Rede von
Dr.
Johannes
Gerster
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit dem 3. Oktober des vergangenen Jahres sind Polizei und Justiz in und von Berlin für die Verfolgung der Regierungskriminalität zuständig. Damit sind Straftaten gemeint, die im Zusammenhang mit der Staatsführung in der ehemaligen DDR begangen wurden. Die Polizei in und von Berlin ist auch zuständig für die Verfolgung der Vereinigungskriminalität. Das sind Wirtschaftsdelikte, die in vielfältiger Form im Zuge der Wiedervereinigung begangen wurden. In beiden Fällen ist verfassungsrechtlich eindeutig das Land Berlin zuständig.
Richtig ist, Herr Kollege Wartenberg, daß die Strafverfolgungsbehörden in Berlin mit dieser Aufgabe hoffnungslos überfordert und überlastet sind. Dies zeigt sich von Tag zu Tag mehr. Dies liegt übrigens nicht nur an der gewaltigen Dimension der Aufgabe, das liegt auch an den besonderen Problemen Berlins. Dort wachsen praktisch zwei Millionenstädte zu einer Millionenstadt zusammen. Dazu kam die Auflösung bestimmter Teile der Nationalen Volksarmee. Unsere Polizei wurde für diese Drehscheibe zwischen Ost und West, die ja gewollt ist, zuständig, mit allen Kriminalitätsfolgen, die in diesen Millionenstädten üblich sind.
Das liegt aber auch daran, Herr Kollege Wartenberg, daß die alten Bundesländer ihre Zusagen, solidarisch zu helfen, nicht eingehalten haben.
Ich möchte hier nicht dasselbe Spiel, das Sie betreiben, aufnehmen, daß wir den Schwarzen Peter hin und her schieben.
— Nein, man muß doch folgendes wissen: Die Innenministerkonferenz hat bereits im Mai dieses Jahres beschlossen, 34 Kriminalpolizeibeamte aus den anderen Bundesländern nach Berlin abzuordnen. Von diesen sind bisher gerade acht bei der Berliner Polizei angekommen, übrigens alle aus CDU/CSU-regierten Ländern. Nordrhein-Westfalen hat nicht einen einzigen Beamten entsandt.
— Erst in der letzten Woche; bis zu dem Beschluß in Saarbrücken, wo der Beschluß vom Mai noch einmal wiederholt wurde, keine, danach ja. Ich bin gespannt, ob jetzt endlich die Hilfsmaßnahmen der anderen Länder Platz greifen.
Meine Damen, meine Herren, wie wenig sich das Thema eignet, allein dem Bund vor die Haustür gekarrt zu werden, zeigen einige Zahlen ganz deutlich.
Natürlich brauchen wir ermittelnde Kriminalbeamte. Für die Bekämpfung der Regierungskriminalität brauchen wir mehr als 300 Beamte in Berlin. Zur Bekämpfung der Vereinigungskriminalität brauchen wir noch einmal 400 Beamte. Auch bei sehr kritischer Würdigung der von den Berliner Verantwortlichen so genannten Zahlen ist es offensichtlich, daß die von der Innenministerkonferenz beschlossenen Hilfsmaßnahmen selbst bei deren umgehender und vollständiger Realisierung allenfalls einen Tropfen auf den heißen Stein darstellen können.
Meine Damen, meine Herren, sehen Sie sich die beiden Sparten der Strafverfolgung an, die Gerichte und die Staatsanwaltschaften. Auch da muß Personal umgesetzt werden. Wenn Sie bedenken, Kollege Wartenberg, daß wir auf Bundesebene einige Dutzend Staatsanwälte haben, während die Länder Tausende von Staatsanwälten haben, wenn Sie bedenken, daß wir auf Bundesebene ein paar hundert Bundesrichter haben, die Länder aber rund 30 000 Richter haben, dann ist leicht erkennbar, daß das der Bund im Bereich der Rechtsprechung eben nicht leisten kann. Wenn dies eine gesamtstaatliche, nationale Aufgabe ist — da stimme ich Ihnen zu, Herr Wartenberg — , ist das nur vom ausgebildeten Personal der Justiz in Bund und Ländern, vor allen Dingen von den Ländern, zu leisten. Wir können die Bundesrichter jetzt nicht einfach nach Berlin schicken. Das muß im Wege des Austauschs zwischen den Ländern, die für die Gerichte der ersten und zweiten Instanz zuständig sind, passieren.
Dasselbe gilt natürlich für die 700 ermittelnden Kriminalpolizeibeamten, die wir brauchen. Ich habe die
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991 5785
Johannes Gerster
Zahlen genannt. Natürlich kann und soll da auch das BKA helfen.
— Natürlich tut es das! — Aber es wäre völlig illusorisch, zu glauben, wir lieferten die Probleme einfach beim BKA ab.
— Ich weiß überhaupt nicht, warum Sie so nervös sind. Lassen Sie uns doch die Gedanken einmal ruhig austauschen und gucken, wer das bessere Konzept hat!
— Rufen Sie doch nicht immer dazwischen! Ich habe Ihnen doch auch zugehört. Jetzt hören Sie einmal ganz ruhig zu!
— Das ist schon richtig, was ich sage.
— Jawohl, Herr Oberlehrer. Sie wissen es ja ganz bestimmt. Gehen Sie einmal zu Ihrer Landesregierung, und tun Sie etwas, damit die mitmachen!
