Rede von
Thomas
Krüger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Abgeordneter, daß wichtige Ansätze entstanden sind, erklärt sich ganz einfach daraus, daß man im Grunde von Null angefangen hat bzw. den gesamten Jugendhilfebereich umstrukturiert hat. Das ist in der Tat in diesem Bericht erkennbar.
Aber es ist auch erkennbar - das ist das eigentlich Bedauerliche -, daß seitens des Bundes, der Länder und der Kommunen viel zu wenig getan worden ist, um den Charakter der Jugendpolitik als fünftes Rad am Wagen der Politik zu beenden und dem etwas Zukunftweisendes entgegenzusetzen.
Ich stelle fest, daß es so etwas wie eine neue Jugendfeindlichkeit in unserer Gesellschaft gibt. Jugendliche kommen als Störer, als Randalierer, als Graffiti-Schmierer, als diejenigen in den Blick, die laut und rücksichtslos sind und die falschen Parteien wählen. Jugendliche werden vornehmlich zum Objekt der von uns Erwachsenen erlebten und eingebildeten Freiheitseinschränkungen. Das fängt bereits in der Familie an, wenn das kleinste Zimmer zum Spielzimmer der Kinder gemacht wird, geht über den öffentlichen Stadtraum, wenn Jugendliche und Kinder
verdrängt werden, ihnen weniger Platz eingeräumt wird, und endet schließlich dabei, daß Ausbildungs- und Studienplätze abgebaut werden, weil uns beim Sparen die Jugendlichen immer zuerst einfallen.
Wir müssen nicht nur danach fragen, welche Probleme uns die Jugend macht, sondern vielmehr danach, welche Probleme die Jugend selbst hat. Denn Skandale und Provokationen der Jugend haben sehr viel mit uns und unserer Generation und unseren Wertmaßstäben zu tun. Wir dürfen deshalb der jungen Generation nicht in den Rücken fallen, sondern wir müssen ihr den Rücken stärken. Ein breit angelegter Generationenvertrag ist erforderlich. Das fängt beim vieldiskutierten Familienlastenausgleich an und reicht weiter in alle Politikfelder hinein. Jugendpolitik muß Querschnittspolitik sein und darf sich nicht selber in die Situation bringen, in der sich die Jugendlichen bereits befinden, nämlich sich ihr Recht erst einmal erkämpfen zu müssen.
Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zum Bericht der Sachverständigen gesagt, sie wolle sich der Aktualität der Lage stellen. Man höre genau hin: Sie wolle die Evaluation unabhängiger Sachverständiger nutzen und sich herausfordern lassen. Tun Sie das, Frau Nolte, Sie haben unsere Unterstützung, wenn Sie über Appelle und über die bloßen Ankündigungen hinaus neue Politik machen! Wir brauchen eine neue Politik im Jugendbereich. Sie tragen die Verantwortung. Sie haben Gestaltungsspielraum.
Aber wir wissen alle: Zuständig für die Jugendpolitik sind die Länder und die Kommunen. Im Prozeß der deutschen Einheit hätten wir jedoch alle sagen können, daß die Wende es gebietet, daß der besonderen Situation der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern eine besondere Anstrengung der Bundesregierung entspricht.
An zwei Beispielen will ich Ihnen kurz skizzieren, wo die Bundesregierung dies getan hat, nämlich im Krankenhausbereich durch Ihren Kollegen Seehofer und im Bereich der Seniorenheime durch Ihre Vorgängerin im Seniorenbereich, Frau Rönsch. Dort sind mittelfristige Investitionsprogramme über zehn Jahre aufgelegt worden. Im Jugendhilfebereich ist gar nichts passiert. Die bauliche Substanz der Räume ist katastrophal. Im Grunde fehlen auch Räume. Wir müssen Investitionen im Jugendbereich vornehmen. Die Jugendpolitik umfaßt nicht nur konsumtive Ausgaben, sondern auch investive Ausgaben. Das müssen wir begreifen, um die Chancen der Jugend zum Zuge zu bringen.
Frau Ministerin, Ihre Beamten sprechen die Finanzierungsinstrumente an, die für die Kommunen im Osten unserer Republik bereitgestellt wurden. Da sind das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost, die kommunale Investitionspauschale und der Fonds Deutsche Einheit. Aber Sie wissen alle, daß diese Mittel direkt an die Länder und Kommunen übergeben worden sind und, angekommen in den Ländern
Thomas Krüger
und Kommunen, sich überhaupt nicht im Bereich der Jugendhilfe ausgewirkt haben, weil natürlich die Vertreter, die Dezernenten, die Minister im Jugendbereich keine Chance gehabt haben, von diesem Kuchen etwas abzubekommen. Die Verkehrspolitiker waren stärker, die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitiker waren stärker. Im Jugendhilfebereich ist somit faktisch sehr wenig passiert. Sie bzw. Ihre Vorgängerin hätten versuchen müssen, einen Sockel oder eine Quote bei diesen Investitionspauschalen einzurichten. Dann wäre auch die Garantie dafür gegeben, daß im Jugendbereich etwas ankommt. Angekommen ist jedenfalls herzlich wenig.
Was ABM und Maßnahmen nach § 249h Arbeitsförderungsgesetz betrifft, weiß jeder: Das sind notwendige Instrumente für die Übergangszeit gewesen. Aber die Jugendpolitik braucht Kontinuität und Qualität. Das bieten diese arbeitsmarktpolitischen Instrumente viel zu wenig.
