Rede von
Dr.
Ulrich
Briefs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS/LL)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS/LL)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie die Menschheit, wie das Industrieland Bundesrepublik Deutschland in der Zukunft die Energiewirtschaft gestalten wird, ist wahrhaftig eine Überlebensfrage für uns alle. Der Energiebericht der Bundesregierung und die gegenwärtige und zukünftige energiewirtschaftliche Konzeption dieser Bundesregierung tragen dieser Überlebensfrage allerdings in keiner Weise Rechnung. De facto wird die Selbstverpflichtung, bis zum Jahre 2005 die CO2-Emissionen um mindestens 25 % abzubauen, und damit der Kampf gegen die Klimakatastrophe aufgegeben. Ganz bewußt wird an der Atomstromerzeugung festgehalten — ohne Rücksicht auf die Risiken dieser Energieerzeugungsart. Spätestens seit Tschernobyl wissen wir aber, was diese Risiken wirklich bedeuten. Der Strom aus Tschernobyl ist übrigens, nimmt man alle Folgekosten zusammen, der bei weitem teuerste je in der Menschheitsgeschichte erzeugte Strom.
Nach wie vor sieht das Energiekonzept der Bundesregierung Überkapazitäten in der Stromwirtschaft in der Größenordnung von 20 % bis 30 % vor, Überkapazitäten, deren Kosten über die Gemeinkostenverrechnung in die Strompreise und damit vor allem an die Haushalte weitergegeben werden. Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen werden genau dadurch überdurchschnittlich belastet; denn Elektrizität und sonstige Energie sind ein Grundbedürfnis in der hochentwickelten industriellen Gesellschaft.
Deshalb, aber auch aus ökologischen und strukturpolitischen Gründen müssen die Energieerzeugung und die Energieversorgung als Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge öffentlich geplant, betrieben und kontrolliert werden.
Die Verbraucher und Verbraucherinnen in den Haushalten mit ihren paar Mark Einkommen subventionieren zu allem Überfluß auch noch die Industrie und die sonstige Wirtschaft, die Elektrizität zu Preisen geliefert bekommen, von denen die Verbraucher in den Haushalten nur träumen können.
Mit diesen gespaltenen Strompreisen fördern Sie den Aufbau weiterer energieintensiver Produktions-
5724 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991
Dr. Ulrich Briefs
kapazitäten. Damit tragen Sie dazu bei, daß sich die Produktionsstruktur dieses Landes weiter in Richtung einer auf hohen Energieverbrauch beruhenden Wirtschaft hin entwickelt.
Dieser Struktureffekt kommt zu dem durch wirtschaftliches Wachstum ohnehin schon bewirkten zusätzlichen Energieverbrauch hinzu; dieser Struktureffekt kommt zu der durch unsere energieverbrauchsintensive Lebensweise verursachten Energieverschwendung hinzu. Vieles dieser Energieverschwendung ist z. B. auch auf eine fehlangelegte Wohnungsbau-, Städtebau- und Verkehrspolitik und auf die Überlassung der Energieversorgung an die berühmten marktwirtschaftlichen Kräfte zurückzuführen.
Alles in allem: Das energiepolitische Konzept der Bundesregierung ist ökologisch schädlich, ökonomisch insgesamt verschwenderisch und deshalb unsinnig. Der platte Glaube an die Regulierungskräfte der Marktwirtschaft reicht eben nicht. Die Energiepolitik der Bundesregierung ist auch unsozial. Sie trägt insbesondere auch dem dringenden Ziel, mehr und bessere Arbeitsplätze als heute zur Verfügung zu stellen, nicht Rechnung.
Wir haben daher unseren Antrag zur Rekommunalisierung und Demokratisierung der Energiewirtschaft sowie zur Novellierung des Energierechts eingebracht. Wir wollen damit Grundvoraussetzungen eines energiewirtschaftlichen Gesamtkonzepts für dieses Land schaffen. Wir denken, daß es für eine Umkehr in der Energiepolitik allerhöchste Zeit ist.
Zu diesem Konzept gehört folgendes:
Priorität muß eine in jeder Pore des Wirtschaftslebens,
der Produktion und des Verkehrs, aber auch des Alltagslebens der Menschen praktizierte Politik der Energieeinsparung haben. Mehr Negawatt — das heißt: nicht erzeugte und verbrauchte Energie — statt mehr Megawatt, das muß die Devise sein.
