Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Frauen fühlen uns außerordentlich geehrt, daß die Herren der Schöpfung so absolut einverstanden damit sind, daß es einen Internationalen Frauentag gibt. Wenn die Entwicklung so weitergeht, verwandelt sich der Frauentag irgendwann zu einem zweiten Muttertag: Man macht uns Komplimente, man überreicht uns Blumen, man respektiert uns und bittet uns zum Tanz, wie es auch der Abteilungsleiter in meinem früheren Baubetrieb zu tun pflegte. Wir debattieren aus diesem Anlaß sogar zum erstenmal im Deutschen Bundestag. Es fehlt bloß noch, daß man uns das Frühstück an das Bett bringt. Herzlichen Dank!
Als alleinerziehende Mutter aus Ostdeutschland weiß ich sehr gut, wie schwer es in DDR-Zeiten war, Kindererziehung und Beruf unter einen Hut zu bringen. Das ist seit der Wiedervereinigung nicht leichter, sondern noch schwerer geworden. Und mir als Bundestagsabgeordnete geht es ja sehr viel besser als vielen Frauen aus dem Osten, denen man den Stuhl vor die Tür gesetzt und die Küchenschürze wieder umgebunden hat.
Wenn heute über Gleichstellung und Gleichbehandlung diskutiert wird, muß das vielen Frauen wie der blanke Hohn erscheinen. Mit schöner Regelmäßigkeit weist die Statistik des Arbeitsamtes bei mir zu Hause in Südthüringen aus, daß zwei Drittel aller Arbeitslosen Frauen sind - und das unfreiwillig, Frau Kollegin Eichhorn, denn das haben sie sich nicht gewünscht.
Die neuesten Zahlen aus Nürnberg sind alarmierend: Drei Viertel der derzeit 333 000 Langzeitarbeitslosen in Ostdeutschland sind Frauen. Die ostdeutschen Frauen, für die es vor der Wende selbstverständlich war, arbeiten zu gehen, werden von der Katastrophe auf dem Arbeitsmarkt mit brutaler Wucht getroffen; am schlimmsten gilt das für die Gruppe der Über-50-Jährigen. Ohne Hoffnung und Perspektive, jemals wieder ins Erwerbsleben zurückzukehren, gehören diese Frauen in schlimmster Weise zu den Verliererinnen der Einheit.
Aber auch für die Frauen, die Arbeit haben, sieht es oft nicht gut aus. Weil das Geld vorne und hinten nicht reicht, sehen sich viele Frauen gezwungen, die miesesten und am schlechtesten bezahlten Jobs anzunehmen. Oft sind die Wege zum Arbeitsplatz unerträglich weit. Viele fahren täglich in den Westen, weil es zu Hause keine Chance auf einen Arbeitsplatz gibt.
Die konservativen Ideologen, die uns Frauen sowieso zurück an den Kochtopf verbannen möchten, die von der Erfüllung durch Kindererziehung und vom Glück daheim schwärmen, finden diese verhängnisvolle Entwicklung natürlich völlig in Ordnung. Die liberalen Ideologen in ihrem blindem Vertrauen auf die angeblichen Selbstheilungskräfte des Marktes möchten am liebsten alle staatlichen Maßnahmen im Bereich von Arbeitsbeschaffung verhindern, die den in die Arbeitslosigkeit gefallenen Frauen weiterhelfen könnten.
Und die damalige Frauenministerin Merkel, von der man sich wirklich etwas Besseres gewünscht hätte, half federführend dabei mit, ein sogenanntes Gleichberechtigungsgesetz durch die parlamentarischen Instanzen zu prügeln, das seinen Namen nicht verdient hat.
Denn diese „Gleichberechtigung" beschränkt sich auf die Frauen, die beim Bund arbeiten. Sie machen gerade mal 1 % der erwerbstätigen Frauen aus. Für den gesamten Bereich der Privatwirtschaft ist keine Frauenförderung vorgesehen. Die neue Frauenministerin, Frau Nolte, scheint dieser Linie treu zu bleiben. Anstatt die Arbeitslosigkeit mit kreativen Ideen zu bekämpfen, anstatt Arbeit als das vielleicht wichtigste gesellschaftliche Gut gerecht zu verteilen, verdrängt man die Frauen vom Arbeitsmarkt.
