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    Plenarprotokoll 13/7 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 7. Sitzung Bonn, Freitag, den 25. November 1994 Inhalt: Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde, für die Aktuellen Stunden sowie der Vereinbarung über die Befragung der Bundesregierung in der Sitzungswoche ab 12. Dezember 1994 259 A Tagesordnungspunkt: Regierungserklärung des Bundeskanzlers (Fortsetzung der Aussprache) Wolfgang Thierse SPD 259 B Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister BMBWFT 263 A Dr. Manuel Kiper BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 267 A Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P. 268B Hans-Werner Bertl SPD 270 B Eckart Kuhlwein SPD 270 C Dr. Ludwig Elm PDS 271 A Dr. Peter Glotz SPD 272 D, 282 B Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (Bayern) 276 B, 283 A Dr. Peter Glotz SPD 277 B Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 277 D Horst Kubatschka SPD 278 A Jörg Tauss SPD 279 C Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 281 A Achim Großmann SPD 283 D Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU 287 B Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU 288 C Otto Reschke SPD 289 B Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 289 C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 290 A Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 292 C Klaus-Jürgen Warnick PDS 294 B Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 295 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 296 D Achim Großmann SPD 297 B Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU 299 A Elke Ferner SPD 300 A Dr. Dionys Jobst CDU/CSU 301 B Matthias Wissmann, Bundesminister BMV 303 D Gila Altmann (Aurich) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 305 C Manfred Grund CDU/CSU 306 C Horst Friedrich F.D.P. 307 B Dr. Dagmar Enkelmann PDS 309 D Nächste Sitzung 310 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 311* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu dem Tagesordnungspunkt: Regierungserklärung des Bundeskanzlers (Fortsetzung der Aussprache) Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister BMPT 311* C Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 312* D Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 25. November 1994 259 7. Sitzung Bonn, Freitag, den 25. November 1994 Beginn: 9.00 Uhr
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    *) Vergleiche Anlage 2 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Austermann, Dietrich CDU/CSU 25. 11. 94 Bachmaier, Hermann SPD 25. 11. 94 Beucher, Friedhelm SPD 25. 11. 94 Julius Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 25. 11. 94 Burchardt, Ulla SPD 25. 11. 94 Buwitt, Dankward CDU/CSU 25. 11. 94 Dr. Eid-Simon, Ursula BÜNDNIS 25. 11. 94 90/DIE GRÜNEN Gleicke, Iris SPD 25. 11. 94 Graf (Friesoythe), Günter SPD 25. 11. 94 Frhr. von Hammerstein, CDU/CSU 25. 11. 94 Carl-Detlev Hasenfratz, Klaus SPD 25. 11. 94 Heym, Stefan PDS 25. 11. 94 Dr. Hö11, Barbara PDS 25. 11. 94 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 25. 11. 94 Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU 25. 11. 94 Iwersen, Gabriele SPD 25. 11. 94 Janssen, Jann-Peter SPD 25. 11. 94 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 25. 11. 94 Kanther, Manfred CDU/CSU 25. 11. 94 Kastning, Ernst SPD 25. 11. 94 Kirschner, Klaus SPD 25. 11. 94 Labsch, Werner SPD 25. 11. 94 Leidinger, Robert SPD 25. 11. 94 Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 25. 11. 94 Erich Mante, Winfried SPD 25. 11. 94 Matschie, Christoph SPD 25. 11. 94 Meckel, Markus SPD 25. 11. 94 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 25. 11. 94 Neumann (Berlin), Kurt SPD 25. 11. 94 Neumann (Gotha), SPD 25. 11. 94 Gerhard Nickels, Christa BÜNDNIS 25. 11. 94 90/DIE GRÜNEN Peters, Lisa F.D.P. 25. 11. 94 Dr. Pfaff, Martin SPD 25. 11. 94 Dr. Pflüger, Friedbert CDU/CSU 25. 11. 94 Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 25. 11. 94 Hermann Saibold, Hannelore BÜNDNIS 25. 11. 94 90/DIE GRÜNEN Schaich-Walch, Gudrun SPD 25. 11. 94 Dr. Scheer, Hermann SPD 25. 11. 94 * Schindler, Norbert CDU/CSU 25. 11. 94 Schumann, Ilse SPD 25. 11. 94 Dr. Solms, Hermann Otto F.D.P. 25. 11. 94 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 25. 11. 94 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 25. 11. 94 Vergin, Siegfried SPD 25. 11. 94 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Volmer, Ludger BÜNDNIS 25. 11. 94 90/DIE GRÜNEN Wallow, Hans SPD 25. 11. 94 Welt, Jochen SPD 25. 11. 94 Wester, Hildegard SPD 25. 11. 94 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 25. 11. 94 Wieczorek (Duisburg), SPD 25. 11. 94 Helmut Dr. Zöpel, Christoph SPD 25. 11. 94 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu dem Tagesordnungspunkt: Regierungserklärung des Bundeskanzlers (Fortsetzung der Aussprache) Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister für Post und Telekommunikation: Bereits in der Vergangenheit ist der Telekommunikationsmarkt im Vergleich zur übrigen Wirtschaft überdurchschnittlich gewachsen. Im Jahr 2000 wird er vermutlich allein in Deutschland die 200-Milliarden-Mark-Schwelle überschreiten. Weltweit wird dieser Markt dann ein Volumen von schätzungsweise 1,5 Billiarden DM umfassen. Die Mikroelektronik macht es möglich, daß Telekommunikation und Datenverarbeitung miteinander verschmelzen und daß auch zunehmend die sich vervielfältigenden Formen des Fernsehens - ich nenne hier nur das Stichwort Multimedia in diese Entwicklung einzubeziehen sind. Als ein Land, das davon lebt, daß es Technologie entwickelt, herstellt und verkauft, muß Deutschland sich in diesem Markt geschickt und erfolgreich positionieren. Dazu gehört, daß von staatlicher Seite die notwendigen Vorkehrungen getroffen werden, die es den Unternehmen erlauben, sich national und international nicht nur zu behaupten, sondern ihre Stellung weiter auszubauen oder neue Marktsegmente zu schließen. Nach den Beschlüssen zur Postreform II werden wir mit dem Verkauf von Telekom-Aktien für dieses Unternehmen als erstes den Schritt in die neue, privatisierte Welt einleiten. Die Entscheidung über das Bankenkonsortium, das diese Emission durchführen wird, hat die Bundesregierung bereits getroffen und heute morgen bekannt gegeben. Diese Emission wird den Finanzplatz Deutschland stärken und auch die Börsenfähigkeit anderer deutscher Unternehmen an der US-Börse erleichtern. Es ist die Absicht der Bundesregierung, diese Privatisierung durch die