Rede von
Dr.
Barbara
Höll
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Waigel, gestatten Sie mir, daß ich Ihnen ebenfalls gratuliere, und zwar zu Ihrer heutigen Rede. Denn Sie haben in Worte gefaßt, was Nietzsche mit philosophischer Tiefe als „ewige Wiederkehr" bezeichnete.
So verhält es sich in der Tat: Jahr für Jahr bringen Sie die gleiche Rede zum Haushalt ein. Auch die heutigen Ausführungen unterscheiden sich wohl nur in der Anordnung der Textbausteine von den Etatreden früherer Jahre. Das einzig Lebendige Ihrer haushalts- und finanzpolitischen Reden ist das wachsende Defizit des Bundes.
Woher, Herr Waigel, nehmen Sie nach dem Scheitern Ihrer finanzpolitischen Prognosen noch den Mut, vor dem Bundestag zu behaupten, gegenüber dem ersten Haushaltsentwurf für 1995 werde sich die veranschlagte Nettokreditaufnahme um rund 10 Milliarden DM auf rund 59 Milliarden DM reduzieren? Seit Jahren schon verkünden Sie Konsolidierungsstrategien, die Sie auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger austragen.
Das strukturelle Haushaltsdefizit ist in Ihrer Amtszeit förmlich organisch gewachsen. Seit Jahren nehmen Sie für sich in Anspruch, die Nettokreditaufnahme zu senken. Ebenfalls seit Jahren melden Sie Erfolge, bevor Sie gehandelt haben. Wahrlich unschlagbar ist Ihre Formulierung — nachzulesen in den „BMF- Finanznachrichten 35/93" —: „Bei der Rückführung der Kreditaufnahme wird es bleiben. Nur leider auf einem höheren Niveau." Das heißt im Klartext: Ich werde sparen und dabei noch mehr ausgeben.
348 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
Dr. Barbara Höll
Wie sieht das konkret aus? Der Finanzplan 1992 bis 1995 erwartete für das kommende Haushaltsjahr ein Ausgabevolumen von rund 450 Milliarden DM und eine Nettokreditaufnahme von 25 Milliarden DM. Nach der im Juli vorgelegten und von Ihnen offenbar aus guten Gründen nicht mehr aktualisierten Finanzplanung für 1994 bis 1998 rechnen Sie für das kommende Jahr mit Ausgaben in Höhe von 484 Milliarden DM, zu deren Finanzierung die offizielle Neuverschuldung auf mindestens 59 Milliarden DM verdoppelt werden soll.
Doch obwohl Ihnen die Finanzplanung völlig aus dem Ruder gelaufen ist, stellen Sie sich hier vor den Bundestag und rühmen sich einer maßvollen Begrenzung der Ausgaben. Diesen Schein können Sie nur deshalb wahren, weil Sie zum einen das über Nachtragshaushalte stetig gewachsene Ausgabensoll unterschlagen und zum anderen absehbare Belastungen kommender Haushalte einfach nicht in der Finanzplanung berücksichtigen. So haben Sie z. B. die im Wahlkampf von der CDU/CSU versprochene und von der Koalition vereinbarte Erhöhung der sozial ungerechten Kinderfreibeträge von 4 104 DM auf 7 000 DM in der Finanzplanung nicht berücksichtigt. Steuerausfälle in Höhe von insgesamt 12 Milliarden DM, die den Bund rund 5 Milliarden DM kosten würden, wären die Folge. Dafür ist keinerlei Vorsorge getroffen.
Ich halte die Entscheidung des Bundesfinanzministers, dem Bundestag keine aktualisierte Finanzplanung vorzulegen, für eine Mißachtung des parlamentarischen Budgetrechts.
