Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich nicht die Sorge hätte, Frau Präsidentin, daß Sie mich dann rügen könnten, würde ich jetzt gesagt haben, daß ich nach den Beiträgen von Herrn Briefs, Herrn Feige und Herrn Schäfer den Eindruck gewonnen hätte, daß nach der Kategorie der Fundis und Realos jetzt auch noch im Parlament die Banalos Einzug gehalten haben. Aber natürlich sage ich das nicht, weil ich ja Sorge wegen der Rüge habe.
Wir haben in der Vergangenheit, Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, viel über Kohlepolitik, über Klimaschutz, über Ausstieg aus der Kernenergie und über die Braunkohle der neuen Bundesländer gesprochen. Energiepolitik darf aber nicht als Aneinanderreihung isolierter Einzelentscheidungen verstanden werden. Sie ist in ein Gesamtkonzept eingebettet, das die Ziele Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit, Umweltschutz und Ressourcenschonung gleichzeitig verfolgt und dabei eingebettet ist in den Gesamtrahmen einer marktwirtschaftlich ausgerichteten Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftspolitik. Mit Blick auf die zahlreichen Forderungen und Vorschläge der Opposition, gerade auch im Blick auf die heute hier vorliegenden Anträge, heißt dies: Man kann nicht für Wohnungen und Gebäude höchste Energiestandards ohne Rücksicht auf Baukosten- und Mietenentwicklung fordern.
Man kann nicht den Ausstieg aus der Kernenergie fordern, ohne die Frage zu beantworten, wie sich dies auf die Erreichung der Klimaschutzziele auswirkt.
Man kann nicht in der Kohlepolitik hohe Fördermengen verlangen, ohne die umweltpolitischen, außenwirtschaftlichen und finanzwirtschaftlichen Folgen zu bedenken.
Man kann nicht den zu langsamen Wirtschaftsaufschwung in den neuen Bundesländern beklagen und gleichzeitig neue Investitionshemmnisse durch den Rückfall in steuerlichen Dirigismus fordern, wie das im SPD-Entwurf eines Energiegesetzes der Fall ist.
Energiepolitik ist eine Optimierungsaufgabe im Rahmen der marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftspolitik. Sie ist auf das engste mit der Umweltpolitik abgestimmt. Deswegen sind auch die beiden Beschlüsse, die wir gestern im Kabinett gefaßt haben, zwischen dem Umweltminister und dem Wirtschaftsminister aufs engste abgestimmt. Deshalb werden wir selbstverständlich gemeinsam diese Linie nicht nur bei der Umsetzung der Einzelmaßnahmen hier im Parlament, sondern auch in Brüssel vertreten. Alles andere ist eine Selbsttäuschung, was hier angeklungen ist. Selbstverständlich werden wir den Erfolg dieser Papiere, die wir gestern im Kabinett verabschiedet haben, durch gemeinsames Agieren auch in Brüssel sicherstellen.
Meine Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung hat mit ihrer Energiepolitik in den alten Bundesländern gute Erfolge erzielt, die wir so schnell wie möglich auch in den neuen Bundesländern erreichen wollen und auf denen wir für die Zukunft aufbauen können. Die Energieversorgung ist auch während des Golfkrieges sicher gewesen. Die Energienutzung wird immer rationeller und sparsamer. Der spezifische Energieverbrauch, d. h. die zur Erzeugung einer Einheit des Bruttosozialprodukts notwendige Energiemenge, liegt heute um 13 % niedriger als 1985.
Die Belastung der Umwelt durch die klassischen Luftschadstoffe nimmt ab. So sind seit 1985 die energiebedingten Emissionen von Stickoxiden um 9 %, von Staub um 38 % und von Schwefeldioxid um 61 % zurückgegangen.
Nach allen vorliegenden Prognosen wird sich die Energieeffizienz unserer Volkswirtschaft weiter verbessern. Die Abkoppelung des Energieverbrauchs vom Wirtschaftswachstum wird sich weiter — das ist wichtig — fortsetzen.
Für die energiewirtschaftliche Integration der neuen Bundesländer sind die Weichen durch die Übernahme unseres Energie- und Umweltrechts, durch die bisherigen Entscheidungen zur Privatisierung und durch den Abbau der Energiepreissubventionen gestellt. Wichtig ist nun, daß die notwendigen Investitionen zügig vorgenommen werden. Dazu wird die Energiepolitik beitragen.