Auch mit den Maßnahmen, die unser Entschließungsantrag vorsieht, kann man die Frauenarbeitslosigkeit selbstverständlich nicht von heute auf morgen beseitigen. Aber man kann so dafür sorgen, daß die Frauen wenigstens gleiche Chancen auf einen Arbeitsplatz haben.
An dieser Gerechtigkeit, an dieser Chancengleichheit haben selbstverständlich all diejenigen kein Interesse, deren Frauenbild im 19. Jahrhundert angesiedelt ist. Das sind fast immer nur Männer. Ich betone: Es sind fast nur Männer. Diese Herren reiben
Iris Gleicke
sich verwundert die Augen, wenn sie feststellen müssen, daß vor allem die ostdeutschen Frauen wütend protestieren, wenn es um den § 218 oder darum geht, daß eine ganztägige Kinderbetreuung erhalten bleibt. Diese Herren haben Schwierigkeiten mit selbstbewußten und modernen Frauen, die sich nicht einfach die Butter vom Brot nehmen lassen. Leider gibt es auch Frauen, die diesem konservativen Geschwätz auf den Leim gehen.
Aber in ihrer ganz überwiegenden Mehrheit wissen die Frauen, daß die Arbeitsteilung in der modernen Industriegesellschaft eben nicht zwangsläufig darin besteht, daß sich die einen um den Nachwuchs und den Haushalt kümmern und die anderen das Geld nach Hause bringen und Karriere machen. Nein, es geht um die gerechte Verteilung der gesamten Arbeit, also sowohl der Lohnarbeit als auch der Hausarbeit und der Kindererziehung. Es ist völlig in Ordnung, wenn sich Frauen zeitweise oder ganz für Hausarbeit und Kindererziehung entscheiden, aber bitte, das muß ihre freie Entscheidung sein. Statt dessen werden sie auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert. Das führt auch noch dazu, daß Frauen bei den existenzsichernden Sozialleistungen ins Hintertreffen geraten. Denn unser Rentensystem ist abhängig von der individuellen Erwerbsbiographie: Wer wenig verdient, bekommt wenig Rente. Damit geht die Benachteiligung weiter bis ins Alter.
Um die derzeitige Gleichbehandlung der Frauen in Beruf und Gesellschaft ist es also nicht eben rosig bestellt. Als unverbesserliche Optimistin vertraue ich jedoch darauf, daß die vielen Frauen, die heute noch diskriminiert werden, ihr Schicksal nicht einfach hinnehmen werden.
Ich vertraue darauf, daß sie sich entschieden zur Wehr setzen, und das nicht nur am Internationalen Frauentag, sondern an allen Tagen des Jahres und in allen Bereichen der Gesellschaft. Das wird nicht einfach, denn eine selbstbewußte Frau hat bekanntlich alle dummen Männer zum Feind. Das weiß ich als Frau, das weiß ich als Mutter eines siebenjährigen Sohnes, und das weiß ich auch als Mitglied des Deutschen Bundestages.
Es bleibt dabei: Wir bekommen die Kinder, wenn wir sie bekommen wollen. Wir erziehen diese Kinder, gerne gemeinsam mit den dazugehörigen Vätern, wenn wir sie ebenso lieben wie unsere Kinder und wenn diese Väter das auch wollen; wenn nicht, dann eben nicht. Notfalls bekommen wir das mit der Erziehung auch alleine hin. Das beweisen die vielen alleinerziehenden Mütter Tag für Tag.
Am vielzitierten „kleinen Unterschied" wollen wir Frauen gar nicht rütteln. Wir möchten ihn ja, und wir möchten ihn auch nicht missen. Wir wollen unsere
Freude an ihm haben, und wir wollen ihn auch genießen. Aber es wäre doch zu schön, wenn aus diesem „kleinen Unterschied" endlich ein wirklich kleiner und feiner Unterschied würde.
Schönen Dank.