Denn tatsächlich liegen ja dem neuen Haushaltsentwurf um etwa 3,5 Milliarden DM höhere Steuereinnahmen, als im ersten Entwurf ausgewiesen, zugrunde. Der hehre Anspruch, die Nettokreditaufnahme gegenüber dem Juli-Regierungsentwurf um 10,2 Milliarden DM zu senken, stellt doch wohl keine „peanuts" dar. Gleiches gilt für die eher beiläufig gemachte Mitteilung, die Neuverschuldung werde 1997 und 1998 höher ausfallen, als im Sommer verkündet.
Weil die Bundesregierung ganz offensichtlich versucht, die wahren Folgen ihres Anschlußkurses sowie das volle Ausmaß ihrer chaotischen Finanzpolitik zu verschleiern, verstößt der Entwurf des Bundeshaushalts 1995 gegen die Bundeshaushaltsordnung.
Beträge und Sachverhalte werden verschleiert und vorgetäuscht. Ich frage mich, Herr Waigel: Ist es Ihnen nicht langsam peinlich, hier wie eine Gebetsmühle ständig die gleichen Unwahrheiten zu wiederholen?
Zur Begründung für den dramatischen Anstieg der Neuverschuldung wird — heute wieder einmal — auf die angeblichen Erblasten der DDR hingewiesen. Die DDR soll der reichen Bundesrepublik angeblich einen Schuldenberg von 400 Milliarden DM hinterlassen haben. Dieser plumpen Propaganda möchte ich nachprüfbare Fakten entgegenhalten.
Erstens. Die Schulden des Staatshaushaltes der DDR, die Teil des Kreditabwicklungsfonds wurden, betrugen am 3. Oktober 1990 nachweislich 28 Milliarden DM.
Zweitens. Laut Monatsbericht der Bundesbank vom Juli 1990 war die DDR gegenüber dem Ausland mit netto 20,3 Milliarden DM verschuldet. Die aus den Wohnungsbaukrediten resultierenden Schulden machen noch einmal 38 Milliarden DM aus. Damit ergibt sich insgesamt eine Summe von 86,3 Milliarden DM. Das klingt ja wohl etwas anders. Das können Sie übrigens in der Drucksache 26 des früheren Unterausschusses „Treuhand" nachlesen.
Der frühere Bundesbankpräsident Pöhl hat vor dem Treuhand-Untersuchungsausschuß bezüglich der Auslandsverschuldung eindeutig Stellung genommen. Ich zitiere:
Die DDR hatte ja interessanterweise fast keine Staatsschulden; die Regierung hatte praktisch keine Schulden oder nur geringe Schulden .. . Verglichen mit Polen z. B. oder mit anderen Ostblockstaaten war es nicht sehr hoch ... Hat uns auch keine großen Probleme bereitet, weil wir gesagt haben: Gut, das wird übernommen, erledigt.
— Herr Faltlhauser, Herr Pöhl sagte das. Herr Pöhl bezeichnete die Währungsunion nicht nur als eine „Roßkur", „die keine Wirtschaft aushält", sondern er bezeichnete sie vor dem Europäischen Parlament schlicht als „Desaster".
Der Schuldenberg von jetzt 400 Milliarden DM, den nun der Bund abtragen muß, ist die Folge der gegen jeden ökonomischen Sachverstand aus politischen Erwägungen herbeigeführten Währungsunion.
Hier wuchs nichts zusammen; hier wurde etwas zusammengenagelt. 400 Milliarden DM Schulden — das ist die Erblast aus vier Jahren christlich-liberaler Wirtschafts- und Finanzpolitik im Geiste Günther Mittags und Erich Honeckers.
Herr Waigel, Sie können den Bürgern in den neuen Bundesländern auch nicht die Pro-Kopf-Verschuldung von 27 000 DM erklären.
Es ist nicht ersichtlich, wie die Absicht der Bundesregierung, durch eine nicht näher definierte Neuordnung der Bestimmungen zur Arbeitslosenhilfe und zur Sozialhilfe im Bundeshaushalt ab Oktober 1995 1 Milliarde DM einzusparen, umgesetzt werden soll. Wir hoffen, daß hier die SPD-regierten Länder wenigstens einmal Rückgrat beweisen und daß diese Pläne, die in den Schubladen liegen, nicht verwirklicht werden.
