Rede von
Adolf
Roth
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte zum Haushaltsentwurf 1995, zu dem ich jetzt in der Sache wieder zurückkommen möchte, erscheint mir in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Der Haushalt beinhaltet die klare Botschaft des Bundesfinanzministers Theo Waigel, daß die schwierigste Phase der deutschen Finanzpolitik seit dem Zweiten Weltkrieg — die Phase, die geprägt war durch den Prozeß des deutschen Einheitswerks; die Phase, die auch geprägt war durch ein Mitleiden in der internationalen weltwirtschaftlichen Rezession — erfolgreich überstanden worden ist. Der Haushalt 1995 markiert eine Wende hin zu einer zukunftsgerichteten Finanzpolitik, die uns in den nächsten Jahren das Erreichen unserer
strategischen Ziele erlaubt. Dafür, glaube ich, gebührt dem Finanzminister Anerkennung.
Auf der anderen Seite markieren die Haltung der Opposition und die erste Einlassung, die wir soeben gehört haben, weiter ein in der Sache lähmendes Festkrallen an den unproduktiven, falschen Klischees und Angriffsbildern, die wir in den letzten zehn Jahren hier vorgeführt bekommen haben.
Es gibt schon optisch eine bemerkenswerte Innovation in dieser Debatte: Die Plätze hier links von mir, die in den letzten Monaten von der sogenannten Troika belegt waren, sind erstaunlicherweise heute leer geblieben. Die Sterne sind erst einmal verglüht. Sie, Frau Kollegin Matthäus-Maier, sind wieder als Stammspielerin in die Mannschaft gekommen, in Ihre vertraute Aufgabe.
Sie hätten uns einen großen Gefallen getan, wenn Sie einige Änderungen in Ihrem Repertoire gegenüber dem vorgenommen hätten, was Sie in den letzten Jahren hier vorgetragen haben. Sie haben nichts ausgelassen von dem, was in vielen Debatten widerlegt worden ist und uns finanzpolitisch und haushaltspolitisch ja auch in keinem Punkt weiter voranhilft.
Sie sind ja schnell bei der Hand mit den Ausdrücken „Mogelpackung", „Täuschung" und „Tricks". Wer Ihre Rede aufmerksam verfolgt hat, hat zwar gelegentlich zarte Andeutungen über Möglichkeiten zu Einsparungen vernommen, aber Sie haben wieder einmal nicht eine einzige Gelegenheit ausgelassen, in der ganzen Bandbreite politischer Möglichkeiten Mehrausgabeforderungen in diesem Haus zu präsentieren, vom Arbeitsmarkt über die Kohlesubvention, vom BAföG über die Meisterkurse, von der Forschung bis hin zu Doppelfenstern. Sie haben alles an Mehrforderungen aufgetischt.
— Zugleich beklagen Sie, daß angeblich zu wenig gespart wird, daß die Steuern zu wenig abgesenkt werden und daß damit die Verschuldung des Bundes zu hoch ist. Ich glaube, Sie liegen mit diesem Bild
und dem Stichwort „Mogelpackung" in der falschen
Angriffsrichtung. Dieser Vorwurf und dieser Vorhalt
336 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1994
Adolf Roth
treffen Sie insonderheit und die Politik der SPD in den letzten Jahren hier.
Wir hatten ja mit Spannung gerade bei dieser Debatte erwartet — knapp 14 Tage nach dieser berühmten Tutzinger Stegreifrede des SPD-Vorsitzenden Scharping; nach diesem öffentlichen Kniefall vor der deutschen Wählermitte —,
daß Sie zumindest Ansätze des überfälligen Wendemanövers der SPD hier ausbreiten würden. So hat übrigens die „Süddeutsche Zeitung" diesen Vorgang überschrieben. „SPD rechnete in Tutzingen gnadenlos mit sich selbst ab", so titelte die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung".
Der Kollege Hermann Rappe schob nach: Die SPD muß endlich raus aus der Neinsagerecke. Sie muß offen sein für Innovationen. Er hat hinzugefügt: Der Parteivorsitzende kann auf Unterstützung rechnen.
Meine Damen und Herren, es mag sein, daß er bei einigen dieser Ansätze auf Unterstützung rechnen kann. Aber ich habe noch keine Unterstützung aus den Reihen Ihrer Fraktion vernommen, Herr Scharping. Sie tun sich schwer, Fuß zu fassen in Ihrer Bundestagsfraktion.
Dann können auch solche Debattenbeiträge von dem inneren Zustand der SPD in dieser Situation nicht ablenken.
Wir hätten gerne etwas über die großen Reform- und Modernisierungsfelder der Zukunft gehört, die angesprochen worden sind.
Wenn Sie nicht länger nur Partei der Verteilung, sondern auch der Produktion und der Wertschöpfung sein wollen, wenn Sie Gutverdienende nicht länger nur als Lastesel einstufen wollen, wenn Sie Jüngeren ein Feld für Risikobereitschaft und Engagement hier am Standort Deutschland bieten und den Sozialstaat wirklich modernisieren helfen wollen, dann, meine Damen und Herren, hätten Sie ausreichend Gelegenheit, nicht nur, aber auch in der Haushaltspolitik kräftige Akzente zu setzen. Hier wäre die Gelegenheit für Umkehr, Besserung und Bewährung. Genau darauf haben wir heute vergeblich warten müssen.
Meine Damen und Herren, erst groß ankündigen, dann schnell alles relativieren, schließlich in einer entsprechenden Form schrittweise wieder aussteigen und alles zurückziehen — mit einer neuer Strategie, mit dem Ansatz neuen politischen Denkens hat dies alles herzlich wenig zu tun.
Klaus von Dohnanyi, einer der Altmeister der SPD, hat mit seinem „Spiegel"-Essay vom 28. November recht, in dem er schreibt:
Der Mangel an ... Einsicht in die wirklichen Ursachen der Veränderungen der Industriegesellschaft führt daher die SPD noch immer zu Illusionen und leeren Versprechungen.
Er fügt hinzu:
... nirgends wird soviel verbogen und verklausuliert wie in unserer Partei.
Seine Partei stuft er als „veraltet" und „reformscheu" ein. Das ist die Situation. Davon können Sie auch in dieser Debatte nicht ablenken.