Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus dem Mund von Theodor Waigel verlautete am bayerischen Wahlabend, nachdem die CSU die absolute Mehrheit bekommen hatte: Ich bin ein Gottesgeschenk.
Wie viele Gottesgeschenke brauchen Sie als Finanzminister, Herr Waigel, urn die finanziellen Risiken, die über Ihrem Bundeshaushalt 1995 schweben, in Zukunft meistern zu können?
Sie haben sich heute morgen in Schale geworfen und in Szene gesetzt, indem Sie gesagt haben: Die Konjunktur läuft an, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Steuerquellen sprudeln.
In Wirklichkeit haben Sie in der Steuerschätzung für nächstes Jahr gerade mal 3,5 Milliarden DM zusätzliche Einnahmen veranschlagt. Der Sockel an Arbeitslosigkeit, der aus jeder Krise zurückbleibt, wird um ein Vielfaches mehr kosten, als der Aufschwung nach der letzten Konjunkturkrise erbracht hat. Wir haben jedesmal einen Sockel von mindestens 500 000 zusätzlichen Arbeitslosen.
Herr Waigel, wir hätten gerne Antworten, und zwar von den Regierungsparteien. Sie stellen sich heute hin und machen aus der Not eine Tugend. Sie sagen: Bringt uns doch als Opposition Konzepte! Sie haben eine so knappe Mehrheit, daß bei jedem Einsparvorschlag Ihrer Regierung sofort ein betroffener Lobbyist aufheult und die Regierungsfähigkeit daran scheitert.
Das ist doch das Problem. Deshalb hören wir von Ihnen keine Antworten.
Wie wollen Sie eine Unternehmensteuerreform mit 30 Milliarden DM Volumen finanzieren? Wie wollen Sie die Freistellung des Existenzminimums, die insgesamt 15 Milliarden DM kostet, finanzieren? Wie wollen Sie den Scheck über die Bahnreform, der im Jahre 1996 mit 6 Milliarden DM noch nicht gedeckt ist,
358 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
Oswald Metzger
einlösen? Wie wollen Sie die langfristigen Risiken finanzpolitischer Art in dieser Gesellschaft in den Griff bekommen, die da lauten: Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsfonds für die politisch schwachsinnige gesetzliche Regelung im Rahmen der deutschen Vereinigung „Entschädigung vor Rückgabe"? Wie wollen Sie diese Risiken abfedern?
Wie wollen Sie beispielsweise der Tatsache Rechnun tragen, daß die Pensionsbereitstellungen im Bundeshaushalt wegen der Beamtenpensionen verhältnismäßig stark steigen und die Versorgungslasten für den Bundeshaushalt deshalb in Zukunft eine Erblast darstellen?
Für viele dieser Fragen gibt es keine Antworten. Als jemand, der aus der Kommunalpolitik kommt, weiß ich eine Antwort, die Ihnen auch die CDU-, CSU- Bürgermeister, -Oberbürgermeister und -Landräte singen: Der Bund hat die Möglichkeit, Kosten nach unten, auf die Kommunen, wegzudrücken. Das hat er in der Vergangenheit mit einer Fülle von gesetzlichen Regelungen gemacht.
Die Planung, die im Bereich der Arbeitslosenhilfe ansteht, besagt nichts anderes, als daß Sie an Ihrer ursprünglichen Konzeption festhalten. Dadurch, daß Sie das erst im Oktober nächsten Jahres finanzwirksam in Szene setzen, haben wir die jährliche Belastung der Kommunen von 4 Milliarden DM auf 1 Milliarde DM im Jahre 1995 reduziert. Das heißt doch im Klartext: Man führt eine gespenstische Debatte über Sozialmißbrauch — zu der sich jetzt auch die Sozialdemokraten verführen lassen —,
um damit einen Generalangriff auf die Kommunen vorzubereiten. Wo bleibt der Soziallastenausgleich des Bundes für die Gemeinden,
die die Kosten der Reparaturpolitik zahlen, weil hier keine Arbeitsmarktpolitik gemacht wird?
Es gibt eine Fülle von Aufgaben, deren Lösung nach der Fachdiskussion der entsprechenden Gremien einen Konsens erforderlich macht. Joschka Fischer hat in seiner Rede zur Regierungserklärung gesagt, wir werden keine Opposition der Dämlichkeit in diesem Parlament sein. Deshalb werde ich auch einen Teufel tun und hier nur angreifen und keine Konzepte oder wenigstens Ideen einbringen. Wir werden dies auch im Haushalts- und im Finanzausschuß machen. Sie können uns dann an unseren Taten messen und nicht nur an parlamentarischen Fensterreden.
Jetzt komme ich zum Thema „Wo gibt es Rezepte?".
Ich habe mich gefreut, als ich in der Regierungserklärung den schlichten Satz gelesen habe: Der Bund will seine Hausaufgaben machen, die die Gemeinden schon seit zwei Jahren machen, seit ihnen nämlich das Wasser bis zum Hals steht, und betriebswirtschaftliche Elemente bei der öffentlichen Leistungserbringung stärker zur Geltung bringen.
Diese Konzepte, nämlich dezentrale Ressourcenverantwortung, Abflachung von Hierarchien — in der Industrie längst erprobt —, müssen wir in die öffentliche Verwaltung einbringen. Hier gibt es Ressourcen in der Leistungserbringung, die wir erst einmal mobilisieren sollten, bevor wir aus ideologischen Gründen einfach das Schlagwort der Privatisierung verwenden.
Sie können mit uns eine Haushaltsreform beschließen, die ihren Namen verdient: weg von der Kameralistik, hin wenigstens zur doppelten kaufmännischen Buchführung, zu Leistungs- und Kostenbilanzen, zum Sparen nicht nach dem Rasenmäherprinzip, sondern mit Intelligenz und Sachverstand.
