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    Plenarprotokoll 13/25 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 25. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. März 1995 Inhalt: Tagesordnungspunkt 12: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Situation der Kinder und Jugendlichen und die Entwicklung der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern - Neunter Jugendbericht - mit der Stellungnahme der Bundesregierung zum Neunten Jugendbericht (Drucksache 13/70) Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 1779 B Dr. Edith Niehuis SPD 1782 B Wolfgang Dehnel CDU/CSU 1784 D Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1786 B Dr. Edith Niehus SPD 1787 C Heinz Lanfermann F.D.P 1789 B Rosel Neuhäuser PDS 1790 C Klaus Riegert CDU/CSU 1792 B Thomas Krüger SPD 1793 D, 1799 B Klaus Riegert CDU/CSU 1794 A Jürgen Türk F.D.P 1796 A Monika Brudlewsky CDU/CSU 1797 C, 1799 C Ursula Mogg SPD 1799 D Kersten Wetzel CDU/CSU 1801 C Klaus Hagemann SPD 1802 D Helmut Jawurek CDU/CSU 1804 C Thomas Krüger SPD 1805 C Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. 1806 B Eckart von Klaeden CDU/CSU 1806 C Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von dem Abgeordneten Manfred Müller (Berlin) und der weiteren Abgeordneten der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes (§ 116) (Drucksache 13/581) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Abgeordneten Annelie Buntenbach, Kerstin Müller (Köln), Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgeseizes (§ 116) (Drucksache 13/691) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiederherstellung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen (Drucksache 13/715) Rudolf Dreßler SPD 1807 C Andreas Storm CDU/CSU 1809 B Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1810 D Uwe Lühr F.D.P 1811 D Manfred Müller (Berlin) PDS 1812 D Wolfgang Vogt (Düren) CDU/CSU 1813 D Adolf Ostertag SPD 1814 C Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär BMA . 1816 B Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes (Drucksache 13/204) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Rita Grießhaber und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Zeit und Geld für Kinder (Drucksache 13/711) Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1817 C Walter Link (Diepholz) CDU/CSU 1818 B Hildegard Wester SPD 1819 D Heinz Lanfermann F.D.P. 1821 D Heidemarie Lüth PDS 1823 A Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Cern Özdemir, Christa Nickels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Beschränkung der Ab-schiebungshaft von Ausländerinnen und Ausländern (Drucksache 13/107) Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1824 A Eckart von Klaeden CDU/CSU 1825 C Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD 1826 D Dr. Max Stadler F.D.P. 1828 B Ulrich Irmer F.D.P 1828 D Ulla Jelpke PDS 1829 D Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 1830 B Dr. Winfried Wolf PDS 1831 A Dieter Wiefelspütz SPD 1831 B Nächste Sitzung 1831 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 1832* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 1832* C 25. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. März 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), BÜNDNIS 10. 3. 95 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Blunck, Lilo SPD 10. 3. 95** Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 10. 3. 95** Dr. Däubler-Gmelin, SPD 10. 3. 95 Herta Eichstädt-Bohlig, BÜNDNIS 10.3. 95 Franziska 90/DIE GRÜNEN Eymer, Anke CDU/CSU 10. 3. 95 Genscher, F.D.P. 10. 3. 95 Hans-Dietrich Dr. Glotz, Peter SPD 10. 3. 95 Hanewinckel, Christel SPD 10. 3. 95 Hauser CDU/CSU 10.3. 95 (Rednitzhembach) Hansgeorg Heistermann, Dieter SPD 10. 3. 95 Heym, Stefan PDS 10. 3. 95 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 10. 3. 95 Dr. Jacob, Willibald PDS 10. 3. 95 Kanther, Manfred CDU/CSU 10. 3. 95 Knoche, Monika BÜNDNIS 10. 3. 95 90/DIE GRÜNEN Kunick, Konrad SPD 10. 3. 95 Labsch, Werner SPD 10. 3. 95 Leidinger, Robert SPD 10. 3. 95 Leutheusser- F.D.P. 10. 3. 95 Schnarrenberger, Sabine Limbach, Editha CDU/CSU 10. 3. 95 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 10. 3. 95 Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 10. 3. 95 Dr. Scheer, I Iermann SPD 10. 3. 95* Schmidt (Aachen), SPD 10. 3. 95 Ursula Schumann, Ilse SPD 10. 3. 95 Schwanitz, Rolf SPD 10. 3. 95 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 10. 3. 95 Christan Dr. Skarpelis-Sperk, SPD 10. 3. 95 Sigrid Sorge, Wieland SPD 10. 3. 95 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Steindor, Marina BÜNDNIS 10. 3. 95 90/DIE GRÜNEN Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 10. 3. 95 Vergin, Siegfried SPD 10. 3. 95 Vosen, Josef SPD 10. 3. 95 Welt, Jochen SPD 10. 3. 95 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 10. 3. 95 Wohlleben, Verena SPD 10. 3. 95 Zierer, Benno CDU/CSU 10. 3. 95 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 13/28 Drucksache 13/112 Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, daß sie die Anträge „Solidarität mit Salman Rushdie und Appell gegen die Einschränkung von Meinungsfreiheiten", Drucksache 13/548, und „Beteiligung einer Delegation des Deutschen Bundestages an der VN-Konferenz in Berlin vom 23. März bis 7. April 1995", Drucksache 13/315, zurückzieht. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Innenausschuß Drucksache 13/218 Nr. 1 Drucksache 13/218 Nr. 3 Drucksache 13/218 Nr. 4 Drucksache 12/7654 Nr. 3.1 Finanzausschuß Drucksache 13/218 Nr. 13 Drucksache 13/218 Nr. 15 Drucksache 13/218 Nr. 18 Haushallsausschuß Drucksache 13/218 Nr. 21 Drucksache 13/343 Nr. 2.27 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/218 Nr. 22 bis Nr. 56 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/218 Nr. 99 Drucksache 13/218 Nr. 101 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/218 Nr. 107
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    Rede von Ursula Mogg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Eine Gesellschaft, die ihre Kinder und Jugendlichen vernachlässigt, ist am Ende." Ich glaube, vernichtender kann ein Urteil über die heutige Jugendpolitik nicht ausfallen. Professor HansUwe Otto, Vorsitzender der Sachverständigenkommission, die den Neunten Jugendbericht erstellt hat, sprach diesen Satz bereits vor zwei Jahren bei einer Anhörung der SPD-Fraktion in diesem Hause.
    Die „Verslumung der Jugendhilfe in den neuen Ländern", die er seinerzeit beschrieb, hat nichts an Aktualität eingebüßt. Die Bundesregierung ist nicht in der Lage, eine angemessene Antwort auf diese Herausforderung zu formulieren.