Lassen Sie mich noch etwas zu den Sonderprogrammen sagen. „Sommer der Begegnung"; „Aufbau freier Träger"; zum AgAG-Programm ist schon etwas gesagt worden: Ich fand, „Sommer der Begegnung" und „Aufbau freier Träger" waren - das sage ich aus eigener Erfahrung als früherer Berliner Jugendsenator - Programme, die mit heißer Nadel genäht waren, waren Programme, die am Bedarf in den Kommunen und Ländern oft völlig vorbeigingen.
Da ist dann vielleicht der unionsnahe Jugendverein „Frischluft" auf die Jagd gegangen und hat in Thüringen und in Sachsen-Anhalt Jugendliche gesammelt und sie mit Jugendlichen aus den westdeutschen Bundesländern in Kontakt gebracht. Das ist ja alles ganz in Ordnung. Aber es ist sehr viel Geld dieses Programmes versandet, und das weiß ich durch die Besprechungen im Bereich der Jugendminister und der Beamten, die in diesem Bereich immer wieder darüber geklagt haben,
daß die Mittelansätze viel zu kurzfristig bereitgestellt worden sind und im Grunde überhaupt nicht strukturell gewirkt haben.
Beim „Aufbau freier Träger" gab es den Fortbildungsbereich. Sehr wichtig ist die Fortbildung von Mitarbeitern im Bereich der Jugendhilfe - zweifelsohne -, aber es ist so, daß diese Fortbildungsmaßnahmen die eigenen Ansätze von Fortbildungs- und Bildungsträgern in den neuen Ländern verstellt haben, weil die Tagessätze viel zu hoch waren und deshalb letztendlich die Arbeitsansätze, die vor Ort da waren, kaputtgemacht worden sind.
Ich glaube, daß hier erst am Schluß des Programmes einigermaßen eine Koordination zwischen Bundesprogramm und Ländern stattgefunden hat. Deshalb ist dieser Teil verhältnismäßig vertan gewesen. Man muß doch die Strukturen vor Ort fördern und
aufbauen und nicht durch solche Instrumente kaputtmachen.
Ich möchte schließlich noch ein Wort zum Bereich der Jugendklubs sagen. Es wird immer beklagt, daß in den neuen Ländern, in den großen Städten, in den Plattenbausiedlungen die Jugendklubs kaputtgegangen seien. Die Architektur in diesen Plattenbausiedlungen ist kinder- und jugendfeindlich. Das muß man ganz klar sagen. Es gibt in diesem Bereich keine geschützten Räume für Jugendliche.
Die wenigen vorhandenen Anlaufstellen sind oftmals kaputtgemacht worden. Es waren nicht der wirtschaftliche und ideologische Zusammenbruch, wie die Bundesregierung bzw. die Beamten Ihres Ministeriums, Frau Nolte, in die Stellungnahme hineinschreiben, die daran Schuld tragen, sondern ursächlich war in der Tat die Wende und die Situation, die ich vorhin schon angesprochen habe, nämlich das Recht der Stärkeren: In der Wendezeit hat sich sozusagen das Recht des Stärkeren auf die Tagesordnung gesetzt, und die Stärkeren haben sich natürlich die Jugendräume genommen. Sie haben sich die Räume angeeignet und für andere Zwecke verwandt - sicherlich für wichtige Zwecke -, aber jetzt steht man vor dem Ruin und hat oftmals keine Räume mehr. Das, denke ich, ist ein schwerwiegender Gesichtspunkt.
Sie sollten hier in diesem Bericht weniger kaschieren, als die Probleme beim Namen nennen. Das Problem ist ein strukturelles. Jugendpolitik ist das fünfte Rad am Wagen.
Da muß man etwas entgegensetzen. Ich nehme da keine der Parteien, die in diesem Parlament sind, von der Verantwortung aus; denn auch in Bund, Ländern und Kommunen tragen alle diese Parteien mehr oder weniger Verantwortung.
Ich komme zum Schluß: Die Jugendkulturarbeit, meine Damen und Herren, halte ich für einen ganz wesentlichen Ansatzpunkt. Sie haben gesagt, daß Sie neue Antworten, neue Impulse aufgreifen wollen. Jugendkulturarbeit sagt, daß man bei den Stärken der Kinder und Jugendlichen ansetzen will und nicht bei den Schwächen. Wenn man die Stärken fördert, selbstbewußte Kinder und Jugendliche unterstützt, dann hat Jugendkulturarbeit in der Tat einen Investitionscharakter. Diesen sollten wir versuchen auszubauen.
Für die Jugendsozialarbeit heißt das, daß sie nicht aufgehoben werden sollte, sondern daß ihre Arbeitsbereiche enger umrissen werden sollten, beispielsweise im Bereich der Jugendberufshilfe für benachteiligte Jugendliche. Jugendkulturarbeit ist einer der wesentlichen Gesichtspunkte, die wir fördern können.
Sie haben dazu die Möglichkeit, Frau Nolte. Sie können nämlich im Kinder- und Jugendplan des Bundes für den Bereich der Kinder- und Jugendkulturarbeit mehr Mittel als bisher zur Verfügung stel-
Thomas Krüger
len. Sie haben jedenfalls meine persönliche Unterstützung, wenn Sie sich da auch mit dem einen oder anderen Platzhalter im Bereich der Jugendhilfe anlegen und wirklich umverteilen. Jugendpolitik muß sich die Gestaltung auf die Fahnen schreiben und nicht die Bewahrung des Status quo. Dann wird es nämlich immer schlimmer.
Vielen Dank.