Rede von
Dr.
Klaus-Dieter
Feige
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor 14 Tagen versuchte der Bundeswirtschaftsminister in der Haushaltsdebatte, so zu tun, als ginge
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991 5721
Dr. Klaus-Dieter Feige
ihn die Energiepolitik überhaupt nichts an; zumindest kam das Wort „Energie" nicht über seine Lippen.
Offenbar hat ihm niemand dazu etwas gesagt. Man konnte damals nur vermuten, daß er wie eine Glucke auf einem gar riesigen Energieei brütete, und die ganze Nation ward neugierig, sehr neugierig, was da nun aus den Schalen des Bundeswirtschaftsministeriums kriechen sollte.
Das heute vorliegende energiepolitische Gesamtkonzept der Bundesregierung bricht das große Schweigen und ist im vorweihnachtlichen Sinne wohl als Geschenk an das Volk gedacht. Aber für dieses Geschenk kann man sich wirklich nur bedanken. Außen herum gibt es, wie immer, viel Verpackung mit so schönen Worten wie „Klimakatastrophe", „Risiken des Treibhauseffekts" und „größte Herausforderung", und innen ist dann nichts anderes als radioaktiver Atommüll.
Wenn aber dieser alte Hut mit einer bis zwei neuen Federn — das gebe ich zu — nun wirklich das alleinige Ergebnis der ganzen Heimlichkeit und des langwierigen Aufeinanderzugehens von Wirtschaftsminister und Bundesumweltminister ist, kann es einem um die energiepolitische Zukunft dieses Landes wirklich bange sein.
Aber der Reihe nach: Das Ministerpaar beweist im Konzept „Energiepolitik für das vereinte Deutschland" zunächst konservatives Beharrungsvermögen. Die Kernenergie müsse man sich als wichtige Option gerade im Hinblick auf das Klimaproblem offenhalten; so die sowohl inhaltlich falsche als auch technisch gefährliche Nachricht von Herrn Möllemann. Wie lange wollen Sie denn noch auf der naiven, längst überholten Aussage beharren, daß der Gesamtprozeß der Atomstromgewinnung keine nennenswerten CO2-Emissionen hervorbringt? In dieser Hinsicht unterscheiden sich konventionelle und atomenergetische Verfahren fast gar nicht.
Die von Ihnen in dieser Hinsicht erwartete zehnprozentige CO2-Reduktion durch neue AKWs ist reiner Selbstbetrug.
Sie müssen sich den gesamten Prozeß einschließlich der MOX-Brennelementeherstellung usw. ansehen. Sie würden, wenn Sie einmal anfingen, zu rechnen, sehen, daß das nicht hinhaut.
— Ich kann jetzt nicht darauf eingehen; meine Redezeit läuft so schnell ab. Aber vielleicht stellen Sie eine Zwischenfrage, Herr Lippold.
Die Bundesregierung verniedlicht ungeachtet der bekannten katastrophalen Auswirkungen von Atomkraftwerkunfällen die potentiellen Gefahren, die von den Atomreaktoren ausgehen. Mit ihrem Hinweis auf den unschlagbar höchsten Stand deutscher Kernenergietechnik
fördern Sie höchstens nationalistische Gefühle, ohne daß Sie auch nur die Spur einer Chance haben, die Akzeptanz für dieses Teufelswerk zu heben.
Weil die selbstgeschaffene gesetzliche Hülle die Atommüllendlagerungssorgen mit jedem Tag weiter steigert, beabsichtigt die Regierung jetzt sogar eine Änderung des Atomgesetzes, um den Widerstand in Sachen Schacht Konrad bei Salzgitter oder der Salzstöcke in Gorleben zu brechen.
Wie ich einer Pressemeldung aus dem Hessischen Landtag von gestern entnehme, steht Herrn Töpfer in Sachen Plutoniumwirtschaft das Wasser inzwischen so bis zum Hals, daß er in gewohnter Manier den hessischen Umweltminister mit dubiosen Argumenten auffordert, die MOX-Verarbeitung in Hanau wieder aufzunehmen.