Fortführung der Liberalisierung zu ergänzen. Denn nur der Wettbewerb wird schließlich die nötigen Kräfte und Ressourcen entfalten helfen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu behaupten und zum globalen Mitspieler im weltweit schärfer werdenden Wettbewerb im Telekommunikations- 312* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 25. November 1994 markt zu werden. Unsere Devise lautet deshalb: kontrolliert offensiv liberalisieren. Ich freue mich, daß es uns beim Telekommunikationsrat am 17. November 1994 in Brüssel gelungen ist, den Beschluß zu fassen, das Netzmonopol parallel zum Telefondienstmonopol zum 1. Januar 1998 aufzuheben. Den Mitgliedstaaten mit weniger entwickelten Netzen (Spanien, Irland, Griechenland und Portugal) und alle Mitgliedstaaten, denen bei der Aufhebung des Telefondienstmonopols eine Übergangsfrist eingeräumt worden ist, wird ebenfalls im Bereich des Netzmonopls eine Übergangsfrist von wenigen Jahren eingeräumt. Wir haben damit Klarheit auch über die Zukunft des Netzmonopols geschaffen. Der Charme dieser Lösung liegt darin, daß sich alle Migliedstaaten der EU zu diesem Beschluß bereitgefunden haben und wir damit keine Parzellierung der Entwicklung innerhalb der Europäischen Union ertragen müssen. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat mit diesem Beschluß einen großen Erfolg errungen, Herr Bangemann sprach sogar von einem historischen Tag. Damit sind in den vergangenen beiden Jahren die wichtigsten Pflöcke für eine planvolle Weiterentwicklung der Telekommunikation in Deutschland eingeschlagen worden: Privatisierung der Telekom, Festlegen der Termine für das Ende des Telefondienst- und des Netzmonopols. Nun beginnt die weitere Arbeit, d. h. innerhalb der Pflöcke muß nun gebaut werden. Denn wir wollen den Übergang von einem monopolistisch geprägten Markt zu einem wettbewerblichen mit Umsicht und zum Nutzen des Ganzen in Angriff nehmen. Es wird Leute geben, die mit dem einzuschlagenden Weg nicht zufrieden sind, manche werden mehr, manche weniger fordern — wie das eben in solchen Übergangs- und Umbruchzeiten ist. Seien Sie, meine Damen und Herren jedoch versichert, daß ich am vorgezeichneten Weg konsequent festhalten werde und bei allen unterschiedlichen Interessen, deren Vertreter Einfluß fordern werden, das politisch Vertretbare und wirtschaftlich Sinnvolle als Maß meiner Arbeit ansehen werden. Der Markt der Postdienstleistungen ist in den letzten Jahren ebenfalls in Bewegung geraten. Die Entwicklung ist zwar nicht vergleichbar stürmisch wie bei der Schwester Telekommunikation, doch zeigt beispielsweise das Aufkommen privater Kuriere, daß im Postbereich zumindest in bestimmten Bereichen und Nischen durchaus ein Kundenbedarf besteht für verbesserte oder auch neuartige Dienstleistungen. Mit der Postreform II haben wir auch hier die Voraussetzungen geschaffen, damit sich die gute alte Post an die neuen Zeiten und Verhältnisse anpassen kann. Wir stehen damit zumindest in Europa an der Spitze der Entwicklung. Ich denke, daß die Voraussetzungen gut sind, damit die Deutsche Post AG im Lauf der nächsten Jahre sowohl in Umfang und Qualität ihrer Dienstleistungen als auch mit ihrem betriebswirtschaftlichen Ergebnis einen Quantensprung nach vorne tun wird. Die Postbank arbeitet völlig im Wettbewerbsbereich und wird sich mehr und mehr zu einer Bank normalen Stils entwickeln und künftig auch mit Partnern aus ihrer Branche kooperieren. Im Vertrieb wird sie mit der Deutschen Post AG verflochten bleiben, so daß Postbankdienstleistungen auch weiterhin an den Schaltern der Post angeboten werden, ein wichtiges Kriterium zur Infrastruktursicherung. Meine Damen und Herren, die Umbruchsituation im Post- und Telekommunikationsbereich, in dem heute in Deutschland über 800 000 Menschen beschäftigt sind und auf dessen Funktionieren Wirtschaft und Gesellschaft angewiesen sind, fordert unser aller Anstrengung. Die Bundesregierung beabsichtigt, auch zukünftig diese Herausforderung in einem breiten Konsens zu meistern, der das Wohl des Bürgers im Auge hat. Ich lade alle ein, die den bestehenden Handlungsbedarf im Grundsatz anerkennen, an dieser Aufgabe mitzuwirken. Amtliche Mitteilung Der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 12/1841 Drucksache 12/1845 Drucksache 12/2050 Drucksache 12/3111 Drucksache 12/3147 Drucksache 12/4033 Drucksache 12/4179 Drucksache 12/5178 Drucksache 12/5458
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung von der Notwendigkeit einer geistigen Standortbestimmung gesprochen. Dem ist durchaus zuzustimmen, auch wenn die Regierungserklärung selbst gewiß kein sonderlich guter Beitrag dazu war. Aber wir wollen sie auch nicht an allzu hohen Erwartungen messen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Es ist richtig: In den nächsten Jahren geht es in Deutschland nicht nur um eine enorme ökonomische und soziale Aufbau- und Umbauleistung, sondern auch und ebensosehr um eine demokratische und intellektuelle Aufbauleistung, um den Streit und die Einigung darüber, auf welche Art der Zukunftsorientierung für unser Land, auf welche Art von Fortschritt in Wissenschaft und Technik die Gesellschaft sich wird verständigen können. Das hat Politik nicht allein und nicht zuerst zu entscheiden. Sich Rat zu holen ist also nicht verwerflich, im Gegenteil. So will ich denn Ihre Vorschläge zur Bildung eines Technologierates
    und einer Deutschen Akademie der Wissenschaften zunächst ganz freundlich interpretieren.
    Aber manche Äußerungen von Herrn Schäuble und von Ihnen, Herr Rüttgers, nähren das Mißtrauen, ob hier nicht vor allem ein Propagandainstrument für technischen und wissenschaftlichen Fortschritt zur Überwindung von lästiger Technikfeindlichkeit und lästiger Fortschrittsskepsis entstehen soll und weniger ein offenes Diskussionsforum, ob hier nicht auch ein Renommierprojekt in Gang gesetzt werden soll, dessen Gestehungskosten vorhandene Wissenschaftsinstitutionen, vorhandene Akademien zu bezahlen haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie, Herr Rüttgers, werden Ihre bisher eher vage Idee konkretisieren müssen, um die Zweifel zu überwinden.
    Meine Damen und Herren, das Bewußtsein der gemeinsamen Herkunft und der Wille zur gemeinsamen Zukunft, so hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gesagt, seien Voraussetzungen für die innere Einheit der Deutschen. Richtig! Er hat hinzugefügt:
    Dazu gehört, daß wir sowohl die Geschichte der alten Bundesrepublik als auch jene der früheren DDR als untrennbare Teile unserer gemeinsamen Vergangenheit verstehen.

