Rede:
ID1300813000

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 42
    1. die: 3
    2. und: 2
    3. hier: 2
    4. Meine: 1
    5. Damen: 1
    6. Herren,: 1
    7. ich: 1
    8. möchte: 1
    9. Ihnen: 1
    10. etwas: 1
    11. mitteilen:: 1
    12. Die: 1
    13. Geschäftsführer: 1
    14. sind: 1
    15. übereingekommen,: 1
    16. Ausschüsse: 1
    17. jeweils: 1
    18. erst: 1
    19. eine: 1
    20. Stunde: 1
    21. später: 1
    22. einzuberufen,: 1
    23. damit: 1
    24. Debatte: 1
    25. zu: 1
    26. Ende: 1
    27. geführt: 1
    28. werden: 1
    29. kann.: 1
    30. Sie: 1
    31. können: 1
    32. also: 1
    33. bleiben: 1
    34. weiter: 1
    35. zuhören.Das: 1
    36. Wort: 1
    37. hat: 1
    38. jetzt: 1
    39. Kollegin: 1
    40. Frau: 1
    41. Herta: 1
    42. DäublerGmelin.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/8 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 8. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abgeordneten Wolfgang Vogt (Düren) und Dr. Alfred Dregger 313B Neubezeichnung eines Ausschusses 313 B Erweiterung und Ablauf der Tagesordnung 313 B Zur Geschäftsordnung Manfred Müller (Berlin) PDS 313 D Joachim Hörster CDU/CSU 314 B Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 314 C Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1995 (Haushaltsgesetz 1995) (Drucksache 13/50) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1994 bis 1998 (Drucksache 12/8001) c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über den Stand und die voraussichtliche Entwicklung der Finanzwirtschaft (Drucksache 13/76) Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 315 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 324 C, 366 D Hartmut Schauerte CDU/CSU 330 B Gunnar Uldall CDU/CSU 332 A Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 335 B Otto Schily SPD 336 D Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 339 B Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. 342 A Ingrid Matthäus-Maier SPD 343 B Dr. Barbara Höll PDS 347 C Joachim Poß SPD 349 C Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. 349 D Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU 351 D Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/ CSU 354 B Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 355 C Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 357 C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 359C Detlev von Larcher SPD 360 B Dr. Peter Struck SPD 361 D Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 362 A, 364 A Dietrich Austermann CDU/CSU 364 B Dr. Uwe-Jens Rudi Rössel PDS 367 B Manfred Kanther, Bundesminister BMI 369 B Fritz Rudolf Körper SPD 371 A Erwin Marschewski CDU/CSU 374 C Johannes Singer SPD 374 D Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 375 D II Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 Cern Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 377 C Ina Albowitz F D P 379C Ulla Jelpke PDS 381 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 381 D Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 384 A Norbert Geis CDU/CSU 388 A, 392 B Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 392 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 392 C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 393 C Nächste Sitzung 394 D Berichtigung 394 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 395* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 313 8. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung 7. Sitzung, Seite 307 A, Zeile 22: Statt „15 %" ist „50 %" zu lesen. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Borm, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 395* Anlage zum Stenographischen Bericht (C) Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 14. 12. 94 * Borchert, Jochen CDU/CSU 14. 12. 94 Conradi, Peter SPD 14. 12. 94 Dr. Eid-Simon, Ursula BÜNDNIS 14. 12. 94 90/DIE GRÜNEN Heym, Stefan PDS 14. 12. 94 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 14. 12. 94 Iwersen, Gabriele SPD 14. 12. 94 Sauer (Stuttgart), Roland CDU/CSU 14. 12. 94 Schmidt-Zadel, Regina SPD 14. 12. 94 Schumann, Ilse SPD 14. 12. 94 Vergin, Siegfried SPD 14. 12. 94 Wallow, Hans SPD 14. 12. 94 Warnick, Klaus-Jürgen PDS 14. 12. 94 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Sehr geehrte Herren! „Der Rechtsstaat ist", wie schon Gustav Radbruch festgestellt hat, „wie das tägliche Brot, wie das Wasser zum Trinken, wie die Luft zum Atmen, und das beste an der Demokratie ist gerade dieses, daß nur sie geeignet ist, den Rechtsstaat zu sichern. " Man kann den letzten Satz aber mit Thomas Dehler auch umkehren und sagen, daß nur der Rechtsstaat geeignet ist, die Demokratie zu sichern.
    Wenn das so ist — ich bin sicher, Sie werden mir darin alle zustimmen —, dann müssen wir alles tun, diesen Rechtsstaat als liberalen Rechtsstaat zu erhalten. Das heißt, daß nicht beliebig in vorhandene Strukturen eingegriffen werden darf und bereits
    382 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
    Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger getroffene Entlastungsmaßnahmen auf ihre Wirksamkeit hin untersucht werden müssen.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    In einem Rechtsstaat, meine Damen und Herren, ist die Justiz kein Luxus, den man je nach Haushaltslage ausbauen oder schrumpfen lassen kann. Nur wenn der Staat gewährleistet, daß der Bürger zu seinem Recht gelangt, daß die schützenden Förmlichkeiten des Strafprozesses dem Verdächtigen, für den die Unschuldsvermutung auch künftig streiten soll, ein faires Verfahren garantieren,

    (Beifall bei der F.D.P.)

    daß die Grund- und Freiheitsrechte notfalls auch gerichtlich durchgesetzt werden können, wird der Rechtsstaat von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert werden.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann muß er allerdings auch geschützt werden!)