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Rosel Neuhäuser [PDS])

    Offensichtlich beschränkt sich für Sie der Aufschwung Ost auf den Straßenbau und auf Industrieanlagen.
    Jugendliche und junge Erwachsene in den neuen Ländern finden keine Ausbildungsstelle,

    (Jürgen Türk [F.D.P.]: Das stimmt nicht! Das ist nicht richtig!)

    auch wenn die Bundesregierung diesen Mißstand bis
    heute beharrlich leugnet. Ihre Eltern sind selbst von
    harten Problemen geplagt. Sie sind in vielen Fällen

    Ursula Mogg
    arbeits- und damit perspektivlos. Sie haben kaum Geld. Ihre Nerven sind angespannt, und sie können ihren Kindern oft nicht die Hilfe geben, die sie brauchen.
    Die Entwicklung der Geburtenzahlen beleuchtet dieses Feld besorgniserregend. Von dem von Ihnen, Frau Nolte, zitierten Optimismus ist da wenig zu spüren.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Die Frage ist nicht nur, von was ich frei bin, sondern vor allem, für was ich frei bin. Darauf, Frau Nolte, geben Sie keine Antwort. Ihre Hymne an die Freiheit erinnert mich mit Blick auf den Jugendbericht eher an Janis Joplin.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Freiheit ist das höchste Gut!)

