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    Plenarprotokoll 12/77 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 77. Sitzung Bonn, Freitag, den 14. Februar 1992 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 5: Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz-Günter Bargfrede, Dr. Wolf Bauer, Richard Bayha, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Günther Friedrich Nolting, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Rüstungskontrolle und Abrüstung nach Ende des Ost-West-Konflikts (Drucksache 12/2076) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Fortsetzung der Abrüstungspolitik nach der Auflösung der UdSSR (Drucksache 12/2067) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Fuchs (Verl), Edelgard Bulmahn, Karsten D. Voigt (Frankfurt), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Hilfen für die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten bei der Rüstungskonversion und der Stärkung des Non-Proliferationsregimes (Drucksache 12/2068) Peter Kurt Würzbach CDU/CSU 6397B Dr. Hermann Scheer SPD 6399 D Dr. Olaf Feldmann FDP 6401 D Dr. Hans Modrow PDS/Linke Liste 6403 B Helmut Schäfer, Staatsminister AA 6404 B Karl Lamers CDU/CSU 6406 B Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD 6407 D Günter Verheugen SPD 6408 B Ulrich Irmer FDP 6410 D Günter Verheugen SPD 6412 A Heinrich Lummer CDU/CSU 6412 B Dr. Hermann Scheer SPD 6413 A Edelgard Bulmahn SPD 6413 D Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU 6416 A Tagesordnungspunkt 12: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt — Bewertungskriterien und Perspektiven für umweltverträgliche Stoffkreisläufe in der Industriegesellschaft" (Drucksachen 12/1290, 12/1951) Michael Müller (Düsseldorf) SPD 6417 C Dr. Norbert Rieder CDU/CSU 6419 A Dr. Klaus Röhl FDP 6419 D Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/GRÜNE 6420 C Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär BMU 6421 A Nächste Sitzung 6422 C II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Februar 1992 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 6423* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 12 (Antrag der SPD-Fraktion: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt — Bewertungskriterien und Perspektiven für umweltverträgliche Stoffkreisläufe in der Industriegesellschaft") 6424* A Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 6424* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Februar 1992 6397 77. Sitzung Bonn, den 14. Februar 1992 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Austermann, Dietrich CDU/CSU 14. 02. 92 Baum, Gerhart Rudolf FDP 14. 02. 92 Bernrath, Hans Gottfried SPD 14. 02. 92 Dr. Böhme (Unna), Ulrich SPD 14. 02. 92 Börnsen (Ritterhude), SPD 14. 02. 92 Arne Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 14. 02. 92 Braband, Jutta PDS/LL 14. 02. 92 Doppmeier, Hubert CDU/CSU 14. 02. 92 Dr. Dregger, Alfred CDU/CSU 14. 02. 92 Gattermann, Hans H. FDP 14. 02. 92 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 14. 02. 92 Grünbeck, Josef FDP 14. 02. 92 Haack (Extertal), SPD 14. 02. 92 Karl-Hermann Habermann, SPD 14.02.92 Frank-Michael Hämmerle, Gerlinde SPD 14. 02. 92 Hansen, Dirk FDP 14. 02. 92 Dr. Hartenstein, Liesel SPD 14. 02. 92 Dr. Heuer, Uwe-Jens PDS/LL 14. 02. 92 Heyenn, Günther SPD 14. 02. 92 Hilsberg, Stephan SPD 14. 02. 92 Hollerith, Josef CDU/CSU 14. 02. 92 Horn, Erwin SPD 14. 02. 92 ** Dr. Hoyer, Werner FDP 14. 02. 92 Hübner, Heinz FDP 14. 02. 92 Ibrügger, Lothar SPD 14. 02. 92 ** Jung (Düsseldorf), Volker SPD 14. 02. 92 Jungmann (Wittmoldt), SPD 14. 02. 92 Horst Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 14. 02. 92 Kauder, Volker CDU/CSU 14. 02. 92 Klemmer, Sigrun SPD 14. 02. 92 Kohn, Roland FDP 14. 02. 92 Kolbe, Manfred CDU/CSU 14. 02. 92 Koppelin, Jürgen FDP 14. 02. 92 Koschnick, Hans SPD 14. 02. 92 Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 14. 02. 