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ID1302505600

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    Plenarprotokoll 13/25 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 25. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. März 1995 Inhalt: Tagesordnungspunkt 12: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Situation der Kinder und Jugendlichen und die Entwicklung der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern - Neunter Jugendbericht - mit der Stellungnahme der Bundesregierung zum Neunten Jugendbericht (Drucksache 13/70) Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 1779 B Dr. Edith Niehuis SPD 1782 B Wolfgang Dehnel CDU/CSU 1784 D Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1786 B Dr. Edith Niehus SPD 1787 C Heinz Lanfermann F.D.P 1789 B Rosel Neuhäuser PDS 1790 C Klaus Riegert CDU/CSU 1792 B Thomas Krüger SPD 1793 D, 1799 B Klaus Riegert CDU/CSU 1794 A Jürgen Türk F.D.P 1796 A Monika Brudlewsky CDU/CSU 1797 C, 1799 C Ursula Mogg SPD 1799 D Kersten Wetzel CDU/CSU 1801 C Klaus Hagemann SPD 1802 D Helmut Jawurek CDU/CSU 1804 C Thomas Krüger SPD 1805 C Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. 1806 B Eckart von Klaeden CDU/CSU 1806 C Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von dem Abgeordneten Manfred Müller (Berlin) und der weiteren Abgeordneten der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes (§ 116) (Drucksache 13/581) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Abgeordneten Annelie Buntenbach, Kerstin Müller (Köln), Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgeseizes (§ 116) (Drucksache 13/691) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiederherstellung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen (Drucksache 13/715) Rudolf Dreßler SPD 1807 C Andreas Storm CDU/CSU 1809 B Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1810 D Uwe Lühr F.D.P 1811 D Manfred Müller (Berlin) PDS 1812 D Wolfgang Vogt (Düren) CDU/CSU 1813 D Adolf Ostertag SPD 1814 C Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär BMA . 1816 B Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes (Drucksache 13/204) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Rita Grießhaber und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Zeit und Geld für Kinder (Drucksache 13/711) Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1817 C Walter Link (Diepholz) CDU/CSU 1818 B Hildegard Wester SPD 1819 D Heinz Lanfermann F.D.P. 1821 D Heidemarie Lüth PDS 1823 A Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Cern Özdemir, Christa Nickels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Beschränkung der Ab-schiebungshaft von Ausländerinnen und Ausländern (Drucksache 13/107) Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1824 A Eckart von Klaeden CDU/CSU 1825 C Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD 1826 D Dr. Max Stadler F.D.P. 1828 B Ulrich Irmer F.D.P 1828 D Ulla Jelpke PDS 1829 D Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 1830 B Dr. Winfried Wolf PDS 1831 A Dieter Wiefelspütz SPD 1831 B Nächste Sitzung 1831 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 1832* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 1832* C 25. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. März 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), BÜNDNIS 10. 3. 95 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Blunck, Lilo SPD 10. 3. 95** Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 10. 3. 95** Dr. Däubler-Gmelin, SPD 10. 3. 95 Herta Eichstädt-Bohlig, BÜNDNIS 10.3. 95 Franziska 90/DIE GRÜNEN Eymer, Anke CDU/CSU 10. 3. 95 Genscher, F.D.P. 10. 3. 95 Hans-Dietrich Dr. Glotz, Peter SPD 10. 3. 95 Hanewinckel, Christel SPD 10. 3. 95 Hauser CDU/CSU 10.3. 95 (Rednitzhembach) Hansgeorg Heistermann, Dieter SPD 10. 3. 95 Heym, Stefan PDS 10. 3. 95 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 10. 