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    Plenarprotokoll 13/25 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 25. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. März 1995 Inhalt: Tagesordnungspunkt 12: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Situation der Kinder und Jugendlichen und die Entwicklung der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern - Neunter Jugendbericht - mit der Stellungnahme der Bundesregierung zum Neunten Jugendbericht (Drucksache 13/70) Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 1779 B Dr. Edith Niehuis SPD 1782 B Wolfgang Dehnel CDU/CSU 1784 D Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1786 B Dr. Edith Niehus SPD 1787 C Heinz Lanfermann F.D.P 1789 B Rosel Neuhäuser PDS 1790 C Klaus Riegert CDU/CSU 1792 B Thomas Krüger SPD 1793 D, 1799 B Klaus Riegert CDU/CSU 1794 A Jürgen Türk F.D.P 1796 A Monika Brudlewsky CDU/CSU 1797 C, 1799 C Ursula Mogg SPD 1799 D Kersten Wetzel CDU/CSU 1801 C Klaus Hagemann SPD 1802 D Helmut Jawurek CDU/CSU 1804 C Thomas Krüger SPD 1805 C Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. 1806 B Eckart von Klaeden CDU/CSU 1806 C Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von dem Abgeordneten Manfred Müller (Berlin) und der weiteren Abgeordneten der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes (§ 116) (Drucksache 13/581) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Abgeordneten Annelie Buntenbach, Kerstin Müller (Köln), Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgeseizes (§ 116) (Drucksache 13/691) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiederherstellung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen (Drucksache 13/715) Rudolf Dreßler SPD 1807 C Andreas Storm CDU/CSU 1809 B Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1810 D Uwe Lühr F.D.P 1811 D Manfred Müller (Berlin) PDS 1812 D Wolfgang Vogt (Düren) CDU/CSU 1813 D Adolf Ostertag SPD 1814 C Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär BMA . 1816 B Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes (Drucksache 13/204) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Rita Grießhaber und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Zeit und Geld für Kinder (Drucksache 13/711) Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1817 C Walter Link (Diepholz) CDU/CSU 1818 B Hildegard Wester SPD 1819 D Heinz Lanfermann F.D.P. 1821 D Heidemarie Lüth PDS 1823 A Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Cern Özdemir, Christa Nickels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Beschränkung der Ab-schiebungshaft von Ausländerinnen und Ausländern (Drucksache 13/107) Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1824 A Eckart von Klaeden CDU/CSU 1825 C Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD 1826 D Dr. Max Stadler F.D.P. 1828 B Ulrich Irmer F.D.P 1828 D Ulla Jelpke PDS 1829 D Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 1830 B Dr. Winfried Wolf PDS 1831 A Dieter Wiefelspütz SPD 1831 B Nächste Sitzung 1831 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 1832* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 1832* C 25. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. März 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), BÜNDNIS 10. 3. 95 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Blunck, Lilo SPD 10. 3. 95** Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 10. 3. 95** Dr. Däubler-Gmelin, SPD 10. 3. 95 Herta Eichstädt-Bohlig, BÜNDNIS 10.3. 95 Franziska 90/DIE GRÜNEN Eymer, Anke CDU/CSU 10. 3. 95 Genscher, F.D.P. 10. 3. 95 Hans-Dietrich Dr. Glotz, Peter SPD 10. 3. 95 Hanewinckel, Christel SPD 10. 3. 95 Hauser CDU/CSU 10.3. 95 (Rednitzhembach) Hansgeorg Heistermann, Dieter SPD 10. 3. 95 Heym, Stefan PDS 10. 3. 95 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 10. 3. 95 Dr. Jacob, Willibald PDS 10. 3. 95 Kanther, Manfred CDU/CSU 10. 3. 95 Knoche, Monika BÜNDNIS 10. 3. 95 90/DIE GRÜNEN Kunick, Konrad SPD 10. 3. 95 Labsch, Werner SPD 10. 3. 95 Leidinger, Robert SPD 10. 3. 95 Leutheusser- F.D.P. 10. 3. 95 Schnarrenberger, Sabine Limbach, Editha CDU/CSU 10. 3. 95 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 10. 3. 95 Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 10. 3. 95 Dr. Scheer, I Iermann SPD 10. 3. 95* Schmidt (Aachen), SPD 10. 3. 95 Ursula Schumann, Ilse SPD 10. 3. 95 Schwanitz, Rolf SPD 10. 3. 95 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 10. 3. 95 Christan Dr. Skarpelis-Sperk, SPD 10. 3. 95 Sigrid Sorge, Wieland SPD 10. 3. 95 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Steindor, Marina BÜNDNIS 10. 3. 95 90/DIE GRÜNEN Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 10. 3. 95 Vergin, Siegfried SPD 10. 3. 95 Vosen, Josef SPD 10. 3. 95 Welt, Jochen SPD 10. 3. 95 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 10. 3. 95 Wohlleben, Verena SPD 10. 3. 95 Zierer, Benno CDU/CSU 10. 3. 95 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 13/28 Drucksache 13/112 Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, daß sie die Anträge „Solidarität mit Salman Rushdie und Appell gegen die Einschränkung von Meinungsfreiheiten", Drucksache 13/548, und „Beteiligung einer Delegation des Deutschen Bundestages an der VN-Konferenz in Berlin vom 23. März bis 7. April 1995", Drucksache 13/315, zurückzieht. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Innenausschuß Drucksache 13/218 Nr. 1 Drucksache 13/218 Nr. 3 Drucksache 13/218 Nr. 4 Drucksache 12/7654 Nr. 3.1 Finanzausschuß Drucksache 13/218 Nr. 13 Drucksache 13/218 Nr. 15 Drucksache 13/218 Nr. 18 Haushallsausschuß Drucksache 13/218 Nr. 21 Drucksache 13/343 Nr. 2.27 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/218 Nr. 22 bis Nr. 56 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/218 Nr. 99 Drucksache 13/218 Nr. 101 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/218 Nr. 107
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    Rede von Dr. Edith Niehuis