    In allen ihren Zweigen muß die Justiz den Standard an rechtsstaatlichen Gewährleistungen wahren. Sie darf ihre Orientierung an der Gerechtigkeit nicht vorschnell einem überzogenen Effizienzdenken opfern. Auch bei einer angespannten Haushaltssituation darf der schmale Justizetat des Bundes und der Länder keine beliebige Verfügungsmasse sein. Er ist, gemessen an allen anderen Haushalten der öffentlichen Hände und an der Bedeutung der Justiz für die Rechtsstaatlichkeit, bescheiden genug.
    Es ist Gegenstand der Koalitionsvereinbarung, daß wir Verfahrensvereinfachungen in allen Gerichtszweigen erreichen und die Gerichtsverfahren für die Bürger zeitlich überschaubar machen wollen. Es darf nicht sein, daß der Bürger, wie eine jüngste Umfrage ergab, lieber zum Zahnarzt als zur Justiz geht. Ich werde einen Entwurf vorlegen, der im Bußgeldverfahren alle Entlastungsmöglichkeiten ausschöpft und den Bagatellcharakter der Ordnungswidrigkeiten besser Rechnung trägt.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Im neuen Betreuungsrecht zeigt eine dreijährige Praxiserfahrung Vereinfachungsmöglichkeiten auf, die wir bei der bevorstehenden Novellierung nutzen werden. Auch im Zivil- und Strafverfahren werde ich gemeinsam mit den Ländern vertretbare Möglichkeiten von Verfahrensvereinfachungen und -entlastungen ausloten. Aber gerade hier dürfen wir die schützenden Förmlichkeiten des Verfahrens nicht in Frage stellen. Sie dienen dem in ein Strafverfahren verstrickten Bürger ebenso wie dem Tatopfer.
    Demgegenüber sollten wir die Entlastungsmöglichkeiten nutzen, die den Rechtsschutz unangetastet lassen. Ich denke an den Ausbau der außergerichtlichen Streitbeilegung. Und ich freue mich, daß sich auch die Länder auf meinen Vorschlag hin entschlossen haben, das vorgerichtliche Streitschlichtungspotential auszubauen, besser zu koordinieren und auch der Öffentlichkeit besser bekanntzumachen.
    Ebenso freue ich mich, daß die von meinem Ministerium veranlaßte Strukturanalyse der Rechtspflege
    von den Ländern zunehmend praktisch umgesetzt wird. In einer Modernisierung der Geschäftsabläufe und der inneren Organisation der Gerichte und Staatsanwaltschaften sehe ich ein wesentliches und zudem rechtstaatliches Mittel, unsere Justiz auf die Herausforderungen auch des nächsten Jahrhunderts vorzubereiten.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Die Organisation der Justiz muß beweglicher, wirtschaftlicher und transparenter werden.
    Man muß einfach sehen: Innerhalb der traditionellen Justizorganisationen sind die gesetzgeberischen Maßnahmen zur Verfahrensstraffung doch weitgehend ausgeschöpft, weil wir diesen Weg schon lange beschritten haben. Deshalb müssen wir auch über strukturelle Reformen verstärkt nachdenken, auch wenn sie nicht in allen Fällen einen kurzfristigen Ertrag erwarten lassen.
    In der vergangenen Legislaturperiode haben Kriminalitätsbekämpfung und insbesondere auch das Strafrecht wie nie zuvor die politische Diskussion bestimmt. Es hat den Anschein, als ob diese nicht immer ganz sachlich geführte Diskussion in gleicher Weise auch in dieser Legislaturperiode fortgesetzt werden soll. Ich sehe das mit großer Skepsis. Denn jetzt geht es wirklich darum, daß die gerade erst in Kraft getretenen Gesetze angewandt und nicht schon wieder, zwei Wochen nach Inkrafttreten, geändert werden.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Gesetze müssen auf Dauer angelegt sein. Sie brauchen Zeit, um ihre Wirksamkeit entfalten zu können. Rechtssicherheit kann nur dort entstehen, wo es Verläßlichkeit der Geltung von Gesetzen gibt. Auch dies ist eine notwendige Bedingung unseres Rechtsstaates.
    Auf der kriminalpolitischen Agenda stehen die Überprüfung und Harmonisierung von Strafrahmen sowie des Sanktionenkatalogs, und wir wollen eine Verbesserung des Opfer- und des Zeugenschutzes.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Vor allem aber müssen wir Prävention und Ursachenbekämpfung stärker ins Blickfeld rücken und dürfen uns nicht nur auf das repressive Strafrecht und auf seine abschreckende Kraft verlassen.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Ich bin sicher, daß eine solche Politik, die sich nicht auf die herkömmlichen Felder der Kriminalpolitik beschränken darf, besser als ständige Forderungen nach Strafverschärfungen in der Lage ist, für den Schutz der Menschen vor Kriminalität zu sorgen.
    In diesem Zusammenhang möchte ich kurz eine Bilanz der deutschen Präsidentschaft in der Europäischen Union zum justitiellen Bereich ziehen.
    Wir sind auf dem Weg zu einer funktionierenden dritten Säule von Maastricht in den letzten Wochen ein erhebliches Stück weitergekommen. Nach intensiven Beratungen ist es gelungen, einige Staaten zur
    Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 383
    Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
    Aufgabe ihrer traditionellen Vorbehalte gegenüber gemeinsamen Regelungen im schwierigen Bereich des Auslieferungsrechts zu veranlassen. Wir haben eine politische Einigung erzielt, die den Abschluß eines Teilübereinkommens im Frühjahr 1995 realistisch macht.
    Damit wird die vereinfachte Auslieferung mit Zustimmung des Betroffenen — und das sind in Deutschland etwa 60 % aller Fälle — künftig zwischen allen Mitgliedstaaten sehr viel schneller funktionieren.
    Ich bin auch froh, daß die europäischen Justiz- und Innenminister mit ihrem Zwischenbericht zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit einen wichtigen Beitrag zu einer europaweiten Gesamtstrategie geleistet haben. Neben den gerade auch hier wichtigen präventiven Maßnahmen brauchen wir ein europaweit gut funktionierendes Strafrecht. Wir müssen Lücken schließen, die in einigen Ländern bestehen, damit der Druck und die Verbreitung gerade dieses hetzerischen Propagandamaterials über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinaus erfolgreich bekämpft und dann auch bestraft werden können.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Die Bemühungen einiger Mitgliedstaaten, entdeckte Lücken auf Grund einer Bilanz, die wir in dieser Präsidentschaft erstellt haben, zu schließen, machen deutlich, daß die Bereitschaft besteht, ungeachtet aller nationalen Traditionen mitzuwirken und ein Verständnis zu entwickeln, das sich an den Bedürfnissen eines zusammenwachsenden rechtsstaatlichen Europas ausrichtet und zu einer Verbesserung gerade auch der strafrechtlichen Bestimmungen führen wird.
    Daß dies ein wirklicher Fortschritt und keine Selbstverständlichkeit ist, wurde uns durch das jüngst in der Türkei gefällte Urteil gegen acht kurdische Parlamentarier drastisch vor Augen geführt. Ich denke, daß es gerade von seiten einer Justizministerin einer klaren Stellungnahme bedarf. Die Urteile sind wirklich mehr als ein unerfreuliches Zeichen. Wie auch immer sie im einzelnen juristisch begründet sein mögen, sie widersprechen in nicht hinnehmbarer Weise den rechtsstaatlichen Grundlagen einer demokratischen, parlamentarischen und freiheitlichen Ordnung und damit eklatant dem Wertesystem all jener europäischen Staaten, denen die Türkei sich zugehörig fühlt und mit denen sie verbunden sein möchte.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Gerade als das mit der Türkei historisch so ausgeprägt verbundene und befreundete Land können wir diese Urteil nicht kritiklos hinnehmen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Auf dem Hintergrund unserer eigenen Geschichtserfahrung wissen gerade wir Deutsche sehr gut um die in die Gegenwart hineinreichenden Wirkungen eines historischen Traumas, das die Türkei mit dem Zerfall
    des alttürkischen Osmanischen Reiches politisch und rechtlich noch heute prägt.
    Es ist also nachvollziehbar, daß die Türkei die unbedingte Einheit des Staates im Sinne des kemalistischen Nationalismusprinzips als übergeordnete, mit einer Ewigkeitsgarantie ausgestattete Bestimmung in ihrer Verfassung verankert hat.
    Auch wissen wir um die Bedeutung der parlamentarisch demokratischen Verfassung der türkischen Republik als Bollwerk gegen fundamentalistische, dem freiheitlichen westlichen Wertekanon grundsätzlich widersprechende Tendenzen. Wir wissen dies, und wir waren und wir sind bereit, dies auch zu würdigen.
    Es darf jedoch nicht sein, daß das an sich berechtigte Festhalten an der Einheit des Staates als Grundlage für willkürliche Beschränkungen politischer Betätigung und als Basis für ein politisches Gesinnungsstrafrecht herangezogen wird.