    (Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS]: Sehr wahr!)

    Ich will dem ausdrücklich zustimmen. Aber in Wirklichkeit tun Sie das genaue Gegenteil. Die von Ihnen forcierte Art des Umgangs mit der DDR-Vergangenheit, die gegen die SPD gerichtete Rote-SockenWahlkampfkampagne, das hysterische Gerede von Komplizenschaften — dies alles befördert eben nicht Verstehen, sondern Ressentiments und Vorurteile.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Günter Gaus hat vor Jahren einmal gesagt: Wer über die deutsche Einheit nachdenkt, muß darüber nachdenken, wie Deutschland mit seinen Kommunisten lebt. Als Gaus dies äußerte, waren die Kommu-



    Wolfgang Thierse
    nisten noch an der Macht. Sie sind es zum Glück nicht mehr.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber wir sollten im Gausschen Sinne nachdenken, gelassener als bisher. Denn die Kommunisten sind zwar erheblich weniger geworden, aber sie sind natürlich nicht vollständig verschwunden, sie sind noch da. Ein Teil von ihnen hat sich eine Nachfolgepartei geschaffen, die aus der SED stammt, gewiß, mit dieser aber nicht mehr identisch ist. Mit dieser Partei gilt es, sich politisch auseinanderzusetzen und nicht so kleinkariert und kleinmütig, wie das CDU und CSU in den letzten Tagen z. B. gegenüber Stefan Heym praktiziert haben. Das war peinlich und unangemessen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Sie werden mir hoffentlich glauben, daß ich nach DDR-Erfahrung und nach der Erfahrung eines ziemlich brutalen PDS-Wahlkampfes gegen mich

    (Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Mir kommen die Tränen!)

    keinen Anlaß zu freundlichen Gefühlen gegenüber der PDS habe.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber ich sage genauso: Wenn wir die Auseinandersetzung nicht selbstbewußt und offensiv, differenziert und großzügig zugleich und an den demokratischen Grundwerten orientiert führen, dann wird das eben keine Einladung zur Demokratie für diejenigen sein, die der Demokratie immer noch ziemlich fremd gegenüberstehen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn es nicht gelingt, geschichtliche Prägungen, gewachsene Identitäten der Ostdeutschen zu erkennen und zu respektieren, dann wird das eben immer wieder jene wütende oder beschönigende Vergangenheitsfixierung unterstützen, für die die PDS auch steht.

    (Beifall der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD])

    Stigmatisierung und Ausgrenzung sind der Nährboden, auf dem die PDS gedeiht, und CDU und CSU versuchen, davon zu profitieren.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Es bleibt dabei: Für uns Sozialdemokraten ist die PDS ein politischer Gegner und Konkurrent, mit dem wir uns als Demokraten auseinanderzusetzen haben und auseinandersetzen. Da müssen wir von Ihnen nicht belehrt werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Vor allem aber wird diese Auseinandersetzung dann erfolgreich sein, wenn es gelingt, die ostdeutschen Probleme zu lösen, die nicht nur ökonomischer und sozialer Art sind, sondern eben auch moralischer und psychologischer Natur.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Zum Thema!)

    Aber Ihre Politik für Ostdeutschland, die uns in den nächsten Jahren erwartet, wird, fürchte ich, für viele wieder zur Enttäuschung werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Thema!)

    Ich will nur ein paar Beispiele nennen. Wann und wie eigentlich wollen Sie für eine wirkungsvolle Begrenzung der Mietenexplosion in Ostdeutschland sorgen? Wann fällt der unsinnige, lebensfremde und willkürliche Stichtag, der automatisch redlichen von unredlichem Erwerb von Wohnimmobilien unterscheidet?

    (Beifall bei der SPD)

    Wieso halten Sie stur am Privatisierungszwang fest, dem Wohnungsgesellschaften unterliegen, wenn sie Altschuldenhilfe beanspruchen wollen? Wann fallen die nicht zu rechtfertigenden strafrechtlichen Elemente im Rentenüberleitungsgesetz? Wann kapieren Sie endlich, daß Rentenrecht kein Strafrecht sein darf?

    (Beifall bei der SPD)

    Wann endlich ringen Sie sich dazu durch, einer Neuregelung des § 218 zuzustimmen

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben die falsche Rede, Herr Thierse!)

    — nein, nein —, die der Würde der Frauen entspricht und eben auch ostdeutschen Erfahrungen?

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Von der Förderung der mittelständischen Unternehmen ist in Ihrer Koalitionsvereinbarung die Rede. Das ist notwendig, aber fast zu spät. Ohne eine Regelung des Altschuldenproblems wird es nicht gehen. Und so weiter und so fort. Das sind Fragen, meine Damen und Herren, für deren Beantwortung man sich in Ostdeutschland brennend interessiert.
    Wenn Sie in Ihrer Koalitionsvereinbarung davon reden — Herr Krüger hat gestern auch davon geredet —, daß es sinnvoll sei, aus den ostdeutschen Erfahrungen der zurückliegenden Jahre zu lernen, dann stimme ich dem ausdrücklich zu. Das wäre ein Schritt wirklicher Gleichberechtigung. Aber warum muß als Beispiel dafür ausgerechnet das Beschleunigungsgesetz des Herrn Krause herhalten? Ich habe etwas dagegen, daß ostdeutsche Erfahrungen zum Abbau demokratischer Errungenschaften der alten Bundesrepublik instrumentalisiert werden.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Das wäre der falsche Ausdruck des Nutzens ostdeutscher Erfahrungen.
    Die deutsche Einheit bleibt eine Zukunftsaufgabe, die uns noch bis in das nächste Jahrtausend beschäftigen wird. Deshalb beklage ich, wie wenig Ostdeutschland in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers eine Rolle gespielt hat.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Oho! — Und das nach zehn Minuten Redezeit!)




    Wolfgang Thierse
    — Sie werden mir doch erlauben, über die Themen zu reden, die grundlegende Themen der deutschen Politik sind.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Wann ich das tue, ist doch auch mir überlassen. Seien Sie nicht so kleinlich.
    Zum Beispiel hätte doch auch der Umstand Aufmerksamkeit verdient, daß 90 % all derjenigen, die in Ostdeutschland im Rahmen wissenschaftlicher und industrienaher Forschung beschäftigt waren, heute dort nicht mehr beschäftigt sind.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Das ist, finde ich, die für die Zukunft Ostdeutschlands schlimmste Zahl.
    Meine Damen und Herren, in Ostdeutschland liegt ein gigantisches Zukunftspotential brach. Der Schaden, der da angerichtet worden ist, ist enorm. Das ganze Deutschland kann sich vor dem Hintergrund der Standortdebatte die Verschwendung solcher Ressourcen einfach nicht länger leisten.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Ich frage Sie also, was Sie zu tun gedenken, um dieses Potential auszuschöpfen und den betroffenen Wissenschaftlern wieder eine berufliche Perspektive zu verschaffen.
    Modernisierung und Innovation schafft man doch nur, wenn man die wissenschaftlichen Potenzen eines Landes nutzt und vermehrt. Diese Aufforderung richtet sich eben nicht nur an die deutsche Wirtschaft, die in mancherlei Hinsicht die Zukunft immer noch zu verschlafen scheint; sie richtet sich auch an diejenigen, die für die Politik verantwortlich sind.
    Sie haben nun ein neues Zukunftsministerium ins Leben gerufen und wollen die Bereiche Bildung, Forschung, Wissenschaft, Technologie und Hochschule integrieren. Ich halte das für eine bemerkenswerte Idee. Sie stammt ja auch von uns. Sie stand in unserem Regierungsprogramm.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie haben ebenfalls angekündigt, den Etat für Forschung und Technologie überproportional wachsen zu lassen. Wir begrüßen das. Schließlich ist auch dies eine SPD-Forderung.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr richtig! Seit Jahren!)