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Sehr geehrter Kollegen und Kolleginnen! Der Neunte Jugendbericht beschäftigt sich mit der Situation der Jugendlichen in den neuen Bundesländern und versucht zugleich eine Bewertung der bisher erfolgten jugendpolitischen Arbeit.
    Ich möchte der Sachverständigenkommission für den ausführlichen Bericht ausdrücklich danken, insbesondere auch für den Versuch, DDR-Vergangenheit und die politische Entwicklung nach der Vereinigung in einen Zusammenhang zu stellen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Der Bericht gibt uns in der Politik durch seine ausführliche und abwägende Art eine Möglichkeit, die deutsche Vereinigung und ihre Folgen sowie insbesondere den politischen Handlungsbedarf hinsichtlich der Situation der Jugendlichen noch einmal zu überdenken. Es ist sehr bedauerlich, daß die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme diese Chance nicht ergriffen hat und im Niveau gegenüber dem Sachverständigenbericht deutlich abfällt.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    In ihrer Stellungnahme zeigt sich die Bundesregierung unfähig, die Lebenssituation junger Menschen in den neuen Bundesländern in ihrer Differenziertheit überhaupt wahrzunehmen. Die Stellungnahme verkommt zu einer äußerst platten Regierungspropaganda.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Junge Menschen haben einen Anspruch darauf, daß eine Bundesregierung Probleme zur Kenntnis nimmt und alles politisch Mögliche tut, zur Problemlösung beizutragen. Das gravierendste Problem ist die Ausbildungsplatz- und dann Arbeitsplatznot junger Menschen in den neuen Bundesländern.
    Mir ist unverständlich, wie die Bundesregierung den von den Sachverständigen vorhergesagten Ausbildungsnotstand zufrieden mit dem Satz kommentiert - Frau Nolte hat das auch heute getan -, daß dieser auch 1993 abgewendet werden konnte. Sie verschleiern mit diesem Satz die Tatsache, daß in den neuen Bundesländern eine bedenkliche Ausbildungsplatzlücke besteht; denn die Hälfte der sich um einen Ausbildungsplatz bemühenden Jugendlichen bekommt keinen betrieblichen Ausbildungsplatz.
    Nur durch staatliche Programme, durch außerbetriebliche Ausbildung, kann die Krise der dualen Berufsausbildung verschleiert werden.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Wir wissen, daß in unserem System außerbetriebliche Ausbildung häufig nur eine Warteschleife ist und daß die Aussicht auf einen Arbeitsplatz am ehesten über einen betrieblichen Ausbildungsplatz gegeben ist.
    Junge Menschen können von der Politik erwarten, daß ihre Probleme nicht einfach quantitativ-statistisch wegdiskutiert werden, wie die Bundesregierung es versucht, sondern ernstgenommen werden. Dieses Hinwegsehen über Probleme kann zu Enttäuschungen mit möglicherweise schwierigen gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen führen, insbesondere dann, wenn die Jugendlichen große Erwartungen an die deutsche Vereinigung haben, wie die Studie gezeigt hat.
    Junge Menschen wollen spüren, daß die Gesellschaft, daß die Arbeitswelt sie braucht. Das gilt grundsätzlich. Das gilt aber noch mehr, wenn man aus der DDR-Vergangenheit heraus stark arbeitszentrierte Werte gewohnt ist. Daß 38 % der 21- bis

