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ID1302505800

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/25 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 25. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. März 1995 Inhalt: Tagesordnungspunkt 12: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Situation der Kinder und Jugendlichen und die Entwicklung der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern - Neunter Jugendbericht - mit der Stellungnahme der Bundesregierung zum Neunten Jugendbericht (Drucksache 13/70) Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 1779 B Dr. Edith Niehuis SPD 1782 B Wolfgang Dehnel CDU/CSU 1784 D Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1786 B Dr. Edith Niehus SPD 1787 C Heinz Lanfermann F.D.P 1789 B Rosel Neuhäuser PDS 1790 C Klaus Riegert CDU/CSU 1792 B Thomas Krüger SPD 1793 D, 1799 B Klaus Riegert CDU/CSU 1794 A Jürgen Türk F.D.P 1796 A Monika Brudlewsky CDU/CSU 1797 C, 1799 C Ursula Mogg SPD 1799 D Kersten Wetzel CDU/CSU 1801 C Klaus Hagemann SPD 1802 D Helmut Jawurek CDU/CSU 1804 C Thomas Krüger SPD 1805 C Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. 1806 B Eckart von Klaeden CDU/CSU 1806 C Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von dem Abgeordneten Manfred Müller (Berlin) und der weiteren Abgeordneten der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes (§ 116) (Drucksache 13/581) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Abgeordneten Annelie Buntenbach, Kerstin Müller (Köln), Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgeseizes (§ 116) (Drucksache 13/691) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiederherstellung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen (Drucksache 13/715) Rudolf Dreßler SPD 1807 C Andreas Storm CDU/CSU 1809 B Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1810 D Uwe Lühr F.D.P 1811 D Manfred Müller (Berlin) PDS 1812 D Wolfgang Vogt (Düren) CDU/CSU 1813 D Adolf Ostertag SPD 1814 C Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär BMA . 1816 B Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes (Drucksache 13/204) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Rita Grießhaber und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Zeit und Geld für Kinder (Drucksache 13/711) Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1817 C Walter Link (Diepholz) CDU/CSU 1818 B Hildegard Wester SPD 1819 D Heinz Lanfermann F.D.P. 1821 D Heidemarie Lüth PDS 1823 A Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Cern Özdemir, Christa Nickels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Beschränkung der Ab-schiebungshaft von Ausländerinnen und Ausländern (Drucksache 13/107) Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1824 A Eckart von Klaeden CDU/CSU 1825 C Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD 1826 D Dr. Max Stadler F.D.P. 1828 B Ulrich Irmer F.D.P 1828 D Ulla Jelpke PDS 1829 D Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 1830 B Dr. Winfried Wolf PDS 1831 A Dieter Wiefelspütz SPD 1831 B Nächste Sitzung 1831 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 1832* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 1832* C 25. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. März 1995 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), BÜNDNIS 10. 3. 95 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Blunck, Lilo SPD 10. 3. 95** Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 10. 3. 95** Dr. Däubler-Gmelin, SPD 10. 3. 95 Herta Eichstädt-Bohlig, BÜNDNIS 10.3. 95 Franziska 90/DIE GRÜNEN Eymer, Anke CDU/CSU 10. 3. 95 Genscher, F.D.P. 10. 3. 95 Hans-Dietrich Dr. Glotz, Peter SPD 10. 3. 95 Hanewinckel, Christel SPD 10. 3. 95 Hauser CDU/CSU 10.3. 95 (Rednitzhembach) Hansgeorg Heistermann, Dieter SPD 10. 3. 95 Heym, Stefan PDS 10. 3. 95 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 10. 3. 95 Dr. Jacob, Willibald PDS 10. 3. 95 Kanther, Manfred CDU/CSU 10. 