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ID1302506800

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    Plenarprotokoll 13/25 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 25. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. März 1995 Inhalt: Tagesordnungspunkt 12: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Situation der Kinder und Jugendlichen und die Entwicklung der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern - Neunter Jugendbericht - mit der Stellungnahme der Bundesregierung zum Neunten Jugendbericht (Drucksache 13/70) Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 1779 B Dr. Edith Niehuis SPD 1782 B Wolfgang Dehnel CDU/CSU 1784 D Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1786 B Dr. Edith Niehus SPD 1787 C Heinz Lanfermann F.D.P 1789 B Rosel Neuhäuser PDS 1790 C Klaus Riegert CDU/CSU 1792 B Thomas Krüger SPD 1793 D, 1799 B Klaus Riegert CDU/CSU 1794 A Jürgen Türk F.D.P 1796 A Monika Brudlewsky CDU/CSU 1797 C, 1799 C Ursula Mogg SPD 1799 D Kersten Wetzel CDU/CSU 1801 C Klaus Hagemann SPD 1802 D Helmut Jawurek CDU/CSU 1804 C Thomas Krüger SPD 1805 C Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. 1806 B Eckart von Klaeden CDU/CSU 1806 C Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von dem Abgeordneten Manfred Müller (Berlin) und der weiteren Abgeordneten der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes (§ 116) (Drucksache 13/581) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Abgeordneten Annelie Buntenbach, Kerstin Müller (Köln), Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgeseizes (§ 116) (Drucksache 13/691) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiederherstellung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen (Drucksache 13/715) Rudolf Dreßler SPD 1807 C Andreas Storm CDU/CSU 1809 B Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1810 D Uwe Lühr F.D.P 1811 D Manfred Müller (Berlin) PDS 1812 D Wolfgang Vogt (Düren) CDU/CSU 1813 D Adolf Ostertag SPD 1814 C Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär BMA . 1816 B Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes (Drucksache 13/204) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Rita Grießhaber und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Zeit und Geld für Kinder (Drucksache 13/711) Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1817 C Walter Link (Diepholz) CDU/CSU 1818 B Hildegard Wester SPD 1819 D Heinz Lanfermann F.D.P. 1821 D Heidemarie Lüth PDS 1823 A Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Cern Özdemir, Christa Nickels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Beschränkung der Ab-schiebungshaft von Ausländerinnen und Ausländern (Drucksache 13/107) Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1824 A Eckart von Klaeden CDU/CSU 1825 C Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD 1826 D Dr. Max Stadler F.D.P. 1828 B Ulrich Irmer F.D.P 1828 D Ulla Jelpke PDS 1829 D Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 1830 B Dr. Winfried Wolf PDS 1831 A Dieter Wiefelspütz SPD 1831 B Nächste Sitzung 1831 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 1832* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 1832* C 25. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. März 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), BÜNDNIS 10. 3. 95 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Blunck, Lilo SPD 10. 3. 95** Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 10. 3. 95** Dr. Däubler-Gmelin, SPD 10. 3. 95 Herta Eichstädt-Bohlig, BÜNDNIS 10.3. 95 Franziska 90/DIE GRÜNEN Eymer, Anke CDU/CSU 10. 3. 95 Genscher, F.D.P. 10. 3. 95 Hans-Dietrich Dr. Glotz, Peter SPD 10. 3. 95 Hanewinckel, Christel SPD 10. 3. 95 Hauser CDU/CSU 10.3. 95 (Rednitzhembach) Hansgeorg Heistermann, Dieter SPD 10. 3. 95 Heym, Stefan PDS 10. 3. 95 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 10. 3. 95 Dr. Jacob, Willibald PDS 10. 3. 95 Kanther, Manfred CDU/CSU 10. 3. 95 Knoche, Monika BÜNDNIS 10. 3. 95 90/DIE GRÜNEN Kunick, Konrad SPD 10. 3. 95 Labsch, Werner SPD 10. 3. 95 Leidinger, Robert SPD 10. 3. 95 Leutheusser- F.D.P. 10. 3. 95 Schnarrenberger, Sabine Limbach, Editha CDU/CSU 10. 3. 95 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 10. 3. 95 Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 10. 3. 95 Dr. Scheer, I Iermann SPD 10. 3. 95* Schmidt (Aachen), SPD 10. 3. 95 Ursula Schumann, Ilse SPD 10. 3. 95 Schwanitz, Rolf SPD 10. 3. 95 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 10. 3. 95 Christan Dr. Skarpelis-Sperk, SPD 10. 3. 95 Sigrid Sorge, Wieland SPD 10. 3. 95 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Steindor, Marina BÜNDNIS 10. 3. 95 90/DIE GRÜNEN Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 10. 3. 95 Vergin, Siegfried SPD 10. 3. 95 Vosen, Josef SPD 10. 3. 95 Welt, Jochen SPD 10. 3. 95 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 10. 3. 95 Wohlleben, Verena SPD 10. 3. 95 Zierer, Benno CDU/CSU 10. 3. 95 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 13/28 Drucksache 13/112 Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, daß sie die Anträge „Solidarität mit Salman Rushdie und Appell gegen die Einschränkung von Meinungsfreiheiten", Drucksache 13/548, und „Beteiligung einer Delegation des Deutschen Bundestages an der VN-Konferenz in Berlin vom 23. März bis 7. April 1995", Drucksache 13/315, zurückzieht. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Innenausschuß Drucksache 13/218 Nr. 1 Drucksache 13/218 Nr. 3 Drucksache 13/218 Nr. 4 Drucksache 12/7654 Nr. 3.1 Finanzausschuß Drucksache 13/218 Nr. 13 Drucksache 13/218 Nr. 15 Drucksache 13/218 Nr. 18 Haushallsausschuß Drucksache 13/218 Nr. 21 Drucksache 13/343 Nr. 2.27 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/218 Nr. 22 bis Nr. 56 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/218 Nr. 99 Drucksache 13/218 Nr. 101 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/218 Nr. 107
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Adolf Ostertag