Von einer Beseitigung der von diesen Atomfabriken ausgehenden Gefahren ist dabei aber keine Rede.
Wir fordern in unserem Antrag die Bundesregierung auf, endlich zur Vernunft zu kommen und den unverzüglichen Ausstieg aus der Atomenergie durch die Vorlage eines Atomenergieabwicklungsgesetzes in die Wege zu leiten; dieser Begriff ist im Osten sehr gängig.
Andernfalls werden die Koalitionsparteien selbst die Quittung bei den nächsten Bundestagswahlen bekommen.
Inzwischen kann der Wähler ja aufatmen, da sich der Bundesumweltminister in Sachen Koalitionsvereinbarung mit der Beibehaltung des CO2-Reduktionszieles von 25 bis 30 % bis zum Jahr 2005 durchsetzen konnte. Aber allein diese Rückbesinnung bringt überhaupt noch nichts. Die Bundesregierung glaubte bis vor wenigen Tagen, mit der angedrohten CO2-Abgabe noch die Wundermedizin für die Bekämpfung des Treibhauseffektes in ihren Händen zu haben.
Ich hoffe nun aber, daß die Sympathiebekundungen für die Einführung einer kombinierten KohlendioxidEnergie-Steuer nicht allein das Ergebnis des EG-Widerstandes gegen die CO2-Abgabe sind, sondern auch der Erkenntnis entspringen, daß so auch einer völligen Wettbewerbsverzerrung zugunsten der Atomstromnutzung wenigstens minimal entgegengewirkt werden kann.
5722 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991
Dr. Klaus-Dieter Feige
Aber auch so, glaube ich, greifen die vorgeschlagenen Steuern zu kurz. Dem komplizierten Charakter der Wechselwirkungen zwischen Energieherstellung und -nutzung werden diese noch lange nicht gerecht. Die Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN zeigt mit ihrem Antrag ein weit wirksameres Instrumentarium für das Erreichen des Koalitionszieles auf. Sie erkennen daran, daß wir uns für die Umsetzung Ihres Zieles durchaus einsetzen wollen. Ich weiß, daß Sie sich jetzt noch sträuben werden; aber unsere Erfahrungen sagen uns, daß sich selbst die dickfelligsten Koalitionspolitiker — und ich glaube, nicht nur sie — spätestens in einer oder zwei Legislaturperioden unserer Ansätze bedienen werden.
Wir schlagen Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, mit Ihren Mehrheitsmöglichkeiten zunächst eine grundsätzliche Umgestaltung des Energiewirtschaftsgesetzes vor. Man kann nicht nur auf die Entscheidungen der EG warten. Die Novellierung sollte in der Energiewirtschaft ein gesamtwirtschaftliches Least- Cost-Planning-Verfahren einführen. Gleichzeitig sind die heutigen Energieversorgungsunternehmen in entsprechende Dienstleistungseinrichtungen umzuwandeln. Dabei kommt die so zu fördernde kommunale Verantwortung durchaus der Forderung des Wirtschaftsministers selber nach Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und besonders nach Umweltverträglichkeit entgegen. Für derartige Investitionen benötigen Sie dann nicht einmal ein Planungsbeschleunigungsgesetz. Bis dahin müssen jedoch die Voraussetzungen für eine Rekommunalisierung der Energieversorgung zugunsten dezentraler Erzeugungsstrukturen gestaltet werden. Der noch zu DDR-Zeiten geschlossene Energievertrag darf keinen weiteren Bestand mehr haben.