Jetzt wollen wir einmal ganz ruhig weiterreden. Es ist überhaupt keine Frage — da wiederum stimmen wir überein— : Wenn dies gesamtstaatlich geregelt wird, dann mit qualifiziertem Personal. Dieses qualifizierte Personal können nur die 16 Bundesländer
— davon die elf alten eher als die fünf neuen — zur Verfügung stellen. Das muß umgehend geschehen.
Meine Damen, meine Herren, wir sollten in der Tat darauf dringen, daß es zu einer Vereinbarung kommt, und zwar mehr als zu einer mündlichen Absprache. Ich bin sogar der Meinung, es muß zu einem Staatsvertrag kommen. Ich darf einmal an die Ludwigsburger Behörde erinnern, die die Länder gemeinsam geschaffen haben, um die NS-Verbrechen aufzuarbeiten. Ich darf an die gemeinsame Einrichtung der Stelle in Salzgitter erinnern, die Verbrechen und Vergehen der früheren DDR aufgelistet hat. Dies ist übrigens eine Einrichtung, bei der sich die SPD-regierten Länder bis zur deutschen Vereinigung alle aus der Verantwortung gestohlen haben.
Sie könnten da einiges gutmachen, wenn Sie mit Ihren SPD-regierten Ländern wenigstens bei der Aufarbeitung hier mitmachten.
Da haben Sie nämlich viel Nachholbedarf.
Wir sollten hier sogar auf einen Staatsvertrag hinarbeiten, der zwei Dinge klären muß: Erstens. Es muß endlich die personelle und sachliche Grundlage geschaffen werden,
damit die Hauptschuldigen des DDR- und SED-Unrechtsregimes vor Gericht gestellt und verurteilt werden. Es kann nicht wahr sein, daß wir wegen der geschilderten Personalprobleme, aber auch wegen der Überlastung von Berlin weiter zuwarten.
Zweitens. Gerade wenn sich der Rechtsstaat schwertut und wir als Gesetzgeber uns schwertun, Fragen der Wiedergutmachung zeitnah und schnell im Parlament zu regeln, muß zumindest mit den Grundvermögen in Millionen- und Milliardenhöhe, die zum Zeitpunkt der Wende von den SED-Genossen verschoben wurden, etwas passieren. Es muß zunächst einmal festgestellt werden, um was es sich im einzelnen handelt. Dann muß entweder nachgezahlt oder enteignet werden.
Meine Damen, meine Herren, wir halten es politisch nicht durch — das ist durchaus nicht im Kontrast zu einzelnen Fraktionen des Bundestages gesagt —, wenn wir einerseits die Opfer des alten Unrechtsregimes monate- und jahrelang auf ihre Wiedergutmachung warten lassen und andererseits die Bonzen, die das zum Teil mitzuverantworten haben, in ihren Pfründen, die sie sich unrechtmäßig angeeignet haben, sitzenlassen. Wenigstens den zweiten Teil müssen wir lösen. Übrigens wird der Staat da Millionen, ja mit Sicherheit Milliarden von Mitteln sichern können, die dringend, etwa für die Wiedergutmachung, gebraucht werden.
Wir verlangen also erstens, daß die Länder das, was sie übernommen haben, endlich tun.
Zweitens. Wir verlangen eine Vereinbarung, eine Absprache zwischen den Bundesländern, etwa in der Form eines Staatsvertrages.
Drittens. Kollege Wartenberg, es ist richtig, ich bin durchaus der Meinung, daß auch das Bundeskriminalamt hier in das Gesamtkonzept eingebaut werden sollte, etwa mit einer Außenstelle in Berlin; da sind wir gar nicht weit auseinander.
Was mir aber nicht gefällt, ist, daß Sie das so ein bißchen auf diese Schiene alleine legen. Wir müssen beides machen; denn das BKA braucht ja auch die Beamten in Berlin. Wenn sie jetzt erst anfangen, auszubilden und einzustellen, dauert das wieder Jahre. Das heißt, wir müssen das mit qualifiziertem Personal, das jetzt in den Ländern ist, tun.
Ich sage bewußt ein bißchen locker und flockig: Es gibt meines Erachtens im Bereich des Bundeskriminalamtes und der Sicherheitsbehörden drei Schwerpunktaufgaben. Wenn es an Personal mangelt, dann muß man eben Schwerpunkte setzen. Das ist für mich die Bekämpfung des Terrorismus, der nach wie vor eine latente Gefahr ist, das ist zweitens die Bekämpfung dessen, was ich die Pest dieses Jahrhunderts, zumindest der zweiten Hälfte, nenne, nämlich die Be-
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kämpfung der organisierten Kriminalität und der Rauschgiftkriminalität, und das ist drittens die endlich notwendige Aufarbeitung dieser Regierungs- und Vereinigungskriminalität.
Wir sollten dies wirklich mit Bund und Ländern gemeinsam unternehmen, wobei verfassungsrechtlich das Land Berlin zuständig bleibt. Diese Zuständigkeit kann man nicht einfach auflösen. Aber selbstverständlich hat Berlin die solidarische Unterstützung verdient, die ihm bisher leider Gottes von zahlreichen Ländern in der alten Bundesrepublik vorenthalten worden ist.