    Es ist wahrlich an der Zeit, sie einzulösen; denn in Ihrer bisherigen Amtszeit haben Sie es geschafft, den Forschungshaushalt von 2,8 % auf deutlich unter 2 % zu drücken.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: So ist es!)

    Aber — angesichts Ihrer Ankündigung will ich gleich hinzufügen —: Wir haben ja die Erfahrung, daß man Ihren Worten nicht so leicht Glauben schenken darf, sondern erst einmal die Taten abwarten muß. Ich lasse mich gern überraschen, was „überproportional wachsen" heißt. Ich bin gespannt.
    Meine Damen und Herren, dieses Land braucht wirklich eine forschungs- und technologiepolitische Offensive. Wir müssen das fördern, was Deutschland schon immer stark gemacht hat: den Erfindungsgeist seiner Techniker und Ingenieure, die hohe Motivation und Qualifikation seiner Facharbeiter, die Flexibilität und Innovationsfähigkeit seines Mittelstands, die Entscheidungskraft und Risikobereitschaft des Managements und die Lernfähigkeit und den Lernwillen seiner Menschen. Bildung und Ausbildung müssen in unserer Gesellschaft wieder zu einem herausragenden Thema gemacht werden.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Die notorische Zweitrangigkeit von Bildung und Forschung muß endlich überwunden werden. Wenn Sie dies versuchen, Herr Rüttgers, werden Sie unsere energische Unterstützung finden.
    Auffallend ist — um noch einmal auf das zuvor genannte Stichwort zurückzukommen —, daß die Wiederherstellung der Industrieforschung in Ostdeutschland in Ihren Ankündigungen so gut wie keine Rolle spielt, obwohl sie nach Jahren des Niedergangs und der Abwicklung höchste Priorität genießen müßte. Ohne industrienahe Forschung wird es in Ostdeutschland keine leistungsfähige mittelständische Industrie geben können, keinen Wiederaufbau industrieller Strukturen und keine sicheren Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe. Der Standort Ostdeutschland hat nur dann eine Chance, wenn es gelingt, durch energische Anstrengungen dorthin Innovations- und Modernisierungspotential zu lenken bzw. aufzubauen.
    Meine Damen und Herren, kaum ein Land mit einer vergleichbaren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit hat sein Bildungs- und Hochschulwesen in den letzten Jahren so vernachlässigt wie Deutschland.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Bildung, Ausbildung und Wissenschaft sind unter Ihrer Regierungstätigkeit zum Sparstrumpf der Nation geworden.

    (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das ist doch alles Unsinn!)

    Auf diese Weise wird auch die Zukunft unserer Gesellschaft weggespart.
    Es ist ein billiges Argument, einerseits die langen Studienzeiten zu beklagen — wie in Ihrer Koalitionsvereinbarung geschehen — und andererseits den Studentinnen und Studenten eine gescheite materielle Absicherung über das BAföG vorzuenthalten und sich seinen Pflichten bei der Hochschulfinanzierung zu entziehen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Manfred Müller [Berlin] [PDS])

    Seit Mitte September liegt der Entwurf des Bundesrates zur Novellierung des BAföG vor, der die Bedarfssätze um 4 % und die Freibeträge um 2 % erhöhen sowie einige weitere Verbesserungen noch für dieses Jahr in Kraft setzen will. Die Koalition ignoriert die Lage der Studentinnen und Studenten,