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 349
Dr. Barbara Höll
Der Bundeszuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit soll von 1994 auf 1995 um 6,5 Milliarden DM auf 11,5 Milliarden DM gekürzt werden. Nach Ihrem Juli-Entwurf waren es noch 14,8 Milliarden DM. Keinerlei Tatsachen stehen dahinter, woher Sie diese Kürzungen nehmen wollen. Man höre und staune: Sie bleiben bei Ihrer Zielstellung, bis 1998 die Zuschüsse des Bundes für die Bundesanstalt für Arbeit auf Null herunterzufahren. Ich frage mich wirklich, wie da noch irgend etwas finanziert werden soll, denn Sie glauben doch nicht, daß die Massenarbeitslosigkeit bis dann durch Ihre Politik in den Griff zu kriegen sein wird.
So ganz nebenbei bedienen Sie sich zur Tilgung Ihrer Haushaltsdefizite dann auch noch aus Dingen, die Ihnen eigentlich nicht zustehen. Beispiel: Die zur bundeseigenen Staatsbank Berlin mutierte ehemalige Staatsbank der DDR soll wieder als Melkkuh mißbraucht werden. Bereits in diesem Jahr bediente sich Herr Waigel mit 1,05 Milliarden DM aus diesem Geld. Nun soll durch eine Zusammenführung mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau überschüssiges Eigenkapital in den Bundeshaushalt fließen. Stillschweigend nimmt Herr Waigel 5,6 Milliarden DM — Geld, das eigentlich die neuen Bundesländer einfordern.
Zu der ungerechten Steuerfreistellung hat Frau Matthäus-Maier hier ausführlich gesprochen.
Ich möchte vielleicht noch darauf hinweisen, daß die westdeutsche Industrie nach Prognosen des IfoInstituts in diesem Jahr vor einem Gewinnanstieg um rund 150 % auf etwa 50 Milliarden DM steht. Dennoch beabsichtigt die Bundesregierung, die Unternehmen um Steuern in Höhe von rund 30 Milliarden DM zu entlasten.
Das soll aufkommensneutral geschehen, d. h. durch Steuererhöhungen an anderer Stelle gegenfinanziert werden, und setzt voraus, daß der Solidaritätszuschlag entfällt. Denn der Bund darf diese Abgabe nur zur Deckung eines wirklich bestehenden zusätzlichen Finanzbedarfs erheben. Das erklären Sie einmal bei diesen Zahlen und den Gewinnanstiegen auf der anderen Seite.
Wenn die Bundesregierung an dieser Absicht festhält, die Unternehmensteuern zu senken, dann muß sie gleichzeitig den Steuerausfall von 58 Milliarden DM als Folge erklären, nämlich wie sie das ohne den Wegfall des Solidaritätszuschlags machen will. Auf Ihre Buchungstricks hat Frau Matthäus-Maier ebenfalls sehr ausführlich hingewiesen.
Zum Ende: Wenn Sie als Finanzminister sagen, im Haushalt und auch in der mittelfristigen Finanzplanung muß man sich konzentrieren, so frage ich mich: Worauf? Auf Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit? — Nein. Auf Bekämpfung der Armut? Ebenfalls nein. Entsprechend dem großdeutschen Getöse konzentrieren Sie sich auf den Rüstungshaushalt.
Ausdrücklich wurde im Juli-Finanzbericht mit offensichtlichem Stolz darauf hingewiesen, daß der Rüstungshaushalt — ich zitiere — „von der Fortschreibung der globalen Minderausgabe 1994 sowie sonstigen Kürzungen ausgenommen" wird. Der Verteidigungshaushalt 1995 wird gegenüber 1994 um fast
670 Millionen DM auf rund 48 Milliarden DM wachsen.