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ID1300803100

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    Plenarprotokoll 13/8 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 8. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abgeordneten Wolfgang Vogt (Düren) und Dr. Alfred Dregger 313B Neubezeichnung eines Ausschusses 313 B Erweiterung und Ablauf der Tagesordnung 313 B Zur Geschäftsordnung Manfred Müller (Berlin) PDS 313 D Joachim Hörster CDU/CSU 314 B Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 314 C Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1995 (Haushaltsgesetz 1995) (Drucksache 13/50) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1994 bis 1998 (Drucksache 12/8001) c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über den Stand und die voraussichtliche Entwicklung der Finanzwirtschaft (Drucksache 13/76) Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 315 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 324 C, 366 D Hartmut Schauerte CDU/CSU 330 B Gunnar Uldall CDU/CSU 332 A Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 335 B Otto Schily SPD 336 D Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 339 B Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. 342 A Ingrid Matthäus-Maier SPD 343 B Dr. Barbara Höll PDS 347 C Joachim Poß SPD 349 C Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. 349 D Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU 351 D Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/ CSU 354 B Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 355 C Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 357 C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 359C Detlev von Larcher SPD 360 B Dr. Peter Struck SPD 361 D Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 362 A, 364 A Dietrich Austermann CDU/CSU 364 B Dr. Uwe-Jens Rudi Rössel PDS 367 B Manfred Kanther, Bundesminister BMI 369 B Fritz Rudolf Körper SPD 371 A Erwin Marschewski CDU/CSU 374 C Johannes Singer SPD 374 D Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 375 D II Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 Cern Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 377 C Ina Albowitz F D P 379C Ulla Jelpke PDS 381 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ 381 D Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 384 A Norbert Geis CDU/CSU 388 A, 392 B Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 392 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 392 C Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 393 C Nächste Sitzung 394 D Berichtigung 394 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 395* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 313 8. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 7. Sitzung, Seite 307 A, Zeile 22: Statt „15 %" ist „50 %" zu lesen. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Borm, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 395* Anlage zum Stenographischen Bericht (C) Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 14. 12. 94 * Borchert, Jochen CDU/CSU 14. 12. 94 Conradi, Peter SPD 14. 12. 94 Dr. Eid-Simon, Ursula BÜNDNIS 14. 12. 94 90/DIE GRÜNEN Heym, Stefan PDS 14. 12. 94 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 14. 12. 94 Iwersen, Gabriele SPD 14. 12. 94 Sauer (Stuttgart), Roland CDU/CSU 14. 12. 94 Schmidt-Zadel, Regina SPD 14. 12. 94 Schumann, Ilse SPD 14. 12. 94 Vergin, Siegfried SPD 14. 12. 94 Wallow, Hans SPD 14. 12. 94 Warnick, Klaus-Jürgen PDS 14. 12. 94 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Christine Scheel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf den ersten Blick, Herr Waigel, sieht es ganz gut aus; man muß schon sagen: sehr eindrucksvoll, aber leider eben nur auf den ersten Blick. Auch das Existenzminimum ist jetzt als eine Art Weihnachtsbescherung ganz nett und — wie in der Zeitung zu lesen war — das doppelte Glück des Theo Waigel. Damit war übrigens nicht Ihre Ehe gemeint — herzlichen Glückwunsch auch von unserer Seite —, sondern eher, daß Sie von einmaligen Sondereinnahmen durch die Privatisierungserlöse profitieren. Das ist nicht unbedingt auf die nächsten Haushalte übertragbar. Das wissen Sie sehr gut.
    Das helle Strahlen jetzt wird nicht viel nutzen; denn für die Steuerzahler und -zahlerinnen ziehen in den nächsten Jahren sehr finstere Wolken am Himmel auf. Diese werden auch nicht an der österreichischen Landesgrenze kurz vor Bayern haltmachen, sondern sie werden leider die gesamte Bundesrepublik überziehen.
    Wenn man sich dann anschaut, was gestern sogar in der FAZ mit der Überschrift „Waigels Sündenfall" stand: „Der Gesetzgeber beschäftigt sich zunehmend damit, die eigenen Fehlleistungen durch neue Fehlleistungen zu ersetzen" , dann muß man sich schon fragen, ob hier wohl wirklich etwas nicht stimmt.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Auch ein bißchen Entlastung als Ausgleich für die Mehrwertsteuererhöhung — sie wird kommen; das müssen Sie den Bürgern und Bürgerinnen ehrlich sagen —, gestiegene Sozialabgaben, die wir hatten, Versicherungssteuer, Solidaritätszuschlag — all dies wird über Maßen die niedrigeren Einkommen treffen.
    Ebenso sind Sie mit den Geringverdienern und vor allem mit den Familien in den letzten Jahren auf eine Art und Weise verfahren, zu der man einmal ganz flapsig sagen muß: Die Sau vom Hof geholt und jetzt ein Kotelett zurückgegeben.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Wie die katholischen Verbände in den letzten Wochen geschrieben haben, heißt es auch: „Die Kinder zählen, und die Eltern zahlen. "
    Die Lösungsansätze dieser Regierung waren sehr kurzsichtig. Sie sind wirkungslos.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es!)