    Dr. Edith Niehuis
    24jährigen in den neuen Bundesländern Sozialhilfe oder andere Transferleistungen als Haupteinnahmequelle haben und bereits jeder dritte Sozialhilfeempfänger in den neuen Bundesländern jünger als 18 Jahre ist, ist eine bedenkliche Situation.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Doch die Bundesregierung wiegelt ab und verweist darauf, alles sei in Ordnung, weil dank Sozialhilfe Armut und Not gelindert werde. Es ist richtig: Sozialhilfe soll materielle Not lindern. Aber ein Jugendbericht handelt von jungen Menschen. Dann geht es eben nicht nur um den materiellen Aspekt von Sozialhilfe, sondern auch darum, daß junge Menschen Perspektiven brauchen.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Aber gerade Perspektiven - das wissen Sie wie ich - vermitteln Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe und das Fehlen von Ausbildungsplätzen nicht.
    Ein besonderes Augenmerk müssen wir dabei auf die noch schwierigere Situation junger Frauen richten. Angesichts der hohen Frauenarbeitslosigkeit, weil Frauen nämlich als erste von Kündigungen betroffen waren, als letzte wieder in die Erwerbstätigkeit integriert werden und schwer Ausbildungsplätze finden, ist es zynisch, wenn die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme darauf verweist, daß Frauen nach der Vereinigung nun endlich eine Wahlmöglichkeit zwischen Familie und Beruf hätten, die ihnen in der DDR verwehrt worden sei.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Muß ich Sie denn wirklich daran erinnern, daß eine von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Studie über „Frauen in mittlerem Alter" hinsichtlich der Wahlmöglichkeit von Frauen bereits vor Jahren feststellte:
    Das proklamierte Leitmotiv während der letzten Jahre hieß, „Wahlfreiheit" für verschiedene Lebensentwürfe von Frauen zu erhalten und zu fördern. De facto ging es aber darum, die Wahl zugunsten der „Ganztagshausfrau" zu stützen. Verschwiegen wurde dabei oft, daß mit jeder Wahl erhebliche, z. T. nicht umkehrbare Folgen und Risiken verbunden sind - und zwar materielle, soziale und psychische.
    Dieses Grundproblem unserer Gesellschaft erreicht jetzt die jungen Frauen im Osten. Jetzt suggeriert man ihnen die Wahlfreiheit zwischen Familie und Beruf, obwohl sie in der Realität schwer zu finden ist. Junge Frauen im Osten reagieren auf diese Täuschung in der Umbruchsituation sehr konkret. Der Rückgang der Geburtenrate seit 1989 in den neuen Bundesländern um zwei Drittel spricht eine überaus deutliche Sprache.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Vieles, was sich in den neuen Bundesländern in dramatischer Weise als Schwierigkeit zeigt, ist bereits in den alten Bundesländern als Problem angelegt. Das gilt für die Wahlfreiheit zwischen Beruf und Familie. Das gilt aber auch für die angesprochene Ausbildungsnot, die sich als zunehmender Ausbildungsmangel auch im Westen abzeichnet, wie der Entwurf des Berufsausbildungsberichts 1995 der Bundesregierung zeigt. Industrie und Handel versuchen, sich aus ihrer Verantwortung, die sie in der dualen Berufsausbildung haben, zu stehlen. Um der jungen Menschen willen, Frau Nolte, sollten Sie diese Situation nicht verschleiern, sondern endlich Konzepte auf den Tisch legen, die diese bedenkliche Situation abwenden.