Übrigens: Wenn wir das konsequent praktizieren, können wir Hunderttausende, wenn nicht Millionen sinnvoller und auch anspruchsvoller Arbeitsplätze schaffen, z. B. in der Gebäudeisolierung, bei sonstigen Wärmedämmungsmaßnahmen, im Ausbau der Wärme-Kraft-Kopplung, der Fernwärmenetze, bei sonstigen Maßnahmen zur Erhöhung des gesamtenergetischen Wirkungsgrades usw. usf. Das verstößt natürlich gegen die zwangsläufige kapitalistische Expansionsdynamik der Strom- und der sonstigen Energiewirtschaft; denn je mehr die Energiekonzerne, die Stromkonzerne — und die Stromkonzerne sind auch noch mit einem Gebietsmonopol belehnt — einnehmen, desto größer ist in der nächsten Runde der Zwang, wieder mehr zu investieren, zu erzeugen, abzusetzen. Für eine wirklich allseitig durchgreifende Politik der Energieeinsparung ist daher die Überführung der Energieerzeugung in kommunales Eigentum
und in kommunale, demokratische, von Bürgernähe geprägte Kontrolle notwendig. — Hätten Sie den Rest des Satzes abgewartet, dann hätten Sie nicht so dazwischengerufen, zumindest nicht das, nehme ich an.
Das ist auch notwendig, damit die Bürger und Bürgerinnen ihre Verantwortung sehen und in wirksamen Entscheidungen diese Verantwortung wahrnehmen können. Das geht doch nur vor Ort.
Diese Rekommunalisierung, verbunden mit der Abkehr von Großkraftwerken hin zu mittleren Blockheizkraftwerken, ist auch ökonomisch sinnvoll. Sie erlaubt eine wesentliche Steigerung des Wirkungsgrades der Energieerzeugung insgesamt und verhindert zugleich im Maße der dadurch erreichten Einsparungen bei der Energieerzeugung und ihrem Ausbau die Entstehung volkswirtschaftlicher Kosten
— ich bin immer ein bißchen lauter als Sie — , insbesondere auch eines großen Teils der ökologischen Belastungen. Verschließen Sie doch davor nicht die Augen!
Die Energieszenarios der GRÜNEN haben nachgewiesen, daß bei einem mit entsprechenden Entstikkungs- und Entschwefelungsmaßnahmen verbundenen Ausbau der fossilen Energieerzeugung auf die Atomenergie verzichtet werden kann und zugleich die die Luft und auch Böden und Gewässer belastenden Immissionen sogar noch abgebaut werden können. Auch das, wenn es in ein entsprechendes landesweites Programm, finanziert z. B. über eine Energieabgabe, gebracht würde, könnte im Zusammenhang mit den zuvor angesprochenen Maßnahmen der Wärmedämmung, der anderen Maßnahmen, die ich angesprochen habe, viele neue und sinnvolle Arbeitsplätze schaffen.
Wir fordern in Ergänzung zur Rekommunalisierung der Energieerzeugung die Schaffung von Energiedienstleistungsunternehmen, EDU anstelle von EVU, die nach dem Bedarfsprinzip und nicht nach dem Erwerbsprinzip wirtschaften. Kostendeckung statt Profitmaximierung ist das wirtschaftliche Ziel dieses Unternehmenstyps. Energieversorgung ist als gemeinschaftlich zu organisierende Daseinsvorsorge anzusehen und zu gestalten. Energieunternehmen dürfen auch nicht fiskalischen Zwecken, z. B. der Erhöhung der Gemeindeeinnahmen, dienen. Die EDUs müssen Nutzungs- statt Angebotsorientierung praktizieren. Das Leistungsangebot darf prinzipiell nur im Verbund mit Einsparmaßnahmen angeboten werden. Erfolgskriterium eines EDU muß sein, um wieviel Prozent es durch aktive Förderung der effizienten Nut-
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zung von Energie seine Energieabgabe reduzieren kann. Dieses EDU könnte also ein Garant für wirkungsvolle Energieeinsparung sein.
Wir fordern weiterhin, die örtlichen Strom-, Gas-und Wärmenetze ebenfalls in kommunales Eigentum und in die Verfügung der EDUs zu überführen. Die Fernnetze sollen nach unseren Vorstellungen ins Eigentum öffentlicher Zweckverbände überführt werden. Weiterhin fordern wir einen Energieplanungsrat, der dem auch bei konsequenter Rekommunalisierung und Dezentralisierung nach wie vor bestehenden überregionalen Planungs- und Koordinierungsbedarf Rechnung trägt. In ein landesweites Gesamtkonzept der Energieerzeugung und Energieeinsparung gehört auch — ohne Illusionen — der weitestmögliche Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energiequellen hinein. Sie müssen Vorrang vor der Erzeugung von Energie aus fossilen Energieträgern haben.
Sie sehen, unser Vorschlag ist detailliert — ich kann hier bei weitem nicht alles aufführen —, konkret, präzise, realisierbar. Er ist konstruktiv wie unser Vorschlag zur Weiterführung der Zeche Sophia Jacoba in Hückelhoven. Er verdient, denke ich, Ihre volle Zustimmung.