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit unserer Initiative wollen wir - das ist klar - die 1986 eingebrachte und durchgepeitschte Änderung und Novellierung des § 116 AFG rückgängig machen. Es ist natürlich ganz klar, daß die aktuelle tarifliche Auseinandersetzung für uns auch ein Motiv war. Aber, Herr Kollege Vogt, es dürfte Ihnen nicht entgangen sein, daß wir schon damals zusammen mit den Gewerkschaften Verfassungsklage eingereicht haben. Wir standen damals auf der Seite der Gewerkschaften, und in dieser Frage stehen wir auch heute auf der Seite der Gewerkschaften. Ich glaube, das sollten Sie hier nicht unterschlagen.

    (Beifall bei der SPD Wolfgang Vogt [Düren] [CDU/CSU]: Wir stehen auf der Seite der Arbeitnehmer!)

    Eines ist doch klar, meine Damen und Herren, trotz der grundgesetzlich garantierten Tarifautonomie sind die Gewerkschaften in der Wahl ihrer Mittel seit 1986 nicht mehr frei.

    (Wolfgang Vogt [Düren] [CDU/CSU]: Sie waren auch vorher nicht frei!)

    Dieses Damoklesschwert der kalten Aussperrung schwebt über allen ihren Entscheidungen, von der Aufstellung der Tarifforderungen bis zur Auswahl der bestreikten Betriebe. Ich glaube, dazwischen liegt noch ein weites Spektrum von gewerkschaftlichen Aktivitäten in der Tarifbewegung.
    Hinter der damaligen Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes stand die Absicht, die Beschäftigten zu entsolidarisieren, durch die kalte Aussperrung die Streikkassen der Gewerkschaften zu plündern und ihre Kampfkraft zu schwächen.

    (Zuruf von der SPD: So ist es!)

    Das ist aber nur ein Stück einer langfristig angelegten Gesamtstrategie Ihrer Politik. Es ist offensichtlich, zu wessen Lasten die Bundesregierung ihre Politik der Deregulierung seit 1982 betrieben hat. Immer mehr Beschäftigte werden in ungesicherte, untertariflich bezahlte Arbeitsverhältnisse gepreßt. Gleichzeitig will man uns weismachen, daß dadurch Arbeitsplätze erhalten oder neu geschaffen werden. Die Massenarbeitslosigkeit nimmt nicht ab, sondern sie verfestigt sich.
    Gleichzeitig nehmen Sie die konjunkturelle und strukturelle Krise als Vorwand, um Arbeitnehmer-

    Adolf Ostertag
    rechte und letzten Endes auch die Tarifautonomie einzuschränken.

    (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Das können Sie nicht einmal bei einem Kreisverband des DGB erzählen!)