3. 95 Dr. Jacob, Willibald PDS 10. 3. 95 Kanther, Manfred CDU/CSU 10. 3. 95 Knoche, Monika BÜNDNIS 10. 3. 95 90/DIE GRÜNEN Kunick, Konrad SPD 10. 3. 95 Labsch, Werner SPD 10. 3. 95 Leidinger, Robert SPD 10. 3. 95 Leutheusser- F.D.P. 10. 3. 95 Schnarrenberger, Sabine Limbach, Editha CDU/CSU 10. 3. 95 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 10. 3. 95 Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 10. 3. 95 Dr. Scheer, I Iermann SPD 10. 3. 95* Schmidt (Aachen), SPD 10. 3. 95 Ursula Schumann, Ilse SPD 10. 3. 95 Schwanitz, Rolf SPD 10. 3. 95 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 10. 3. 95 Christan Dr. Skarpelis-Sperk, SPD 10. 3. 95 Sigrid Sorge, Wieland SPD 10. 3. 95 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Steindor, Marina BÜNDNIS 10. 3. 95 90/DIE GRÜNEN Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 10. 3. 95 Vergin, Siegfried SPD 10. 3. 95 Vosen, Josef SPD 10. 3. 95 Welt, Jochen SPD 10. 3. 95 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 10. 3. 95 Wohlleben, Verena SPD 10. 3. 95 Zierer, Benno CDU/CSU 10. 3. 95 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 13/28 Drucksache 13/112 Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, daß sie die Anträge „Solidarität mit Salman Rushdie und Appell gegen die Einschränkung von Meinungsfreiheiten", Drucksache 13/548, und „Beteiligung einer Delegation des Deutschen Bundestages an der VN-Konferenz in Berlin vom 23. März bis 7. April 1995", Drucksache 13/315, zurückzieht. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Innenausschuß Drucksache 13/218 Nr. 1 Drucksache 13/218 Nr. 3 Drucksache 13/218 Nr. 4 Drucksache 12/7654 Nr. 3.1 Finanzausschuß Drucksache 13/218 Nr. 13 Drucksache 13/218 Nr. 15 Drucksache 13/218 Nr. 18 Haushallsausschuß Drucksache 13/218 Nr. 21 Drucksache 13/343 Nr. 2.27 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/218 Nr. 22 bis Nr. 56 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/218 Nr. 99 Drucksache 13/218 Nr. 101 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/218 Nr. 107
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    Rede von Rudolf Dreßler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Streik in der bayerischen Metall- und Elektroindustrie lieferte eine exemplarische Begründung für den Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion zur Wiederherstellung der Neutralität der Arbeitsverwaltung bei Arbeitskämpfen. Meine Fraktion fordert daher, daß noch vor dem Ende der Tarifrunde 1995 wieder ein normales Verhältnis zwischen den Mitteln hergestellt wird, die einerseits den Gewerkschaften und die andererseits den Arbeitgebern im Tarifstreit zur Verfügung stehen.
    Der Streik ist die letzte Möglichkeit der Arbeitnehmerschaft, sich gegen Unternehmerdiktate zur Wehr zu setzen. Erst dieses Instrument schafft Waffengleichheit. Die Aussperrung mag zwar als das logische Gegenstück zum Streik gesehen werden, aber in Wirklichkeit stellt sie die Unternehmerüberlegenheit bei Auseinandersetzungen wieder her, erst recht mit dem derzeit geltenden § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes; denn zur Zeit sind die Gewerkschaften in der Wahl der Mittel nicht frei. Im Vergleich zu den Arbeitskampfmöglichkeiten der Arbeitgeber sind sie gehandicapt.
    Das Beispiel in Bayern belegte dies eindeutig. Die Gewerkschaft hat nach 34 ergebnislosen Verhandlungsrunden, nach Verstreichen der Friedenspflicht und Urabstimmung den Streik ausgerufen. Die bestreikten Betriebe waren sorgfältig ausgewählt worde, denn Auswirkungen auf andere Betriebe in anderen Tarifgebieten sollten gering bleiben. Von der Gewerkschaft war der Tarifstreit ausdrücklich als räumlich wie ökonomisch begrenzte Auseinandersetzung angelegt.
    Die Arbeitgeberseite hatte sich daraufhin einen Vorratsbeschluß auf Aussperrung besorgt.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Unglaublich!)