    (Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Sehr wahr!)

    Deshalb fordern wir, die auch in der türkischen Verfassung vorhandenen Verständnis- und Interpretationsspielräume auszuschöpfen und den Minderheitenproblemen mit politischen statt mit strafrechtlichen Mitteln zu begegnen.

    (Beifall bei der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ich begrüße es, daß der Deutsche Bundestag morgen durch eine Erklärung der Bundestagspräsidentin zu diesen Urteilen Stellung nehmen wird.
    Die Urteile haben die Bundesregierung veranlaßt, die Abschiebung von Kurden unverzüglich auszusetzen. Es wird intensiv geprüft werden müssen, ob und wann diese Aussetzung aufgehoben werden kann; denn die Urteile gegen die kurdischen Parlamentarier lassen die Menschenrechtssituation in der Türkei auf eine deutliche Weise in einem neuen, leider sehr trüben Licht erscheinen.

    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Es geht nicht, schon jetzt, heute und hier, die Feststellung zu treffen, daß die Aussetzung mit Sicherheit am 20. Januar wieder aufgehoben wird. Wir werden das sorgfältig und unter Abwägung aller Gesichtspunkte gemeinsam prüfen.
    Asylbewerbern ein Bleiberecht zu geben, meine Damen und Herren, selbst wenn dies im Einzelfall zu Unrecht in Anspruch genommen werden mag, muß für uns letztlich besser sein, als einen einzigen abzuschieben, der in seinem Heimatland menschenrechtswidrig behandelt wird.