Damit die Braunkohle einen wichtigen, wettbewerbsfähigen Beitrag in der Verstromung leisten kann, ist neben ihrer Privatisierung die Konzentration auf leistungsfähige Großtagebaue erforderlich. Nach der erfolgreichen Privatisierung der größten Raffinerie in Schwedt erwarten wir in den nächsten Wochen
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Bundesminister Jürgen W. Möllemann
auch für Leuna den Abschluß eines Vorvertrags mit nationalen und internationalen Investoren.
Im gegenwärtigen Gasstreit appelliere ich nochmals an die beteiligten Unternehmen, Lösungen zu finden, die die Versorgungssicherheit in den neuen Bundesländern nicht gefährden, und ihren Streit nicht auf dem Rücken der Bürger auszutragen.
Die Fördermaßnahmen zur Modernisierung und Energieeinsparung in Gebäuden im Rahmen des Programms Aufschwung Ost und die zinsverbilligten Kreditprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau werden fortgesetzt. Wir haben ein mehrjähriges Bund-Länder-Programm zur Sanierung der erhaltungswürdigen Fernwärmenetze in den neuen Bundesländern aufgelegt, das 1992 mit einem Mittelvolumen von 300 Millionen DM beginnt.
Herr Schäfer, Sie haben gefragt, was wir konkret machen.
— Sie haben nichts einzuräumen, Sie haben zur Kenntnis genommen, daß es so ist. Sie haben hier so getan, als werde nichts gemacht. Ich sage hier noch einmal: Sie müssen die Dinge lesen, über die Sie sprechen. Das macht das Gespräch interessanter.
In die Debatte um die Kohlepolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte jetzt wieder mehr Sachlichkeit einkehren. Die Resultate der Kohlerunde über die weitere Rolle der deutschen Steinkohle im vereinten Deutschland sind das Ergebnis eines politischen Kompromisses zwischen den gesamtwirtschaftlichen Interessen und dem politischen Ziel, den unvermeidbaren Anpassungsprozeß in den deutschen Steinkohlerevieren wie bisher sozial und regionalpolitisch geordnet durchzuführen.
Es ist kein Geheimnis — ich will das hier auch nicht verheimlichen — , daß ich wirtschafts- und energiepolitisch eine zügigere und weitergehende Rückführung des hochsubventionierten Absatzes unserer Steinkohle für richtig gehalten habe und weiterhin für richtig hielte. Hierfür war jedoch in den Verhandlungen ein Konsens mit dem Steinkohlenbergbau und den beiden Revierländern nicht zu erzielen.
Die Erhaltung des sozialen Friedens in den alten Montanregionen an Ruhr und Saar hat gewiß eine große Bedeutung für das soziale Klima, das politische Klima in unserem Land. Aber das hat auch einen sehr hohen Preis. Von den Unternehmen des Steinkohlenbergbaus muß erwartet werden, daß sie alle Möglichkeiten zur Rationalisierung und Kostensenkung verstärkt ausschöpfen. Das ist nicht nur erforderlich, um den Einsatz knapper finanzieller Mittel zu begrenzen. Auch die zukünftigen Subventionsgenehmigungen der Europäischen Gemeinschaft werden davon erheblich beeinflußt werden.
Kernpunkte des Kohlekonzepts sind: Der Absatz an die Stromwirtschaft und an die Stahlindustrie wird weiter subventioniert. Der subventionierte Absatz wird bis zum Jahre 2000 auf 50 Millionen t zurückgeführt und soll dann bis zum Jahre 2005 auf diesem Niveau gehalten werden. Die gemeimsame Absicht der Beteiligten ist, ab 1997 eine jährliche Verstromungsmenge von 35 Millionen t Steinkohleeinheiten bis zum Jahre 2005 zu sichern. Die Bundesregierung und die Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen und des Saarlands werden die Strukturanpassungen auch künftig sozial und regional flankieren. Darüber hinaus werden sie die Unternehmen bei der Bewältigung der zusätzlichen Belastungen aus der Anpassung im Rahmen iher finanzpolitischen Möglichkeiten flankierend unterstützen.