    Die trotz der sorgsamen Auswahl der Betriebe immer noch verbleibenden Verflechtungen und Abhängigkeiten hätten den Arbeitgebern gleichwohl jeden Vorwand geliefert, in Bayern eine Aussperrung in Gang zu setzen, die weit über das umkämpfte Tarifgebiet hinausgereicht hätte.
    Das Ziel dieses Aussperrungsbeschlusses war, in einem anderen als dem bestreikten Tarifbezirk Beschäftigten die Werkstore vor der Nase zuzuschlagen, sie gleichzeitig von Lohnersatzleistungen auszuschließen, den Zorn von Ausgesperrten auf die Gewerkschaft zu lenken, weil für sie keine Streikunterstützung gezahlt wird, sowie erneut zu dokumentieren, daß der Staat im tariflichen Ernstfall auf der Seite derjenigen steht, die über die Arbeitsplätze bestimmen können.

    Rudolf Dreßler
    Vor elf Jahren, im Streit um die Einführung der 35-
    Stunden-Woche, standen den zeitweise 58 000 streikenden Metallarbeitnehmern rund 530 000 ausgesperrte Arbeitnehmer gegenüber. Das ist ein Verhältnis von 9: 1, meine Damen und Herren. Zwei Drittel dieser Ausgesperrten waren Opfer der Fernwirkungen von Aussperrungen in den bestreikten Tarifgebieten. Vielen Arbeitnehmern wurde damals Lohn entzogen, weil Arbeitgeber ungerechtfertigt behaupteten, die Produktion werde vom Streik in Mitleidenschaft gezogen. In Wirklichkeit wollten sie den sozialen Druck auf Gewerkschaft und Arbeitnehmer rigoros erhöhen.
    Der Tarifstreit in Bayern ist zwar mit einem vernünftigen Ergebnis beendet worden, wie wir wissen; es kann aber keine Rede davon sein, daß die Tarifrunde 1995 nun vorbei ist. Ob andere Arbeitgeber über einen Vorratsbeschluß zur Aussperrung hinaus nicht wirklich zur Tat schreiten werden, weiß heute niemand. Daher bleibt es dabei: Der Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion müßte so rasch es geht in Kraft treten.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Der Gesetzentwurf präjudiziert das Bundesverfassungsgericht nicht. Das Gericht wird, wie wir wissen, in wenigen Tagen über eine Verfassungsbeschwerde meiner Fraktion, von vier Landesregierungen sowie der Industriegewerkschaft Metall zur Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen verhandeln. Es bleibt in seiner Entscheidung so frei, wie es bisher war. Es ist nicht zu verstehen, warum sich Arbeitsminister Blüm 1986 dazu verleiten ließ, gegen die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften vorzugehen und die Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit in Arbeitskämpfen zu beseitigen. Eine sachliche Begründung gab es weder damals, noch gibt es sie heute.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Es war damals auch kein Druck aus Richtung des Koalitionspartners F.D.P. zu spüren. Kein Gericht drängte Norbert Blüm zu einer raschen Handlung. Allerdings hatte der damalige Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Heinrich Franke, 1984 per Erlaß angeordnet, kalt Ausgesperrten das Kurzarbeitergeld zu verweigern. Franke konnte dies damals mit Rückendeckung von Bundesarbeitsminister Blüm tun.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Eine Schande!)

