Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sei es der Muttertag oder heute der Internationale Frauentag, schuldbewußt wird an einem oder zwei Tagen im Jahr der Frauen gedacht, die tagtäglich den Großteil der Arbeit leisten, ohne die unsere Gesellschaft überhaupt nicht funktionieren würde. Die Geschichte des Internationalen Frauentags weist diesem Tag einen anderen Platz zu als nur den des pflichtbewußten Gedenkens. Die Eröffnung der Debatte durch Sie, Frau Süssmuth, hat die Tradition dieses Tages hergestellt und seinen Bezug zur ersten Frauenbewegung, zu einer Geschichte, die uns sonst leider viel zu wenig präsent ist, benannt.
Frauen haben einen langen und zähen Kampf geführt und sehr viel erreicht. Bei der Diskussion der ersten deutschen Verfassung 1848 mußte sich Malvida von Meysenburg bei den Verhandlungen in der Frankfurter Paulskirche noch auf der Kanzel verstecken, um miterleben zu können, was für eine Verfassung sich die deutschen Männer ausdachten.
Bis 1908 galt ein Vereinsgesetz, das sich die Maxime des Apostels Paulus „Das Weib schweige in der Gemeinde" zu eigen gemacht hatte und Frauen von der politischen Betätigung auszuschließen versuchte. Erst 1919 konnten Frauen in Deutschland an allgemeinen und freien Wahlen teilnehmen. Eine späte Genugtuung für z. B. Hedwig Dohm, die noch Ende des letzten Jahrhunderts gegen biologistische Männerargumente mit folgender Begründung für das Frauenstimmrecht werben mußte:
Die Stimmritze der Frau ist enger und ihr Kehlkopf kleiner, belehrt uns Herr von Bischof. Ich würde daraus die Tatsache erklären, daß bei vorkommenden Duetten er Tenor und sie Sopran singt. Der kausale Zusammenhang aber zwischen der Stimmritze und dem Stimmrecht erhellt sich daraus für mich nicht.
Aber es gibt heute immer noch solche Argumentationen; die sind gar nicht so althergebracht.
Wer weiß, ob es die Verankerung der Gleichberechtigung der Geschlechter in Art. 3 Grundgesetz heute gäbe, wären da nicht die zähen GrundgesetzMütter Elisabeth Seibert, Helene Wessels, Helene Weber und Friederike Nadig gewesen?
Rita Grießhaber
Die Erweiterung, Frau Nolte, war hier ja wohl schwer genug und längst nicht so weitgehend, wie Ihr Problembewußtsein heute erwarten läßt.
Trotz des Zusammenbruchs nach dem Krieg: Die Männerbastion Politik blieb bestehen. Frauen durften als Trümmerfrauen die Schäden männlichen Kriegswahns beseitigen, wofür sie vor nicht allzu langer Zeit auch noch rentenrechtlich bestraft werden sollten. In der Politik waren sie allerdings in der unmittelbaren Nachkriegszeit nur sehr marginal vertreten. 29 Frauen bei 381 Männern zählte der erste Bundestag, und im Politbüro des Zentralkomitees der DDR, dem Machtzentrum der SED, hat es nie weibliche Vollmitglieder gegeben.
Die erste bundesrepublikanische Ministerin bekamen wir mit Frau Dr. Schwarzhaupt erst 1961. Sie mußte sich mit dem Gesundheitsministerium begnügen, obwohl sie selbst viel lieber das Amt der Justizministerin bekleidet hätte. Mit ihr jedoch begann das Gruppenbild mit Dame auf Kabinettsebene.
Die neue Frauenbewegung nach 1968 und auch grüner Druck haben viel bewirkt, um verkrustete Verhältnisse aufzubrechen. Die Quotendiskussion hat inzwischen auch die anderen Parteien erreicht. Die CDU macht sich auf die Suche nach der „SoftQuote", und auch die F.D.P. kommt laut Äußerungen von Herrn Kinkel nicht mehr an diesem Thema vorbei. Man darf gespannt sein, was dabei herauskommt.
In den 50er Jahren schrieb die Rechtsprechung noch fest - ich zitiere -:
Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.
Diese Rechtslage ist seit 1972 Vergangenheit. Auch sonst hat sich auf der rechtlichen Ebene, wenn auch langsam und mir immer viel zu langsam, einiges getan. Die Reform des Familienrechts in den 70er Jahren war ein erster wichtiger Schritt, um mit Anachronismen aufzuräumen. Allerdings ist der Gesetzgeber hierbei immer wieder auf halbem Wege stehengeblieben.
