Rede von
Klaus
Riegert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung unternimmt erhebliche finanzielle Anstrengungen, um die neuen Länder und ihre Gemeinden in die Lage zu versetzen, eine freie Wohlfahrtspflege und eine freie Jugendarbeit aufzubauen.
Verbände, Initiativen und freie Träger sind Rückgrat der Jugendpolitik in einer freien Gesellschaft.
Im Gegensatz zur öffentlichen Jugendhilfe als Aufgabenbereich der kommunalen Selbstverwaltung erweist sich der Aufbau pluraler Trägerstrukturen in den neuen Ländern als schwierig. Warum? Freie Träger spielten in der alten DDR keine Rolle. Im Gegensatz zur Vielfalt der Jugendverbände in der alten Bundesrepublik gab es in der DDR neben kirchlichen Verbänden nur die FDJ als Monopolverband, verpflichtet dem Programm und den Beschlüssen der SED. Hier herrschte das Prinzip der „freiwilligen Zwangsmitgliedschaft" . Durch ihr Leben in der DDR waren junge Menschen daran gewöhnt, nicht nur bevormundet und gegängelt, sondern in hohem Maße auch versorgt und betreut zu werden.
Vor diesem Hintergrund muß der Aufbau der freien Wohlfahrtspflege und einer freien Jugendhilfe gesehen werden. Wesentliche Hilfen wurden den neuen Ländern und Kommunen über den Fonds Deutsche Einheit, das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost und die kommunale Investitionspauschale geleistet. Darüber hinaus hat der Bund - ich betone: übergangsweise - Angebots- und Leistungslücken von Ländern und Kommunen auch im Sozial-, Kultur-, Sport- und Freizeitbereich durch gezielte Förderprogramme, Zuwendungen und andere Hilfen zu überbrücken und auszufüllen versucht. So enthält der Kinder- und Jugendplan des Bundes kommunale und landesspezifische Fördermaßnahmen für die neuen Bundesländer. Er soll die fachlichen und finanziellen Schwierigkeiten dort überwinden helfen.
Die 1991 um rund 48 Millionen DM aufgestockten Mittel im Kinder- und Jugendplan hat das Jugendministerium Jahr für Jahr fortgeschrieben. Danach erhalten auch die Jugendverbände einen erheblichen Anteil für zusätzliche Aufgaben in den neuen Bundesländern.
Es ist ein Erfolg, daß ein großer Teil der bislang vom Bund aufgebrachten Sondermittel in den Kinder- und Jugendplan überführt und fortgeschrieben werden konnte. Dies als Verringerung zu bezeichnen ist eine unzulässige Verkürzung der Wahrheit.
Die SPD kennt die korrekten Zusammenhänge.
Vergleicht man die Fördermittel von 1985 mit dem Volumen 1995, so stellt man fest, daß die Mittel für den Bundesjugendplan um 87 % von 111 Millionen DM auf 208 Millionen DM erhöht wurden. Dies ist mehr als der zwischenzeitliche Zuwachs der Fördersätze.
Meine Damen und Herren, es stand von vornherein fest, daß die Sondermittel mit zunehmender Leistungsfähigkeit von kommunalen Jugendämtern und Landesjugendbehörden reduziert werden sollten. Dies erfordern schon unsere föderale Verfassung und die korrespondierende Finanzverfassung, die für die Kommunen und die Landesparlamente nicht nur eigenständige Aufgaben, sondern auch die dafür erforderlichen Mittel vorsehen.
Klaus Riegert
Mit der von den Ministerpräsidenten der alten und der neuen Bundesländer einheitlich begrüßten Neuordnung des Bund-Länder-Finanzausgleichs ab 1995 ist der Zeitpunkt gekommen, zu dem die neuen Länder nun die Finanzierung ihrer eigenen Aufgaben und Zuständigkeiten zu übernehmen haben. Es geht nicht an, immer neue, zusätzliche Finanzierungsanforderungen an den Bund nachzuschieben, gleichgültig ob mehr Geld für Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit oder Kindergärten gefordert wird.
Sie vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN offenbaren hier ein gestörtes Verhältnis zu unserer Verfassung.
Unsere Hinweise auf die verfassungsgemäße Kompetenzverteilung, auf die Systemwidrigkeit und auf die verfassungsrechtliche Problematik von Sonderprogrammen sind keine - wie Sie in Ihrem Antrag formuliert haben - formalistischen Hinweise und Verweise.
Auch die Sozialdemokraten haben Probleme mit unserer föderalen Ordnung, da sie immer wieder an der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung vorbei Geld vom Bund fordern.
Wir werden solche Vorschläge nicht aufgreifen - Herr Fischer, hören Sie ruhig zu -; ganz abgesehen davon sind offensichtlich genügend Finanzmittel vorhanden. Der Magdeburger SPD-Finanzminister Wolfgang Schaefer entdeckte beim Kassensturz 1,4 Milliarden DM in seinem Haushalt, die 1994 nicht ausgegeben wurden. Mit Blick auf die Transfers in die neuen Bundesländer meinte er: Innerhalb von fünf Jahren kann man so viele hundert Milliarden Mark nicht sinnvoll ausgeben. - Ich meine, man könnte sie sinnvoll ausgeben, zumindest einen Teil in der Jugendhilfe. Auch sonst sind genügend sinnvolle Aufgaben vorhanden.
Die Probleme liegen woanders. Die Bereitschaft junger Menschen, sich in Staat und Gesellschaft zu engagieren, ist nach Auskunft des Neunten Jugendberichts nicht sehr verbreitet. Diesen Sachverhalt illustriert folgendes Beispiel: Nachdem ein Haus für die jugendlichen Punks der Stadt zur Verfügung stand, war keiner der Jugendlichen bereit, die Verantwortung zu übernehmen und den Mietvertrag zu unterschreiben oder sich mit den erforderlichen rechtlichen Bestimmungen auseinanderzusetzen.
Es gibt zwar Ansätze zur Selbstorganisation, aber noch kommt dem Jugendamt die Rolle des Zugpferdes zu.
Mit der Bildungsoffensive Ost haben wir ein Projekt zur umfassenden Vermittlung von Wissen und Können für die Sportjugend in den neuen Bundesländern gestartet. Durch eine Fülle von Bildungsveranstaltungen für ehren- und hauptamtliche Helfer in den neuen Ländern hat diese Maßnahme wesentlich zum Aufbau von Sportjugendverbänden beigetragen.
Die vom Neunten Jugendbericht vorgelegte fachliche Bilanz ist ermutigend. Betrachtet man den heutigen Stand des Aufbaus der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern, so kann festgestellt werden, daß strukturell wichtige Rahmenbedingungen für eine KJHG-konforme Jugendhilfe geschaffen wurden. Nach wie vor müssen jedoch zentrale Prinzipien einer präventiven, plural organisierten und an den Interessen der Betroffenen orientierten Jugendhilfe eingefordert werden. Hier sind besonders die Länder und die Kommunen in der Pflicht. Wir werden sie aus dieser Pflicht nicht entlassen.