    (Beifall bei der SPD und der PDS)

    Auf Grund dieser schwierigen Ausbildungs- und Arbeitsplatzsituation, aber auch grundsätzlich muß unser Augenmerk besonders auf den Ausbau freier pluraler Träger in der Jugendhilfe gerichtet sein. Dazu eine grundsätzliche Bemerkung, weil sich in Ost und West etwas Ähnliches abzeichnet, wenn auch in unterschiedlicher zeitlicher Folge.
    Dadurch, daß das Kinder- und Jugendhilfegesetz Angebote für Kinder und Jugendliche in einem Gesetz zusammenfaßt, kommt es sowohl in Ost als auch in West zu einer nicht wünschenswerten Konkurrenzsituation zwischen Kindern und Jugendlichen auf kommunaler Ebene. Nach der Vereinigung legten die ostdeutschen Länder und Kommunen großen Wert darauf, ihre Kindertagesstätten zu erhalten, was zu Lasten der finanziellen Unterstützung der Jugendhilfe ging. Auf Grund des Rechtsanspruches auf einen Kindergartenplatz müssen wir auch im Westen nun beobachten, daß die Umsetzung dieses Rechtsanspruches zu Lasten der Jugendhilfeangebote geht. Hier liegt eine grundsätzliche Problematik des KJHG oder seiner Implimentation. Diese finanzielle Konkurrenzsituation von Kinder- und Jugendarbeit ist nicht gut. Darum erwarten wir von der Bundesregierung alsbald Vorschläge, die geeignet sind, diese verheerende Entwicklung abzuwenden.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Neben dieser grundsätzlichen Problematik gilt es, hinsichtlich der neuen Bundesländer zu überprüfen, wie die Anstrengungen der Bundesregierung zu beurteilen sind, nach der Einheitsjugend FDJ eine plurale freie Trägerstruktur aufzubauen.
    Mit Stolz verweist die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme darauf, daß nach der deutschen Vereinigung ca. 217 Millionen DM in die Programme der freien Jugendhilfe Ost geflossen sind.
    Doch, sehr verehrte Damen und Herren, in dieser historischen Umbruchsituation war nicht nur Quantität, sondern auch Qualität gefordert. Es geht um die Frage, wie effektiv die finanziellen Mittel denn eigentlich eingesetzt wurden. Die SPD hat Sie zeitig und immer wieder und von diesem Pult aus vor einer Politik der konzeptionslosen kurzfristigen Sonderpro-