    (Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Auch der mit der Opposition vereinbarte Asylkompromiß befreit uns nicht davon, das Bleiberecht von Asylbewerbern mit großer Sorgfalt zu prüfen.

    (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Wir tun das in jedem Einzelfall!)

    384 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
    Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
    Ich stehe zu dieser Verpflichtung sowie auch zu den anderen Vereinbarungen, die Gegenstand des Asylkompromisses geworden sind.
    Wir brauchen und wollen eine Politik, die nicht nur das Asyl, sondern auch die Zuwanderung regelt, kontrolliert und begrenzt und Einbürgerungen erleichtert. Die deutsche Politik darf nicht allein auf die Restriktion der Zuwanderung beschränkt sein; denn sie ist der Humanität verpflichtet und muß die integrativen Elemente stärken, die für ein harmonisches Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft unabdingbar sind.
    Sie können sicher sein, daß wir uns der Aufgabe stellen werden, die dazu in der Koalitionsvereinbarung getroffenen Vereinbarungen in Angriff zu nehmen und umzusetzen.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von Dr. Antje Vollmer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen etwas mitteilen: Die Geschäftsführer sind übereingekommen, die Ausschüsse jeweils erst eine Stunde später einzuberufen, damit die Debatte hier zu Ende geführt werden kann. Sie können also hier bleiben und weiter zuhören.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Frau Herta DäublerGmelin.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Herta Däubler-Gmelin


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ich habe Ihren Ausführungen heute sehr aufmerksam und mit großer Freude zugehört.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das kann ich mir vorstellen!)

    — Ja, Herr Geis. — Ich möchte Ihnen ausdrücklich sagen, daß Sie in einigen der Punkte, die Sie genannt haben, sehr wohl mit unserer Unterstützung rechnen können. Gleichwohl erklärt dies, Herr Geis, warum unser sozialer Rechtsstaat und damit auch die Rechtspolitik Ihrer Koalition insgesamt nicht in so gutem Zustand sind, wie wir es gerne hätten.
    Die Justizministerin blockiert Gott sei Dank — da hat sie meine volle Unterstützung — einen Großteil des Unsinns, der aus Teilen der Koalition kommt.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Von hier kommt nie Unsinn!)

    Auf der anderen Seite verweigert dieser Teil der Koalition, nämlich die Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU, die notwendigen Erneuerungsmaßnahmen auf dem Feld der Rechtspolitik. Das bringt uns, meine Damen und Herren, in eine schwierige Situation. Das stellen Sie fest, wenn Sie sich mit Ihren Nachbarn, mit Berufskollegen und anderen Menschen darüber unterhalten.
    Ich komme darauf noch zurück, werde Ihnen aber zuerst sagen, wo wir Ihnen zustimmen, Frau Bundesjustizministerin. Das fängt an bei Ihrem Vorhaben, die außergerichtliche Streitschlichtung stärker in den Vordergrund zu stellen und geht weiter mit der Harmonisierung des Sanktionensystems. Wir unterstützen, um einen dritten Punkt zu nennen, auch das, was z. B. der Richterbund vorgeschlagen hat, nämlich die Vereinfachung des Bußgeldsystems. Es muß möglich sein — und es ist auch möglich —, durch Entbürokratisierung zu vereinfachen, ohne den Sanktionszweck aufzuheben.
    Wir unterstützen Sie auch in einem anderen Punkt, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, den Sie heute nicht ausdrücklich erwähnt haben, der aber mitverhandelt wird. Es handelt sich um den deutschen Beitrag dazu, daß der Internationale Gerichtshof zur Verfolgung der Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien in Den Haag endlich seine Arbeit aufnehmen kann.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Ich halte das für eine sehr gute Sache: nicht wegen der technischen Einzelheiten des vorgelegten Gesetzes, sondern deswegen, weil die Kriegsverbrecher, Mörder, Folterer und Vergewaltiger sowie ihre militärischen und politischen Hintermänner bald am eigenen Leibe erfahren müssen, daß sie in der zivilisierten Welt geächtet sind und es auf Dauer bleiben und nie mehr irgendwo in Ruhe leben können, so als sei nichts gewesen.
    Meine Damen und Herren, die haushaltspolitische Debatte gerade auch zur Rechtspolitik gibt uns Anlaß, über die Aufgaben des sozialen Rechtsstaates und damit auch der Rechtspolitik nachzudenken und zu prüfen, ob das, was die Regierungsmehrheit in den vergangenen zwölf Jahren gemacht hat, Erfolg hatte und ob das, was Sie jetzt vorhaben, Erfolg haben kann.
    Dabei komme ich zu den Zweifeln, die ich vorhin schon angedeutet habe. Die Aufgabe einer guten Rechtspolitk muß doch sein, in einer sich ständig wandelnden und verändernden Welt die Grundwerte unseres Grundgesetzes zur Geltung zu bringen, durchzusetzen und zu sichern.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Da sind wir uns einig!)