In der Kohlerunde bestand Einvernehmen, daß eine langfristig tragfähige Kohlepolitik im gemeinsamen Binnenmarkt der Konzertierung in der EG bedarf. Nach intensiven Gesprächen mit der EG ist es inzwischen gelungen, den Jahrhundertvertrag wettbewerbspolitisch abzusichern. Der für Wettbewerbsfragen zuständige Kommissar wird der EG-Komission die Genehmigung des Jahrhundertvertrages für die vereinbarten Lieferungen von jährlich 40,9 Millionen t bis 1995 vorgeschlagen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, daß im Jahre 1995 3,4 Millionen t nicht aus frischer Förderung, sondern von der Halde geliefert werden.
Ich will an der Stelle nur sagen — denn ich habe da merkwürdige Presseberichte gelesen — : Das war das Ergebnis eines Gesprächs — als möglicher Kompromiß — bereits vor der letzten Kohlerunde. Das war aber in der Kohlerunde nicht akzeptabel. Hinterher ist es in der Vereinbarung mit der Kommission dann doch so festgelegt worden; da war es plötzlich akzeptabel. Das hat mich ein bißchen überrascht; denn das hätte man vorher haben können. Präzise diese Zahl war vor der letzten Kohlerunde zwischen Herrn Brittan und mir vereinbart. In der Schlußphase der Kohlerunde ließ sich ein Konsens darüber nicht erreichen. Danach ist es dann plötzlich — als Bedingung, die man nicht anders haben konnte — vereinbart worden. Dann haben plötzlich alle Beteiligten gesagt: Gut, dann wollen wir es daran nicht scheitern lassen. — Sehr vernünftig, aber das hätte man eher haben können.
In den weiteren Verhandlungen mit der EG-Kommission zur Herstellung des Einvernehmens über die Ergebnisse der Kohlerunde werde ich mich für eine positive Lösung der beihilferechtlichen Absicherungen des Jahrhundertvertrags einsetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die größte Herausforderung für eine umweltverträgliche Energiepolitik ist heute der Klimaschutz. Wir halten am CO2-Reduktionsziel von 25 bis 30 % bis zum Jahre 2005 fest. Der Treibhauseffekt ist ein globales Problem, das internationaler, am besten weltweiter Abstimmung bedarf. Deshalb begrüße ich den Vorschlag der EG-Kommission für ein Klimaschutzkonzept auf Gemeinschaftsebene. Die vorgeschlagene Energie- und CO2-Steuer ist grundsätzlich ein richtiger Weg, um durch Verteuerung insbesondere der CO2-haltigen Energieträger zu mehr Energieeinsparung und Energieeffizienz sowie zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit erneuerbarer Energieträger beizutragen. Ich werde mich auf dem gemeinsamen Rat der Energie- und Umweltminister der EG morgen gemeinsam mit Herrn
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Kollegen Töpfer dafür einsetzen, daß die Gemeinschaft zu einer positiven Schlußfolgerung kommt und die EG-Kommission zur Vorlage eines konkreten Richtlinienvorschlags auffordert. Über die Ausgestaltung im einzelnen werden wir noch verhandeln.
Die notwendige internationale Abstimmung kann und soll nicht heißen, daß wir zu Hause die Hände in den Schoß legen können. Wir werden ein ganzes Paket von Maßnahmen auf den Weg bringen: angefangen von der Förderung erneuerbarer Energien über die Novellierung der Wärmeschutzverordnung, der Heizungsanlagenverordnung, der Kleinfeuerungsanlagenverordnung bis zum Erlaß einer Wärmenutzungsverordnung. Wir werden vor allem die Informations- und Beratungsmaßnahmen für Haushalte und kleine und mittlere Unternehmen verstärken. Denn: Zur wirksamen Energieeinsparung muß ja auch der einzelne Bürger beitragen: als Verbraucher, der an den eigenen Geldbeutel denkt, und als Akteur des Umweltschutzes.
Im Energieeinsparen liegt der eigentliche Schlüssel zur Versöhnung von Ökologie und Ökonomie. Die Bürger selbst werden diese Versöhnung vorantreiben, wenn wir die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Es geht nicht ohne finanzielle Anreize, insbesondere im Gebäudebestand und für erneuerbare Energien.