92 Günther Kretkowski, Volkmar SPD 14. 02. 92 Kubicki, Wolfgang FDP 14. 02. 92 Leidinger, Robert SPD 14. 02. 92 Löwisch, Sigrun CDU/CSU 14. 02. 92 Marx, Dorle SPD 14. 02. 92 Meinl, Rudolf Horst CDU/CSU 14. 02. 92 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 14. 02. 92 Dorothea Michels, Meinolf CDU/CSU 14. 02. 92 Molnar, Thomas CDU/CSU 14. 02. 92 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Müller, Günther CDU/CSU 14. 02. 92 * Müller (Zittau), Christian SPD 14. 02. 92 Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 14. 02. 92 Neumann (Bramsche), SPD 14. 02. 92 Volker Dr. Olderog, Rolf CDU/CSU 14. 02. 92 Dr. Pfaff, Martin SPD 14. 02. 92 Pfeffermann, Gerhard O. CDU/CSU 14. 02. 92 Pfeiffer, Angelika CDU/CSU 14. 02. 92 Dr. Pfennig, Gero CDU/CSU 14. 02. 92 Pofalla, Ronald CDU/CSU 14. 02. 92 Poppe, Gerd BÜNDNIS 14. 02. 92 90/GRÜNE Pützhofen, Dieter CDU/CSU 14. 02. 92 Raidel, Hans CDU/CSU 14. 02. 92 Rau, Rolf CDU/CSU 14. 02. 92 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 14. 02. 92 * Reichenbach, Klaus CDU/CSU 14. 02. 92 Rempe, Walter SPD 14. 02. 92 Rühe, Volker CDU/CSU 14. 02. 92 Sauer (Stuttgart), Roland CDU/CSU 14. 02. 92 Schmalz-Jacobsen, FDP 14. 02. 92 Cornelia Schmidt (Dresden), Arno FDP 14. 02. 92 Schmidt (Mülheim), CDU/CSU 14. 02. 92 Andreas von Schmude, Michael CDU/CSU 14. 02. 92 Schröter, Gisela SPD 14. 02. 92 Schütz, Dietmar SPD 14. 02. 92 Schulte (Hameln), SPD 14. 02. 92 ** Brigitte Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 14. 02. 92 Christian Skowron, Werner H. CDU/CSU 14. 02. 92 Dr. Soell, Hartmut SPD 14. 02. 92 * Dr. Sperling, Dietrich SPD 14. 02. 92 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 14. 02. 92 Dr. Stavenhagen, Lutz G. CDU/CSU 14. 02. 92 Dr. Frhr. von Stetten, CDU/CSU 14. 02. 92 Wolfgang Dr. Stoltenberg, Gerhard CDU/CSU 14. 02. 92 Thiele, Carl-Ludwig FDP 14. 02. 92 Vosen, Josef SPD 14. 02. 92 Welt, Jochen SPD 14. 02. 92 Wieczorek (Duisburg), SPD 14. 02. 92 Helmut Wissmann, Matthias CDU/CSU 14. 02. 92 Wollenberger, Vera BÜNDNIS 14. 02. 92 90/GRÜNE Zierer, Benno CDU/CSU 14. 02. 92 * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung 6424 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Februar 1992 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 12 (Antrag der SPD-Fraktion: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt-Bewertungskriterien und Perspektiven für umweltverträgliche Stoffkreisläufe in der Industriegesellschaft") Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Chemiepolitik wird neben der Energieproblematik das zweite große Feld der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um eine lebenswerte Zukunft. Begrüßenswert ist, daß sich mittlerweile in der wissenschaftlichen und in der politischen Diskussion über Chemie ein umfassenderes Denken durchzusetzen scheint. Statt einer Einzelstoffbetrachtung wird übergegangen zu der Betrachtung von Stoffgruppen. Angestrebt werden geschlossene Stoffkreisläufe. Vorsorgender Umweltschutz spielt zunehmend eine Rolle. Die Produkte werden von ihrem Ende her und in ihrem Zusammenwirken mit anderen Produkten betrachtet — ein Denken, das das bisher praktizierte „end of the pipe" als vermeintlichen Umweltschutz ausschließt. Die Diskussion erhält eine größere Zeitperspektive, d. h. die Lebensdauer der Stoffe und Stoffgruppen werden ebenso in die Betrachtung einbezogen wie die Art und Auswirkungen ihrer Abbaubarkeit; als Beispiel können PVC und FCKW genannt werden, deren Lebensdauer unterschätzt wurde. Immer mehr wird versucht, sich am tatsächlichen Bedarf zu orientieren, und der Nutzen bestimmter Produkte wird kritisch hinterfragt. Zunehmend wird auf umweltneutrale, wiederverwertbare und reperaturfreundliche Produkte gesetzt. Naturnähe wird zum Qualitätsmerkmal. Die Ersetzung bestimmter als schädlich erkannter Produkte und Produktionsverfahren ist kein Tabu mehr, wie das Beispiel Chlorchemie zeigt. Wir scheinen uns also auf dem Weg in die von Ökologinnen