    — Natürlich, ich hoffe, daß es auch bei Ihnen eine Menge vernünftiger Leute gibt, mit denen wir über so etwas reden können. — Die Grundwerte sind der Grundkonsens unserer Gesellschaft. Sie gilt es zu erhalten. Aber die Rechtspolitik muß dann auch
    — genau wie Gesellschaftspolitik — die veränderte Wirklichkeit wenigstens steuern und erhalten wollen und können.
    Und jetzt schauen Sie sich doch einmal an, Herr von Stetten, Frau Leutheusser-Schnarrenberger und Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wie es mit der Wirklichkeit heute aussieht: Die Wirklichkeit ist Ihrer rechtspolitischen Gestaltung längst entglitten.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das meinen nur Sie!)

    — Ich meine das keineswegs allein, Herr Geis. Wenn Sie sich einmal die Mühe machen würden, sich die Veränderungen bei der Kriminalität, bei den technischen Neuerungen oder im Arbeitsleben wirklich genau anzusehen und darüber nachzudenken, dann wissen Sie auch, wieviel an Erneuerungsbedarf sich hier aufgehäuft hat. Dann würden auch Sie die Worte meines Kollegen Fritz Rudolf Körper unterstreichen,
    Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 385
    Dr. Herta Däubler-Gmelin
    daß das, was Sie in den Koalitionsvereinbarungen zur Innen- und Rechtspolitik geschrieben haben, außerordentlich schwach ausgefallen ist.
    Zur Kriminalitätsbekämpfung: Ich beginne einmal mit der organisierten Kriminalität, über die schon gesprochen wurde. Richtig ist, daß die einzige Triebfeder dieser besonderen Kriminalitätsform das Geld ist. Richtig ist auch, daß alle unsere Initiativen und Mahnungen bei dieser Triebfeder, nämlich beim Geld, anzusetzen, nicht gefruchtet haben. Weil Sie sich, meine Damen und Herren der Koalition, gegenseitig blockieren, wird da nichts aufgegriffen und in die Tat umgesetzt.
    Herr Marschewski, welches sind denn die Schlupflöcher, die — wie es vorhersehbar war — das Geldwäschegesetz nicht zur vollen Funktionsfähigkeit haben kommen lassen? Zum einen die Tatsache, daß unsere Banken Auslandsdienststellen haben, die sich prächtig als Schlupflöcher für Geldwäsche eignen. Das wissen Sie. Aber Sie haben es nicht abgestellt, obwohl wir Sie dazu aufgefordert haben.
    Zum Zweiten geht es nicht nur um die Umkehr der Beweislast. Wenn Sie mit Praktikern, mit Polizeibeamten reden, sagen die Ihnen genau das gleiche wie mir, nämlich daß Mafia-Geld, Geld das — um es juristisch korrekt auszudrücken — mafiös bemakelt sein könnte, zunächst einmal aus dem Verkehr gezogen und beschlagnahmt werden kann — zunächst wenigstens einmal vorläufig! Lassen Sie uns das doch machen! Damit überwindet vielleicht auch die Koalition die Gefahr, sich gegenseitig zu blockieren. Dann wären wir im Bereich der organisierten Kriminalität, die wir gemeinsam bekämpfen müssen und wollen, einen Schritt weiter.

    (Beifall bei der SPD)

    Jetzt komme ich zum zweiten Bereich, den auch Herr Kanther und Frau Leutheusser-Schnarrenberger angesprochen haben, zur Kriminalität, die über die Grenzen zu uns kommt. Herr Marschewski und Herr Kanther, es ist ein wenig traurig, daß Sie in diesem Zusammenhang immer so unterschwellig auf Asylbewerber oder die ausländische Wohnbevölkerung in Deutschland abheben, obwohl Sie ganz genau wissen, daß dies nicht richtig ist.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Zu dem Bereich der Kriminalität, die über die Grenzen zu uns kommt, gehört der internationale Autodiebstahl mit Versicherungsbetrug, Waffenhandel, Drogenhandel, Prostitutionshandel und Organhandel. Dies alles sind Bereiche, in denen sich z. B. durch die unterschiedlichen Gesetze, die wir in unserem Teil der Welt haben, Geld verdienen läßt, sei es bei uns oder woanders. Jeder von Ihnen weiß genau wie wir, daß dagegen nur eines wirklich hilft: die effiziente Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden über die Grenzen hinweg und eine Abstimmung der materiellen Gesetzeslage auf der Basis gemeinsamer Grundsätze.
    Sehen Sie sich doch einmal an, wie weit Sie es in den letzten zwölf Jahren gebracht haben! Die Abstimmung der internationalen Grundsätze auf diesem
    Gebiet, ganz zu schweigen von der Angleichung z. B. der Strafgesetze oder des Datenschutzes, steckt doch noch in den Kinderschuhen. Sie wissen auch alle, was Herr Kanther zu Europol gesagt hat. Das war die Übertreibung des Jahrhunderts!

    (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Da haben wir mit der Arbeit gerade erst begonnen!)

    Die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands wäre ein Anlaß gewesen, die Existenzgründungsphase von Europol endlich zu Ende zu bringen und in die Arbeitsfähigkeit einmünden zu lassen.

    (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Hat er doch geschafft!)