    Freizeitangebote fehlen. Die alten Strukturen gibt es nicht mehr - der Kollege hat auf diesen Umstand hingewiesen -, neue sind nicht oder so gut wie nicht vorhanden. Freizeit spielt sich auf der Straße ab. Die strukturelle Gewalt und der harte Faustschlag auf dem Kiez stehen im Widerspruch zu dem Wunsch nach Geborgenheit und Nähe. Sie lösen Frustrationen aus und explodieren eruptionsartig, Ereignisse, über die dann die Republik spricht und über die sich nur die wundern, die die Verhältnisse nicht kennen, auf die die Bundesregierung mit Programmen reagiert, die sehr bald wieder enden: Problem erledigt.
    Weitergehende Maßnahmen - die solide inhaltliche und finanzielle Ausgestaltung - werden vor allem an die Kommunen und Träger von Jugendarbeit delegiert, wissend, daß „ohne Moos nix los" ist: Verantwortung abgehakt. Was bleibt dann noch?
    Jugendpolitik ist keine originär bundespolitische Aufgabe. Das wissen wir. Wo aber die Jugendpolitik zu einer veritablen Frage des deutschen Einigungsprozesses wird, da steht die Bundesregierung weit mehr als nur zu 5 % in der Pflicht. Aus dieser Pflicht stiehlt sich diese Bundesregierung seit dem Einigungsprozeß heraus.
    Die Kommunen sind, auch in Ostdeutschland, so gut wie pleite. So wenden sie sich vertrauensvoll - es ist schließlich so, daß das Problem vor Ort am meisten drückt - an die freien Träger. Einrichtungen sollen von diesen erhalten und finanziert werden. Aber auch diese wissen nicht, woher sie das Geld für diese Aufgabe nehmen sollen. An der untersten Sprosse der Leiter wird dann den letzten Ungläubigen deutlich, daß das System der Delegation von Verantwortung, das sich durch die Stellungnahme der Bundesregierung wie ein roter Faden verfolgen läßt, nicht funktionieren kann.
    Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie werden nicht leugnen, daß Art und Umfang Ihrer Jugendpolitik seit mindestens drei oder vier Jahren im wesentlichen davon abhängig gemacht werden, wie die finanzielle Situation im Hause Waigel aussieht. Kaum jemals haben die sachlichen Erfordernisse selbst eine Rolle gespielt.
    Wie sonst könnte es angehen, daß Sie die Aufgabenstellung für die Jugendverbände, die in den Richtlinien für den Bundesjugendplan formuliert sind, zwar deutlich und auch berechtigt ausgeweitet haben, die finanziellen Zuwendungen aber nicht? In diesem Jahr wollen Sie die Mittel für den Kinder-und Jugendplan des Bundes sogar von 223 auf 208 Millionen DM kürzen.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Leider wahr!)