und Ökologen seit langem geforderte Chemiewende zu befinden. Doch leider handelt es sich bei dem oben Gesagten erst um Ansätze, und größtenteils findet die Diskussion bisher ausschließlich im akademischen Bereich statt. Von daher kommen wir nicht umhin, bereits jetzt bestimmte Weichenstellungen vorzunehmen und Fehlentwicklungen abzustellen. In dem vorliegenden Antrag kommt der Herstellung der gesellschaftlichen Akzeptanz eine zentrale Rolle zu. So wichtig dies ist, beschreibt es die Herausforderungen der ökologischen Debatte aber nur unzureichend, nämlich da, wo offene Interessengegensätze der gesellschaftlichen Gruppen bestehen. Ich möchte einige kritische Bemerkungen machen. Was wir brauchen, ist eine gesellschaftliche Debatte über das Was, Wie und Wo der Produktion und ein kurz- und mittelfristig struktur- und ordnungspolitisches Handeln der Politik. Kurz: Wir brauchen eine Chemiepolitik, die die Entgiftung von Produkten und der Produktion als ihr oberstes Ziel definiert. Die Politik darf sich nicht aus ihrer Verantwortung stehlen. Der Ausstieg aus der Chlorchemie muß jetzt politisch gewollt und durchgesetzt werden. Gesundheitsschädliche Produkte und Produktionen müssen jetzt verboten werden. Die PDS/Linke Liste im Bundestag wird dem vorgelegten Antrag und der Einsetzung dieser EnqueteKommission zustimmen. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 11/8543 Drucksache 12/247 Drucksache 12/1126 Drucksache 12/1247 Drucksache 12/1669 Finanzausschuß Drucksache 11/4492 Drucksache 12/249 Drucksache 12/367 Drucksache 12/942 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 11/7565 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 12/584 EG-Ausschuß Drucksache 12/1201 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen, bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 12/1681 Nr. 3.1 Finanzausschuß Drucksache 12/210 Nrn. 74, 75 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 12/1072 Nr. 22 Ausschuß für Post und Telekommunikation Drucksache 12/1681 Nr. 3.13 Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Drucksache 12/1339 Nr. 2.18
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    Rede von Michael Müller


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat durch die Aufarbeitung umfassender ökologischer Themen und Probleme mit der Klima-Enquete eine, wie ich finde, sehr gute, ja vorbildliche Leistung erbracht.
    Bei der heutigen Beschlußvorlage haben wir es mit einem ähnlich weitreichenden Thema zu tun. Daher halten wir es für sinnvoll — wir haben das einvernehmlich begrüßt und unterstützt —, auch dieses Problem in einer Enquete-Kommission aufzuarbeiten.
    Dadurch besteht die Chance, das sehr schwierige Problem der Erfassung von Chancen und Risiken von Stoffströmen, der Folgen menschenbedingter Eingriffe in die Naturhaushalte und der damit verbundenen zahlreichen Wechselwirkungen in und zwischen den Ökosystemen mit der diesem Thema angemessenen Sorgfalt zu behandeln.
    Ich glaube, es geht vor allem um drei zentrale Felder.
    Erstens geht es darum, wie durch die anthropogenen, also menschenbedingten Eingriffe in die Stoffkreisläufe sonst überwiegend immobile Stoffe mobilisiert werden und dadurch Schaden angerichtet wird. Ein Beispiel sind die Schwermetalle.
    Zweitens geht es um die Eingriffe in globale Zyklen, beispielsweise in den Kohlenstoffkreislauf. Auch der Kohlenstoffkreislauf ist nicht mehr mit einzelstofflichen Betrachtungen, sondern nur Systemar zu bewerten, beispielsweise in den Auswirkungen auf die atmosphärischen, die terrestrischen oder die ozeanischen Systeme.
    Das dritte zentrale Feld ist die Bewertung von weithin evolutionsunerprobten, also synthetischen Stoffen und ihrer Wirkung auf die Natur. Insofern muß man sehen, daß die Enquete-Kommission ein sehr viel größeres Systemgebiet als die synthetischen Stoffe behandeln soll. Es geht auch um die Wechselwirkung mit den natürlichen Stoffen, also dem Naturhaushalt.