An dieser Stelle ging Ihre Kritik nicht völlig fehl. Hier wäre es natürlich noch besser gewesen, wenn wir die notwendigen finanziellen Maßnahmen hier heute schon hätten präsentieren können. Nur, auch Sie wissen, daß wir, was die Finanzpolitik angeht, jeden Tag mit neuen Herausforderungen konfrontiert werden, daß im Augenblick über die Frage, welche finanziellen Mittel im kommenden Jahr zur Verfügung stehen werden, im Vermittlungsverfahren verhandelt wird. Es ist auch nicht so unseriös, zu sagen: Das wollen wir erst sehen. Da ringen wir ja auch mit der SPD. Bitte sorgen Sie mit dafür, daß der Bund die notwendigen Mittel hat! Dann kann er auch die hierfür einsetzen.
Die Bundesregierung wird in dieser Legislaturperiode zur Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes — das Notwendige dazu ist gesagt — einen Vorschlag im Bundestag einbringen.
Von der Haltung zur Kernenergie hängt ab, wie viele Einschränkungen und Kosten wir den Bürgern bei der Energieeinsparung zumuten könnten, welche Rolle wir den fossilen Energieträgern noch zubilligen können, wie stark wir erneuerbare Energien voranbringen müssen und können. Das Fehlen des Konsenses in Grundfragen der Energiepolitik hat deswegen weitreichende Folgen. Die Bundesregierung ist sich ihrer Verantwortung bewußt, die gesellschaftliche und politische Verständigung zu fördern.
Ich strebe deshalb an, die Verantwortlichen im Energiebereich für eine neue Zusammenarbeit zu gewinnen, die durch parteiübergreifende Suche nach den wirkungsvollsten Handlungsmöglichkeiten in der Energiepolitik zur Investitionssicherheit für die Wirtschaft im Vertrauen der Bürger und Verbraucher führt. Ich werde dazu im Zusammenwirken mit dem Bundesumweltminister eine Kommission für Energiefragen einrichten. Sie soll aus unabhängigen Persönlichkeiten bestehen, die zur kooperativen Klärung von Konsensmöglichkeiten beitragen sollen.
Die Kommission wird frei sein, den Arbeitsbereich energiepolitischer Verständigungsprozesse nach ihrer Auffassung zu beschreiben. Ich sehe darin die Chance, mit der Kommission über alle Optionen zu sprechen und die Vorschläge der Kommission in die Entscheidungen über die künftige Energiepolitik einzubeziehen. Nach meiner Ansicht liegt eine Stärke der Energiepolitik gerade in der Bereitschaft zu Offenheit und Transparenz, die zur Akzeptanz energiepolitischer Entscheidungen bei Bürgern und Unternehmen beitragen kann.
Die Kommission soll ihre Arbeit Anfang des kommenden Jahres aufnehmen. Der designierte Vorsitzende dieser Kommission, Herr Reinhard Ueberhorst, hat damals als Vorsitzender der ersten Enquete-Kommission für friedliche Nutzung der Kernenergie gezeigt, daß auch von sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen her ein parteiübergreifender Konsens herstellbar ist.
Die enge europäische und internationale Einbindung macht den Spielraum für eine nationale Energiepolitik immer enger. Dies einzusehen fällt, wie die Diskussion um Kohlepolitik gezeigt hat, manchem immer noch schwer. Auch zur Strom- und Gasversorgung sind Vorschläge aus Brüssel angekündigt, die tiefgreifende Auswirkungen auf unser Energierecht und die Struktur der Versorgungswirtschaft haben können. Wir werden sie sorgfältig prüfen, sobald sie konkret vorliegen.
Die europäische und internationale Einbindung der Energiepolitik ist aber nicht eine Bedrohung. Sie ist eine Chance zur Verbesserung. Der Binnenmarkt für Energie führt zu mehr Wettbewerb, zu besserer Energieversorgung und Versorgungssicherheit im großen Binnenmarkt.
Deswegen sollten wir — und dies gilt, das darf man an diesem Tag wohl insgesamt sagen, wenn wir über Europa sprechen, nicht nur bei der Energiepolitik, sondern auch bei der Bewertung der übrigen Ergebnisse von Maastricht — als derjenige Staat, der bislang von der europäischen Integration den meisten Nutzen gezogen hat, auch die Ergebnisse des weiteren Kooperationsprozesses nicht immer nur an unseren nationalen Idealvorstellungen messen, sondern auch daran, was für die Gemeinschaft erreicht werden kann.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.