Ich erinnere nur an das Ehegattensplitting, das bei seiner Einführung in den 50er Jahren eine gewisse gesellschaftliche Berechtigung hatte, da Ehe und Familie damals noch weitgehend identisch waren und man das so als Familienförderung begreifen konnte. Den heutigen Erfordernissen der Förderung eines Lebens mit Kindern entspricht es allerdings schon lange nicht mehr, und hier, Frau Nolte, können Sie mit Ihren Taten loslegen.
Es reicht nicht, daß Frauen in langen Kämpfen einen gesellschaftlichen Bewußtwerdungsprozeß in Gang gesetzt haben, der sich nicht mehr rückgängig machen läßt. Die Politik muß endlich auch angemessen auf diesen Wandel in Bewußtsein und Verhalten reagieren.
Anlaß zur Hoffnung gibt mir in diesem Zusammenhang die Debatte, die vor drei Wochen hier über das Thema Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe geführt wurde. Damals wurde von Frau Süssmuth angemahnt, daß Menschenrechte auch für Frauen eingeklagt werden müßten. Beim Thema Vergewaltigung in der Ehe - und das ist ein Erfolg zäher frauenpolitischer Argumentation - ist sich dieses Haus im Grundsatz einig. Die gleiche Einigkeit wünschen wir uns beim Vorgehen gegen Frauenhandel und Kinderprostitution. Die Menschenrechte von Frauen und Mädchen sind ein unveräußerlicher allgemeiner Bestandteil der Menschenrechte. Vor den Menschenrechtsverletzungen, auch vor diesen, darf die Regierung die Augen nicht verschließen.
Wir sehen auch, daß alte, weit weg liegende Themen sehr nahe gerückt sind; zunächst und vor allem der Krieg. Die Zahl der Kriege hat sich vermehrt. Heute werden weltweit 44 Kriege geführt. Und der Krieg, in dem Frauen immer wieder Opfer von brutalen, gezielten Vergeltungsmaßnahmen werden, ist nach Europa zurückgekehrt. Die Bilder von den Frauen, die in Vergewaltigungslagern im ehemaligen Jugoslawien waren, sind uns allen noch vor Augen.
Eine Konsequenz daraus für uns ist, daß endlich geschlechtsspezifische Verfolgung als Flucht- und Asylgrund anerkannt wird.
Auch wenn die Töchter vielleicht den Zorn ihrer Mütter über bestimmte Themen heute nicht mehr nachvollziehen mögen, so sehen sie doch wahrhaft kein neues, vielversprechendes Zeitalter heraufziehen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch und wird es bleiben. Im Februar waren in Deutschland 1,8 Millionen Frauen arbeitslos gemeldet. Das ist fast die hälfte aller als erwerbslos gemeldeten Personen.
Die Frauenerwerbslosenquote liegt für das gesamte Bundesgebiet bei 11,8 %, in den neuen Bundesländern bei fast 20 %. Damit ist sie dort fast doppelt so hoch wie die der Männer, und das bei einem zunehmenden unfreiwilligen Rückzug der Frauen aus dem Erwerbsleben. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, Frau Nolte, wenn Sie in einer Presseerklärung zum 8. März Handlungsbedarf bei der Gleichberechtigung im Erwerbsleben und bei der eigenständigen sozialen Sicherung von Frauen feststellen.
Diese Worte und diesen Handlungsbedarf kennen wir und Sie schon lange. Sie sind Mitglied der Regierung, und wir wollen nicht darauf verwiesen werden, daß die Bundesregierung mit ihren Veräumnissen
Rita Grießhaber
weltweit nicht allein dasteht und es woanders noch schlimmer ist, sondern wir wollen endlich hören, was Sie zu tun gedenken, um diesem Handlungsbedarf nachzukommen.
Wir wollen auch nicht das berühmte Schwarzer-Peter-Spiel: Sind die Länder schuldig, ist die Bundesregierung schuldig? Die Frauen in diesem Land wollen von Bundesregierung und Bundesländern die Taten sehen: Gleichstellungskonzepte auf der Grundlage von Vollzeitarbeitsplätzen für alle haben ihre Plausibilität längst verloren und eingebüßt.