    Es sind Schmalspurreformen — das ist das Problem —, und Steuerhinterziehung ist regelrecht zum Volkssport geworden. 330 Milliarden DM fließen jährlich ins Ausland, laut dem Bund der Steuerzahler werden 130 Milliarden DM Steuern hinterzogen. In Bayern hat man es ja teilweise vorgemacht. Ich erinnere an Herrn Zwick und Konsorten.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Tandler nicht zu vergessen!)

    Man muß sich schon fragen, was hier passiert ist.
    Die Familien haben geblutet, es gibt nicht weniger Arbeitslose, den Kommunen steht das Wasser bis zum Hals, und Fakt ist — auch das muß man einmal sehen —, daß Bürgerinnen und Bürger heute mit durchschnittlich 25 % mehr Steuern und Abgaben belastet sind, als dies noch vor 10 Jahren der Fall war. Im gleichen Zeitraum stieg, das ist das Fatale, die Zahl der Millionäre z. B. in Bayern — ich komme aus Bayern — um 22 %,

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Haben Sie lieber Sozialhilfeempfänger? Was haben Sie gegen Millionäre?)

    von denen ein Teil — auch das muß man leider sehen — überhaupt keine Steuern bezahlt.
    Es ist fazinierend, wie Sie durch die Welt der großen Zahlen benebelt sind. Es kann doch nicht nur darum gehen, Schulden zu verschieben, Steuern zu erheben oder zu senken, je nachdem, wie es gefällt, der einen oder anderen Interessengruppe einmal etwas mehr oder etwas weniger Geld zuzuweisen. Es kann doch nicht angehen, daß Opposition und Regierung — das
    340 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
    Christine Scheel
    sagen wir von der Opposition — sich in ewig gleichen Ritualen und Schuldzuweisungen ergehen.

    (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist wahr! — Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das habe ich überhaupt nicht gemacht!)

    Müssen wir nicht uns alle einmal grundsätzlich fragen, wie unsere ökonomische und finanzielle Leistungsfähigkeit mit den politischen, ökologischen und sozialen Herausforderungen für das nächste Jahrtausend zusammengehen können? Das ist die Kernfrage, die der gesamten Situation zugrunde liegt.
    Die Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte wird 1995 auf mehr als 2 Billionen DM — man kann sich diese Dimension kaum mehr vorstellen —steigen. Das ist eine Verdopplung innerhalb von nur fünf Jahren. Allein die Zinsbelastung des Bundes wird auf mehr als 90 Milliarden DM beziffert.

    (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie müssen das einmal in Relation bringen!)

    — Melden Sie sich zu Wort, wenn Sie etwas zu sagen haben. Dann verstehe ich es besser.
    Was nutzt denn die Kürzung der Neuverschuldung in Höhe von 10 Milliarden DM gegenüber dem Haushaltsansatz von September? Man muß die Optik auch einmal überlegen. Sie wissen, daß durch die Erlöse aus den Privatisierungen — ich habe das vorab schon angesprochen - einige Verfälschungen enthalten sind.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Aber es ist ja doch besser als früher!)

