Rede von
Ulla
Jelpke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben uns erst vor drei Wochen mit den Massenabschiebungen von kroatischen Bürgerkriegsflüchtlingen beschäftigt. Damals sagte der Parlamentarische Staatssekretär Lintner:
Die künftige Entwicklung kann niemand sicher voraussagen. Aber im Moment ist die Lage so stabil, daß es gerechtfertigt ist, davon auszugehen, daß Kriegsflüchtlinge wieder nach Kroatien zurückgebracht werden können.
Herr Lintner und Herr Marschewski, ich möchte Ihnen gerne sagen: Sie hätten sich lieber einmal vorher bei Ihrem Bundesverteidigungsminister Volker Rühe erkundigen sollen. Der weiß nämlich sehr genau, wovon er spricht, wenn er sagt, daß angesichts der „realen Abzugsplanungen für die in Kroatien stationierten UN-Blauhelmsoldaten mit dem Ausbruch militärischer Kämpfe noch in diesem Frühjahr zu rechnen ist".
Die Bundesregierung bereitet sich auf dieses blutige Ereignis auf dem Balkan auf ihre Weise vor. Zuerst wurde beschlossen, alle kroatischen Bürgerkriegsflüchtlinge in ihre kriegsgeschüttelte Heimat zwangsweise zurückzuschicken. Natürlich sehe auch ich, was Herr Burkhard Hirsch eben gesagt hat, daß es ein Fortschritt ist, wenn jetzt in die Gebiete, aus denen die UN-Blauhelme hinausgeworfen werden, nicht abgeschoben werden soll. Aber ich möchte dennoch darauf aufmerksam machen: In dieser Region werden kroatische Soldaten und die der serbischen Minderheit in Kroatien als erste aufeinander schießen, mit all den schrecklichen Konsequenzen für die Zivilbevölkerung und hierbei speziell auch für Frauen; denn die waren bekanntlich im gesamten Verlauf des Balkankrieges systematischen Vergewaltigungen ausgesetzt.
Nun setzt die Bundesregierung dem noch eines darauf: Am 6. März 1995 begannen Verhandlungen mit der Regierung des ehemaligen Jugoslawien. Hierbei geht es um Massenabschiebung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern sowie jugoslawischen Bürgerkriegsflüchtlingen.
Die allgemeine Menschenrechtslage in Serbien und Montenegro ist mehr als besorgniserregend. Ich möchte nur an das Schicksal der jugoslawischen Deserteure erinnern. Diese haben, teilweise unter großen persönlichen Gefahren, ihren Dienst an dem völkermörderischen Krieg, der zwischen Serbien, Kroatien und Bosnien tobt, verweigert. Sie haben Zuflucht in der Bundesrepublik gesucht. Im Falle ihrer Abschiebung haben sie nach Erkenntnissen von Amnesty International mit drakonischen Strafen für ihr vorbildliches Verhalten zu rechnen.
Willy Wimmer, der sich kürzlich im Auftrag der OSZE in Belgrad aufhielt, bezifferte die Zahl der abzuschiebenden jugoslawischen Asylbewerberinnen und Asylbewerber auf 40 000. Zusätzlich erwartet die jugoslawische Seite, daß ihr aus der Bundesrepublik 40 000 bis 50 000 Bürgerkriegsflüchtlinge auf dem silbernen Tablett als Reservearmee zugeschoben werden. Die Bundesregierung möchte so Einfluß auf die innerserbischen Verhältnisse nehmen, um dieses Land berechenbarer zu machen und es wieder an die Staatengemeinschaft heranzuführen.
Ulla Jelpke
Wieso, so frage ich mich, hat sich die Bundesregierung für ihr heikles Spiel ausgerechnet das hochsensible Thema der serbischen Bürgerkriegsflüchtlinge herausgesucht? Für die betroffenen Menschen ist dies ein Spiel mit einem unberechenbaren, womöglich sogar tödlichen Ende. Rest-Jugoslawien ist nicht irgendein Staat. Es ist ein Land, gegen das immer noch Sanktionen in Kraft sind, in dem die Menschenrechte verletzt werden, in dessen Hoheitsgebiet international gesuchte Kriegsverbrecher geduldet werden und das auf einen Krieg zusteuert, der durch den Rausschmiß der UN-Blauhelme aus Kroatien vorgezeichnet ist.
In der geplanten massenweisen Rückführung jugoslawischer und kroatischer Bürgerkriegsflüchtlinge wird deutlich, wie gnadenlos die Bundesregierung ihre Flüchtlings- und Menschenrechtspolitik betreibt. Wenn sie, wie geplant, diese Menschen als Kanonenfutter auf die Schlachtfelder des völkermörderischen Balkankrieges zurückschickt, wer soll dann zukünftig überhaupt noch eine Chance haben, in diesem Land Zuflucht zu finden?