    Dieser sogenannte Franke-Erlaß war der Testlauf für die spätere Beseitigung der Neutralität der Bundesanstalt in Arbeitskämpfen durch Gesetz. Ich habe nichts von dem zurückzunehmen, was ich damals im Deutschen Bundestag gesagt habe. Es war ein eiskalt in Szene gesetzter, wohlgeplanter Coup gegen die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Einer der Vorgänger von Norbert Blüm im Ministeramt, Hans Katzer, sah die Sachlage immer völlig anders als sein Nachfolger Blüm. Katzer war in der Großen Koalition von 1966 bis 1969 Bundesarbeitsminister. Er ist überdies Vorgänger Blüms als Chef der CDU-Sozialausschüsse gewesen. Nicht zuletzt auf Hans Katzers Betreiben hatte die Große Koalition 1969 durchgesetzt, daß § 116 des AFG im Regelfall Lohnersatzleistungen bei mittelbar vom Streik betroffenen Arbeitnehmern nach sich zieht. Norbert Blüm hat das Gesetz von Hans Katzer auf den Kopf gestellt. Die ab dem 15. Mai 1986 geltende Fassung des § 116 AFG erzwingt, daß mittelbar vom Streik Betroffene im Regelfall keine Lohnersatzleistungen erhalten.
    Hans Katzer war zudem zutiefst davon überzeugt, daß in unserem sozialen Rechtsstaat die Bundesanstalt für Arbeit während des Tarifstreits weder von Gewerkschaften noch von Arbeitgebern instrumentalisiert werden dürfe. Die Sozialdemokraten teilen diese Überzeugung noch heute - deshalb unser Gesetzentwurf.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Nachfolger Katzers auf dem Stuhl des Bundesarbeitsministers, Walter Arendt, Herbert Ehrenberg und Heinz Westphal, blieben der Linie von Hans Katzer treu. Die Folgen des Bruchs mit der Linie von Katzer und anderen sind nicht zu übersehen. Die Ideale der Solidarität und der Freiheit haben es mittlerweile sehr schwer, sich gegen das Denken in Kriegskategorien innerhalb der Tarifpolitik durchzusetzen.
    Im einsetzenden und sich dramatisch zuspitzenden wirtschaftlichen Strukturwandel sind die Gewerkschaften nicht mehr frei, was die Wahl der Mittel angeht. Die Bundesregierung hat das gewollt. Sie wollte 1986 eine strategische Entscheidung gegen die Gewerkschaften und gegen die Arbeitnehmer herbeiführen. Das Groteske an der Geschichte ist nur: Mitten im Strukturwandel klärt sich auf, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer mehr Gemeinsamkeiten haben, als die Regierung es bisher offensichtlich geglaubt hat oder wahrhaben wollte. Das gilt für die Aufgabe der Sicherung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, das gilt für den Schutz der Natur sowie für den Abbau der Arbeitslosigkeit. Denn der Weg zu einer befriedigenden wirtschaftlichen Zukunft führt ausschließlich über den Konsens, über Transparenz der Verhältnisse, über Mitentscheidung und über Mitverantwortung. Er führt gewiß nicht über einen fortwährenden, vom Gesetzgeber provozierten Tarifkrieg zwischen den Tarifvertragsparteien.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Ich frage mich: Warum will die heutige Koalition diesen Zusammenhang nicht verstehen? Warum will sie nicht endlich daraus Konsequenzen ziehen?

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Weil sie so ist, wie sie ist!)


    Rudolf Dreßler
    Ist es so schwierig, zu begreifen, daß in einer zivilisierten Gesellschaft der Kopf mehr zählen muß als der Ellenbogen? Wir alle wissen doch: Kluge Arbeitgeber finden längst den Weg zu Betriebsräten, finden längst den Weg zu Gewerkschaften. Kluge Arbeitgeber wissen, daß in den Belegschaften eine ungeheure Bereitschaft und Fähigkeit zu innovativem Denken schlummert. Man muß sie nur wecken, man muß sie fördern und auch fordern, und man muß sich vertrauen können.
    Der sogenannte Streikparagraph paßt dazu wie eine Faust aufs Auge. Wer § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes in seiner heutigen Form für richtig hält, der, meine Damen und Herren, steckt ideologisch im 18. Jahrhundert.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Manfred Müller [Berlin] [PDS])

    Deshalb, Herr Geißler, weil Sie sich ja gerade so forsch

    (Dr. Heiner Geißler [CDU/CSU]: Nach vorn!)

    an die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft machen und sich mit Ihrer Partei anlegen, lade ich Sie ein, sich auch in diesem wichtigen gesellschaftlichen Bereich mit Ihrer Fraktion in den kommenden Beratungen anzulegen.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS Dr. Heiner Geißler [CDU/ CSU]: Im 18. Jahrhundert gab es noch Zünfte! Dr. Konstanze Wegner [SPD]: Sie haben einen gelb-grünen Anzug an, Herr Geißler!)



Rede von Dr. Burkhard Hirsch
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich erteile dem Kollegen Andreas Storm das Wort.