Wirksame Anreize für eine ökologisch intelligente Umgestaltung der Energiewirtschaft — ich billige beiden Ministern in dieser Sache zumindest die gute Absicht zu — sehen wir in der stufenweise wachsenden Primärenergieabgabe auf alle fossilen Energieträger und die Kernenergie. Diese könnte sich anfangs in Höhe von 5 DM pro Giga-Joule für Brennstoffe bzw. 4 Pfennig pro Kilowattstunde für Strom aus Atomkraftwerken bewegen und sollte in den Jahren 1996 und 2000 erhöht werden.
Das Aufkommen der Abgabe mit ca. 60 Milliarden DM sollte nach Abzug der sozialen Kompensationsleistungen zur Hälfte für ein Förderprogramm Klimaschutz bereitgestellt werden. Der immer noch beachtliche Rest kann zu gleichen Teilen in einen zukünftigen Klimaschutzfonds der UN und in die Gebäude- und Altlastensanierung in den neuen Bundesländern fließen.
Wir unterstützen den Gedankengang einer raschen EG-weiten Regelung zur Verminderung des Treibhausgases Kohlendioxid. Bis zum vorgesehenen Einführungstermin der von der EG-Kommission vorgeschlagenen Energie- CO2-Steuer zum 1. Januar 1993 darf jedoch kein weiteres Jahr nutzlos verstreichen. Deshalb stellt der für diesen Zeitraum denkbare deutsche Alleingang keine Gefährdung der Gesamtwirtschaft dar, sondern wäre ihr schon alleine durch die längere Anpassungsfrist nur förderlich. Auch die Umwelt hätte ein Jahr lang mehr Gewinn, selbst wenn das EG-Modell natürlich nicht unseren idealtypischen Vorstellungen entspricht.
Will man dem Bericht der Bundesregierung folgen, so fördert sie schon seit vielen Jahren den Einsatz von erneuerbaren Energien, ist sie Kämpfer für eine optimale Energieeinsparung und hat schon seit hundert Jahren der Kraft-Wärme-Kopplung gefrönt. Das Erstaunliche ist dann aber die geringe Effizienz dieser Politik.
Meine Damen und Herren, in der Realität nämlich hat sich auf dem Gebiet der erneuerbaren Energiegewinnung nur wenig getan. Ich frage mich angesichts der fundamentalen Erkenntnis der Bundesregierung, daß Sonnenstrahlung, Wind, Wasserkraft, Biomasse, Erd- und Umgebungswärme prinzipiell unerschöpflich sind, warum dann in den so entsetzlich endlichen
— endlichen! — Energieträger Uran so viel Geld gesteckt wird und warum die unendliche Energiereserve fast gar nicht angetastet wird.
— Irgendwann ist auch einmal Schluß. Dann sind wir gemeinsam vielleicht nicht mehr da; irgendwann aber ist in Sachen Uran auch einmal Schluß.
Die Förderung der erneuerbaren Energiequellen kann dabei so einfach sein. Ich denke z. B. an die Erleichterung und Vereinheitlichung der Vorschriften und Genehmigungen für die Errichtung und den Betrieb regenerativer Energiequellen.
Es kommt folglich nicht mehr darauf an, noch weitere Forschungsvorhaben auf diesem Gebiet anzufahren. Die Bundesregierung täte besser daran, wenn sie unserem Vorschlag für ein Markteinführungsprogramm für regenerative Energien folgen würde, für das jährlich Fördermittel in Höhe von etwa 5 Milliarden DM für Investitionen notwendig wären. Sie dienten der Kostensenkung und Standardisierung, der Aus- und Weiterbildung, der Beratung sowie der beschleunigten Anwendungsausbreitung.
Völlig unzureichend bleibt im vorgelegten Papierberg des Ministerduos die Behandlung des Themas Kraft-Wärme-Kopplung. In dieser Hinsicht bleibt auch der Gesetzentwurf der SPD noch hinter den tatsächlichen Erfordernissen zurück.