Und was darüber hinaus not tut: endlich einmal eine Philippika gegen die Angriffe, daß im öffentlichen Dienst nur Pflaumen arbeiten. Wir haben im öffentlichen Dienst gute Leute beschäftigt, aber die muß man von den starren Regelungen des Dienstrechts befreien. Stellenobergrenzenverordnungen gehören beispielsweise in den Orkus geworfen. Darunter leiden nicht nur die Kommunen, die ihre guten Leute an die jeweils nächsthöhere Ebene, die besser bezahlt, ziehen lassen müssen. Darunter leiden auch der Bund und die Länder. Hier gibt es einen großen Aufgabenbedarf. Man muß natürlich auch an Besitzständen rütteln, die uns allen — im Parlament sitzt ja fast die Hälfte aus dem öffentlichen Dienst — lieb geworden sind. Hier müssen wir auch an die eigenen Pfründe gehen.
Ein weiteres Beispiel: Man kann auch intelligente Politik betreiben, ohne Kosten nach unten abzudrükken. Die Kommunen stehen mehr als wir Bundestagsabgeordnete als Zielscheibe der öffentlichen Kritik am Pranger. Jedes Bundesgesetz, das wir verabschieden, das nicht ausgegoren ist und Kosten nach unten wegdrückt, müssen die Gemeinderäte und -rätinnen, Kreisräte und -rätinnen aller Fraktionen ausbaden.
Deshalb gibt es von unten unisono diese Klage.
Ich nenne ein Beispiel: In den Bundesländern werden derzeit die ÖPNV-Gesetze gemacht bzw. sind teilweise bereits beschlossen. Ein Haupthemmnis eines vernünftigen Mitteleinsatzes im öffentlichen Nahverkehr in strukturschwachen Räumen abseits der Ballungsräume ist das Personenbeförderungsgesetz des Bundes, das bei anderer Ausgestaltung den Zugriff der Landkreise auf die Linienkonzessionen der Busunternehmen ermöglichen würde. In unserem Landkreis beispielsweise — dies ist der schwärzeste Landkreis Baden-Württembergs; der CDU-Kollege von Waldburg-Zeil kann Ihnen das bestätigen, er hat
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 359
Oswald Metzger
das höchste Erststimmenergebnis seiner Partei in Baden-Württemberg — beklagt sich der Landrat Schneider von der CDU, daß nicht einmal die eigenen Leute der CDU-Landtagsfraktion merken, daß hier der Bund den Weg über eine Änderung des Personenbeförderungsgesetzes frei machen muß. Dann kann mit den bisherigen Subventionen des ÖPNV das Fahrgastangebot um ein Drittel erhöht werden, ohne daß zusätzliche Finanzmittel geschoben werden müssen. Dies ist ein praktisches Beispiel.
Ein weiteres Beispiel: Führen Sie im Stromeinspeisungsgesetz des Bundes, das 1991 in Kraft getreten ist, Einspeisevergütungsmindestbedingungen für KraftWärme-Kopplung ein. Sie werden einen Investitionsboom auslösen, der die Kommunen in die Lage versetzen wird, diese sinnvolle ökologische Technik einzusetzen, die auch mittelstandsfreundlich ist. Es würde viele Installationsbetriebe in die Lage versetzen, solche Dinge für rund 500 000 DM pro Blockheizkraftwerk zu bauen. Dann haben Sie eine ökologische Investition mittelstandsfreundlich verkauft, ohne daß der Bund eine zusätzliche Mark zuschießen muß. Dies ist eine intelligente Lösung.
So einfach ist es manchmal, wenn man sich den Kopf über etwas zerbricht und nicht nur vordergründig nach Milliardensparvorschlägen schielt, sondern auch daran denkt, daß das, was wir in diesem Parlament machen, Auswirkungen auf die Situation der Bürgerinnen und Bürger in ihrem Heimatort hat.
Ein letztes Wort. Frau Matthäus-Maier hat heute früh Beispiele dafür genannt, was die Freistellung des Existenzminimums von der Steuer einem Durchschnittsverdienerhaushalt pro Monat an Entlastung bringt. In einem Beispiel nannte sie als den untersten Wert eine Entlastung von 21 DM pro Monat. Ich verfolge derzeit die Presse in Oberschwaben aus der Gegend, aus der ich komme. Ich lese, daß serienweise Kreise und Gemeinden Abfall- und Abwassergebühren in einer Größenordnung erhöhen, die beim Abwasser 1,50 DM bis 2 DM pro m3 im Monat ausmacht. Das bedeutet für einen Vierpersonenhaushalt — das ist eine Folge des Wegdrückens von Kosten vom Bund auf die Länder und Gemeinden — bei 150 m3 Abwasser im Jahr Mehrkosten von knapp 300 DM im Jahr. Schon ist die Entlastung weg.
: Was hat
Abwassergebühr mit dem Bund zu tun?)
— Das hat damit zu tun, daß die Kämmerer in den Städten und Gemeinden wegen der Finanzmisere die kalkulatorischen Kosten in den Gebührenhaushalten plötzlich bis zum Gehtnichtmehr ausreizen.
— Ich weiß, wovon ich rede. Die kalkulatorischen Kosten steigen beispielsweise durch die Tatsache, daß die Anlagekapitalverzinsungssätze in der Gebührenkalkulation erhöht werden. Das alles liegt daran, daß Sie diese Politik im Bund machen.
Damit möchte ich schließen. Machen Sie Ihre Hausaufgaben im Bund, und treten Sie dann vor Ihre Kommunalpolitiker in Ihren heimatlichen Wahlkreisen.
Vielen Dank.