    Mit dieser Enquete-Kommission wollen wir also einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung komplizierter wissenschaftlicher Sachverhalte leisten. Damit wollen wir — das ist wohl das Wichtigste — den Anspruch ernst nehmen, zu einer vorsorgenden, integrierten Umweltpolitik zu gelangen. Wir wissen, daß unsere heutigen umweltpolitischen Ansätze den aufgetretenen Schäden gewissermaßen nachhinken. Wer die vorsorgende Bewahrung der ökologischen Kreisläufe wirklich ernst nimmt, muß zu einer unmittelbaren Bewertung von Stoffkreisläufen und der Eingriffe in die Stoffkreisläufe kommen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wir haben das in der Klima-Enquete angefangen. Wir werden das jetzt auf einer anderen Ebene erweitern.
    Ich finde, daß der Bundestag hier eine sehr wichtige Vorreiterrolle übernimmt. Lassen Sie mich das auch



    Michael Müller (Düsseldorf)

    vor diesem Hintergrund sagen: In einer Zeit von Unsicherheiten und Umbrüchen, in der wir heute sind, besteht die Gefahr, die Politik sozusagen zu überfrachten und alle Probleme, die nicht gelöst werden können, im Grund auf die Politik und die Politiker zu überwälzen. Daran ist sicher etwas Wahres.
    Aber ich möchte auch sagen, daß umgekehrt beispielsweise in zentralen ökologischen Fragen wichtige Impulse von der Politik ausgegangen sind. Beispielsweise war die Klima-Enquete ein Impuls, der sehr viel stärker von der Politik ausgegangen ist, als er sich sozusagen neben dem politischen Bereich entwickelt hat. Ich akzeptiere zwar die vielfache Kritik, die der Politik vorwirft, sie reagiere nur, aber generell trifft sie sicher nicht zu. Wir glauben, daß wir mit dieser Stoff-Enquete einen Beitrag zu einer gestaltenden vorsorgenden Politik leisten können.
    Dies ist auch deshalb wichtig, weil in den letzten Jahren vor allem drei Fakten immer deutlicher geworden sind. Der erste Fakt ist, daß die biochemischen Kreisläufe bereits bedenklich ins Rutschen geraten sind; Belastungsgrenzen im Erd-Ökosystem werden immer deutlicher.
    Das macht den Handlungsbedarf groß. Aber das Wichtigste überhaupt ist die Erkenntnis, daß wir schon heute einen großen Teil unserer Zukunft programmiert haben. Das unglaubliche Problem einer Mediengesellschaft, die eigentlich nur auf aktuelle Ereignisse reagiert, steht in einem fundamentalen Widerspruch zu dem, was tatsächlich abläuft, daß wir nämlich in der Gegenwart Zukunft zementieren. Alexander Kluge nennt das den alltäglichen Angriff auf die Zukunft, den wir aber erst in der Zukunft merken.
    Dieses Grundproblem stellt sich um so deutlicher in der Ökologie. Alle zentralen ökologischen Probleme haben einen Vorlauf von einem Jahrzehnt oder mehr. Insofern ist ganz wichtig zu begreifen: Eine Stoffpolitik ist ein Teil, mit dieser Problemstellung, also der Zeitverzögerung zwischen Verursachung und Wirkung, fertig zu werden.
    Zweiter zentraler Fakt, der in den letzten Jahren immer deutlicher geworden ist: Wir erkennen immer klarer die Grenzen einer Politik der nachträglichen Schadstoffkontrolle. Wir wissen, daß ein Aktionismus, der sich nur auf die Schadstoffkontrolle ausrichtet, mit dem Problem nicht fertig werden kann, sondern im Gegenteil sogar immer weiter den Problemstellungen hinterherläuft. Deshalb ist es ganz entscheidend, daß wir von der Philosophie der Endof-Pipe-Technologien wegkommen und zu dem hinkommen, was ökologisch geboten ist, nämlich eine vorsorgende Politik.
    Den dritten Fakt muß man aus meiner Sicht ganz klar herausstellen: Die Naturzerstörung erfolgt zwar mit der Objektivität der Naturgesetze, aber sie kommt nicht naturgesetzlich. Sie ist vielmehr das Ergebnis der ständigen Mißachtung der Naturgesetze in der Organisation von Gesellschaft. Deshalb müssen wir begreifen, daß Umweltpolitik nicht bedeuten kann, sie als Fachdisziplin immer mehr neben anderen Fachdisziplinen zu stärken. Viel entscheidender ist, in der Gesellschaft in allen Entscheidungen das ökologisch Notwendige zu verankern. Das ist ein anderer Ansatz als der, der heute noch vorherrscht, bei dem wir nämlich Fachdisziplinen stärken.