3. 95 Knoche, Monika BÜNDNIS 10. 3. 95 90/DIE GRÜNEN Kunick, Konrad SPD 10. 3. 95 Labsch, Werner SPD 10. 3. 95 Leidinger, Robert SPD 10. 3. 95 Leutheusser- F.D.P. 10. 3. 95 Schnarrenberger, Sabine Limbach, Editha CDU/CSU 10. 3. 95 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 10. 3. 95 Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 10. 3. 95 Dr. Scheer, I Iermann SPD 10. 3. 95* Schmidt (Aachen), SPD 10. 3. 95 Ursula Schumann, Ilse SPD 10. 3. 95 Schwanitz, Rolf SPD 10. 3. 95 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 10. 3. 95 Christan Dr. Skarpelis-Sperk, SPD 10. 3. 95 Sigrid Sorge, Wieland SPD 10. 3. 95 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Steindor, Marina BÜNDNIS 10. 3. 95 90/DIE GRÜNEN Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 10. 3. 95 Vergin, Siegfried SPD 10. 3. 95 Vosen, Josef SPD 10. 3. 95 Welt, Jochen SPD 10. 3. 95 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 10. 3. 95 Wohlleben, Verena SPD 10. 3. 95 Zierer, Benno CDU/CSU 10. 3. 95 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 13/28 Drucksache 13/112 Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, daß sie die Anträge „Solidarität mit Salman Rushdie und Appell gegen die Einschränkung von Meinungsfreiheiten", Drucksache 13/548, und „Beteiligung einer Delegation des Deutschen Bundestages an der VN-Konferenz in Berlin vom 23. März bis 7. April 1995", Drucksache 13/315, zurückzieht. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Innenausschuß Drucksache 13/218 Nr. 1 Drucksache 13/218 Nr. 3 Drucksache 13/218 Nr. 4 Drucksache 12/7654 Nr. 3.1 Finanzausschuß Drucksache 13/218 Nr. 13 Drucksache 13/218 Nr. 15 Drucksache 13/218 Nr. 18 Haushallsausschuß Drucksache 13/218 Nr. 21 Drucksache 13/343 Nr. 2.27 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/218 Nr. 22 bis Nr. 56 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/218 Nr. 99 Drucksache 13/218 Nr. 101 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/218 Nr. 107
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    Rede von Andreas Storm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nun wirklich nicht das erste Mal, daß sich das Hohe Haus mit der Neuregelung des § 116 AFG befaßt. Herr Dreßler, wenn Sie sagen, daß wir ideologisch zurück in das 18. Jahrhundert gegangen wären, so kann ich Ihnen nur zurufen: Aschermittwoch ist vorbei. Kommen Sie zurück zu den Fakten!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Den drei vorliegenden Gesetzentwürfen liegt die Behauptung zugrunde, die Kampfparität bei Arbeitskämpfen werde durch die Regelung von 1986 zu Lasten der Gewerkschaften verändert. Diese Behauptung, meine Damen und Herren, ist falsch; denn die derzeitige Rechtslage unterscheidet für Arbeitnehmer, die infolge eines Arbeitskampfes arbeitslos werden oder Kurzarbeit leisten, drei Fälle:
    Erstens. Alle Arbeitnehmer außerhalb der betroffenen Branche erhalten gegebenenfalls Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit, und zwar ohne jede Einschränkung.
    Zweitens. Alle Arbeitnehmer der betroffenen Tarifbranche innerhalb des umkämpften Tarifgebietes erhalten keine Leistungen, und zwar unabhängig davon, ob sie selbst streiken oder ausgesperrt sind.
    Drittens. Arbeitnehmer der betroffenen Tarifbranche außerhalb des umkämpften Tarifgebietes erhalten dann keine Leistungen der Bundesanstalt, wenn der Arbeitskampf stellvertretend für ihre Arbeitsbedingungen mitgeführt wird.
    Genau das, meine Damen und Herren, ist der Punkt, auf den es ankommt: Wir wollen und wir dürfen den Stellvertreterstreik nicht aus Beitragsmitteln bezahlen. Das wäre ein Griff in die falsche Tasche.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Würde die Bundesanstalt jedes Arbeitskampfrisiko finanzieren, dann würden die Tarifparteien nämlich direkt über die Höhe der Beiträge oder die erforderlichen Zuschüsse der Steuerzahler zur Arbeitslosenversicherung mitentscheiden. Das darf nicht sein!

