Rede von
Eduard
Lintner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte es noch einmal klarstellen: Die Bundesregierung führt keine Verhandlungen mit der Regierung in Belgrad etwa über den Abschluß eines völkervertragsrechtlichen Rückübernahmeabkommens; denn solange die Europäische Union die Bundesrepublik Jugoslawien - das sind Serbien und Montenegro - völkerrechtlich nicht anerkannt hat, stellt sich nicht die Frage, ob und gegebenenfalls welche völkerrechtlichen Verträge mit Jugoslawien geschlossen werden sollen.
Ich kann Ihnen, Herr Kollege Duve, auch den Grund nennen, weil Sie die Position ja kritisiert haben. Der Grund liegt einfach darin, daß Ex-Jugoslawien seinerseits Bosnien-Herzegowina und Kroatien nicht anerkannt hat, wir also diese Position auch aufrechterhalten zum Schutz dieser beiden Staaten vor möglichen Aggressivitäten Ex-Jugoslawiens.
Meine Damen und Herren, die Beachtung dieser Rechtslage ist politisch außerordentlich wichtig - auch in der Diktion, damit erst kein falscher Eindruck auch nach außen hin entstehen kann. Lassen Sie mich also die derzeitige Lage einmal ganz einfach und sachlich darstellen.
Erste Feststellung. Die Bundesrepublik Jugoslawien verweigert in großem Umfang völkerrechtswidrig die Rücknahme der eigenen Staatsangehörigen. Selbst diejenigen Jugoslawen, die freiwillig in ihre Heimat zurückkehren wollen, haben keine Gewähr, in Serbien überhaupt einreisen zu dürfen. Auch der Besitz eines gültigen jugoslawischen Passes allein bietet keine solche Gewähr.
Erst recht verweigert Serbien-Montenegro eigenen Staatsangehörigen, die abgeschoben werden sollen, die Einreise. Das gilt im übrigen vor allem auch für diejenigen, die sich angeblich oder tatsächlich dem Wehrdienst entzogen haben - auch in der Zeit des Krieges, also von Mai 1991 bis Mai 1992.
Zweite Feststellung. Mit dieser Situation ist eben nicht nur die Bundesrepublik Deutschland allein konfrontiert, sondern die übrigen westeuropäischen Staaten stehen vor dem gleichen Problem.
Dritte Feststellung. Das völkerrechtswidrige Verhalten Jugoslawiens führt dazu, daß sich die Zahl der ausreisepflichtigen Jugoslawen im Bundesgebiet fortlaufend erhöht. Die jugoslawische Haltung muß letztlich auch als zusätzlicher Anreiz zur illegalen Zuwanderung gewertet werden, weil eben die illegalen Zuwanderer davon ausgehen können, daß sich ihre Rückführung mit hoher Wahrscheinlichkeit wesentlich verzögern wird.
Im übrigen erlaube ich mir auch hier den Hinweis, daß jeden Monat, meine Damen und Herren, etwa 2 000 bis 3 000 Jugoslawen bei uns einen Asylantrag neu stellen.
Vierte Feststellung. Die von dieser jugoslawischen Haltung betroffenen westeuropäischen Staaten sind sich darin einig, daß dieses völkerrechtswidrige Verhalten so nicht hingenommen werden kann. Deshalb haben z. B. Schweden und die Schweiz bereits Gespräche mit der Regierung in Belgrad geführt. Auch die Bundesregierung hat zu diesem Zweck Gesprächskontakte zur jugoslawischen Seite geknüpft. Dazu haben Vertreter des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums des Innern am 6. und 7. März 1995 Gespräche in Belgrad geführt.
Ich kann über diese Gespräche insgesamt sagen, daß dabei kein Fortschritt erzielt werden konnte. Meine Damen und Herren, insbesondere Herr Duve, nicht mehr und nicht weniger ist Gegenstand dieser Gespräche gewesen und ist bei diesen Besuchen passiert. Die Bundesregierung wird allerdings - wie auch die Schweiz und Schweden - ihre Bemühungen fortsetzen und eine zweite Gesprächsrunde anstreben.
Fünfte Feststellung. Aus diesen Gesprächen wissen wir - wiederum ganz aktuell, aber das entspricht nur der alten Erkenntnis -, daß eben auch denjenigen Fahnenflüchtigen, die in der Zeit des Krieges zu uns gekommen sind, in Ex-Jugoslawien keine derartige Behandlung droht, daß sich daraus ein allgemeines Abschiebehindernis nach unserem Recht ergeben würde.
Diese Erkenntnis entspricht auch den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes, des UNHCR und anderer. Ein Gruppenschutz - ich betone: Gruppenschutz - ist deshalb nicht erforderlich. Ich darf hier zur Begründung oder zur rechtlichen Seite der ganzen Angelegenheit auf die Ausführungen des Kollegen Dr. Hirsch verweisen.
Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
Meine Damen und Herren, unabhängig davon ist es auch verfehlt, in bezug auf die Staatsangehörigen von Serbien-Montenegro von Kriegs- oder Bürgerkriegsflüchtlingen zu sprechen. Eine Kriegssituation besteht in Bosnien und Herzegowina, und nur die von dort Geflüchteten sind Kriegs- oder Bürgerkriegsflüchtlinge. In Serbien und Montenegro herrscht jedoch weder Krieg noch Bürgerkrieg.
Es gibt daher keine Kriegs- oder Bürgerkriegsflüchtlinge aus der Bundesrepublik Jugoslawien.
Die Frage, was bei neuerlichen kriegerischen Auseinandersetzungen wäre, ist erst bei einer neueren Auseinandersetzung zu beantworten. Sie ist nach unserer Rechtslage eindeutig zu beantworten. Es können hier keine Zweifel entstehen.