    - Doch, doch, Herr Fuchtel, genauso ist es. Man muß den Zusammenhang Ihrer unsozialen Politik herstellen und darf nicht immer nur auf Einzelaspekte abheben.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren von der Koalition, die sozialstaatlichen und tariflichen Regelungen sind doch nicht Ursache der ökonomischen Krise, sondern sie garantieren das Funktionieren unseres Wirtschaftssystems. Soziale und wirtschaftliche Stabilität ist ohne Gewerkschaften im Land nicht möglich. Ich glaube, in dieser Position stimmen die demokratischen Parteien überein. Nur haben Sie mit der Änderung des § 116 AFG im Jahre 1986 ein Grundprinzip unserer sozialen Demokratie mißachtet. Sie haben in die Tarifautonomie eingegriffen und offen Partei ergriffen. Das ist das Entscheidende.
    Was beim Franke-Erlaß noch durch das Sozialgericht rückgängig gemacht werden konnte, hat die Kohl-Regierung dann gesetzlich zuungunsten der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften im AFG festgelegt. Im Klartext heißt es doch: Wer irgendwo streikt, muß mit aller Härte prinzipiell für alle, auch für mittelbare Konsequenzen einstehen.
    Wer wie Sie nach dieser Änderung bei Streik und Aussperrung noch von Waffengleichheit redet, übersieht, daß sich in Tarifauseinandersetzungen die Gewichte erheblich verschoben haben. Der ökonomisch Starke erhält noch einen Knüppel, um auf die sozial Schwachen einzuschlagen. Dieser Knüppel wird zum Vorschlaghammer, wenn die Unternehmer extrem aussperren. So standen in der Tarifrunde 1984 z. B. einem Streikenden neun Ausgesperrte gegenüber. Dieses Ungleichgewicht hätte damals, wenn der § 116 schon in der geänderten Fassung bestanden hätte, das Aus für jede Gewerkschaft bedeutet. Mit dem Machtmittel der Aussperrung können die Unternehmer Hunderttausende von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bewußt zu Geiseln eines Arbeitskampfes machen, der irgendwo anders in der gleichen Branche stattfindet und an dem sie eigentlich nicht beteiligt sind.
    Wir Sozialdemokraten wollen volle Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit. Deswegen geht unser Gesetzentwurf in einem Punkt sogar noch über die frühere Rechtslage und auch über das, was die anderen Parteien, insbesondere die PDS, vorlegen, hinaus. Wir wollen, daß die ausschließlich von der Aussperrung, nicht aber vom Streik mittelbar Betroffenen auf jeden Fall Kurzarbeiter- bzw. Arbeitslosengeld erhalten.
    Das ist ein Gebot der Gerechtigkeit und darüber hinaus die Bekräftigung des Prinzips, daß die Verweigerung von Lohnersatzleistungen auch im Arbeitskampf die Ausnahme bleiben muß. Schließlich haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
    Beiträge gezahlt, denen eigentumsähnliche Ansprüche gegenüberstehen. Es muß schon ganz gewichtige Gründe geben, diese Leistungen zu verweigern. Dazu kann aber nicht die vom Arbeitgeber verursachte Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit gehören, egal, wie diese motiviert sind.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Letztlich geht es also um den Stellenwert des Streikrechts in dieser Gesellschaft und damit der Tarifautonomie in einer modernen, dialog- und auch konfliktfähigen Gesellschaft. Streik und Tarifautonomie gehören zusammen. Zu Recht hat das Bundesarbeitsgericht festgestellt: „Tarifverhandlungen ohne das Recht zum Streik sind nichts anderes als kollektives Betteln."