    Dr. Edith Niehuis
    gramme gewarnt und stets darauf hingewiesen, daß durch diese kurzatmige Jugendpolitik zwar viel Geld in die neuen Bundesländer fließt, aber der langfristige Erfolg nur gering ist.
    Der Neunte Jugendbericht bestätigt nun unsere Kritik. Dort heißt es - ich zitiere -:
    Der Aufbau der freien Träger der Jugendhilfe in den fünf neuen Bundesländern bedarf einer kontinuierlichen und verläßlichen finanziellen Förderung. Die bisherige Förderpolitik eröffnet den freien Trägern weder klare konzeptionelle noch förderpolitische Perspektiven, von Planungssicherheit kann nahezu nirgendwo die Rede sein.
    Deutlicher kann man die konzeptionslose Jugendpolitik der Bundesregierung nicht kritisieren.

    (Beifall bei der SPD)

    Die freie Jugendhilfe Ost steht mitten in der Aufbauphase jetzt vor der Situation, daß nach einer ausgesprochen großzügigen Anfangsförderung nun mangels Anschlußförderung manches Aufgebaute beendet, zerstört werden muß. Da, Frau Nolte, hilft der Appell an die anderen nicht, daß sie etwas tun müssen. Sie haben mit einer ausgesprochen großzügigen Anfangsförderung begonnen; nun können Sie nicht alle vor das Nichts stellen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Ich will in diesem Zusammenhang auch etwas Kritisches zum Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt sagen. Viele, die dieses Programm loben - es gibt viele, die das tun -, loben es, weil sie aus unterschiedlichen Motiven froh sind, daß überhaupt Geld geflossen ist. Dies kann in einer verantwortlichen Politik aber nicht der alleinige Maßstab sein. Ich bleibe dabei: Es wäre besser gewesen, dieses Geld wäre in den Aufbau einer präventiven Jugendarbeit geflossen, die, wenn sie gut ist, auch zur Aggression neigende Jugendliche mit erfaßt hätte.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Mit diesem Sonderprogramm hingegen haben Sie zweierlei bewirkt: Ganze Regionen haben keine Chance gehabt, daraus Fördermittel zu bekommen, weil ihr Gewaltindex einfach nicht hoch genug war. Das hat mit dem Aufbau flächendeckender pluraler Jugendarbeit nichts zu tun. Zweitens haben Sie eine Antragslyrik erzeugt - so heißt es im Neunten Jugendbericht -, die so manche Jugendliche nur wegen der Fördermittel zu „gewaltbereiten Jugendlichen" abgestempelt hat.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

    Wenn Sie der SPD und auch dem Neunten Jugendbericht nicht glauben wollen, dann glauben Sie vielleicht dem sächsischen Innenminister Eggert (CDU),
    der laut Bericht der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" vom 2. Juli 1994 auf der Dresdner Tagung unter dem Motto „Unterwegs zur Einheit", folgendes sagte - ich zitiere -:
    Vor kurzem habe er einen Runden Tisch zum Thema „Gewalt und Jugend" eröffnet. Auch die Frage an die Jugendpfleger, was sie denn alle täten, hätten alle geantwortet, daß sie dieses Thema bearbeiteten. „Gibt's denn so viel Gewalt?" wollte der Innenminister wissen. „Nein, aber so viele Fördertöpfe", lautete die Antwort.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Sie können mir nicht erzählen, daß dies eine sinnvolle Arbeit für Jugendliche ist. Sie werden den Jugendlichen in ihrer Situation damit nicht einmal gerecht.
    Nach fünf Jahren deutscher Vereinigung steht die Bundesregierung vor einer schlechten Bilanz, was Jugendpolitik Ost anbetrifft. In dieser Woche schrieb eine Hamburger Wochenzeitung: In Bonn hat das Schönreden Konjunktur.
    Ich hoffe sehr, daß wir in der weiteren Ausschußarbeit nicht nur schönreden, sondern die Ergebnisse des Neunten Jugendberichts nehmen und daraus das Beste, für die Jugendlichen in den neuen Bundesländern machen.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Als nächster spricht der Abgeordnete Wolfgang Dehnel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Dehnel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Damen und Herren Kollegen! Einige von Ihnen werden sich sicher wundern, daß ich als 50jähriger zu Entwicklungschancen der Jugend sprechen möchte.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Für die CDU sind Sie doch noch jung! Ein junger Hüpfer!)