    (Zuruf von der F.D.P.: Richtig!)

    Es geht hier um die Substanz der Tarifautonomie: Die Zulassung von Arbeitskämpfen soll ein Verhandlungsgleichgewicht herstellen. Deshalb verbietet es sich, daß der Staat in einen Arbeitskampf eingreift, indem er ihn durch Leistungen zugunsten einer einzigen Kampfpartei beeinflußt. Daraus ergibt sich, daß der Staat zur Nichteinmischung und Unparteilichkeit verpflichtet ist. Die jetzige Regelung gewährleistet das. Sie befindet sich auf dem Boden des Grundgesetzes, und da muß sie auch bleiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das Geld der Bundesanstalt für Arbeit ist in erster Linie für die Arbeitslosen da, nicht für die Arbeitsplatzbesitzer. Deswegen erhalten auch jene Arbeitnehmer Unterstützung, die infolge eines Arbeitskampfes keine Arbeit haben, aber weder selbst streiken noch vom Arbeitskampf profitieren. Für diejenigen allerdings, die vom Arbeitskampfergebnis profitieren, kann das Arbeitsamt ebensowenig Unterstützung zahlen wie für die Streikenden selber. Deswegen geht der Streit im Kern nur um die Frage: Wann sind Arbeitnehmer streikbeteiligt?
    Die Antwort liegt auf der Hand: Streikbeteiligte sind neben den Streikenden selbst diejenigen, für die stellvertretend mitgestreikt wird, für die eine gleiche Hauptforderung erhoben wird und für die das Streikergebnis in deren Fachbereich übernommen werden soll. Damit wird die grundgesetzlich gebotene Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit vor Umgehung geschützt. Und vor allen Dingen folgt daraus, daß außerhalb des bestreikten Fachbereiches immer gezahlt wird, und zwar unabhängig davon, ob gleiche oder unterschiedliche Forderungen gestellt werden.

    Andreas Storm
    Was bedeutet das in der Praxis? Ich will das einmal an drei Beispielen klarmachen: Wenn Stahlkocher streiken, erhalten die Automobilarbeiter selbstverständlich Leistungen der Bundesanstalt, denn sie gehören einem anderen Fachbereich an. Wenn Zulieferbetriebe in der Metallverarbeitung streiken, erhalten beispielsweise Werftarbeiter ebenfalls Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit, denn auch sie gehören einem anderen Fachbereich an. Wenn beispielsweise Arbeitnehmer in. der Zuckerindustrie streiken, dann wird in der Süßwarenindustrie ebenfalls Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld bei Bedarf gezahlt.
    Lassen Sie mich jetzt zu einem anderen für die Arbeitnehmer ganz wichtigen Punkt kommen. Die Entscheidung darüber, ob ein Leistungsanspruch ruht, wird nach der Regelung von 1986 von einem Neutralitätsausschuß gefällt. Dem gehören gleichberechtigt Vertreter der Gewerkschaften und der Arbeitgeberseite an, und zwar unter dem Vorsitz des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg.
    Der Sachverhalt wird unter Beteiligung der Betroffenen ermittelt. Damit wird zugunsten der Arbeitnehmer sichergestellt, daß möglichen Manipulationen auf Arbeitgeberseite ein Riegel vorgeschoben wird. Denn es gilt die Nachweispflicht der Arbeitgeber, daß ein Arbeitsausfall Folge eines Arbeitskampfes ist. So hat seit der Neuregelung im Jahre 1986 kein Betrieb mehr die Möglichkeit, einen Arbeitsausfall nur vorzutäuschen und unter dem Vorwand eines angeblichen Materialmangels Arbeitnehmer „kalt" auszusperren. Denn zum Nachweis des Arbeitsausfalls muß der Arbeitgeber eine Stellungnahme der Betriebsvertretung beifügen. Darüber hinaus kann gegen eine Entscheidung des Neutralitätsausschusses von beiden Seiten, also auch der Arbeitnehmerseite, der Rechtsweg beschritten werden.
    Schließlich wurde die Stellung der Arbeitnehmer noch durch eine weitere Maßnahme verbessert, nämlich dadurch, daß in Zweifelsfällen eine Vorleistungspflicht des Arbeitsamtes besteht. Es zahlt zunächst Lohn in Höhe des Kurzarbeitergeldes. Diese Leistung hat der Arbeitgeber zu erstatten, der seiner Lohnleistungspflicht nicht korrekt nachgekommen ist.
    Meine Damen und Herren, all das zeigt: Der Streik wird nicht auf dem Rücken der betroffenen Arbeitnehmer ausgetragen.

    (Manfred Müller [Berlin] [PDS]: Der hat keine Ahnung!)

