Rede von
Ulrich
Irmer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe das bittere Gefühl, daß wir heute früh im Begriff sind, eine große Chance zu verspielen. Vaclav Havel hat im Februar in der KarlsUniversität in Prag, der ersten deutschen Universität, eine große Rede gehalten.
Bundesaußenminister Kinkel hat gesagt: Diese Rede hat in Deutschland nicht überall Zuspruch gefunden, sie hat zum Teil auch Irritationen ausgelöst.
Ulrich Irmer
Das ist aber das Wesen einer guten Rede: daß sie nicht nur Jubel auslöst, sondern daß sie auch dazu führt, daß man über schwierige Probleme nachsinnt und nachdenkt. Präsident Vaclav Havel hat den Deutschen erneut die Hand hingestreckt, und er hat zum Dialog eingeladen.
Wir haben heute früh in einer nach meinem Empfinden wichtigen Regierungserklärung den ersten Versuch einer Antwort auf Havels Rede erlebt. Anschließend haben Herr Verheugen und leider auch Frau Vollmer vom Thema, um das es hier geht, nämlich die schwierigen tschechisch-deutschen Beziehungen, auf eine innenpolitische, kleinkarierte Rufrechnerei abgelenkt.
Damit werden Sie - das ist nicht so schlimm; das erwarte ich von der Opposition nicht - der Regierungserklärung nicht gerecht. Das brauchen Sie nicht. Aber damit werden Sie insbesondere den mahnenden und bedenkenswerten Worten des Präsidenten Havel nicht gerecht.
Frau Vollmer, Sie haben ja schon vor drei Tagen im „Express" angekündigt, worum es Ihnen geht. Es geht Ihnen ja nicht um die deutsch-tschechischen Beziehungen. Nein, Sie haben vor drei Tagen im „Express" schon gesagt, was Sie jetzt zum Schluß Ihrer Ausführungen wiederholt haben: Die deutsche Regierung und insbesondere der Bundesaußenminister täten nichts für die Beziehungen zu den östlichen Nachbarn. Wissen Sie, wenn das nicht so abstrus wäre, könnte man es ja abtun. Ich komme nachher noch einmal darauf zurück; es ist vorher auch schon von Herrn Koschyk gesagt worden.
Wer ist es denn unter allen westlichen Partnern, unter allen Mitgliedern der Europäischen Union und der NATO - die Sie ja, nebenbei bemerkt, zumindest umstrukturieren wollen, d. h. in ihrem Wesen verändern wollen -, wer ist es denn, wenn nicht die deutsche Bundesregierung, die sich nachhaltig, eindringlich, immer wieder, unbeirrt auch von Ihren anderweitigen Konzeptionen dafür einsetzt, daß die Tschechische Republik, Ungarn, Polen und all die anderen alsbald, sobald es eben möglich ist, Vollmitglieder dieser Institutionen werden und nicht, wie Sie es wollen, am langen Arm verhungern?
- Herr Fischer, daß ausgerechnet Sie sich über Lautstärke beklagen, das mutet mich nun wirklich eigenartig an; denn ich leide hier stundenlang unter Ihren Zwischenrufen. Jetzt habe ich das Privileg, hier am Pult zu stehen, und deshalb habe ich das Recht zu reden, während die akustischen Einlassungen, die Sie, wenn Sie nicht das Wort haben, hier von sich
geben, mich schon zum Ohrenarzt getrieben hätten, wenn ich nicht Ärzte scheute.
Ich wollte Sie aber nicht niederbrüllen. Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wollen, dann melden Sie sich beim Präsidenten, damit er mich fragt, ob ich es zulasse. Ich überlege mir das dann.
Nein, meine Damen und Herren, ich möchte zum Ernst der Sache zurückkommen. Sie tun da so die Belange der Sudetendeutschen ab und sagen, das sei eine bayerische Angelegenheit. Wissen Sie, Herr Verheugen und, ich glaube, Frau Vollmer - ich beziehe mich da auch ein -, wir sind ja Kinder der westlichen Bundesrepublik.
Wir sind ja hier aufgewachsen und haben den Wohlstand genossen. Wir gehörten nicht zu denen, die durch den Zweiten Weltkrieg und durch den Nazi-Terror und dessen Folgen Sonderopfer zu bringen hatten.