Rede von
Dr.
Ulrich
Briefs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS/LL)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS/LL)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ökologisierung der Wirtschaftspolitik ist überfällig. Wir produzieren und konsumieren uns sonst, wenn es so weitergeht wie bisher, in die Klimakatastrophe und womöglich in die Unbewohnbarkeit des Planeten hinein.
Der vorliegende Antrag der SPD kann ein Einstieg in die notwendige Ökologisierung der Wirtschaftspolitik sein. Er ist deshalb zu begrüßen. Die anderen Ziele, die der Antrag in das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz hineinbringen will — mehr soziale Gerechtigkeit, den Abbau des regionalen Wirtschaftsgefälles, den vorsorgenden Verbraucherschutz —, sind ebenfalls zu begrüßen. Die Erleichterung des wirtschaftlichen Strukturwandels dagegen muß insbesondere mit weiteren, duchgreifenden ökologischen Kontrollen verbunden werden. Er muß insbesondere — aber das ist nicht Gegenstand des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes — durch wirkliche ökologische, durch wirkliche soziale, durch wirkliche technologische und durch wirkliche wirtschaftliche Mitbestimmung der Beschäftigten und der demokratisch gewählten betrieblichen Interessenvertretungen, der Betriebs- und Personalräte, ergänzt werden.
Der von den GRÜNEN 1990 gemeinsam mit der Memo-Gruppe erarbeitete Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der umwelt- und sozialverträglichen Entwicklung der Wirtschaft sah ausdrücklich auch vor, die gleiche Teilhabe von Frauen und Männern an der Erwerbsarbeit zu gewährleisten.
Von besonderer Bedeutung in der Zukunft wird aber die Transparentmachung und Kontrolle von High-Tech-Industrien sein, von Industrien, die Spitzentechnologien entwickeln und produzieren. Dies nicht nur deshalb, weil sie immer stärker dazu beitragen, eine an Höchstleistung orientierte und deshalb z. B. mit immer mehr giftigen Substanzen durchsetzte Produktionsweise voranzutreiben. In der High-Tech-, High-Speed-, High-Performance-Produktionsweise, in dieser Produktionsweise, die auf Spitzentechnologien beruht, die auf Höchstgeschwindigkeiten orientiert ist, die in bestimmten technischen Systemen auf zum Teil nicht mehr richtig faßbare Leistungsgrade hin orientiert ist, wird die Arbeit zudem immer knapper. Die Gefahr weiter eskalierender Arbeitslosigkeit wird noch größer, weil die notwendige Kapitalausstattung, die Kapitalintensität mit modernen Technologien geradezu rasant zunimmt. Die damit verbundene, rapide steigende Fixkostenbelastung in den Betrieben wiederum heizt die Rationalisierung an, kostet damit weitere Arbeitsplätze und führt zudem zu Konzepten wie der just-in-time-production, die die betriebliche Lagerhaltung auf die Straße verlegt. Der Verkehr, der Umweltbelaster Nummer 1 — noch vor der Industrie und der sonstigen Wirtschaft —, wird damit noch umweltzerstörender.
Die moderne Produktionsweise ist insbesondere flächenfressend. In den Niederlanden ist von 1966 bis 1991 die Nutzung von Bodenfläche für den Wohnungsbau um etwa 50 % gestiegen, die für den gewerblichen Bau aber um mehr als 130 %. Nur der durch Verkehrsbauten bedingte Flächenfraß ist noch größer gewesen. Deshalb brauchen wir z. B. eine rechtzeitige und umfassende Technologiefolgenabschätzung, der die Bundesregierung in der vorigen Legislaturperiode leider eine Beerdigung 1. Klasse hat zukommen lassen. Die Erstellung von Ökobilanzen und Produktlinienanalysen ist der Wirtschaft ergänzend als Pflicht aufzuerlegen.
Deshalb brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Mitbestimmung und mehr Informationsrechte für Bürger und Bürgerinnen, für Bürgerinitiativen und Umweltschutzverbände. Deshalb brauchen wir auch keine Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, sondern eher eine Politik der verstärkten Transparentmachung und Intervention in technologische und ökonomische Prozesse. Vielleicht brauchen wir sogar eine systematische Politik der Entschleunigung und der Verlangsamung, in der Konsequenz natürlich auch des Verzichts auf bestimmte spitzentechnologische Entwicklungen. Eine stärkere Durchdringung der staatlichen Wirtschaftspolitik mit Zielen, die ökologischer und sozialer Natur sind, wie sie der SPD-Antrag vorsieht, ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung.
Nach mehr als vier Jahrzehnten fast ausnahmslos stürmischen Wachstums ist es an der Zeit, durch Vorgabe ökologischer und sozialer Ziele die Wirtschaft dorthin zu bringen, wo sie hingehört: in eine dienende und nicht in eine bestimmende Rolle.
Herr Präsident, ich danke Ihnen.