    Wolfgang Thierse
    wenn sie über das BAföG erst nächstes Jahr entscheiden will. So kompliziert ist der Sachverhalt doch nicht, daß Sie nicht sofort darüber befinden könnten.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Bildung und Ausbildung sind kein Luxus, auch nicht bloß gesellschaftliches Verteilungsinstrument individueller Chancen. Bildung und Ausbildung sind Investitionen in eine friedliche, demokratische und nur dann auch ökonomisch erfolgreiche gemeinsame Zukunft. Deshalb muß Schluß sein mit einer bildungspolitischen Diskussion, in der vor allem nach fiskalischen Gesichtspunkten über den 12- oder 13jährigen Bildungsweg, über mehr oder weniger Unterrichtsstunden und über größere bzw. kleinere Klassen entschieden werden soll. Dies sind alles gewiß keine unwichtigen Fragen. Was wir aber wirklich brauchen, ist eine neue große öffentliche Debatte über die Ziele von Bildung und Ausbildung. Sie ist an der Zeit.
    Nicht zuletzt die deutsche Einheit und der Zusammenbruch der bipolaren Welt der Systemauseinandersetzung, aber auch die rasanten technologischen und sozialökonomischen Entwicklungen bieten uns Chance und Notwendigkeit zugleich für eine solche Debatte. In Ostdeutschland und auch bei unseren östlichen Nachbarn ist die radikale Umwertung von Werten und Verhaltensgewohnheiten gewiß drastischer, jedenfalls offensichtlicher als im scheinbar weniger berührten Westen. Tatsächlich wissen wir aber auch gesamtdeutsch nicht mehr so genau, was an die Stelle des verlorenen, des unsicher gewordenen Alten treten soll.
    Lassen Sie mich einige Stichworte nennen, an denen sich die Debatte über eine zweite Bildungsreform oder vielmehr über die erste gesamtdeutsche Bildungsreform orientieren müßte.
    Erstens. Die Erwerbsarbeit verliert an Bedeutung für die persönliche Identität und Zufriedenheit, ganz gleich, ob dies durch die unerwünschte, aber massenhafte Arbeitslosigkeit erzwungen wird oder ob wir mit genereller Arbeitszeitverkürzung, Teilzeitarbeit, Sabbatjahren oder welchen Modellen auch immer die Folgen der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung gestalten. Mobilität und die Fähigkeit, sich in neue Lebenszusammenhänge zu begeben und alte zu verlassen, müssen entwickelt werden. Wir dürfen es angesichts dieser absehbaren Entwicklung nicht gedankenlos bei einer Vermittlung von Werten belassen, die die Persönlichkeitsbildung, das Selbstbewußtsein und die individuelle Identität vor allem an die erfolgreiche Erwerbsarbeit knüpfen, so unersetzlich diese auch ist.
    Zweitens. Die Durchdringung, die Gestaltung unserer Gesellschaft durch Technik erfordert eine neue technologische Kompetenz. Wenn Sie so wollen, muß Technikfolgenabschätzung eine allgemein verbreitete Fähigkeit werden. Technik darf uns nicht beherrschen, Technik soll uns lediglich Werkzeuge schaffen. Dabei soll sie keine neuen Machtverhältnisse begründen, sondern uns von lästigen Tätigkeiten befreien, neue Handlungs- und Lebensmöglichkeiten eröffnen. Technologische Kompetenz kann deshalb nicht nur bedeuten, die Technik physisch zu beherrschen, sie
    weiterzuentwickeln und Neues zu erfinden, sondern auch, sie gesellschaftlich zu beherrschen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Drittens. Das ökologische Wissen ist in kurzer Zeit gewaltig gewachsen. Wir kennen die Gefahren, aber unser Verhalten hat auf diese Gefahren bisher nur — vornehm ausgedrückt — sehr maßvoll reagiert, eher mit Verdrängung als mit Verhaltensänderung. Ökologische Kompetenz erwerben heißt deshalb, die erforderliche Verantwortung und die Flexibilität zu entwickeln, die zu den notwendigen Verhaltensänderungen führen können.
    Viertens. In der enger werdenden einen Welt gibt es die tägliche Konfrontation mit dem Fremden, auch mit fremden Menschen und Kulturen. Wir müssen in einer immer mehr medial vermittelten Welt, die uns in hohem Maße mit Klischees und Vereinfachungen versorgt, an Sensibilität, Toleranz, Neugier und Gewaltfreiheit im Umgang untereinander interessiert sein. Wir brauchen Konzepte für eine interkulturelle Erziehung.
    Fünftens. Wir müssen einen anderen Umgang mit der Zeit — sowohl mit unserer individuellen Zeit als auch mit der Geschichte — lernen. Wenn wir uns daran erinnern, was vor uns war, und wenn wir trauern können um das, was davon verlorengegangen sein mag, dann finden wir auch neue Energien zur Gestaltung der Zukunft. So verstandene geschichtliche Kompetenz und Erinnerungsvermögen nützen auch der Fähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und Orientierung in einer ziemlich schnellen Zeit zu finden.
    Sechstens. Ich werde den empörten Satz, wir Ostdeutschen hätten Gerechtigkeit gewollt und den Rechtsstaat bekommen, so schnell nicht vergessen — und auch nicht meine Irritation und meine Verärgerung über diesen Satz. Es scheint, daß die Kompetenz für das Ringen um Gerechtigkeit in einer pluralistischen Gesellschaft immer neu geschaffen werden muß. Pluralismus ist Voraussetzung für wie Ausdruck von Freiheit. Konkrete Gerechtigkeit aber ist nicht statisch und nicht dogmatisch bestimmbar. Sie muß vielmehr immer wieder gesucht und gefunden werden. Wer aber mit einer solchen Aussage die rechtsstaatlichen Regeln für die Suche nach Gerechtigkeit in Zweifel setzt, befindet sich auf gefährlichem Weg.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Fähigkeit, Gleichheit von Ungleichheit, Recht von Unrecht zu unterscheiden, soziale Demokratie wie rechtsstaatliche Prinzipien als kostbares Angebot für Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit anzuerkennen, sind Schlüsselqualifikationen für die demokratische Gesellschaft.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, das Bildungssystem wird uns keine politische Entscheidung abnehmen, keinen Konflikt ersparen können und es auch nicht dürfen. Aber es muß unsere Kinder befähigen, soziale Demokratie zu bewahren, zu entwickeln und in der komplizierter und unübersichtlicher werdenden Welt



    Wolfgang Thierse
    zu leben, die wir ihnen hinterlassen und die sich ständig schneller ändert.
    Deshalb brauchen wir eine neue Debatte darüber, was zu diesem Zweck von unserem Bildungssystem, von der Grundschule bis zur Universität, von der beruflichen Bildung bis zur Volkshochschule, geleistet werden muß. Ein solches Projekt hätte ich mir von einer Regierungserklärung gewünscht, die auf der Höhe der Zeit sein will. Die erste gesamtdeutsche Bildungsreform ist notwendig.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD — Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Als nächster spricht der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Dr. Jürgen Rüttgers.

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    Rede von Dr. Jürgen Rüttgers


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    Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Thierse, ich bin Ihnen, wenn ich Ihre Rede richtig erspürt habe, dankbar für die grundsätzliche Zustimmung, die Sie den Punkten gezollt haben, die in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers zum Thema Bildung und Wissenschaft, Forschung und Technologie angesprochen worden sind. Ich glaube, das ist eine gute Ausgangslage, trotz der Kritik, die sicherlich auch zu dieser Debatte gehört.
    Ich will Ihnen auch ausdrücklich, Herr Thierse, darin zustimmen, daß gerade Bemühungen um die neuen Bundesländer in den nächsten Monaten und Jahren im Vordergrund der Arbeit meines Ministeriums stehen müssen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir haben da hochmotivierte und kochqualifizierte Forscher und Wissenschaftler, die einen Vergleich weltweit nicht zu scheuen brauchen. Deshalb tut jede Anstrengung not, das, was in dieser Umbruchzeit vielleicht unausweichlich war, wieder aufzuarbeiten und hier Chancen zu eröffnen.
    Ich bin persönlich zutiefst davon überzeugt, daß gerade die Forschungs- und Wissenschaftslandschaft in den neuen Bundesländern auch im europäischen Vergleich in der Zukunft riesige Chancen hat, und ich glaube, wir können sie insgesamt nutzen.
    Meine Damen und Herren, gestern hat der Deutsche Bundestag über den Wirtschaftsstandort Deutschland diskutiert. Naturgemäß standen bei dieser Debatte die Kostenstrukturen unserer Wirtschaft im Vordergrund. Aber ich glaube, das Kostenproblem ist nur eine Seite. Der Strukturwandel wird nur gelingen, wenn wir es schaffen, die Innovationsbereitschaft in Deutschland zu erhöhen.
    Es ist wahr: Leider haben viele Unternehmen in der Rezession die Aufwendungen für Forschung und Ausbildung gekürzt. Es ist auch wahr, daß die öffentliche Hand angesichts der Sonderlasten durch Rezession und Erblast des Sozialismus nicht das Geld zur Verfügung stellen konnte, das wünschenswert gewesen wäre. Aber je weiter der Konsolidierungsprozeß der öffentlichen Haushalte fortschreitet, desto eher
    wird es möglich sein, das zu ändern. Ich bin deshalb froh, daß die Koalition als ersten Schritt über die schon im Haushaltsentwurf 1995 vorgesehene überproportionale Steigerung hinaus die Steigerung der Haushaltsmittel für Zukunftsinvestitionen in den nächsten Jahren fortsetzen will.
    Aber, meine Damen und Herren, so wichtig das Geld ist, Geld ist nicht alles. Innovation beginnt in den Köpfen, und Innovationsfähigkeit ist der Schlüssel für Zukunftsfähigkeit.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das merkt man Ihrer Regierung aber nicht an!)