    Herr Schäuble selbst hat gesagt: Ab 1996 sind höhere Steuern unausweichlich. Was heißt das denn? Gibt es eine Mehrwertsteuererhöhung oder nicht? Warum wird das heute nicht gesagt? Warum wird die Wahrheit den Leuten vorenthalten? Ich denke, es ist angebracht, Ehrlichkeit walten zu lassen und den Bürgern und Bürgerinnen die Wahrheit zu sagen, nicht immer so zu tun, als ob Sie alles auf die Reihe bekämen, und dann zwischendurch einfach mal so flapsig wieder die Steuern zu erhöhen.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Zu den Gesamtschulden in Höhe von 800 Millarden DM müssen Sie seriöserweise die Lasten z. B. der Bahnreform und einige andere Posten — sie kennen das ja genauso gut wie ich — hinzuzählen. Dann kommen wir schon auf Schulden in Höhe von 1 400 Milliarden DM allein im Haushalt des Bundesfinanzministers. Das muß man sich einmal vorstellen.

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Die Bahnschulden habe ich auch gemacht?)

    — Ja, ja. — Jeder kleinere Unternehmer stünde mit dieser betrügerischen Bilanz schon längst vor dem Kadi bzw. säße eventuell auch in einem viereckigen, relativ kleinen Zimmer.
    Dieses Land muß wirtschaftlich und gesellschaftlich auf das kommende Jahrtausend vorbereitet werden. Wir brauchen Reformen. Wir brauchen Reformen im Energiebereich, wir brauchen Reformen in unserem Sozialsystem, bei der Verkehrspolitik, vor allen Dingen beim Strukturwandel in der Industrie und nicht zuletzt — auch das wissen wir alle — in unserer Gesellschaft. Damit unsere Jugend, die wir nicht vergessen dürfen, eine Perspektive hat und nicht überhaupt nicht mehr weiß, wie sie diesen Wahnsinnsschuldenberg in den nächsten Jahren auf die Reihe bekommen soll. Deshalb müssen wir Reformen angehen. Dazu ist diese Regierung nicht fähig.

    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Eine umfassende Finanzreform ist auch für eine politische Handlungsfähigkeit notwendig. Wir brauchen kein beliebiges Sammelsurium in einem Steuerrechtsänderungspaket, wie Sie es jetzt vorhaben, dessen Inhalt Tag für Tag immer mehr an konfuse Flickschusterei erinnert. Selbst Ihre eigenen Experten sagen schon, daß das im Steuerchaos endet. Sie wissen es genauso gut wie wir, geben es bloß leider öffentlich nicht zu.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Es geht auch nicht an — das stinkt mir ganz besonders —, daß angesichts der Tatsache, daß die Gerichte überlastet sind und etwa bei den Asylverfahren Berge abgebaut werden müßten, das Bundesverfassungsgericht immer wieder Stück für Stück politische Fehlentscheidungen im nachhinein korrigieren muß, womit es der Bundesregierung — das ist nämlich die Konsequenz — im Prinzip permanent Politikunfähigkeit zudiktiert.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Sparen heißt die Devise. Darin sind wir uns alle einig. Auch DIE GRÜNEN wollen keine weitere Staatsverschuldung. Vielmehr wollen wir sie abbauen helfen. Es ist nur die Frage, wie, auf wessen Kosten und mit welchen politischen Zielen.
    Ich möchte Ihnen nur einige Dinge nennen: Da ist zum einen die Fortsetzung des Sozialabbaus zu Lasten der Arbeitslosen und der kommunalen Haushalte. Selbst wenn Sie jetzt die Befristung der Arbeitslosenhilfe ausgesetzt haben, führt diese Aussetzung zu einem späteren Zeitpunkt unter dem Strich dazu, daß die geplanten Kürzungen ab Oktober, auf das ganze Jahr umgerechnet, den gleichen Kürzungsbetrag wie vorher ausmachen. Das ist der Hammer.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Obwohl die Bundesanstalt für Arbeit in ihrem Etatentwurf bereits jetzt mit einem Defizit von 14,6 Milliarden DM in 1995 rechnet, senken Sie den Bundeszuschuß. Wir wissen aber aus den vergangenen Jahren, welche fatale Auswirkungen das gerade im Fortbildungs- und Umschulungsbereich hat. Das gilt vorwiegend für die neuen Bundesländer, aber auch, Herr Waigel, für Teile Bayerns, z. B. für die Oberpfalz oder für strukturschwache Regionen in Unterfranken.
    Ein weiterer Punkt: der soziale Wohnungsbau, der Städtebau und das Wohngeld. Hierfür wollen Sie keine müde Mark mehr ausgeben, obwohl bekannt ist, daß der Bedarf täglich steigt. Das bedeutet in der Konsequenz entweder, daß immer mehr Menschen sich Wohnraum bei steigenden Mieten nicht mehr
    Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 341
    Christine Scheel
    leisten können, oder Sie verschieben die Last letztendlich auf die Länder und Kommunen.
    Auch die Devise in der Regierungserklärung, Deutschland zukunftsfähig zu machen, kommt nicht über. Was nutzt uns denn dieser Zukunftsminister, wenn gleichwohl die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und der beruflichen Qualifizierung eingefroren und damit faktisch gekürzt wird? Mit dem Zukunftsministerium wird nach außen mit Mordstrara ein Zeichen gesetzt, aber es wird inhaltlich, haushaltstechnisch nicht unterfüttert.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Auch die nur 1,4 Milliarden DM für Umweltmaßnahmen sind ein faktisches Eingeständnis, daß Umweltschutz in diesem Land zum Looser der Nation geworden ist. Es geht auch nicht an, daß Sie hier 8 Milliarden DM anrechnen, die aus den Einzelplänen zusammengefaßt werden, dabei aber nicht einmal merken, daß der Einzelplan 35 überhaupt nicht mehr existiert. Das hat mich sehr verblüfft. Ich nehme einmal an, daß die Beamten im Finanzministerium nicht mit den Textbausteinen umgehen können.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Zum Thema Kohlepfennig. Wir brauchen eine Energiesteuer — daß DIE GRÜNEN das schon längst einfordern, ist kein Geheimnis —, die über eine mittelfristig erforderliche Kohlesicherung hinaus eine nachhaltige Energiesparpolitik unterstützt und uns langfristig aus der Abhängigkeit von „DinosaurierEnergien" wie Kernkraft, Kohle und auch Öl
    befreit.
    Im übrigen muß diese neuerliche Finanzforderung an ihren geknebelten Haushaltsansatz letztlich auch die CDU/CSU und die F.D.P. zur Verzweiflung bringen. Wo wollen Sie denn für 1996 die 7,5 Milliarden DM hernehmen? Wissen Sie das überhaupt? Ich glaube nicht.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das ist eine sehr gute Frage!)