(Adolf Ostertag [SPD]: Wo ist eigentlich der Arbeitsminister bei diesem Thema, der eigentliche Übeltäter?)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Andreas Storm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nun wirklich nicht das erste Mal, daß sich das Hohe Haus mit der Neuregelung des § 116 AFG befaßt. Herr Dreßler, wenn Sie sagen, daß wir ideologisch zurück in das 18. Jahrhundert gegangen wären, so kann ich Ihnen nur zurufen: Aschermittwoch ist vorbei. Kommen Sie zurück zu den Fakten!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Den drei vorliegenden Gesetzentwürfen liegt die Behauptung zugrunde, die Kampfparität bei Arbeitskämpfen werde durch die Regelung von 1986 zu Lasten der Gewerkschaften verändert. Diese Behauptung, meine Damen und Herren, ist falsch; denn die derzeitige Rechtslage unterscheidet für Arbeitnehmer, die infolge eines Arbeitskampfes arbeitslos werden oder Kurzarbeit leisten, drei Fälle:
    Erstens. Alle Arbeitnehmer außerhalb der betroffenen Branche erhalten gegebenenfalls Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit, und zwar ohne jede Einschränkung.
    Zweitens. Alle Arbeitnehmer der betroffenen Tarifbranche innerhalb des umkämpften Tarifgebietes erhalten keine Leistungen, und zwar unabhängig davon, ob sie selbst streiken oder ausgesperrt sind.
    Drittens. Arbeitnehmer der betroffenen Tarifbranche außerhalb des umkämpften Tarifgebietes erhalten dann keine Leistungen der Bundesanstalt, wenn der Arbeitskampf stellvertretend für ihre Arbeitsbedingungen mitgeführt wird.
    Genau das, meine Damen und Herren, ist der Punkt, auf den es ankommt: Wir wollen und wir dürfen den Stellvertreterstreik nicht aus Beitragsmitteln bezahlen. Das wäre ein Griff in die falsche Tasche.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Würde die Bundesanstalt jedes Arbeitskampfrisiko finanzieren, dann würden die Tarifparteien nämlich direkt über die Höhe der Beiträge oder die erforderlichen Zuschüsse der Steuerzahler zur Arbeitslosenversicherung mitentscheiden. Das darf nicht sein!

    (Zuruf von der F.D.P.: Richtig!)

    Es geht hier um die Substanz der Tarifautonomie: Die Zulassung von Arbeitskämpfen soll ein Verhandlungsgleichgewicht herstellen. Deshalb verbietet es sich, daß der Staat in einen Arbeitskampf eingreift, indem er ihn durch Leistungen zugunsten einer einzigen Kampfpartei beeinflußt. Daraus ergibt sich, daß der Staat zur Nichteinmischung und Unparteilichkeit verpflichtet ist. Die jetzige Regelung gewährleistet das. Sie befindet sich auf dem Boden des Grundgesetzes, und da muß sie auch bleiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das Geld der Bundesanstalt für Arbeit ist in erster Linie für die Arbeitslosen da, nicht für die Arbeitsplatzbesitzer. Deswegen erhalten auch jene Arbeitnehmer Unterstützung, die infolge eines Arbeitskampfes keine Arbeit haben, aber weder selbst streiken noch vom Arbeitskampf profitieren. Für diejenigen allerdings, die vom Arbeitskampfergebnis profitieren, kann das Arbeitsamt ebensowenig Unterstützung zahlen wie für die Streikenden selber. Deswegen geht der Streit im Kern nur um die Frage: Wann sind Arbeitnehmer streikbeteiligt?
    Die Antwort liegt auf der Hand: Streikbeteiligte sind neben den Streikenden selbst diejenigen, für die stellvertretend mitgestreikt wird, für die eine gleiche Hauptforderung erhoben wird und für die das Streikergebnis in deren Fachbereich übernommen werden soll. Damit wird die grundgesetzlich gebotene Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit vor Umgehung geschützt. Und vor allen Dingen folgt daraus, daß außerhalb des bestreikten Fachbereiches immer gezahlt wird, und zwar unabhängig davon, ob gleiche oder unterschiedliche Forderungen gestellt werden.