    Zur aktuellen Lage: Nach der Verabschiedung des Gesetzes zur Sicherung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit im Jahre 1986 hat es zum ersten Mal im Jahre 1993 - also sieben Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes - bei einem Streik in den neuen Bundesländern einen Anlaß gegeben, den Neutralitätsausschuß der Bundesanstalt für Arbeit anzurufen. Gegen die von ihm getroffene Entscheidung zuungunsten der Arbeitnehmerseite hat bekanntlich die IG Metall Klage vor dem Bundessozialgericht erhoben. Das Bundessozialgericht hat mit
    dem Urteil vom 4. Oktober des letzten Jahres eindeutig festgestellt: Die prozeß- und materiellrechtlichen Regelungen des § 116 AFG sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß noch eines unmißverständlich klarstellen: Die bisherige Entwicklung hat deutlich gezeigt, daß sich die Neuregelung des § 116 AFG aus dem Jahre 1986 nicht negativ auf die Kampfkraft der Gewerkschaften auswirkt. Niemand wird ernsthaft behaupten können, daß die Arbeitskämpfe seit 1986 oder beispielsweise die Entwicklung der Tariflandschaft in den neuen Bundesländern einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer ausgegangen wären. Auch das Ergebnis des jüngsten Arbeitskampfes in der bayerischen Metallindustrie bestätigt das nachdrücklich, Herr Dreßler, wie Sie selbst indirekt zugegeben haben.
    Ein bißchen mehr Gelassenheit wäre also an der Tagesordnung; denn für eine Änderung der bewährten Neuregelung des § 116 AFG besteht überhaupt kein Anlaß. Die Wetterfahne darf nicht zum Kompaß der deutschen Politik werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von Dr. Burkhard Hirsch
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Kollege Storm, auch Ihnen gebührt zu Ihrer ersten Rede in diesem Haus unser Glückwunsch.

(Beifall)

Ich erteile nun der Kollegin Annelie Buntenbach das Wort,

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Annelie Buntenbach


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Selten hat eine Bundesregierung in der Vergangenheit ihr formuliertes Ziel mit einer Gesetzesinitiative so deutlich verfehlt. Angeblich sollte die Neufassung des § 116 Arbeitsförderungsgesetz eine gesetzliche Verankerung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bringen. Erreicht hat sie das Gegenteil: eine strukturelle Schwächung der Gewerkschaften und damit eine weitere Störung des empfindlichen Gleichgewichts zwischen den Tarifparteien. Genau dieses Gleichgewicht der Kampfmittel ist eine unabdingbare Voraussetzung der Funktionsfähigkeit von Tarifautonomie.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Manfred Müller [Berlin] [PDS])

    Mir fällt es allerdings schwer, von einem Gleichgewicht zwischen den Tarifparteien in der Bundesrepublik zu sprechen; denn schließlich ist im Unterschied zu den meisten europäischen Ländern die Aussperrung hier nicht verboten.
    Unsere Position zu diesem Mittel der Arbeitgeberwillkür kennen Sie. Wir haben das Aussperrungsverbot schon vielfach, auch hier im Bundestag, gefordert. Aber daß die heiße Aussperrung noch immer nicht verboten ist, ist nun wirklich kein Grund, noch einen draufzusetzen und durch § 116 AFG darüber hinaus die kalte Aussperrung zu legalisieren und

    Annelle Buntenbach
    dann auch noch so zu tun, wie soeben Sie, Herr Storm, und auch Herr Blüm in seinen Reden, als werde damit die Parität im Arbeitskampf wiederhergestellt. Meine Damen und Herren, Sie haben sich in der Richtung ausgesprochen gründlich geirrt. Kalte Aussperrung ist, wenn man sie in Alltagsdeutsch übersetzt, im Klartext eiskalte Erpressung der Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerseite.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

    Mit ihr können die Arbeitgeber beliebig manipulieren, und zwar heute noch, z. B. durch heiße Aussperrung oder durch zu knappe Lagerhaltung, oder sie behaupten einfach, Lieferanten seien ausgefallen.
    Dazu ein Beispiel aus dem Jahre 1984: Damals teilte BMW seinem Getriebezulieferer in Ludwigsburg mit, daß er nicht mehr zu liefern brauche. Dessen Geschäftsführung schrieb ihrem Betriebsrat, daß BMW nichts mehr abnehme. BMW wiederum informierte seinen Betriebsrat, der Lieferant sei ausgefallen. Folge: kalte Aussperrung bei BMW und bei dem Zulieferer. Diese Manipulation, Herr Storm, wäre auch durch eine Stellungnahme des Betriebsrates nicht aufgefallen. Der wußte nämlich, zumindest solange der Streik lief, davon nichts.
    Für die Gewerkschaften bedeutet diese Praxis eine enorme Schwächung ihrer Position.