    Da ich aber am letzten Tag der Jalta-Konferenz geboren wurde, als Roosevelt, Churchill und Stalin gerade die Teilung Deutschlands besiegelten, kann ich schon einige Erfahrungen darüber einbringen, was in den jugendlichen Köpfen in Ost und West damals vorgegangen ist.
    Das Wichtigste jedoch ist, daß ich gerne mit Jugendlichen zusammenarbeite, aber auch mit ihnen streite, wenn es um die Zukunft geht.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das hätten wir nicht anders erwartet!)

    Denn die Jugend von heute und morgen muß mit unseren Entscheidungen von gestern und heute, die wir auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens getroffen haben bzw. noch treffen, leben. Dazu zählen wirtschaftspolitische, umweltpolitische wie wissenschafts- und kulturpolitische, in besonderem Maße auch familienpolitische Entscheidungen.

    Wolfgang Dehnel
    Wenn wir der Jugendpolitik in diesem Rahmen ausreichend Beachtung und Raum bieten, werden die Verwalter des nächsten Jahrhunderts - von einem Jahrtausend möchte ich hier gar nicht sprechen - gewappnet sein, auf den von uns vorgegebenen Gleisen die richtige Fahrt aufzunehmen, aber auch die wichtigen Stopps und Signale zu erkennen.
    Der jetzt vorliegende Neunte Jugendbericht über die Situation der Kinder und Jugendlichen und die Entwicklung der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern bietet nach meiner Ansicht eine ausgezeichnete Grundlage, um die Wirksamkeit der bisherigen Maßnahmen auf jugendpolitischem Gebiet im östlichen Teil Deutschlands zu analysieren und Aufschluß für die weitere Arbeit und für kommende Entscheidungen zu erhalten.
    Für die wirklich umfassende Fleißarbeit möchte ich dem Erstellerteam im Namen meiner Ausschußgruppe ganz herzlich danken.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jürgen Türk [F.D.P.] Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Rede ist echt gut!)

    - Das glaube ich auch, Herr Fischer.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das groovt so richtig ab!)

    In vielen Punkten und Sichtweisen stimmt die Auffassung der Bundesregierung mit den Aussagen des Berichtes überein.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ecstasy ist nichs dagegen!)

    Das zeigten die Ausführungen meiner Kollegin Frau Ministerin Claudia Nolte in überzeugender Weise, anders als Sie, Frau Niehuis, das hier darstellen wollten.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ich selbst aber kann ein in dem Bericht enthaltenes gewisses Bedauern über das Wegbrechen der Geborgenheit in der Ex-DDR nicht nachvollziehen.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das kann ich mir vorstellen!)

    Das Leben der Jugendlichen war doch gleichsam eine „Ver" borgenheit, nämlich hinter Mauern und Stacheldraht, weich gebettet in einer verlogenen Ideologie,

    (Widerspruch bei der PDS)

    fernab von freier Entfaltung und freier Meinungsäußerung, auch fernab von demokratischen Denk- und Handlungsweisen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Ja, z. B. mit der Arbeitslosigkeit! Verdammt nochmal, jetzt kriege ich aber zuviel!)

    liegt doch gerade in dieser verlogenen Geborgenheit begründet. In vielen Trainingsstunden wurden die Hurra-Rufe auf die Parteiführung und das System in die jungen Köpfe eingehämmert. Ist das alles denn schon vergessen?

    (Beifall bei der CDU/CSU Zuruf von der CDU/CSU: Nein!)