    — Nein, er hat es nicht geschafft,

    (Beifall bei der SPD)

    sondern die entsprechenden Beschlüsse sind auf die Zeit der französischen Ratspräsidentschaft verschoben worden. Es wäre gut, wenn Sie hier im Bundestag wenigstens die Wahrheit sagen würden.
    Dazu kommt ein Zweites: Wenn Sie heute einen Amtsrichter in Baden-Baden dazu auffordern, zusammen mit einem Kollegen im Elsaß Strafverfolgung zu betreiben, dann sehen Sie, daß wir heute noch nicht sehr viel weiter sind als vor zehn Jahren, obwohl Frankreich seit langen Jahren unser Partner und Freund ist.
    Dies sind die Punkte, die eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung und damit auch den sozialen Rechtsstaat behindern. Hier haben Sie versagt!
    Herr Marschewski, wenn Sie als Forderung großartig herausstreichen, daß man nationalen Geheimdiensten, die im Ausland arbeiten, mehr Kompetenzen zur Verbrechensbekämpfung einräumen sollte, dann bitte ich Sie, noch einmal darüber nachzudenken. Das ist nun wirklich der größte Unfug.

    (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Jetzt bin ich aber dran! Jetzt kriege ich aber nur Prügel!)

    Wenn Sie schon keine rechtsstaatlichen Bedenken haben, dann prüfen Sie das Ganze doch einmal unter dem Gesichtspunkt der Effizienz. Es muß doch darum gehen, daß die Zusammenarbeit der Strafverfolgungsorgane, also Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte, über die Grenzen hinweg besser wird. Wenn aber jedes Land seinen jeweiligen nationalen Auslands-Geheimdienst mit größeren Kompetenzen ausstattet, dann gibt es immer mehr Abstimmungsprobleme, schon deshalb, weil Geheimdienste nach anderen Grundsätzen arbeiten und auch in Zukunft anders arbeiten werden als Strafverfolgungsorgane. Das tut dem gemeinsamen Ziel der Kriminalitätsbekämpfung mit Sicherheit nicht gut.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Gegen die Durchsetzung haben Sie sich gesträubt!)

    — Zu Recht, Herr Geis!
    Die Wirklichkeit ist Ihnen in einem weiteren Punkt sehr entglitten, der uns allen zunehmend Schwierigkeiten macht. Die Korruption breitet sich aus. Mittlerweile greifen dieses Thema immer mehr Juristen, Juristentage und auch Journalisten auf. Ich habe es
    386 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
    Dr. Herta Däubler-Gmelin
    wirklich bedauert, daß Sie, Frau Bundesjustizministerin, und auch der Herr Bundesinnenminister kein einziges Wort dazu gesagt haben. Hier fehlt nicht nur Ihre Gesamtstrategie wie bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität; hier haben Sie überhaupt keine Strategie.
    Und dabei haben wir es Ihnen einfach gemacht. Wir haben Ihnen ein Fünf-Punkte-Programm vorgelegt, das relativ präzise sämtliche Ebenen des Gesamtstaats einbezieht.

    (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: „Relativ"! )

    — Herr Kleinert, es ist sehr viel präziser als alles, was Sie zu diesem Punkt jemals gesagt haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Mir ist überhaupt nicht bewußt, daß Sie sich jemals dazu geäußert hätten. Das ist natürlich bedauerlich, weil Sie ganz genau wissen: Die Bekämpfung von Korruption ist keineswegs nur eine Frage der Moral, sondern zunehmend auch eine Frage des Geldes, das den Steuerzahler belastet. Sie wissen alle mittlerweile, daß durch Auftragsabsprachen, verbunden mit Bestechlichkeit, auf allen Ebenen staatlicher Entscheidungen dreistellige Millionenbeträge in jedem Jahr zuviel gezahlt werden.
    Wo ist denn nun Ihre Gesamtstrategie? Was tun Sie denn dafür, daß hier durchgegriffen wird? Meine Damen und Herren, Sie hätten es in der Hand, nicht nur im Innenbereich durch eine vernünftige Effektivierung der Kontrollmechanismen, sondern auch im Rechtsbereich — da allerdings weniger beim Strafrecht; da sind Änderungen nicht mehr so notwendig —eine Menge zu veranlassen.
    Mich bedrückt dieses Thema noch aus einem ganz anderen Grund. Wir alle beklagen gelegentlich, daß in unserer immer individualistischer und pluraler werdenden Gesellschaft nicht nur der Wertekonsens schwindet, sondern auch das Rechtsbewußtsein. Richtig! Dagegen müssen wir etwas tun. Zum Wertebewußtsein gehört auch, daß in dieser Gesellschaft wieder Konsens darüber hergestellt werden muß, daß sich niemand bestechen lassen darf und daß niemand bestechen darf — beides!

    (Beifall bei der SPD)

    Wie soll sich denn ein Wertekonsens in der Gesellschaft bilden oder auch stärken lassen, solange Sie die steuerliche Abzugsfähigkeit von Schmiergeldern nicht streichen?

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig! Sehr gut!)

    Wie soll denn ein Unternehmen, das seine Leute geradezu dazu ausbildet, wie mit Schmiergeldern umzugehen ist, im Ausland ohne jede Kontrolle und im Inland — so wie die Erlasse des Finanzministeriums aussehen — mit sehr begrenzter Kontrolle, dem Grundkonsens verpflichtet sein, daß man sich nicht bestechen lassen darf und nicht bestechen darf?

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Damen und Herren, an diesem Punkt wird sich dann auch zeigen, ob das, was Sie hier im Parlament sagen, auch von Ihnen gewollt wird. Ich sage Ihnen: Wir werden Sie hier nicht aus der Verantwortung entlassen; wir werden darauf drängen, daß man nicht nur dann, wenn es Ihnen paßt, über schwindendes Rechtsbewußtsein redet, sondern wir werden mit großer Sicherheit Wert auch darauf legen, daß Sie, auch wenn es Ihnen nicht paßt, etwas für das Rechtsbewußtsein tun.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Entwicklung in der Technik ist Ihnen entglitten. Rechtspolitik zur Steuerung findet in diesem Zusammenhang nicht mehr statt. Tele-Banking, Tele-Shopping, auch z. B. TeleArbeit, Faxe, Telekommunikation, Datennetze, Internet — all das bestimmt vielleicht nicht das Leben der Menschen, die hier im Bundestag sitzen

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Parlakom! — Ina Albowitz [F.D.P.]: Sie weiß gar nicht, womit wir uns jeden Tag quälen!)

    — so schlimm wird's nicht sein —, aber es prägt das Geschäftsleben und vor allen Dingen das tägliche Leben der Bürgerinnen und Bürger immer mehr. Aber der Verbraucherschutz, das Verbraucherrecht, der Datenschutz, das Arbeitsrecht und das Arbeitsschutzrecht sind nicht weiterentwickelt worden und nicht auf der Höhe dessen, was uns die technische Wirklichkeit ständig aufgibt. Meine Bitte ist: Es wäre wirklich sinnvoll, daß sich der Bundestag in den kommenden vier Jahren diesen Fragen stellt. Probleme und Verzerrungen zeigen sich jetzt schon an manchen Ecken. Ich denke, daß die Kolleginnen und Kollegen, die sich hier mit dem Schutz von Kindern oder von Frauen oder auch mit rechtspolitischen Fragen beschäftigen, davon schon etwas gehört haben. Heute werden Datennetze, Telekommunikationssysteme für die übelsten Auswüchse von Kinderpornographie und Kinderprostitution, von Frauenhandel und ähnlichem genutzt, alles, was in den Medien, in den Zeitungen und im Fernsehen sicher schon längst verboten wäre.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das können wir doch bestrafen!)

    — Nur, Herr Geis, jetzt kommt es doch darauf an: Diese Netze entziehen sich dank Ihrer Untätigkeit nicht nur der Kontrolle; vielmehr kann sich jeder, jeder, der's auf solche schmutzigen Geschäfte anlegt, auch der gesetzlichen Schlupflöcher bedienen.
    Ich sage Ihnen: Wenn wir es damit ernst meinen, daß rechtspolitische Gestaltung und Rechtspolitik den Auftrag haben, unsere Grundwerte in veränderten Wirklichkeiten umzusetzen, dann muß man an das Problem herangehen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Ich hoffe, daß wir hier mit Ihrer Unterstützung rechnen können. Aber wir werden auch ohne Sie weiter darauf drängen.
    Lassen Sie mich zur Technik noch dies sagen: Ich hätte mich gefreut, wenn es nicht so lange gedauert hätte, bevor sich unsere Bundesregierung im Zusammenhang mit der Bioethikkonvention eindeutig
    Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 387
    Dr. Herta Däubler-Gmelin
    äußerte und wenn es nicht so mühsam gewesen wäre, diese Stellungnahmen aus ihr herauszukitzeln.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU.]: Damit haben wir überhaupt keine Probleme!)

    Es gibt eine ganze Menge sehr guter Aspekte in dieser Bioethikkonvention, die dem Erfordernis der Abstimmung im europäischen Bereich entsprechen. Daß man allerdings an Embryonen nicht forschen lassen darf, daß in menschliches Keimgut nicht eingegriffen werden darf, daß wir menschliches Leben nicht kategorisieren lassen dürfen und daß Eingriffe, zu welchen Zwecken auch immer, ohne Zustimmung bei hilflosen Menschen nicht erfolgen dürfen, all das sollte eigentlich klar sein.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Ich denke, das ist ein klassischer Fall für den Umgang unserer Rechtspolitik mit der Technik in diesem Haus. In diesem Haus haben die Bioethikkonvention und die Haltung der Bundesregierung keine Rolle gespielt, und als dann einige Kollegen sie noch in die Debatte einbringen wollten, wurde das auf einen Zeitpunkt verschoben, an dem alles zu spät gewesen wäre. So mußten wir mit Hilfe der Öffentlichkeit — leider nicht mit Ihrer Unterstützung — die Notbremse ziehen.
    Ich komme zum Arbeitsleben. Wir alle wissen, daß unser Grundgesetz die folgenden drei Elemente als Essentialia umschließt: die Tatsache, daß Arbeitnehmer Rechte haben und auch Möglichkeit, sie durchzusetzen, Arbeitsschutzrechte und Mitbestimmungsrechte. Bezogen sind alle diese Rechte auf eine Organisation der Arbeit, die sich bei uns längst in Auflösung befindet. Es gibt mittlerweile TeleArbeit, Teilzeitarbeit, ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse in Millionenzahl. Immer mehr Menschen werden in die sogenannte unechte Selbständigkeit oder in Verträge der sogenannten freien festen Mitarbeit abgedrängt. Wo sind denn eigentlich Ihre Vorschläge, um genau für diesen wachsenden Personenkreis Recht und Schutz zu sichern? Das alles muß in unserem Parlament aufgegriffen, besprochen und beschlossen werden, auch das gehört zur Sicherung des sozialen Rechtsstaats. Das halten wir für eine Aufgabe der kommenden vier Jahre.

    (Beifall bei der SPD)

    Lassen Sie mich einen Punkt hinzufügen: Wir alle sind immer stolz darauf, daß wir unseren Rechtsstaat loben können und sagen können, er sei verteidigenswert und schützenswert, weil das Recht bekanntlich das Schwert des Schwachen und das geschriebene Recht seine Magna Charta sei und das Schutzsystem des Rechtsstaats dem Schwachen Recht und Gerechtigkeit garantiere.
    Nur, meine Damen und Herren der Regierungsmehrheit, wenn Sie sich einmal umhorchen, was daraus nach Ihren zwölf Jahren Rechtspolitik geworden ist, dann werden Sie uns zustimmen müssen, daß auch von dieser Seite her der Druck auf die Erneuerung des sozialen Rechtsstaats ständig steigt.
    Nehmen Sie nur den Umgang mit den Opfern von Verbrechen in unserem Staat. Man hat zwar jetzt endlich den ersten Schritt zum Täter-Opfer-Ausgleich gemacht. Wenn Sie aber sehen, was Opfer und Zeugen, seien es mißbrauchte Kinder oder vergewaltigte Frauen, heute noch an Quälereien, weniger bei der Polizei, sondern vor Gericht, erleiden müssen, dann wissen Sie genau: Wir werden unter voller Wahrung der Rechte der Beschuldigten hier mehr tun und auch ins Verfahrensrecht eingreifen müssen.
    Wenn Sie dazunehmen, daß die Opferentschädigung, die ohnehin zu gering ist, jetzt auch noch auf die Sozialhilfe angerechnet wird und daß sich Öffentlichkeit und Justizsystem insgesamt mehr um die Täter als um die Opfer kümmern, dann ist klar: Auch hier hakt es in Ihrer Rechtspolitik. Und das müssen wir ändern.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Uns alle hat der Satz von Bärbel Bohley: „Wir haben Gerechtigkeit gewollt und den Rechtsstaat bekommen" deswegen so geärgert, Herr Marschewski, weil wir vermutet haben, diesem Satz liege ein gigantisches Mißverständnis von Rechtsstaat zugrunde, weil Rechtsstaat nach unserem Verständnis ohne Gerechtigkeit ja nicht funktionieren kann, keiner ist. Aber ist es nicht doch so, daß Bärbel Bohley den Finger auf eine blutende Wunde gelegt hat? Sie drückt damit immer noch das Lebensgefühl vieler Menschen im Osten aus, die sich außerordentlich stark überfahren fühlen!
    Die Forderung, dies endlich zu verändern, richtet sich keineswegs nur an die neuen Länder selber, sondern geht auch uns hier im Bundestag an. Wir werden Beratungshilfe unterstützen und die Gesetze weiter vereinfachen müssen, wir werden mit Geduld und Hilfe auch den institutionellen Aufbau unterstützen müssen. Das muß sein.
    Wenn es Kritik am Zustand des Rechtsstaats nur im Osten gäbe, wäre das nicht so schlimm. Aber wir haben im Westen unseres Landes mittlerweile eine vergleichbare Lage. „Man geht lieber zum Zahnarzt als vor Gericht" war der Ausspruch, den Sie, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, zitiert haben. Er ist die Überschrift über dem Bericht von einer Tagung, die jetzt in Triberg stattgefunden hat. Da haben sich lauter Praktiker, nicht irgendwelche Spinner getroffen. Die wissen, wovon sie reden.
    Sie wissen ganz genau, daß nicht nur Beschleunigung und rechtsstaatliche Vereinfachung, sondern auch die Rechtsdurchsetzung in unserem Staate dringend wieder aufpoliert werden müssen.
    Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben heute nicht erwähnt, daß Sie dabei sind — ich hoffe, mit der Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen der Union — die Dreistufigkeit in unserem Gerichtssystem wieder ernsthaft anzustreben.
    Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir wollten sie schon seit Anfang der 70er Jahre. Wir fordern Sie auf, diesen Weg endlich zusammen mit uns einzuschlagen, wenn Sie es mit der Erneuerung des sozialen Rechtsstaats ernst meinen.
    388 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
    Dr. Herta Däubler-Gmelin
    Ich denke, ich sollte Ihnen am Ende meiner Ausführungen noch einmal den Satz von Gustav Heinemann in Erinnerung rufen, den ich bereits beim letzten Mal in diesem Hause zitiert habe. Heinemann hat in voller Erkenntnis des Wertes unseres Grundgesetzes und dessen, was Rechtspolitik bedeutet, darauf hingewiesen, daß nur derjenige bewahren kann, der zu verändern bereit ist.
    Meine Bitte lautet: Es wäre klug, in diesem Haus mehr über die — positiven und negativen — Erfahrungen mit den Gesetzen der letzten Jahre und mehr über die Ziele zu reden, die wir im Zuge der Erneuerung des sozialen Rechtsstaats anstreben müssen, als ständig diese vordergründigen Schlammschlachten zu führen, an denen wahrscheinlich nicht einmal mehr die Kollegen, die sie betreiben, Spaß haben. Die Zuhörer an den Radios oder Fernsehschirmen, die haben ihn schon lange nicht mehr.
    Herzlichen Dank.

    (Beifall bei der SPD)