    (Dr. Heiner Geißler [CDU/CSU]: Das sind aber exotische Beispiele!)

    - Sehr exotisch. - Hätte die IG Metall in dem soeben erwähnten Tarifkonflikt an die kalt Ausgesperrten Streikgeld bezahlt, dann hätte sie zusätzlich 859 Millionen DM ausgeben müssen. Wer will da ernsthaft noch von - ohnehin fragwürdiger - Waffengleichheit reden?

    (Rudolf Dreßler [SPD]: Das war gewollt!)

    - Ja, das wollten die.
    Die Dreistigkeit der Arbeitgeber hat - das zeigt der gerade beigelegte Metall-Konflikt - enorm zugenommen. Ohne die katastrophale Fassung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes ist kaum vorstellbar, daß ein Arbeitgeberverband mit Aussperrungen schon droht, bevor er ein Tarifangebot überhaupt vorlegt. So kann doch nur auftreten, wer sich in seiner Rolle als Herr im Hause völlig sicher fühlt.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

    Daß dieses Kalkül in diesem Jahr nicht aufgegangen ist, hat eine Menge damit zu tun, daß die Konflikte in den Reihen der Arbeitgeber offenkundig beträchtlich waren. Aber das Instrumentarium des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes ist schon vom Ansatz her falsch. Wir fordern: Die Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit muß wiederhergestellt werden.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

    Da hilft ein Blick in die Verfassung. Das Streikrecht ist ein im Rahmen der Koalitionsfreiheit im Grundgesetz verbrieftes Recht. Es zu schützen ist daher eine selbstverständliche Aufgabe unseres Handelns. Mit den heute vorliegenden Gesetzentwürfen wird versucht, einen wichtigen Schritt zur Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen den Tarifparteien zu tun. Dazu sind zwei Dinge erforderlich: erstens in der Substanz den Zustand von 1986 wiederherzustellen und dabei zweitens eine Reihe von unklaren Formulierungen deutlicher zu fassen.
    Die Kritik, die im Vorfeld der Neufassung 1986 sowohl von Arbeitgeber- als auch von Gewerkschaftsseite eben wegen dieser unkaren Formulierungen geäußert worden ist, ist von den Regierungsfraktionen und speziell von Herrn Blüm immer wieder dafür ins Feld geführt worden, daß die Änderung des § 116 AFG wirklich nötig gewesen sei. Nach dem vorhin vom Kollegen Dreßler schon erwähnten Franke-Erlaß von 1984 mußte es damit allerdings auch schnell gehen, weil mit Frankes Sperrung der Zahlung von Lohnersatzleistungen an kalt Ausgesperrte versucht wurde, für die Ungerechtigkeit der Änderung des AFG den Weg freizumachen. Der Franke-Erlaß konnte zu dem damaligen Zeitpunkt heute oder morgen für illegal erklärt werden. Leider ist das erst 1991 geschehen.
    Nun behauptet Herr Blüm, mit der Neufassung sei
    - im Interesse beider Tarifparteien - die Neutralität der Bundesanstalt wiederhergestellt worden. Aber dann soll er doch bitte erklären - oder Sie, Herr Storm -, warum es - das ist zumindest mir bekannt - zahllose Proteste aus den Reihen der Gewerkschaften gegen diese Neufassung des AFG gibt, aber keinen einzigen Protest aus den Reihen der Arbeitgeber. Das ist dann doch verwunderlich!

    (Rudolf Dreßler [SPD]: Das ist wahr! - Weiterer Zuruf von der SPD)

    - Ich halte es nicht für ein Wunder; denn schließlich war es eine Entscheidung, die absolut einseitig und ausschließlich zugunsten der Arbeitgeber ergangen ist.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Wohlverstanden: Auch wir wissen, daß wir mit diesem Schritt, den wir heute vorschlagen, noch nicht am Ziel einer Parität zwischen den Tarifparteien sind. Wir sind heute so bescheiden, weil wir es Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, gerne leichtmachen möchten, aus der Sackgasse wieder herauszufinden, in die Sie uns alle mit Ihrer Fassung des § 116 AFG geführt haben.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)