    In einer Situation, wie sie der Neunte Jugendbericht für die neuen Bundesländer beschreibt, ist dies fahrlässig und ignorant.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Wir benötigen einen forcierten Aufbau von Strukturen der Jugendhilfe im Osten. Wir benötigen einen weitaus stärkeren Anteil der freien Träger an Maßnahmen der Jugendarbeit und finanzielle Angebote zu deren Umsetzung. Wir benötigen eine Jugendsozialarbeit, die frühzeitig Konfliktsituationen erkennt und entsprechende Maßnahmen präventiv einleitet. Eine solche Jugendsozialarbeit bedürfte allerdings angesichts der realen Erfordernisse erheblicher finanzieller Mittel, die die Länder und Kommunen alleine nicht aufbringen können.
    Das Wort „präventiv" führt auch die Bundesregierung im Zusammenhang mit ihren immer neuen Sonderprogrammen gerne ins Feld. Inzwischen dürfte aber klargeworden sein, daß hektische Bewilligungen und Transaktionen dorthin, wo es gerade einmal wieder brennt, nichts mit Prävention zu tun haben. Präventiv ist in der Tat die Schaffung einer jugendpolitischen Infrastruktur, das Angebot von Regelleistungen ohne die ständig dahinterstehende Drohung, die Maßnahme aber im nächsten oder spätestens im übernächsten Jahr wieder auslaufen zu lassen.
    Präventiv ist die Förderung von Erfahrungen bei der friedlichen und demokratischen Regelung von Konflikten, wie sie in der Jugendarbeit der freien Träger schon immer eine Rolle gespielt hat. Präventiv ist die Unterstützung von Initiativen. Präventiv ist schließlich auch die Förderung der politischen Bildung Jugendlicher.
    Die Demokratie darf den jungen Leuten aber nicht nur salbungsvoll gepredigt werden. Sie muß für sie auch erfahrbar werden, und ihr unmittelbarer Nutzen muß erkennbar sein. Der arbeits- und ausbildungslosen jungen Frau und dem jungen Mann, die zu Hause von einem frustrierten, weil ebenfalls arbeitslosen Vater geprügelt werden und die nicht wissen, wohin sie gehen sollen, weil ihr Jugendzentrum wegen Geldmangels von der Gemeinde gerade geschlossen wurde, brauchen wir auch mit dem Hohenlied der Demokratie nicht mehr zu kommen. Das steht wohl fest.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


    Ursula Mogg
    Jugendpolitik bedarf der Kreativität, geeigneter Programme und Konzepte. Daran wird es nicht mangeln. Sie kommt bei der Umsetzung aber nicht ohne Geld aus. Die Jugendpolitik einzuschränken, wenn das Geld weniger wird, das wird sich schon heute und erst recht mittelfristig als verheerend erweisen. Was dort heute unter maßgeblicher Verantwortung der Bundesregierung verschlampt wird - ich erwähne nur die sukzessive Liquidierung von AFT -, wird nie wiedergutzumachen sein. Gerade AFT war ein richtiger Ansatz. Bund, Ländern und Gemeinden muß doch an einer effizienten Struktur freier Träger gelegen sein, schon aus finanziellen Gründen. Leider waren diese Programme nur befristet.
    Die Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement gerade in diesem Bereich und der Umfang, den diese Ehrenamtlichkeit annimmt - das alles wäre doch gar nicht zu finanzieren, wenn es der Staat als Träger leisten sollte. Aber nicht einmal dies, nicht einmal das ehrenamtliche Engagement wird hinreichend gefördert. Man mag es kaum glauben: Jede Mark zur Förderung ehrenamtlicher Jugendarbeit hätte einen Anstoßeffekt, so daß sie sich zigfach amortisieren würde.
    Meinen Sie nicht, Sie sollten vielleicht besser ein paar Ihrer Hochglanzbroschüren einstellen und an deren Stelle eine effizientere Förderung der Jugendarbeit ermöglichen?

    (Beifall bei der SPD und der PDS)

    Man muß Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten anbieten, sich zu treffen und in eigener Verantwortung zu organisieren. Dazu bedarf es eines Daches über dem Kopf. Gerade die Raumfrage ist ja in den neuen Bundesländern nach wie vor äußerst prekär - und nicht nur dort. Man muß nur ihre Initiative ermutigen, dann gibt es auch viel gute Jugendarbeit im Sinne von Selbstorganisation.
    Auf Betreuung reagieren Jugendliche nicht zu Unrecht gereizt. Das wird ihrem Selbstwertgefühl und ihren tatsächlichen Fähigkeiten nicht gerecht. Aber sie brauchen Unterstützung, und die bekommen sie zur Zeit nicht oder nicht ausreichend.
    Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus dieser Verantwortung, die eine gesamtdeutsche ist, werden wir die Bundesregierung nicht entlassen. Der Neunte Jugendbericht ist mit Blick auf die neuen Bundesländer ein historisches Dokument. Deshalb sollten wir auch die historische Chance nicht tatenlos verstreichen lassen. Gute Konzepte sind gefragt - im Interesse der Bewältigung einer Situation, die in der Tat eine Herausforderung ist.
    Blühende Landschaften werden wir aber nur haben, wenn junge Menschen den Eindruck gewinnen, daß sie diesem Staat etwas wert sind, daß es sich lohnt, in ihm und für ihn zu streiten. Besinnungsaufsätze und politische Lyrik helfen uns nicht weiter.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Als nächster spricht jetzt der Abgeordnete Kersten Wetzel.