    — Das ist eine sehr gute Frage. Ich weiß. Deswegen stelle ich sie auch.
    Und dann diese Trickbetrügereien bei der Steuerfreistellung des Existenzminimums. Herr Waigel sagt, es ist verfassungskonform. Wir sagen und auch die Experten und Expertinnen sagen, es ist nicht verfassungskonform,

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    und zwar deswegen nicht, weil Sie Berechnungen vom Jahr 1991 bzw. 1990 und nicht die Berechnungen von 1994 zur Freistellungsgrenze bezüglich des Existenzminimums zugrunde gelegt haben. Auch was die Progression mit ihrem Buckel anbelangt, verweise ich im übrigen auf Frau Matthäus-Maier. Dem kann ich mich nur anschließen.
    Auch der Familienlastenausgleich wird Geld kosten. Hier liegt das Problem, daß das Existenzminimum, das von Ihrer Seite für die Kinder angesetzt worden ist, viel zu gering ist. Ich kann nur hoffen, daß die katholischen Verbände, daß die Eltern in diesem
    Land insgesamt auf die Barrikaden gehen. Wir werden sie heftigst dabei unterstützen.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Zu unseren Überlegungen: Wir brauchen selbstverständlich den Abbau von Steuervergünstigungen. Wir brauchen mehr Steuergerechtigkeit für die unteren und mittleren Einkommen. Das ist überhaupt keine Frage.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Welche?)

    — Jawohl, Herr Schäuble. Wir brauchen auch die Einpassungen der heimlichen Steuererhöhungen über die Inflation z. B. Wir brauchen eine Entbürokratisierung, und wir brauchen eine Vereinfachung unseres Steuerveranlagungssystems bzw. der -praxis. Ich denke, da sind wir uns alle einig. Das Problem ist aber, daß wir, um diese Reform erst einmal angehen zu können, einen gescheiten Kassensturz brauchen, der ehrlich sein muß, der gründlich sein muß, der alle Daten offenlegt, damit man überhaupt planen kann, um dann zu einem schlüssigen Gesamtkonzept zu kommen. Dazu sind Sie nicht in der Lage oder auch nicht gewillt, weil so viel auftauchen würde, was man in den letzten Jahren versucht hat zu verstecken, aber mittlerweile nicht mehr verstecken kann.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Ich muß sagen, wir verdammen nicht alles in Bausch und Bogen, was in den Koalitionsvereinbarungen steht. Das sind Kindereien; dazu haben wir keine Lust. Der Vorschlag z. B. zur Budgetierung, Verwaltung effizienter oder auch kostengünstiger zu gestalten, ist in Ordnung, aber ich warne davor, es mit der Rasenmähermethode zu versuchen. Man muß dies sehr differenziert anschauen und darf es dann nicht mit einem Prozent oder pauschal durchziehen, sondern man muß in den einzelnen Abteilungen sehr genau überlegen, wo das Leistungsprinzip in unserer Verwaltung gestärkt werden kann.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Also: An erster Stelle steht der Kassensturz, an zweiter Stelle steht die Offenlegung der staatlichen Finanzlage ohne Schönfärberei und drittens keine weitere Verschiebung von Lasten auf der föderalen Ebene. Es ist das Problem, daß eingespart und dann wieder umgeschichtet wird.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Alles sehr konkret!)

    Wir müssen insgesamt eine Verteilung erreichen, die sehr ehrlich ist. Da muß der Staat bei den Einsparungen bei sich selbst anfangen und kann nicht immer nur fordern, daß die Bürger und Bürgerinnen dies tun. Wir leisten uns weltweit das größte Parlament. Wir haben eine Regierung: von Entschlackung keine Spur! Das bißchen am Wolfgangsee wird nichts nutzen. Die Reduktion der Ministerien bei gleichzeitiger Einstellung von mehr Staatssekretären kostet mehr als zuvor. Das ist auch kein Geheimnis.
    Es ist notwendig, daß wir den wirtschaftlichen Strukturwandel mit allen seinen sozialen, seinen ökonomischen und ökologischen Komponenten bewältigen. Ich rede hier von einer grundlegenden sozialen
    342 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
    Christine Scheel
    und auch ökologischen Steuerreform, die zwingend notwendig ist. Wir haben das hier schon ausgeführt. Wir haben dezidierte Vorschläge gemacht, die wir in die parlamentarische Beratung selbstverständlich mit einbringen.
    Wir sind bereit, am Deutschland der Zukunft mitzuarbeiten, dies aber mit Offenheit, mit Rücksicht auf die Schwächeren in diesem Land, im Hinblick auf eine ökologisch und ökonomisch verträgliche Zukunft.
    Wir wollen kein Steuerchaos mehr. Wir wollen weg davon, daß Steuern zunehmend zu Dummensteuern werden. Hier ist Mut angesagt und kein Hofknicks vor irgendwelchen senilen Interessenverbänden.
    Herr Waigel, zum Abschluß: Steuerlügen haben nun mal kurze Beine.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Rede von Hans Klein
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Otto Solms.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt erfahren wir etwas über den Geist von Gera!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hermann Otto Solms


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie, daß ich vorab die Gelegenheit nutze, um dem Kollegen Michael Glos zu seinem heutigen 50. Geburtstag zu gratulieren.

    (Beifall)

    Politik ist — so hat Hofmannsthal einmal gesagt — Verständigung über das Wirkliche. Es wäre gerade bei einer Haushaltsdebatte gut, wenn wir uns hier einmal über das Wirkliche oder das Mögliche unterhalten würden und nicht über das Wünschbare.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was war denn nun wirklich und was war möglich in Gera, Herr Solms?)

    Denn wir wissen: Vieles ist wünschbar, aber nicht alles können wir erreichen.
    Deshalb diskutieren wir über den Haushalt, der ja das Schicksalsbuch der Nation sein soll,

    (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Mit Schicksalsbüchern haben Sie es im Moment, Herr Solms!)