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Streik ist übrigens kein nationales Übel. Hierzulande gehen die Gewerkschaften mit diesem Instrument verantwortungsbewußt um. Deutschland ist in Europa das streikärmste, aber das aussperrungsreichste Land. Sie sollten die Statistiken einmal nachlesen.
    1986 hat diese Regierung mit der Änderung des § 116 letzten Endes eine „Lex IG Metall" durchgepeitscht; denn ihr paßte die ganze Richtung nicht. Schon die Forderung nach der 35-Stunden-Woche, die damals anstand und um die 1984 gestreikt wurde, hat der Kanzler als „absurd, dumm und töricht" gegeißelt. Herausgekommen ist nach dieser Auseinandersetzung, nach dem Streik das beste Stück Sozial- und Beschäftigungspolitik der letzten zehn Jahre. Denn mit dem Einstieg in die 35-Stunden-Woche sind Hunderttausende von Arbeitsplätzen geschaffen und gesichert worden.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Gerade dagegen richtete sich die Änderung des § 116 zwei Jahre später. Sie sollte die Streikfähigkeit der IG Metall brechen. Gemeinsam mit mehreren SPD-geführten Ländern und der IG Metall sind wir deswegen vor das Bundesverfassungsgericht gezogen.
    Wir sind überzeugt, daß der § 116 AFG aus folgenden sieben Gründen verfassungswidrig ist:
    Erstens, weil er den kalt ausgesperrten Arbeitnehmern mit dem Anspruch auf Kurzarbeitergeld eine Versicherungsleistung der Arbeitslosenversicherung entzieht, die sie gerade vor vorübergehenden Beschäftigungsrisiken schützen soll. Nicht zuletzt deshalb waren die Arbeitnehmer damals über dieses Gesetz so empört; es hat ihr Gerechtigkeitsgefühl zutiefst verletzt.
    Zweitens, weil er eine regionale Begrenzung von Arbeitskämpfen kaum mehr zuläßt und dadurch die regionale Tarifstruktur in Frage stellt.

    Adolf Ostertag
    Drittens, weil der § 116 die gewerkschaftliche Willensbildung in Tarifverhandlungen von der Aufstellung der Forderung bis zur Wahl des Streikgebietes und der Kampfstrategie beeinträchtigt und dadurch ihre Autonomie untergräbt.
    Viertens, weil er den Arbeitgebern die Möglichkeit gibt, kalte Aussperrungen gezielt als Kampfmittel einzusetzen.
    Fünftens, weil die Gewerkschaften auch bei unterschiedlichen Forderungen in den Tarifgebieten keine Gewißheit haben, daß der § 116 im Falle eines Arbeitskampfes nicht angewendet würde; denn die Bundesanstalt entscheidet erst nach Beginn des Arbeitskampfes darüber, ob die Voraussetzungen für die Anwendung des § 116 vorliegen. Darüber hinaus schaffen die Arbeitgeber ihrerseits Voraussetzungen für die Anwendung des Gesetzes durch die Aufstellung eigener Forderungen. Das, was z. B. in Bayern passiert ist, haben Sie von der Koalition überhaupt nicht begriffen: 34 Verhandlungen und Streik, und dann gab es noch immer kein Angebot der Arbeitgeber - ich glaube, das ist der schlagendste Beweis dafür, wie diese neue Strategie von den Arbeitgebern wirklich genutzt wird.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Sechstens, weil der § 116 einen Arbeitskampf für die Gewerkschaften zu einem existenziellen Risiko macht und das Streikrecht aushöhlt.
    Siebtens, weil er die Tarifautonomie in Frage stellt, indem er den Arbeitskampf als notwendigen Konfliktlösungsmechanismus einerseits beeinträchtigt und andererseits unkalkulierbar macht.
    Meine Damen und Herren, beinahe zehn Jahre läßt sich das Bundesverfassungsgericht mit seinem Spruch Zeit. Das ist sehr ärgerlich, aber nicht veränderbar. Wir meinen, gerade auch deswegen ist unsere Initiative notwendig und unverzichtbar, das Arbeitsförderungsgesetz durch diesen Vorstoß entsprechend zu ändern. Es darf nicht bei der Verschiebung der einseitigen Machtstrukturen zugunsten der Arbeitgeberverbände bleiben.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Rede von Dr. Burkhard Hirsch
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich erteile nun dem Parlamentarischen Staatssekretär Rudolf Kraus das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Rudolf Kraus


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit seinem Bestehen hat sich der Staat Bundesrepublik Deutschland immer aus Arbeitskämpfen herausgehalten,

    (Zuruf von der SPD: Wie 1986!)

