Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Kriminalitätsbekämpfung ist eine der wichtigsten Aufgaben der Innen- und natürlich auch Rechtspolitik. Weil sich die Kriminalitätslage in unseren Zeiten so schnell wandelt wie noch nie, haben wir schnelle und unterschiedliche Antworten zu geben.
Wir erleben eine erschreckende Zunahme an Brutalität im Alltag, die auf Menschen keine Rücksicht nimmt. Wir müssen mit neuen Formen der Bedrohung leben: neuen Rauschgiftrouten, ungeahntem Waffenhandel sowie Plutoniumschmuggel, einer Form von Kriminalität mit ungeahnter Gefährlichkeit für die Zukunft. Zudem haben die politischen Veränderungen in Osteuropa dazu geführt, daß Deutschland wieder zu einem Tor zwischen Ost und West geworden ist, leider aber auch mit negativen Begleiterscheinungen: nämlich zu einem Tor, durch das zunehmend die grenzüberschreitende Kriminalität, die sich ständig verstärkt, ihren Weg gefunden hat.
Das verlangt Zusammenarbeit zwischen den demokratischen Parteien in der Bekämpfung dieses Phänomens und Zusammenarbeit weit über unsere Grenzen hinaus. Daß wir das intern, wenn es not tut, leisten können, ist mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz bewiesen worden. Es wäre durchaus wünschenswert, wenn es in Zukunft mit weniger Gezerre geleistet werden könnte, weil es auf die Bürger überzeugender wirkt, wenn ein gemeinsamer politischer Wille zum Handeln in diesen Fragen, die man nicht sonderlich zwischen Parteien trennen kann, zu bemerken wäre.
Das Verbrechensbekämpfungsgesetz stellt nach meiner Überzeugung einen ersten bedeutenden Schritt dar. Es werden weitere Maßnahmen folgen müssen, um dem Anstieg der Kriminalität und dem damit verbundenen materiellen, aber auch gesellschaftlichen Schaden mit der erforderlichen Konsequenz entgegenzutreten. Sonst drohen angesichts der rasanten weltweiten Kriminalitätsentwicklung infolge Internationalisierung und Technisierung des organisierten Verbrechens gewaltige Schäden. Wir müssen verstärkt dazu kommen, die präventiven, die vorbeugenden Möglichkeiten der Kriminalitätsbekämpfung zu nutzen. Es darf nicht so bleiben, daß sich die Verbrecher zwar modernster Kommunikationsmittel bedienen können, international arbeiten und die neuesten Managementmethoden aus der Wirtschaft abgucken,
die Sicherheitsbehörden aber nicht gleichermaßen in der Lage sind, z. B. mit modernster Technik zu arbeiten.
Deshalb ist das Abhören von Gangsterwohnungen eine ebenso unentbehrliche Maßnahme wie etwa die Verwendung von Ermittlungsergebnissen der Geheimdienste im Kampf gegen das Verbrechen oder die Verlängerung der Kronzeugenregelung.
Technische Sicherungen gegen den bandenmäßigen Kraftfahrzeugdiebstahl, den Mißbrauch von Kreditkarten oder drohende Gefahren im Bereich elektronisch gesteuerter Dienstleistungen beweisen neue Chancen der Technik in der Verbrechensbekämpfung. Ich sage voraus, daß sich sogar neue Chancen wirtschaftlicher Art für diejenigen erweisen werden, die zuerst den werblichen Faktor der Sicherheit in Produkten und Dienstleistungen richtig erkennen.
Die Koalition stellt sich diesen Herausforderungen, die sich für den Rechtsstaat aus der weiter ansteigenden Bedrohung durch das Verbrechen ergeben. Daß wir in der Koalition nicht in allen Punkten völlig einig sind, ist offenkundig. Wir werden dieses Einvernehmen im Laufe der Zeit herstellen. Wir befinden uns im ersten Monat der Legislaturperiode, und ich meine, wir werden ein anderes Ergebnis in ihrem letzten Monat haben, nämlich eines, das der Verbrechensbekämpfung mit modernsten Methoden weiteren Raum gegeben hat.
