Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn eine Schuld in Form von Entschädigung der verbleibenden Opfer der Nazi-Willkür zu begleichen bleibt, so soll sie bezahlt werden. Aber keine Geldsumme in keiner Währung wird je all das wiedergutmachen, was wir oder unsere Vorfahren
- er meinte damit die Tschechen; aber das könnte ebensogut auf die Sudetendeutschen bezogen sein -
durch das Verschulden des Nationalsozialismus durchmachen mußten. Weder die Zehntausende zu Tode Gefolterten oder Ermordeten noch die moralischen, politischen und wirtschaftlichen Verluste, die wir infolge von München, der NaziOkkupation, dem Krieg und all dessen politischen Auswirkungen auf die Nachkriegszeit erlitten haben, lassen sich je ersetzen.
Hier appelliere ich einmal an Ihr Mitgefühl gegenüber den Nazi-Opfern in der Tschechischen Republik, aber auch den Sudetendeutschen, die ein Sonderopfer erbracht haben, das wir, Frau Vollmer, Herr Verheugen und ich nicht zu bringen hatten. Können Sie sich vorstellen, was es bedeutet, aus der Heimat vertrieben zu sein? Es geht doch hier gar nicht in erster Linie um materielle Ansprüche, sondern es geht darum, daß diesen Menschen durch den Nationalso-
Ulrich Irmer
zialismus und seine Folgen ein Sonderopfer aufgebürdet wurde - übrigens auch den Bürgern in der ehemaligen DDR -, das wir alle miteinander nicht zu erbringen hatten.
Wenn sich dann der tschechische Präsident hinstellt und an beide Seiten sehr ausgewogen appelliert, hierfür das notwendige Verständnis aufzubringen und über die aufgerissenen Gräben hinweg die Versöhnung zu suchen und zu finden, dann ist das eine große Initiative. Die sollten wir nicht in der Weise mit kleiner Münze beantworten.
Jeder weiß - gerade die Sudentendeutschen wissen es -, daß es eine materielle Entschädigung in der Art, wie es manche - vielleicht - formulieren, nicht geben wird und nicht geben kann.
Jeder weiß aber auch, daß die emotionalen, die seelischen Wunden mit Geld nicht aufzuwiegen sind. Deshalb empfinde ich es als etwas schamlos, mit welcher Dreistigkeit hier über diese Gefühle leicht hinweggegangen wird.
Worauf kommt es an? Ich erlaube mir erneut, Präsident Havel zu zitieren:
Das einzige, was wir tun können und auch tun wollen, ist, uns zu bemühen, die Geschichte zu begreifen und alles dafür zu tun, daß sie sich nie mehr wiederholt.
Was ist die beste Möglichkeit, dafür zu sorgen, daß sich die Geschichte nicht wiederholt? Daß wir ein gemeinsames Europa schaffen, zu dem die Tschechische Republik genauso selbstverständlich gehört wie Luxemburg oder die Bundesrepublik Deutschland. Das sollten wir allerdings bald tun! Wir haben große Hoffnungen erweckt. Nach dem Wegfall von Mauer und Stacheldraht haben wir gesagt: Leute, ihr gehört zu uns; wir haben es immer gesagt. Jetzt müssen wir damit Ernst machen.
Und da kommen dann - ich weiß, daß Herr Verheugen insoweit nicht für die SPD spricht - Leute aus Ihrem Lager her und sagen: Aber das mit der Mitgliedschaft in der Europäischen Union, das kann ja gar nicht funktionieren; denn da gibt es ja - Tschechien betrifft das weniger, aber Polen - die ganze agrarpolitische Problematik und die ganzen Wirtschaftsprobleme. Das können wir so schnell doch gar nicht lösen. Deshalb überlegen wir uns mal, ob wir da nicht so einen Interimszustand schaffen und denen erst einmal sagen: Vollmitgliedschaft kommt vorläufig nicht in Frage.
Nein, meine Damen und Herren. Und da ist es diese Bundesregierung, da ist es dieser Bundesaußenminister, da ist es - ich erlaube mir, das jetzt einmal mit Stolz zu sagen - die Fraktion der Freien Demokratischen Partei im Bundestag, die nicht nachlassen zu drängen, daß wir die Vollmitgliedschaft dieser neuen Demokratien in der Europäischen Union so bald verwirklichen, wie es nur irgend möglich ist, daß wir all die im Augenblick in der Tat unlösbaren Probleme in die Überleitungsphase schieben, so wie wir das früher bei Beitritten anderer Staaten auch gemacht haben.
Die Tschechen erwarten von uns doch nicht, daß wir uns hier ständig selbst bespiegeln und daß wir ständig in der Vergangenheit herumwühlen. Sie erwarten von uns, daß wir durch konkrete Politik dazu beitragen, daß sie ihre Zukunft besser gestalten können, als ihnen das in der Vergangenheit vergönnt war. Denn vergessen wir nicht: Der Nationalsozialismus hat auch dazu geführt, daß sich dort vier Jahrzehnte lang ein kommunistisches Regime austoben konnte, das jede freie Entfaltungsmöglichkeit zunichte gemacht hat.