    und er wird dies auch in Zukunft tun. Daß diese Grundhaltung richtig ist, das hat sich besonders in den letzten Wochen während der Auseinandersetzungen innerhalb der Metallbranche gezeigt.
    Der erfolgreiche Tarifabschluß im Metallbereich hat aber auch bewiesen: Freie und unabhängige Tarifpartner sind der beste Garant für ausgewogene und tragfähige Arbeitsbedingungen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie können die Vereinbarungen darüber besser treffen, als die Politik es je könnte. Dieser Bereitschaft beider Tarifpartner, auch in schwierigen wirtschaftlichen Phasen Verantwortung für unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft zu übernehmen, zollen wir hohen Respekt.
    Untrennbar verbunden mit unserer Grundhaltung der Nichteinmischung der Bundesregierung ist die Wahrung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen, die wir 1986 im § 116 AFG klargestellt haben. Das Gesetz zur Sicherung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit hat sich bis heute bewährt, weil seitdem bei Arbeitskämpfen Rechtssicherheit herrscht, weil seitdem garantiert ist, daß die Tarifautonomie unangetastet bleibt und damit auch der soziale Friede und unser Wohlstand erhalten bleiben, und weil sich seitdem die Durchsetzungsfähigkeit und Kampfbereitschaft der Gewerkschaften entgegen vielen Unkenrufen eindrucksvoll entwickelt hat.

    (Zuruf von der SPD: Aber nicht wegen Ihnen!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, keiner wird den Arbeitnehmern unseres Landes einreden können, in Deutschland sei die Tarifautonomie gefährdet. Keiner wird den Bürgern im Ernst weismachen wollen, daß die Arbeitsbedingungen, die die Tarifpartner seit 1986 Jahr für Jahr vereinbart haben, unausgewogen, ungerecht und unsachlich ausgefallen seien. Und niemand will im Ernst behaupten, die Streikfähigkeit der Gewerkschaften sei im Kern getroffen worden. Die Wirklichkeit hat Ihre These von der sinkenden Kampfbereitschaft und Durchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaften eindrucksvoll widerlegt.
    Da die Vorredner aus der Koalition diese Dinge bereits vorgetragen haben, will ich es mir ersparen, jetzt noch einmal auf jede Einzelheit unserer politischen Haltung zu diesem Thema einzugehen, und meine Rede deshalb mit folgenden Feststellungen abkürzen.
    Die Debatte, die wir jetzt geführt haben, hat über weite Teile einen unwirklichen Charakter gehabt. Es wird auch verständlich, wenn man sich überlegt, daß diese Debatte, als sie konzipiert wurde, ja vor einem fürchterlichen Tarifkampfszenario stattfinden sollte. Die Katastrophe fand nicht statt, aber die Debatte muß durchgeführt werden. Jetzt haben die Redner der Opposition natürlich die Schwierigkeit zu argu-

    Parl. Staatssekretär Rudolf Kraus
    mentieren. Deshalb lief das Ganze unter dem Motto ab: Wenn es so geworden wäre, wie wir dachten, daß es würde, wenn § 116 AFG wirkt, dann wäre dieses und jenes eingetreten.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Wirklichkeit hat sich eben erwiesen, daß jedermann mit der jetzigen Situation leben kann.

    (Zuruf von der PDS: Das ist aber nicht Ihr Verdienst!)

    Für meine Begriffe besonders eindrucksvoll hat das der Herr Dreßler in seiner Rede bewiesen. Man muß ihm dankbar sein. Er hat die Zweckmäßigkeit unserer Politik geradezu hervorragend bestätigt:
    Erstens hat er den Gewerkschaften und Arbeitgebern bestätigt, daß deren Gemeinsamkeit in bezug auf die Lösung von Problemen eher gewachsen ist, woran § 116 AFG nichts geändert hat.
    Zweitens hat er die Gewerkschaften bestätigt. Es ist gut so, daß sich diese im Sinne einer Minimierung des volkswirtschaftlichen Schadens, vor allem bei dem Metallstreik in Bayern, verantwortungsvoll verhalten haben. Es ist gut so, es ist nicht verboten, sich verantwortungsvoll und vernünftig zu verhalten.
    Drittens hat er ausdrücklich gesagt - es ist übrigens nicht seine Beurteilung, sondern die Beurteilung der Betroffenen-, daß trotz des § 116 - vielleicht gerade deswegen - das Ergebnis geradezu ausgezeichnet ist im Sinne der Metallgewerkschaft. Das wird immer wieder gesagt. Weil das mit den Argumenten des Herrn Dreßler so ist, möchte ich mich Ihnen empfehlen und hoffe, daß dieser Antrag abgelehnt wird.
    Ich bedanke mich.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)