Diese Zahl wird in etwa stimmen.
Das politisch Brisante, weil es hier in gehörigem Maße um ein Stück Psychologie geht, ist, daß Wohnungssuchende einerseits und Mieter andererseits gegeneinander ausgespielt werden, daß aus der einen Tasche etwas genommen wird, um es in die andere zu stecken. Das ist eine ganz gefährliche Entwicklung. Gerade bei diesem brisanten Thema halten wir das für einen ganz entscheidenden Fehler.
In Ihrem Antrag fehlt völlig die Wohngeldanpassung West. Ich darf Ihnen dazu ein paar Fakten nennen.
- Sie müssen unseren Antrag lesen, lieber Kollege - ich kenne Ihren Namen leider noch nicht -, dann werden Sie sehen, worin der Zusammenhang besteht. Wenn Sie mir gütigerweise in den nächsten Minuten zuhören, wird es Ihnen vielleicht auch durch meinen Beitrag deutlich.
Ich darf ein paar Fakten zur Mietsituation in den alten Bundesländern anführen. Dort sind die Mieten seit 1990 um etwa 22 % gestiegen. Ende 1992 lagen 48 % der Mieten über den Miethöchstbeträgen; Ende 1995 werden es deutlich mehr als 65 % sein.
Eine weitere Zahl: Zwischen 1992 und 1993 ist die Zahl der wohngeldberechtigten Haushalte um sage und schreibe 28 % gesunken. Die Einkommen sind gestiegen, aber - das wissen alle, die sich näher damit beschäftigt haben - sie sind nur nominal gestiegen. Zumindest bei den Arbeitnehmerhaushalten hat es in den letzten Jahren einen realen Kaufkraftverlust gegeben.
Also: Die Miethöchstbeträge, die Einkommensgrenzen beim Wohngeld West stimmen hinten und vorne nicht mehr. Sie müssen dringend angepaßt werden.
Weitere Schwächen: Die Kinderkomponente ist ungerecht. Benachteiligt sind vor allem Ein- und Zweipersonenhaushalte und damit wieder einmal Gruppen in unserer Gesellschaft, die auch auf anderen Feldern benachteiligt sind: Alleinerziehende und alte Menschen.
Ein weiteres Problem ist - ich meine, auch dieses müssen wir in einer solchen Diskussion offen ansprechen -: Es gibt Verwerfungen zwischen dem Wohngeld Ost und dem Wohngeld West. Das sollten wir nicht verschweigen, obwohl dieses Thema sicherlich auch eines gewissen politischen Fingerspitzengefühls bedarf.
- Ich bemühe mich darum. Ich hoffe, daß Sie mir das hinterher zugestehen werden.
Die Rentnerin West mit 1 000 DM Rente, die monatlich 400 DM Miete bezahlen muß, hat einen Wohngeldanspruch von 133 DM. Ich weiß, man müßte die Wohnung differenzierter betrachten; das ist mir alles klar. Das Beispiel stammt übrigens ebenfalls aus dem Expertengutachten zur Wohnungspolitik.
Die Rentnerin Ost mit einer Rente und einer Miete in derselben Höhe bekommt 244 DM.
Das ist ein problematisches Verhältnis. Das hat, lieber Herr Luther - diesen Namen habe ich mir gemerkt -, überhaupt nichts mit der durchschnittlichen Rentenhöhe zu tun. Das wissen Sie selbst ganz genau.
Um deutlich zu machen, wer durch die Wohngeldregelung West in der Tat benachteiligt ist, und um zu verdeutlichen, daß wir da von angewandter Familien- und Sozialpolitik weit entfernt sind, folgendes Beispiel. Ein 28jähriger in den alten Bundesländern, verheiratet, ein Kind, mit einem Einkommen in Höhe von 2 500 DM und einer monatlichen Mietbelastung von 800 DM - das sind ganz normale durchschnittliche Zahlen - hat einen Wohngeldanspruch von sage und schreibe null Mark.
Wolfgang Spanier
Hier müssen dringend Anpassungen erfolgen. Ich möchte ausdrücklich sagen, damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Die besonderen Leistungen des Wohnsondergeldes in den neuen Bundesländern waren notwendig, waren dringend geboten wegen der außergewöhnlichen Situation in den neuen Bundesländern. Daran will niemand rütteln. Das will ich nicht in Frage stellen. Ich sage das deutlich, damit sich gar nicht erst etwas anderes in irgendeinem Hinterkopf festsetzt.
Aber genauso gilt: Die Wohngeldanpassung in den alten Bundesländern ist längst überfällig.
Längst überfällig ist die zehnte Novelle des Wohngeldgesetzes für ganz Deutschland. Ihr Gesetzentwurf ist demgegenüber nur Flickschusterei. Es paßt natürlich in die ganze Richtung, daß Sie das Wohngeld im Haushalt 1995 um sage und schreibe 800 Millionen DM gekürzt haben.
Herr Minister Töpfer - leider ist er nicht mehr anwesend -, Sie waren in Ihrem Ministerium offensichtlich schon ein Stückchen weiter. Ich habe etwas mitgebracht.