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    Rede von Kersten Wetzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Leider muß ich hier mit Bedauern feststellen, daß unser 713 Seiten schmaler Neunter Jugendbericht nicht ganz vollständig ist. Ich habe Ihnen deshalb in einem Ordner einmal die geltenden Jugendförderrichtlinien für Deutschland und die gesamten Länder mitgebracht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich muß Ihnen ganz ehrlich gestehen: Ich habe beides nicht vollständig lesen können. Ich habe auch meine Zweifel, ob alle freien Träger der Jugendarbeit und die Jugendlichen das wirklich intensiv studieren.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Was folgt daraus?)

    Ideenreichtum und Kreativität sollten wir nicht einfach nach Seitenzahlen messen. Mein Eindruck ist, daß vielerorts Jugendarbeit oftmals mehr verwaltet als gestaltet wird. Bund und Länder sollten hier in Zusammenarbeit mit den Kommunen und den Trägern der Jugendarbeit überflüssige Bürokratie abbauen. Ich hoffe, daß dieser Ordner mit der Angabe von Fördermitteltöpfen künftig nicht noch weiter anwächst; denn selbst große freie Träger verlieren mittlerweile die Übersicht über die Fördermittel und laufen zunehmend den Ministerialbeamten in Bund und Ländern die Türen ein, um zu fragen, wo es denn noch Gelder und welche Fördermöglichkeiten es noch gibt.

    (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch)

    Kleinere Träger, die oftmals viel über ehrenamtliche Jugendarbeit leisten, haben es da natürlich noch wesentlich schwerer. Immer wieder bekomme ich gerade von denen zu hören, daß sie manche Förderrichtlinien eher als Verhinderungsrichtlinien betrachten, weil diese oft der aktuellen Entwicklung sehr weit hinterherhinken.
    Jugendarbeit muß einfach mehr sein, als in verschiedenen Broschüren nachzuschlagen, um herauszufinden, welche finanziellen Fördermöglichkeiten es gibt. Hier muß angesetzt und auch einmal entschlackt werden. Heilige Kühe in Bund und Ländern - das wissen auch Sie - kann man nur gemeinsam schlachten. Dazu möchte ich Sie alle, die Sie von den demokratischen Parteien hier sitzen, recht herzlich einladen.

    (Thomas Krüger [SPD]: Dann mal los! Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ein Schlachtfest!)

    In der vergangenen Legislaturperiode wurden durch den Bund speziell für die neuen Länder verschiedene Modellprojekte geschaffen, die auch von den Jugendlichen gut angenommen worden sind. Auch wir im Parlament haben einige initiiert und mitbegleitet. Gemeinsam mit den Trägern der Jugendarbeit sollten wir als Bundespolitiker nun den Ländern und Kommunen helfen, diese Initiativen wirklich aufzugreifen und weiterzuführen. Wir wissen natürlich

    Kersten Wetzel
    um die Argumente der Länder und Kommunen, die meist mit dem Ruf nach mehr Fördermitteln vom Bund enden. Aber Geld allein schafft noch keine effizientere Jugendarbeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich denke an verkrustete Institutionen und traditionsreiche Jugendprojekte, die große Summen verschlingen, während für die Unterstützung von ehrenamtlicher Jugendarbeit vor Ort oft die Mittel fehlen. Das sollte uns bedenklich stimmen. Ich bin auch der Meinung, daß Flötenspielgruppen und Bastelstraßen nicht immer der richtige Weg sind, um der zunehmenden Gewaltbereitschaft von Jugendlichen entgegenzuwirken. Ich fordere deshalb vor allen Dingen die Träger auf, sich der verändernden Situation neu zu stellen und Jugendarbeit nicht nur für Jugendliche, sondern auch mit Jugendlichen zu machen.