    Andreas Storm
    Was bedeutet das in der Praxis? Ich will das einmal an drei Beispielen klarmachen: Wenn Stahlkocher streiken, erhalten die Automobilarbeiter selbstverständlich Leistungen der Bundesanstalt, denn sie gehören einem anderen Fachbereich an. Wenn Zulieferbetriebe in der Metallverarbeitung streiken, erhalten beispielsweise Werftarbeiter ebenfalls Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit, denn auch sie gehören einem anderen Fachbereich an. Wenn beispielsweise Arbeitnehmer in. der Zuckerindustrie streiken, dann wird in der Süßwarenindustrie ebenfalls Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld bei Bedarf gezahlt.
    Lassen Sie mich jetzt zu einem anderen für die Arbeitnehmer ganz wichtigen Punkt kommen. Die Entscheidung darüber, ob ein Leistungsanspruch ruht, wird nach der Regelung von 1986 von einem Neutralitätsausschuß gefällt. Dem gehören gleichberechtigt Vertreter der Gewerkschaften und der Arbeitgeberseite an, und zwar unter dem Vorsitz des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg.
    Der Sachverhalt wird unter Beteiligung der Betroffenen ermittelt. Damit wird zugunsten der Arbeitnehmer sichergestellt, daß möglichen Manipulationen auf Arbeitgeberseite ein Riegel vorgeschoben wird. Denn es gilt die Nachweispflicht der Arbeitgeber, daß ein Arbeitsausfall Folge eines Arbeitskampfes ist. So hat seit der Neuregelung im Jahre 1986 kein Betrieb mehr die Möglichkeit, einen Arbeitsausfall nur vorzutäuschen und unter dem Vorwand eines angeblichen Materialmangels Arbeitnehmer „kalt" auszusperren. Denn zum Nachweis des Arbeitsausfalls muß der Arbeitgeber eine Stellungnahme der Betriebsvertretung beifügen. Darüber hinaus kann gegen eine Entscheidung des Neutralitätsausschusses von beiden Seiten, also auch der Arbeitnehmerseite, der Rechtsweg beschritten werden.
    Schließlich wurde die Stellung der Arbeitnehmer noch durch eine weitere Maßnahme verbessert, nämlich dadurch, daß in Zweifelsfällen eine Vorleistungspflicht des Arbeitsamtes besteht. Es zahlt zunächst Lohn in Höhe des Kurzarbeitergeldes. Diese Leistung hat der Arbeitgeber zu erstatten, der seiner Lohnleistungspflicht nicht korrekt nachgekommen ist.
    Meine Damen und Herren, all das zeigt: Der Streik wird nicht auf dem Rücken der betroffenen Arbeitnehmer ausgetragen.

    (Manfred Müller [Berlin] [PDS]: Der hat keine Ahnung!)

    Zur aktuellen Lage: Nach der Verabschiedung des Gesetzes zur Sicherung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit im Jahre 1986 hat es zum ersten Mal im Jahre 1993 - also sieben Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes - bei einem Streik in den neuen Bundesländern einen Anlaß gegeben, den Neutralitätsausschuß der Bundesanstalt für Arbeit anzurufen. Gegen die von ihm getroffene Entscheidung zuungunsten der Arbeitnehmerseite hat bekanntlich die IG Metall Klage vor dem Bundessozialgericht erhoben. Das Bundessozialgericht hat mit
    dem Urteil vom 4. Oktober des letzten Jahres eindeutig festgestellt: Die prozeß- und materiellrechtlichen Regelungen des § 116 AFG sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß noch eines unmißverständlich klarstellen: Die bisherige Entwicklung hat deutlich gezeigt, daß sich die Neuregelung des § 116 AFG aus dem Jahre 1986 nicht negativ auf die Kampfkraft der Gewerkschaften auswirkt. Niemand wird ernsthaft behaupten können, daß die Arbeitskämpfe seit 1986 oder beispielsweise die Entwicklung der Tariflandschaft in den neuen Bundesländern einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer ausgegangen wären. Auch das Ergebnis des jüngsten Arbeitskampfes in der bayerischen Metallindustrie bestätigt das nachdrücklich, Herr Dreßler, wie Sie selbst indirekt zugegeben haben.
    Ein bißchen mehr Gelassenheit wäre also an der Tagesordnung; denn für eine Änderung der bewährten Neuregelung des § 116 AFG besteht überhaupt kein Anlaß. Die Wetterfahne darf nicht zum Kompaß der deutschen Politik werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)