    weil sich in ihm deutlich niederschlägt, wie die politischen Dinge gestaltet werden und wie die führenden Koalitionsparteien die Zukunft gestalten wollen: nämlich in Richtung einer Erneuerung der gesellschaftspolitischen Strukturen und weg von der Verkrustung, die jetzt überwunden werden muß.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Der Bundeshaushalt 1995 ist dafür eine realistische Handlungsanweisung. Anhänger schöngeistiger utopischer Vorstellungen mag er sicherlich nicht befriedigen. Aber dafür entspricht er in seiner Offenheit und konkreten Aussage den Aufgaben, die vor uns liegen und die wir uns selbst gestellt haben.
    In den kommenden Jahren geht es darum, die Leistungen für die neuen Bundesländer langfristig sicherzustellen, den Haushalt zu konsolidieren und die Staats- und Abgabenquote zu senken, und zwar beides gleichzeitig, Herr Kollege Waigel. Ich bin nicht der Meinung, daß die Konsolidierung der Steuersenkung vorauslaufen muß. Es muß beides Hand in Hand gehen. Denn die extrem hohen Steuerbelastungen, denen die Bürger und die Unternehmen heute ausgesetzt sind, können auf Dauer nicht beibehalten werden, wenn die Leistungsbereitschaft nicht sinken soll.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Jetzt geht es darum, die Staatsquote wieder auf das Maß zurückzuführen, das sie vor der Wiedererlangung der deutschen Einheit gehabt hat, nämlich rund 46 %, und den Schuldenanstieg zu reduzieren. Mit einem Haushalt, der eine Steigerung von unter 1 % in sich birgt, ist das auch machbar. Das ist eine gute Zahl, mit der wir gut leben können.
    Jetzt geht es natürlich darum, die Neuverschuldung weiter zu reduzieren und gleichzeitig die Steuerbelastung zu senken. Unsere politische Maxime muß bleiben: für leistungsgerechte Steuern, für den soliden Staatshaushalt. Denn die Steuerbelastung muß der Leistungsfähigkeit der Bürger entsprechen. Sie darf Leistungswillen und Leistungsbereitschaft nicht beeinträchtigen.

    (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.])

    Kernstück einer Politik für mehr Leistung und zur Schaffung von Arbeitsplätzen kann daher nur eine Reform des Steuersystems sein, weil über das Steuersystem darauf direkt Einfluß genommen wird. Die Vision ist realisierbar, aber eben nur durch konsequentes Sparen, durch weitere Privatisierungen, durch weiteren Abbau von Regulierungen, durch weiteren Abbau der Bürokratie.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Frau Kollegin Matthäus-Maier, auch Sie haben als Zielsetzung das Konsolidieren betont, aber konkrete Vorschläge waren nicht vorhanden.

    (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Eine ganze Menge!)

    Es geht eben nicht, immer von der Schuldenfalle zu sprechen, aber nicht gleichzeitig zu sagen, wie man sie schließen will.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wir haben doch ein 20-Milliarden-Paket gemacht!)

    Wirklich etwas kümmerlich fand ich, Frau Matthäus, den Verweis auf den Sturz von Helmut Schmidt.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das gefällt Ihnen nicht, Herr Solms, das glaube ich!)

    Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994 343
    Dr. Hermann Otto Solms
    Es müßte doch mittlerweile selbst bei Ihnen angekommen sein, daß er damals durch seine eigene Fraktion gestürzt worden ist.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist doch lächerlich!)

    Aber es mag sein, daß Sie diese Geschichtsklitterung brauchen, um Ihr schlechtes Gewissen wegen Ihres Parteiübertritts zu beruhigen.
    Die Auffassung, die Einsparungen, die wir in den letzten Jahren durchgeführt haben, hätten nur die Kleinen betroffen, ist augenscheinlich falsch. Die Einführung des Solidaritätszuschlags und die Erhöhung der Vermögensteuer treffen insbesondere die Besserverdienenden; das ist nicht zu bezweifeln. Im übrigen haben die SPD-geführten Bundesländer dem Einsparungs- wie auch dem Steuererhöhungsteil zugestimmt. Deswegen ist diese Klage nun wirklich nicht berechtigt.
    Der Solidaritätszuschlag, zu dem ich dann auch gleich kommen will, ist gerade ein Produkt der Verhandlungen zwischen Bund und Ländern. Die Bundesländer insgesamt, insbesondere auch die SPD- geführten Länder, angeführt von Herrn Lafontaine aus dem Saarland, haben darauf gedrängt, daß die Lasten, die ihnen wegen der Transferzahlungen in die neuen Bundesländer entstehen, größtenteils vom Bund übernommen werden

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    und daß der Solidaritätszuschlag in dieser Höhe eingeführt wird, was wir ursprünglich nicht wollten.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)