Zwar sind mittlerweile die verschiedensten Modelle von Arbeitszeitverkürzung bis ins Lager ihrer früheren Kritiker konsensfähig geworden; unter dem Gesichtspunkt feministischer Reformanliegen reicht das aber nicht. Zwei Bedingungen sind hierfür mehr denn je erforderlich und längst noch nicht erfüllt: Es geht erstens um eine wirkliche Umverteilung von Aufgaben, Pflichten und materiellen Ressourcen zwischen den Geschlechtern und zweitens um eine neue gesellschaftliche Bewertung von bezahlter und unbezahlter Arbeit und eine Diskussion über die Frage, wie wir in Zukunft eigentlich leben wollen. Wir verbrauchen doch nicht nur die ökologischen, sondern auch die sozialen Ressourcen in unverantwortlicher Weise auf Kosten der Frauen in dieser Gesellschaft.
Politisch haben sich Frauen Macht angeeignet und dabei ihr Verhältnis zu selbiger erfreulich verändert. Sie sind im System der Macht stärker repräsentiert, ihr Umgang mit ihm ist professionalisiert. Trotzdem werden sie weiterhin von umfassender gesellschaftspolitischer Gestaltung ausgeschlossen.
Männer wehren sich heftig gegen eine 50 %-Quote für Frauen in allen Bereichen, weil sie sich weiterhin das Recht vorbehalten wollen, den Rahmen des Ganzen - die grundlegenden Spielregeln - zu bestimmen. Kontrolle, Definitions- und Herrschaftsmacht über das Allgemeine - Nation, Werte, Polizei, Außenpolitik, Technik, Arbeitsmarktpolitik und Körper, wie es der § 218 StGB zeigt - sollen ihr Monopol bleiben. Hier knüpft der Antrag an, den wir heute einbringen.
Zur Zeit tagt, wie Sie wissen, in Kopenhagen der Weltsozialgipfel. Von 118 dort angemeldeten Staats- und Regierungschefs sind 113 Männer; Männer, die über gleiche Rechte, gleichen Lohn und gleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung und Bildung für Frauen und Mädchen entscheiden sollen. Zwar gibt der bisher einzige Punkt der Abschlußdeklaration, auf den sich die Teilnehmer von Kopenhagen einigen konnten, etwas Anlaß zur Hoffnung, allerdings auch zur Befürchtung, daß es wieder einmal bei schönen Worten bleiben wird, und die kennen Frauen zur Genüge.
In der Abschlußerklärung heißt es:
Wir verpflichten uns, Gleichberechtigung und
Gerechtigkeit zwischen Frauen und Männern zu
erreichen sowie die Beteiligung und Führungsrollen von Frauen im politischen, zivilen und wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben anzuerkennen und voranzutreiben.
Um nicht bei solchen Erklärungen stehenzubleiben, stellt die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heute den Antrag, eine Änderung des Parteiengesetzes herbeizuführen. Wir wollen sicherstellen, daß die Frauen in der nächsten Legislaturperiode wirklich mit gleichen Chancen und gleichberechtigt durch die Parteien als Bewerberinnen für Mandate aufgestellt werden. Das muß natürlich auch für die Länder und die kommunale Ebene gelten und darf auch vor den obersten Gerichten, insbesondere dem Bundesverfassungsgericht, nicht haltmachen.
Es ist ja unbestritten, daß wir alle die Gleichberechtigung von Frauen und Männern erreichen wollen. Aber entscheidende Fortschritte wird es nur geben, wenn Frauen in die Entscheidungsfindung auf allen Gesellschaftsebenen einbezogen werden. Formale Chancengleichheit allein reicht nicht automatisch, um eine angemessene Vertretung von Frauen auf allen Ebenen zu sichern. Tiefverwurzelte institutionelle und kulturelle Hemmnisse müssen auch mit Hilfe von Gesetzen ausgeräumt werden.
Meine Damen und Herren, die Demokratie lebt von den Teilhabemöglichkeiten ihrer Bürgerinnen und Bürger. Sie braucht das Engagement möglichst vieler, um lebendig zu sein. Ochsentour und Platzhirschrituale haben nicht alle Frauen abgeschreckt. Aber sie haben für viele die traditionellen Parteien nicht sonderlich attraktiv gemacht. Das muß nicht so bleiben. Lassen Sie uns heute einen weiteren Schritt machen, weg von Malvidas Versteck in der Paulskirchen-Kanzel! Ermöglichen wir die Hälfte der Plätze für die Frauen in diesem Hause!
Vielen Dank.