— Aber genau! Man hat bei Ihrem sicher eine gute Diskussionsgrundlage bildenden Entwurf eines Energiegesetzes durchaus den Eindruck, als müßten Sie irgendwelche Leute in den EVU aus dem Feuer der Auseinandersetzung heraushalten.
Es genügt also nicht, das Stromeinspeisungsgesetz so zu novellieren, daß der Strom aus der Kraft-WärmeKopplung von den Energieversorgungsunternehmen unter Berücksichtigung der langfristigen Grenzkosten von Kondensationskraftwerken abzunehmen und zu vergüten ist; selbst das ist ja noch nicht gesetzlich geregelt. Ein wirklich als solches zu bezeichnendes Klimaschutzprogramm der Bundesrepublik Deutschland bedarf auch eines Marktdurchdringungsprogramms für die Kraft-Wärme-Kopplung durch ein finanzielles Förderprogramm zum forcierten Ausbau von Nah- und Fernwärmeversorgung.
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Dr. Klaus-Dieter Feige
Studien haben ergeben, daß allein in den alten Bundesländern zusätzliche Kraft-Wärme-Kopplungs-Kapazitäten in Höhe von 22 000 Megawatt wirtschaftlich nutzbar wären. Das entspricht schließlich einer Leistung von 17 modernen Atomkraftwerken.
Mit dieser Forderung fühlen wir uns übrigens auch durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bestärkt — ich rufe jetzt einen Kronzeugen heran —, das kürzlich in seinem „Szenario zur Entwicklung der CO2-Emissionen in den neuen Bundesländern" die verstärkte Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung für die Wärmeversorgung durch die Schaffung kommunaler Versorgungsstrukturen forderte. Die Übereinstimmungen der Aussagen dieses Konzepts mit unserem Antrag veranlaßt mich zu der Aussage, daß wir dort nicht abgeschrieben haben. Die Übereinstimmung der Ergebnisse läßt mich dann aber auch für die Bundesregierung hoffen, die dieses Institut ja wohl durchaus als seriös ansieht.
Lassen sich im Energiepolitik-Konzept der Bundesregierung da und dort mit gutem Willen durchaus ein paar neue Töne der ökologischen Öffnung erkennen, geht das dem Schlußfolgerungsteil für den Verkehrsbereich völlig ab. Mit aalglatten Wortkonstruktionen will der Bundesminister für Verkehr nachweisen, daß Autos mit der Sache eigentlich nur mangels technischer Neuerungen noch etwas zu tun haben. Formulierungen wie — ich zitiere — „Mit einer stärkeren Marktorientierung sollen — ohne dirigistische Eingriffe in den Verkehrsablauf — umweltfreundliche Verbundlösungen dadurch gefördert werden, daß bei der Nutzung der staatlichen Infrastruktur die Preise den verursachten Wegekosten und der Knappheit entsprechen" sind garantiert Einbahnstraßen in den Klimakollaps.
Wer den bestehenden expansiven Trend im Verkehrsbereich bedingungslos hinnimmt, gar von nicht zu verhindernder Verachtfachung des Verkehrsaufkommens spricht, ist den Problemen dieses Landes und der Erde überhaupt nicht gewachsen. Da hilft es dann auch nicht, wenn man dem Schulte die Schuld gibt.
Da paßt es auch hinein, daß auf Grund von Kompetenzstreitigkeiten die Bundesrepublik die Koordination der Untergruppe zur CO2-Reduzierung im Verkehrssektor des IPCC in Genf abgegeben hat. Es heißt, der Bundesverkehrsminister habe zwar die Kompetenz beansprucht, gleichzeitig aber erklärt, daß er sich zur konstruktiven Mitarbeit außerstande sehe. Dieses Verhalten — so wird allgemein geurteilt — ist dem internationalen Ansehen der Bundesrepublik abträglich, wirft aber gleichzeitig ein bezeichnendes Licht auf Herrn Krauses Vorstellungen von einer zeitgemäßen Verkehrspolitik.