    Sie ist unser wichtigster Rohstoff.
    Diese Innovationsfähigkeit ist zugleich eine Herausforderung, die sich — auch das, meine ich, muß man sagen — nicht nur an die Politik richtet. Nicht die Politik allein kann die Fragen beantworten. Dieses Problem geht uns alle an, und es fordert uns alle, vor allem die jungen Menschen, die in der Ausbildung sind und sich für ihr späteres Berufsleben qualifizieren. Es geht ja gerade um ihre Lebenschancen in einer Zeit, die von grundlegenden Veränderungen gekennzeichnet ist. Es geht die Forschungs- und Bildungseinrichtungen an, die Unternehmen und ihre Mitarbeiter, die Selbständigen. Und es geht die Leistungseliten in unserem Land an. Dazu zähle ich den hochmotivierten Facharbeiter genauso wie den Forscher und den Ingenieur. Wenn heute viele eher ängstlich in die Zukunft blicken, dann müssen wir Anwalt sein für diejenigen, die Neues wagen, die den Mut haben, ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deshalb, meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen, ist es unsere wichtigste Aufgabe, Zukunft nicht als das Morgen zu begreifen, das dem Heute zwangsläufig folgt, sie nicht als bloße Fortsetzung des Status quo zu verstehen, sondern als Gestaltungsaufgabe, die den Willen zur Veränderung voraussetzt.
    In unserem Land — auch das wissen wir aus vielfältigen öffentlichen Diskussionen — haben, zumindest in dem, was dann veröffentlicht überkommt, Bedenkenträger Konjunktur. Ich meine, wir müssen sicherlich bedenken und abwägen, was wir in Zukunft wollen. Aber, meine Damen und Herren, dann müssen wir auch zupacken und uns etwas zutrauen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Die Bundesregierung ist sich ihrer Verantwortung bewußt. Ich glaube, das haben wir mit der Koalitionsvereinbarung und dem neuen Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie unterstrichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Und das war alles?)

    Meine Damen und Herren, daß dieses neue Ministerium als Zukunftsministerium bezeichnet wird, freut
    mich; dennoch will ich von vornherein möglichen



    Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
    Fehlinterpretationen vorbeugen. Zukunft ist weder am Reißbrett noch am ministeriellen Schreibtisch plan- und machbar. Das muß immer klar sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Was uns zukunftsfähig macht, sind die vielen Menschen, die Ideen haben, die mit Gestaltungsfreude und Leistungsbereitschaft an neue Aufgaben herangehen. Wissenschaft und Forschung brauchen Freiräume. Die Freiheit der Wissenschaft ist mehr als ein verbrieftes Recht. Sie ist Voraussetzung für Kreativität und Erfindungsreichtum, allerdings auch für Verantwortung und selbstkritische Überprüfung.
    Wenn ich vom Innovationsstandort spreche, geht es mir auch um eine bessere und flexiblere Abstimmung zwischen Bildungssystem und Arbeitswelt, zwischen Bildung und Forschung. Ich glaube, die Zusammenfassung in diesem Ministerium ist Ausdruck dieser Notwendigkeit. Ich verstehe sie zumindest nicht nur als Verschlankung, sondern sie ist Programm.
    Wo Bruchstellen Austausch und Synergie verhindern, müssen Brücken den Wissenschafts- und Anforderungstransfer gewährleisten. Wir brauchen kurze Wege, meine Damen und Herren, um unsere Flexibilität und Reaktionsfähigkeit zu erhöhen. Wir wollen Menschen zusammenführen, die in unserer vielgliedrigen Forschungs-, Wissenschafts- und Unternehmenslandschaft Großartiges leisten.
    Seit langem — Sie kennen diese Debatte — wird ja über das Für und Wider strategischer Allianzen diskutiert. Da gibt es die einen, die verweisen auf Japan, und andere beschwören den Wettbewerb. Ich finde, wir haben in Deutschland eine eigenständige Tradition. Wir haben plurale und föderale Strukturen, und ich finde, sie haben sich bewährt.

    (Zuruf des Abg. Otto Schily [SPD])

    Aber es gibt natürlich eine lebhafte Diskussion um die politischen Schwerpunkte, und, lieber Herr Schily, das ist nicht die Vergangenheit. Das ist aktuelle Diskussion unter Leuten, die sich auskennen.
    Wir sollten nicht — das ist eine Botschaft, die heute von hier ausgehen kann — in alten Gräben verharren: hier die Verfechter einer Industriepolitik und dort die Anhänger einer reinen ordnungspolitischen Lehre. Ich finde, wir sollten uns unserer Stärken bewußt sein und darauf aufbauen. Dazu gehört, daß wir den Dialog der besten Köpfe unseres Landes ausbauen, indem wir sie an einen Tisch holen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Bei den Spitzentechnologien des 21. Jahrhunderts, z. B. bei der Mikroelektronik, liegen wir nicht durchweg an der Spitze. Aber wie man durch gezielte Strategien eine Spitzenstellung erreichen kann, Herr Fischer, zeigt gerade das Beispiel der Umwelttechnologien. Hier sind deutsche Unternehmen international marktführend. Die Exporterfolge zeigen dies überdeutlich.
    Als Exportnation und Hochlohnland muß sich unsere Wirtschaft auf den Märkten behaupten, auf denen sich mit innovativen Produkten und Dienstleistungen eine hohe Wertschöpfung erzielen läßt. Das
    sind die Märkte, auf denen die Beherrschung fortgeschrittener Technologien eine herausragende Rolle für die Wettbewerbsposition spielt.
    Deshalb dürfen wir uns nicht zurücklehnen, wenn etwa Untersuchungen zu dem Ergebnis kommen:
    Innovationen dauern in Deutschland zu lange, sind realitätsfern und schlecht geplant. Von 1919 Erstideen, die von den Innovationsforschern überprüft wurden, erblickten nur 176 das Licht des Marktes.
    Dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn andere an uns vorbeiziehen. Das ist nicht nur eine Frage von politischen Entscheidungen, sondern zuerst einmal eine Frage der Beweglichkeit in den Köpfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    In vielen Unternehmen hat inzwischen, wenn ich dies recht sehe, ein deutlicher Wandlungsprozeß eingesetzt. Ihr Ziel ist es, die Diskrepanz zwischen den — auch im internationalen Vergleich — hohen FuE- Aufwendungen und den keineswegs optimalen Marktergebnissen abzubauen. Die Wirtschaft hat die Notwendigkeit einer schnelleren Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in wettbewerbsfähige Produkte erkannt. Aber klar ist auch: ohne neue Ideen keine neuen Produkte. Grundlagenforschung und anwendungsorientierte Forschung widersprechen sich nicht. Sie sind zwei Seiten der gleichen Medaille.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir haben gute Grundlagen. Die großen Wissenschaftsorganisationen haben ihre Leistungsfähigkeit in der Vergangenheit immer wieder unter Beweis gestellt. Sie sind und bleiben unverzichtbare Bestandteile unserer Forschungs- und Wissenschaftslandschaft.
    Im Bildungsbereich stellt sich daneben die Frage, ob unsere Bildungsgänge mit der schnellen Entwicklung des Wissens und der Fertigkeiten in einer sich wandelnden Berufswelt Schritt halten. Herr Thierse, da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu: Bildung heißt immer auch Persönlichkeitsbildung, heißt Erziehung, heißt Wertevermittlung. Das ist mehr als Technik, das ist mehr als Organisation. Wenn ich auch da die Hinweise in Ihrer Rede richtig verstanden habe, sollten wir in ein Gespräch eintreten über das, was Sie — für meinen Geschmack und mein Gefühl zu groß — als große Bildungsreform bezeichnet haben.
    Mancher wird sich aus eingefahrenen Denkstrukturen und aus liebgewordenen Organisationsschlachten herausbewegen müssen und zuerst einmal die Debatte über Inhalte führen müssen. Das — auch da will ich zustimmen — ist ganz sicherlich nicht zuerst eine Debatte, die auf dem großen Markt ausgetragen werden kann. Aber vielleicht gibt es dort eine Chance, weiterzukommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Wenn Bildung die jungen Menschen zu einer aktiven und eigenverantwortlichen Mitgestaltung im Berufsleben befähigen muß, dann ist dies ein wichtiges und ein zentrales Thema. Ich bin deshalb froh, daß



    Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
    in der Koalitionsvereinbarung ein Bündel von Maßnahmen dazu vorgeschlagen worden ist.
    Unser Ziel ist, die berufliche und akademische Bildung zu stärken und damit Ansehen und Förderung der beruflichen Bildung aufzuwerten, Ausbildungszeiten zu optimieren und durch neue Elemente der Fort- und Weiterbildung für ein lebenslanges Lernen zu ergänzen.

    (Zuruf der Abg. Otto Schily [SPD])

    — Herr Schily, wenn Sie demnächst vielleicht wieder einmal — wenn ich auf Ihren Zwischenruf eingehen darf — mit einem Lehrling sprechen, dann werden Sie merken, vor welchen Anforderungen dieser steht. Das ist also ein ganz wichtiger Punkt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich will hier auch sehr deutlich sagen: Ich beobachte die Aufweichung unseres dualen Bildungssystems mit Sorge. Für viele Unternehmen ist es anscheinend allemal günstiger, statt mehr als 100 000 DM in eine dreijährige Lehrzeit zu investieren, einen Fachhochschulabgänger einzustellen. Aber der schon heute akute Facharbeitermangel — er ist im dualen System die Folge von zuwenig Ausbildung in den Betrieben — kann zur Wachstumsbremse werden. Wenn das duale System ausblutet, dann leidet unsere gesamte Wirtschaft an Kreislaufschwäche.
    Wir haben uns das Ziel gesetzt, die Attraktivität der beruflichen Bildung nachhaltig zu stärken. Dabei geht es auch um die Gleichwertigkeit von beruflichen und allgemeinbildenden bzw. akademischen Ausbildungsgängen. Ich meine, wir brauchen eine größere Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung. Ausbildungsangebote, die betriebliche und Hochschulausbildung verbinden, sollen daher gezielt gefördert werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir werden darüber hinaus die Begabtenförderung in der beruflichen Bildung weiterentwickeln und zugleich die Qualifizierungsmöglichkeiten leistungsschwächerer Jugendlicher und Erwachsener verbessern. Wir streben insgesamt eine Reform der Ausbildungsförderung unter Einbeziehung der beruflichen Aufstiegsfortbildung an, zu der ich alsbald Vorschläge unterbreiten werde.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die schwierige Lage an den Hochschulen ist allgemein bekannt. Ich glaube, es wäre falsch, sie zu beschönigen. Die Hörsäle sind zu voll, die Bibliotheken überlastet. Ich will jetzt auch nicht einfach nur auf die Erstverantwortung der Länder hinweisen. Dieses politische Spiel ist bekannt und braucht nicht wiederholt zu werden. Es ist manchmal hilfreich, aber nicht immer erfolgreich.

    (Dr. Peter Glotz [SPD]: Stimmt!)

    Aber zur Wahrheit gehört: Die Probleme sind nicht nur eine Frage des Haushalts; ich glaube, sie sind vielschichtiger. Deshalb brauchen unsere Hochschulen eine verläßliche Perspektive.
    Durch eine Änderung des Hochschulrahmengesetzes wollen wir die Situation der Hochschulen verbessern und in Zusammenarbeit mit den Ländern eine Strukturreform erreichen, die zur Verkürzung der durchschnittlichen Studienzeiten führt, der Lehre größeres Gewicht gibt, die Eigenverantwortung der Hochschulen und den Wettbewerb untereinander stärkt. Ich will ausdrücklich sagen: Das ist eine schwierige Aufgabe, die nur in ganz enger Zusammenarbeit mit den Ländern und unter Beteiligung der Hochschulen gelöst werden kann.
    Meine Damen und Herren, die bestehenden BundLänder-Hochschulsonderprogramme wollen wir gemeinsam mit den Ländern zu einem Gesamtkonzept zusammenfügen. Besondere Bedeutung kommt dabei strukturfördernden Maßnahmen und der Förderung von Frauen in der Wissenschaft zu.

    (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Peter Glotz [SPD])

    Die gemeinsame Bund-Länder-Hochschulbaufinanzierung soll an die veränderten Rahmenbedingungen angepaßt werden. Ich hoffe, daß es gelingt, durch Konzentration der Förderung neue Handlungsspielräume zu gewinnen.
    Neben diesen Bemühungen — wenn Sie wollen, Herr Thierse: neben einer Offensive — im Bildungsbereich wollen wir die Schubkräfte für Forschung und Technologie stärken. Die Bundesregierung beabsichtigt, die Haushaltsmittel für Forschung und Technologie überproportional zu steigern, um Spielräume für neue Ideen, insbesondere in den Spitzentechnologien, und die notwendige Förderung der Industrieforschung in den neuen Bundesländern zu eröffnen. Dazu habe ich bereits zu Beginn das Notwendige gesagt.
    Wo Forschung mit öffentlichen Mitteln finanziert wird, hat der Bürger ein Recht darauf, daß sie zielorientiert und effizient ist. Wissenschaft und Forschung haben ihrerseits einen Anspruch auf klare Leitziele in der öffentlichen Förderung. Das Instrumentarium der Wissenschafts- und Technologieförderung soll flexibler und einfacher werden, womit vor allem dem wichtigen Beitrag der kleinen und mittelgroßen Unternehmen zum Innovationsprozeß gedient werden soll.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Besonderen Wert werden wir dabei in allen Bereichen der Forschungsförderung auf eine systematische Erfolgskontrolle des Mitteleinsatzes legen. Ich finde, gerade in Zeiten knapper Kassen können wir uns Reibungsverluste und Fehlinvestitionen nicht leisten,

    (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    obwohl — auch das muß beachtet werden — Forschung immer mit Unbekanntem zu tun hat, immer mit etwas zu tun hat, dessen Ergebnis nicht von vornherein feststeht. Deshalb kann natürlich nicht am Schreibtisch gesagt werden, was schließlich herauszukommen hat, wenn Geld eingesetzt wird.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Ein bißchen ahnen kann man es schon!)




    Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
    — Kollege Weng, diese Debatte wird ja zwischen den Forschungs- und Bildungspolitikern und den Haushaltspolitikem seit Jahren geführt.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Aber jetzt neu, Herr Minister!)

    — Einverstanden, Herr stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Da wird vielleicht die neue Gesamtverantwortung das Blickfeld etwas weiten.
    Forschung kann beim besten Willen nicht effektiv sein, wenn ihr Fesseln angelegt werden, die ein vernünftiges Arbeiten verhindern und zusätzlichen Kostendruck erzeugen. Wenn wir einerseits Geld für Forschungsprojekte ausgeben und andererseits Gesetze schaffen, Verordnungen erlassen und bürokratische Verfahren zelebrieren, die ein freizügiges und kreatives Forschen und Entwickeln unmöglich machen, dann verhindern wir Wettbewerb und mehr Effizienz in Forschung und Wissenschaft.
    Ich will das an einem Beispiel deutlich machen, das mir in einem Gespräch mit der IG Chemie vorgetragen worden ist. Dabei ging es um die Erweiterung einer innovativen Anlage mit einem Investitionswert von knapp 40 Millionen DM. Nachdem die umfangreichen Genehmigungsunterlagen vom Unternehmen im Mai 1991 dem Regierungspräsidenten vorgelegt worden waren, begann die große Zeit des Wartens. Bis zum heutigen Tage, meine Damen und Herren, wurde noch kein einziger Spatenstich getan, aber — und das ist ein wichtiger Punkt — allein die Planung hat inzwischen mehr als 6 Millionen DM — bei einem Investitionsvolumen von 40 Millionen DM — gekostet. Das muß sich ändern.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der SPD)

    Deshalb ist es unser Ziel, forschungs- und innovationsfreundlichere Rahmenbedingungen zu schaffen.
    Wir müssen bestehendes Recht und geübte Verwaltungspraxis — und auf das letztere möchte ich besonderen Wert legen; denn manches, was hier in Bonn richtig beschlossen, erdacht und in Gesetzesform gekleidet worden ist, bekommt seine schrecklichen Auswirkungen erst dann, wenn es im Rahmen des Verwaltungsverfahrens verfeinert und so lange durch die Mangel gedreht worden ist, bis zum Schluß keiner mehr die ursprüngliche Intention kennt — auf Innovationshemmnisse überprüfen. Wo immer es möglich ist, müssen diese beseitigt werden.
    Auch wir im Deutschen Bundestag sollten darauf achten, daß vor der Entstehung neuer Rechtsvorschriften — und das gilt natürlich noch viel stärker für die Ministerien — sensibler über mögliche negative Auswirkungen auf wissenschaftliche Belange nachgedacht wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Das gilt auch für europäische Regelungen in Forschung und Entwicklung. Mein Amtsvorgänger hat auch auf diesem Feld mit grobem Einsatz die Zeit der deutschen Präsidentschaft im Europäischen Rat genutzt.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD] und Dr. Peter Glotz [SPD]: Welcher?)

    Ich hoffe — dank der guten Vorarbeit —, daß der Forschungsministerrat, Herr Kollege Glotz, am 1. Dezember 1994 weitere zehn Programme verabschieden wird.
    Meine Damen und Herren, zur europäischen Dimension gehört auch, daß unser Land als Ort der internationalen Begegnung einen hohen Stellenwert und festen Platz hat. Ich glaube, verehrter Herr Thierse, daß die Gründung einer Akademie der Wissenschaften dazu beitragen kann. Wir haben diese Idee als Angebot in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen, damit Bund und Länder, Wissenschaft und bestehende Akademien an einem Strang ziehen. Ich hoffe, Herr Thierse, daß es uns gelingt, darüber breite Übereinstimmung zu erzielen. Ich nehme das Angebot — und so habe ich Ihre „Kritik" zu Beginn verstanden — zum Gespräch über diese Frage an, zumal es nicht darum geht, gegen Bestehendes und Bewährtes zu konkurrieren, sondern beides in gemeinsamer Verantwortung zu ergänzen.

    (Dr. Peter Glotz [SPD]: Das werden Sie vor allem den Ländern klarmachen müssen!)

    — Das glaube ich, Herr Glotz. Aber das ist eine Diskussion, die wir führen müssen. Ich bin insofern über die Resonanz, die es trotz aller Skepsis auch in der wissenschaftlichen community gibt, froh, denn sie zeigt Offenheit. — Ich bin dankbar, daß heute nicht nur Herr Thierse, sondern auch der ehemalige Vorsitzende des Forschungsausschusses, der Herr Kollege Catenhusen, die Bereitschaft der SPD zum Dialog erklärt hat.
    Bei allem, was wir an Investitionen in die Zukunft Deutschlands als Innovationsstandort planen und einbringen wollen, ist es notwendig, daß wir uns um den Konsens zwischen Bund und Ländern, zwischen Wissenschaft und Forschung und zwischen Politik und Wirtschaft bemühen. Ich bin für Vorschläge offen, weil Offenheit die Voraussetzung für Innovations- und Erneuerungsfähigkeit ist.
    Meine Damen und Herren, zum Schluß möchte ich ausdrücklich sagen: Ich verstehe diejenigen, die nicht bei jedem Projekt gleich Hurra schreien. Ich weiß, daß Konsens nur zu erzielen ist, wenn vorher offen über Chancen und Risiken diskutiert wurde.
    Der Fortschritt in Wissenschaft und Technik darf nicht grenzenlos sein. Es gibt Grenzen, z. B. die Würde des Menschen, die nicht überschritten werden dürfen. Insofern muß sich jeder Forscher, aber auch jeder Politiker die Frage stellen, ob wir eigentlich alles dürfen, was wir heute schon können. Aber angesichts von Hunger und Arbeitslosigkeit, von Umweltschäden und Krankheit müssen wir auch die Frage beantworten, ob wir eigentlich schon alles können, was wir können müßten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Damen und Herren, ohne Innovations- und Erneuerungsfähigkeit hat Deutschland keine sichere Zukunft. Die Bundesregierung will mit dem neuen Ministerium für Bildung und Wissenschaft, Forschung und Technologie ein verläßlicher Partner im Bündnis



    Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
    der Zukunft sein. Ich persönlich freue mich auf unsere Zusammenarbeit.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)