    Ja, auch ich wünschte mir heute mehr Enthusiasmus bei jungen Leuten, die durch ihr Vorbild andere mitreißen, wenn es um den Abbau politischer Fronten, aber nicht um den Aufbau von verhärteten oder gar Gewaltfronten geht.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dürfen wir Sie als Redner im Wahlkampf engagieren? Wir bezahlen es auch!)

    Das ist ein Problem, das sich letztlich vollständig erst in der nächsten Generation lösen wird. Es ist eine Erblast, die uns die SED hinterlassen hat.
    Es werden neue Überlegungen notwendig sein, meine Damen und Herren, um mehr Hilfe zur Selbsthilfe leisten zu können. Gerade die Unterstützung von Initiativen der Basis, also der Jugendlichen selbst, bietet größere Erfolgsaussichten als die Streuung von immer mehr Broschüren und Kongressen. So gesehen ist die Bundesregierung auf dem richtigen Weg seit der schwierigen Umstrukturierung des Ausbildungswesens im besonderen und aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens im allgemeinen seit dem Einheitsprozeß.
    Gerade die Jugendlichen haben in vorderster Linie dieser machtvollen, aber friedlichen Bewegung gestanden. Sie wollten Freiheit, Demokratie und Wohlstand in einem Volk.

    (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Halleluja!)

    Weder der Wille noch die ersten freien Wahlen in der Ex-DDR wurden aufgezwungen, sondern erkämpft als logische Folge der im Frühjahr 1990 nicht abebbenden Demonstrationen.
    Von den gewaltigen Umwälzungen des Einheitsprozesses wurden auf dem Arbeitsmarkt aber leider auch die Ausbildungsplätze betroffen. Dem sich jährlich abzeichnenden Ausbildungsplatzmangel hat die Bundesregierung aber in zweifacher Hinsicht entgegengewirkt: zum ersten durch Ausbildungsplatzförderprogramme gemeinsam mit den Landesregierungen und zum zweiten durch ständigen direkten Kontakt mit den Verbänden und Unternehmen.

    (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Sie war ja auch wahnsinnig erfolgreich!)

    Lehrausbildung ist die beste Investition in die Zukunft eines Unternehmens. Das scheinen viele große und mittelständische Unternehmen zunehmend zu vergessen. Sie warten offensichtlich so lange, bis die

    Wolfgang Dehnel
    Regierungen politisch gezwungen werden, wieder aus Steuermitteln außerbetriebliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Solches Verhalten untergräbt unser bewährtes duales Bildungssystem.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Dies ist ein Pokerspiel, das sich später durch mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der betreffenden Unternehmen rächen wird.
    Meine Damen und Herren, den hohen Stellenwert der Benachteiligtenförderung nach dem Arbeitsförderungsgesetz, auf den die Kommission wie auch die Bundesregierung gleichermaßen sensibel reagieren, habe ich in der vergangenen Woche bei einem Besuch einer entsprechenden Ausbildungsstätte sozusagen vor Ort kennengelernt.

    (Hans-Werner Bertl [SPD]: Aber Sie haben hingenommen, den 40c zu streichen!)

    Ich war schon tief beeindruckt, wie der finanzielle Aufwand durch Fördermittel plus menschliche Zuwendung plus Ausbildung gute Ergebnisse in den Zeugnisnoten bringt und - noch wichtiger - Integrationshilfe leistet.
    So zeigt sich für mich abschließend, daß nicht das Geld allein die Welt regieren muß, daß Fördermittel und Transferleistungen nicht in den Sand gesetzt werden, sondern zukunftsträchtig - im besten Sinne des Wortes - angewendet werden.
    Wenn wir uns über solche positiven Erfahrungen wie auch über negative Erscheinungen national und international durch verstärkte Jugendaustauschprogramme näherkommen, fallen die Mauern der Vorurteile und der Voreingenommenheit wie von selbst, vielleicht auch bei der Opposition.
    Danke.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)