    Ökologisches Denken ist ein übergeordnetes Denken, was sozusagen die Bewahrung der Biosphäre zum obersten Ziel aller Entscheidungen macht, ähnlich wie es in anderen Bereichen bei der Bewahrung der Demokratie und der Bewahrung der Sozialstaatlichkeit der Fall ist.

    (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

    Die Enquete-Kommission wird sich ganz zweifellos mit allen diesen Grundfragen nicht in extenso beschäftigen können; das ist klar. Aber wir müssen uns exemplarisch Felder aussuchen, wo wir diese Zusammenhänge auch deutlich machen können und von denen aus wir wiederum verallgemeinern können. Es wird die entscheidende Aufgabe der ersten Zeit sein, solche Schlüsselfragen auszusuchen.
    Von zentraler Bedeutung wird es hierbei sein, zu Systembetrachtungen zu kommen, also weg von isolierten Betrachtungen hin zu Systembetrachtungen einschließlich der ökologischen Wechselwirkungen und natürlich auch der ökonomischen, sozialen und kulturellen Folgen.
    Dafür müssen wir uns aus meiner Sicht an Leitbildern orientieren. Die Arbeit in der Kommission muß sich sozusagen aus dem Verständnis „Was wollen wir in der Zukunft erreichen, und wie können wir es erreichen?" entwickeln.
    Dabei müssen für uns drei zentrale Leitbilder eine große Rolle spielen: erstens die Idee der nachhaltigen Entwicklung, also alles das, was von den Vereinten Nationen, von der Brundtland-Kommission, als Stichwort, aber leider bisher wenig ausgefüllt, in die Diskussion gebracht wurde. Es geht dabei um die Dauerhaftigkeit menschenwürdiger Lebensbedingungen.
    Zweitens. Wir müssen auch zu einer Hinterfragung des Bedarfs kommen. Ich halte es für eine der entscheidenden Zukunftsfragen zu erkennen, daß die Bewahrung von Freiheit auch Selbstbegrenzung bedeutet, besser gesagt: daß die Freiheit in einer immer komplexeren Gesellschaft mit immer höheren Ansprüchen auch bedeutet, im Interesse der Freiheit zu Selbstbegrenzungen zu kommen, also zu Begrenzungen, die aus Einsicht erfolgen.
    Drittens müssen wir analysieren, wieweit wir solche Ideen wie „geschlossene Kreisläufe" umsetzen können und wieweit wir dabei insbesondere Kaskaden für die Wiederverwertung aufbauen können.
    Meine Damen und Herren, die SPD versteht diese Enquete-Kommission als eine Chance, die stofflichen Zusammenhänge einer komplexen Industriezivilisation systematisch, rational und in gesellschaftlichem Diskurs aufzuarbeiten. Ich glaube, daß alle komplexen zukunftsorientierten Themen heute nur noch nach dem Prinzip der Wahrheitsfindung durch den gesellschaftlichen Dialog umsetzbar und akzeptanzfähig gemacht werden können. Das Habermassche Prinzip, Wahrheitsfindung durch Diskurs, ist aus meiner Sicht das einzig wirklich tragfähige Prinzip in



    Michael Müller (Düsseldorf)

    einer entwickelten Demokratie. Daran muß man sich auch orientieren. Das heißt, man muß vorurteilsfrei, offen und lernfähig in solche Diskussionen gehen.
    Das bedeutet, wir müssen versuchen, vorsorgend statt reaktiv Politik zu machen, wir müssen das Thema systematisch statt zufällig behalten, und wir müssen es vor allem unter Einbeziehung wichtiger gesellschaftlicher Gruppen statt in internen Zirkeln organisieren.
    Ich danke für die Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Als nächster nimmt das Wort der Abgeordnete Dr. Norbert Rieder.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Norbert Rieder


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir stimmen der Einrichtung dieser Enquete-Kommission ausdrücklich zu. Bei dieser Einrichtung einer Enquete-Kommission muß man sich natürlich ein paar Gedanken machen, und es gibt einige Erwartungen. Was ist dazu zu sagen?