Wir werden also die jetzt geschaffenen Vorschriften des Gesetzes zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens oder des Verbrechensbekämpfungsgesetzes bis Anfang 1996 sorgfältig analysieren, praktische Erfahrungen in diese Überprüfung einfließen lassen und dies alles in einem nationalen Kriminalitätsbekämpfungsplan unterbringen, unter Beteiligung von Bund und Ländern, die dabei unverzichtbar mitwirken müssen. Wir haben in der Koalitionsvereinbarung in einer Vielzahl von Punkten den dringlichsten
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Bundesminister Manfred Kanther
Handlungsbedarf angesprochen: z. B. Verfahrensbeschleunigung, Opfer- und Zeugenschutz, die Notwendigkeit, die Untersuchungshaft bei Jugendlichen und den Jugendstrafvollzug zu überprüfen. Das alles wird schnell angepackt. Wir werden haushaltsmäßig durch eine entsprechende Prioritätensetzung wirksame Bedingungen für die Verbrechensbekämpfung schaffen. Der Haushalt der Sicherheitsbehörden steigt deutlich höher, wofür ich dankbar bin, als der Haushalt im Ganzen.
Deutschland ist keine Insel bei der Kriminalitätsbekämpfung, sondern Deutschland ist durch seine zentrale Lage ein schlimmes Betätigungsfeld für international operierende Straftäter. Insbesondere die Grenzöffnungen zu unseren östlichen Nachbarn haben auch die Kriminalitätsszenerie in Deutschland nachhaltig verändert. Es ist leider wahr, daß die Gruppen der Asylbewerber oder Pseudotouristen besonders kriminalitätsbelastet sind, und zwar diejenigen, die nur kurze Zeit in unserem Land verweilen, kriminell hineingeschleppt werden, häufig schon zum Zwecke illegaler Arbeit oder von Straftatenbegehung. Dies kann niemanden freuen. Hier zeigt sich eine schlimme Verbindung zwischen grenzüberschreitender Schleuserkriminalität, weltweit wirkenden Verbrecherorganisationen und den Reflexen im Inland. Auf diese Wechselwirkungen stellen wir uns ein, insbesondere durch den Ausbau der Grenzsicherung, was den BGS vor besonders wichtige Aufgaben stellt. Das findet sich übrigens auch im Haushalt wieder.
Wir müssen die europäische Seite der Verbrechensbekämpfung stärken. Wir haben dort einen erheblichen Nachholbedarf im Bewußtsein unserer Partner. Unsere Bemühungen in dieser Präsidentschaft sowohl zum Thema Europol wie zum Thema burden sharing im Bereich von Asyl- und Flüchtlingswesen, wie in der Frage von Wegfahrsperren für Kraftfahrzeuge werden nun einmal zu meinem Bedauern nicht gleichermaßen von all unseren Partnern beantwortet. Ich bin froh, daß der Gipfel in Essen wichtige Leitentscheidungen zum Thema Europol oder auch z. B. zum Ausbau der EDE als Vorstufe von Europol gegeben hat, um Menschenhandel, um Nuklearkriminalität und gewerbsmäßigen Kraftfahrzeugdiebstahl in einen großen Straftatenkatalog aufzunehmen, der schrittweise in die Arbeit von Europol hineinführt. Kein Zweifel, Herr Kollege, mir wäre mehr lieber gewesen. Aber ich kann nicht darüber hinweg, daß es in Europa immer noch Staatsmänner gibt, die sich über die Frage der Rechnungsprüfung bei Europol tagelang mit anderen streiten können und das für wichtiger halten als die Bekämpfung von Terrorismus oder organisiertem Kraftfahrzeugdiebstahl. Das zu ändern liegt nicht in der Hand der Bundesregierung.
— Ich glaube nicht, daß es an meiner Überzeugungskraft gelegen hat. In anderen alten Nationalstaaten haben die Fragen der Souveränität bei der Verbrechensbekämpfung und bei Angelegenheiten von Polizei und Justiz einen derart herausgehobenen Stellenwert, daß sie selbst zu kleinen weiteren Schritten nur
mühsam zu bewegen sind. Solche Schritte sind getan und werden weiter getan.
Von besonderer Bedeutung ist das Zusammenwirken mit den Ländern in der Kriminalitätsbekämpfung ebenso wie anderen Fragen des inneren Friedens, in der Frage der Ausländerpolitik ganz besonders. Es geht nicht an, daß die Länder freihändig, je nachdem, wie es einem gerade am bequemsten ist, der eigenen Verantwortung auszuweichen, ihre Abschiebestopps verhängen und damit den Asylkompromiß durch die Hintertür unterlaufen. Das geht nicht.
Ich bin in der letzten Innenministerkonferenz von den Abschiebestoppvorschlägen betreffend Aserbaidschan, Armenien, türkische Christen, Kurden, Togo, Zaire und sämtliche Altfälle heimgesucht worden. Sie müssen sich nur einmal an einem Beispiel die sozialdemokratische Politik vorführen lassen.
Da wird von Bremen ein Abschiebestopp für Togo verlangt. Weil sich dafür niemand erwärmt, wird der Antrag in der Sitzung zurückgenommen. Heute morgen lese ich in der Zeitung, daß Schleswig-Holstein die Abschiebung nach Togo wieder gestoppt hat.
In der vorigen Woche habe ich die Visumfreiheit für Togo — und einige andere schwarzafrikanische Staaten — aufheben müssen, weil übelstes Schlepperwesen die Visumfreiheit in Togo und die Tatsache, daß Rußland nicht sicheres Herkunftsland ist, zum Einschleppen von Tausenden von Togolesen von Togo über Moskau nach München — weil es da ein Togo-Generalkonsulat gibt benutzt hat. Das ist die Realität einer Länderpolitik, die der Verantwortung ausweicht. Das geht nicht.
Wir werden in dem derzeit wichtigsten Fall der Abschiebeproblematik bis zum 20. Januar einen Abschiebestopp miteinander beachten. Dem habe ich zugestimmt, weil das türkische Abgeordnetenurteil in der Tat von so besonderer Bedeutung auch für die beidseitigen Beziehungen unter den Aspekten von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ist, daß es gründlich geprüft werden möge.
Wenn es hingegen lediglich Bezüge zum Thema PKK hat, was nicht unser reales Abschiebeproblem darstellt, und keine Bezüge zum allgemeinen Kurdenthema besitzt — Herr Schnoor hat mir erklärt, daß er im vergangenen Jahr 1 000 Kurden als normale Asylbewerber abgeschoben hat, die keinen Berechtigungsstatus in Deutschland gewinnen konnten —, dann ist es selbstverständlich, daß die Abschiebung wieder aufgenommen werden muß.
Denn wenn wir in der Welt den Eindruck entstehen lassen, daß man nach Deutschland nur hereinkommen muß, um dann vor Abschiebung sicher zu sein, kann es
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Bundesminister Manfred Kanther
nicht zweifelhaft sein, daß wir den Zugang nicht beherrschen werden und erneut die innenpolitischen Probleme wie in der Zeit vor dem Asylkompromiß haben werden.
Es sind zu viele und aus aller Welt, die überwiegend kriminell geschleppt in dieses Land drängen, als daß wir unter bevorzugt humanitären Aspekten dieses dulden könnten. Das wird nicht geschehen.
Das Ausländerrecht hat nicht nur die Funktion, ausländerrechtliche Probleme im Sinne von Rechtsansprüchen der Ausländer zu regeln, sondern natürlich auch die Funktion, die inländische Gesellschaft vor einem solch unbeherrschbaren Zustrom von Ausländern oder gar rechtswidrigen Verhalten im Inland zu sichern. Beide Komponenten des Ausländerrechts werden diese Bundesregierung und diese Koalition weiter wesentlich beachten.
Ich danke Ihnen.