    (Beifall der CDU/CSU)

    Es gibt eine ganze Reihe von Projekten, bei denen das gut gelungen ist. Ich denke dabei an zahlreiche Streetworker-Projekte, die seit langem erfolgreich sind und auch von den Jugendlichen gut angenommen werden. Diese Projekte sollten wir aber nicht einfach unter Denkmalschutz stellen, sondern wir sollten gezielt darauf hinwirken, daß sie innerhalb der Kommunen und der Länder verbreitet und die Erfahrungen genutzt werden.
    Gestatten Sie mir bitte noch ein paar Bemerkungen zum Jugendaustausch, zunächst zum deutschdeutschen. Es wird immer sehr viel von den Mauern in den Köpfen unserer jungen Leute gesprochen, analysiert und auch diskutiert. Mit Jugendprojekten allein ist aber dieses sehr sensible Problem nicht zu lösen. Der „Sommer der Begegnung", der damals von uns in der letzten Volkskammer initiiert und dann vom Bundestag weiter getragen worden ist, war zwar für die ersten Jahre sehr hilfreich, und vor allem junge Leute aus den neuen Bundesländern nutzten diese Chance zum Jugendaustausch. Leider gelang es aber nicht im selben Maße, Jugendliche aus den alten Bundesländern für einen Gegenbesuch in den neuen Bundesländern zu begeistern. Das ist bis heute ein Problem, das alle, die mit Jugendlichen arbeiten, gemeinsam angehen müssen. Da schließe ich wiederum die in diesem Hause vertretenen demokratischen Parteien sehr großzügig mit ein.
    Verschiedene Formen der Begegnung und gemeinsame Veranstaltungen gerade auch im schulischen und berufsbildenden Bereich sollten noch stärker dazu genutzt werden. So könnten Schulen und Berufsbildungseinrichtungen analog den damals sehr populären Berlinfahrten im alten Bundesgebiet - und übrigens auch in der DDR - Klassenfahrten in den jeweils anderen Teil Deutschlands wiederaufnehmen, um dort Partnerschaften und Kontakte herzustellen. In diesem sehr ausbaufähigen Bereich appelliere ich vor allen Dingen auch an die Phantasie und die Verantwortung unserer Kultusminister in den Ländern.
    Vor allem möchte ich aber die zahlreichen Jugendverbände und Organisationen der Jugendarbeit ansprechen. Diese besitzen ein großes Potential, Jugendliche einander näherzubringen. Man kann sich ja auch überlegen, über die Ländergrenzen hinweg gemeinsame Projekte zu initiieren und die Jugendlichen zum gemeinsamen Leben und Arbeiten einzuladen.
    Mit einem gehobenen Zeigefinger aus den alten Bundesländern kann man aber weder die Situation der Jugendlichen in den neuen Ländern einschätzen noch die richtigen Hilfen geben. Ein Aufeinanderzugehen und gemeinsames Lernen - übrigens auch für uns Politiker - sind hier sehr gefragt.
    Für die politische Bildung und die internationale Jugendarbeit gilt dies ebenfalls. Auch hier eilt oftmals die politische Entwicklung den Richtlinien voraus. Gerade wir in Deutschland haben nach der Vereinigung der beiden deutschen Teile eine entscheidende Verantwortung für das künftige Haus Europa übernommen. Auch Jugendliche aus Osteuropa haben ein Recht darauf, unsere Hilfestellung zu bekommen, so wie wir aus den neuen Bundesländern damals Hilfe und Unterstützung aus dem anderen Teil, der demokratischen Welt, erhalten haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Abschließend möchte ich an die Bundesregierung appellieren, in den Ministerien, die sich in der nächsten Zeit häufiger mit Osteuropa beschäftigen, gemeinsame Strategien für Jugendaustausch und Jugendprojekte zu entwickeln. Vielleicht geht das ja auch ohne mehrbändige Förderrichtlinien.
    Ich danke Ihnen recht herzlich.

    (Beifall bei der CDU/CSU)