    (Vorsitz : Vizepräsidentin Renate Schmidt)

    Wir möchten erreichen, daß die ökologische und soziale Marktwirtschaft deutlich verbessert wird. Wir wollen erreichen, daß die Umwelt als wichtiger Produktionsfaktor in unsere Marktwirtschaft internalisiert wird. Dazu brauchen wir die Gleichwertigkeit der wichtigsten Faktoren einer modernen Marktwirtschaft. Diese Faktoren sind bekanntlich die Arbeitskraft der Menschen, die unternehmerische Leistung, die wissenschaftliche Leistung derer, die die Produkte entwickeln, das Kapital und, nicht zu vergessen, die soziale Komponente, die soziale Absicherung und die Umwelt.
    Am schwierigsten ist dabei die Umwelt, die Veränderung der Umwelt zu bewerten, da die Daten nur sehr schwer zu erfassen sind. Die Komplexität von Ökosystemen, die ja der wissenschaftlichen Ökologie große Probleme bereitet, macht es äußerst schwierig, diese Faktoren richtig einzukalkulieren. Der Zustand unserer Umwelt erfordert das aber dringend; denn sonst werden wir die Zukunft nicht gewinnen.
    Dazu, glaube ich, kann die zu gründende Kommission einen wichtigen Beitrag leisten. Aber wir müssen nach meiner Meinung drei Punkte beachten. Wir müssen als erstes fragen: Was muß diese Kommission leisten?, zweitens: Was sollte sie leisten? und drittens: Was darf sie nicht betreiben?
    Zum ersten: Was muß sie leisten? Es müssen ein Einstieg und die Standardisierung von Ökobilanzen ausgewählter Stoffe erreicht werden. Wir sollten diese Aufgabe nicht unterschätzen. Das Beispiel vieler Ökobilanzen, die angedacht sind, die begonnen worden sind und die alle nicht ganz ideal sind, zeigt, daß dieses Thema wirklich sehr schwer zu behandeln ist.
    Es ist darüber hinaus ein Vergleich zu machen; denn allein eine Ökobilanz eines Stoffes oder eines Stoffsystems bringt uns nicht weiter. Wir müssen selbstverständlich auch die Alternativen untersuchen. Wir müssen untersuchen, was passiert, wenn wir einen bestimmten Stoff, der als gefährlich erkannt ist, aus
    dem System herausnehmen. Ist möglicherweise das, was wir dann erreichen, für die Gesamtbilanz schädlicher, als wenn wir diesen möglicherweise unangenehmen Stoff beibehalten, wenn auch in Maßen?
    Zweitens: Was sollte erreicht werden? Es sollte erreicht werden, daß nicht nur ein einzelner Stoff oder einzelne Stoffe behandelt werden, sondern die gesamte Kette eines Stoffes von der Rohstoffgewinnung über die Produktion bis zum fertigen Produkt und dann natürlich bis zur Wiederverwertung bzw. Entsorgung. Wenn wir das nicht schaffen, wird das Ganze nur isoliert sein, und wir werden damit das, was wir eigentlich haben wollen, nicht erreichen können.
    Durch solche Daten wollen und müssen wir aber auch einen Hinweis für bessere Produkte erreichen. Wir müssen darüber hinaus die technische Innovation stärken und — auch das ist, glaube ich, ein wichtiger Gesichtspunkt — eine bessere Akzeptanz bekommen. Durch offene Daten — das ist ein ganz entscheidender Punkt — können wir eine bessere Akzeptanz in weiten Kreisen der Bevölkerung und in der Politik erreichen.
    Jetzt komme ich zum letzten Punkt, was nicht sein darf; ich glaube, das müssen wir als ganz wichtigen Punkt betrachten. Es darf nicht sein — dafür werden wir uns massiv einsetzen —, daß ideologische, wissenschaftlich nicht haltbare Behauptungen in den Raum gestellt werden, daß oberflächliche Betrachtungen die Atmosphäre vergiften und daß Ergebnisse herauskommen, die letzten Endes nur zum Lachen reizen. Sie wissen, daß es in der politischen Diskussion der Vergangenheit leider Gottes häufig Dinge gegeben hat, über die wir wirklich nur lachen konnten. Deswegen, glaube ich, müssen wir das Ganze auf eine rationale, wissenschaftliche Basis stellen.
    Wir, die CDU/CSU, sind jedenfalls der Ansicht, daß unsere Zukunft nur in intelligenten Produkten und in intelligenter Produktion — zu intelligenten Produkten und zu einer intelligenten Produktion gehört auch die Einbeziehung der Umweltfaktoren — liegen kann. Dazu wollen wir unseren Beitrag leisten.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU)