Rede von
Harald B.
Schäfer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Jahr verbrennt die Menschheit in einem gigantischen Feuerwerk 500 000 Jahre erdgeschichtlicher Energieproduktion. Der Wohlstand von 25 % der Weltbevölkerung, die in den Industrienationen leben, wird mit diesem Raubbau an der Natur erkauft. Wir vernichten unwiederbringlich fossile Ressourcen, wir schädigen die Umwelt und treiben, wenn wir so weitermachen, unwiderruflich in die Klimakatastrophe.
Das vereinigte Deutschland steht beim Energieverbrauch an fünfter Stelle in der Welt und mit weitem Vorsprung an der Spitze der EG. Pro Kopf verbrauchen die Deutschen heute mehr als doppelt so viel Energie wie Ende der 50er Jahre.
Nimmt man den vorgelegten Energiebericht der Bundesregierung ernst, so interessiert das alles die Bundesregierung nicht. Ökologische Ignoranz prägt diesen Bericht.
Die reale ökologische Bilanz ist hingegen niederschmetternd: Die Zustände spitzen sich immer weiter zu. Wir leben nach wie vor ökologisch über unsere Verhältnisse — global innerhalb Europas, aber auch in unserem Land. Noch immer ist auch bei uns in der Bundesrepublik wirtschaftliches Wachstum mit zunehmender Umweltbelastung verbunden.
Unsere Art, zu konsumieren und zu produzieren, ist nicht vereinbar mit der Dauerhaftigkeit menschlichen Seins. Die kommenden Generationen können sich auf die Politik der Bundesregierung nicht verlassen. Das ist die traurige Wirklichkeit.
Wir alle wissen: Immer noch steigender Energieverbrauch der Welt ist eine der wesentlichen Ursachen für die negative Umweltbilanz. Dies räumt der neueste Energiebericht der Bundesregierung zwar ein, die Bundesregierung zieht daraus jedoch keine konkreten Konsequenzen. Von einer radikalen Umkehr in der Umwelt- und Wirtschaftspolitik ist nicht die Rede, ja es fehlt in diesem Bericht sogar eine angemessene Beschreibung der kritischen Zustände.
Hier handelt ein ökologisch blinder Wirtschaftsminister, während ein stummer Umweltminister daneben steht, beide assistiert von einem ökologisch blinden und tauben Finanzminister. Das ist das unheilige
Trio, das eine vernünftige Energie- und Umweltpolitik nicht möglich macht.
— Es ist viel zu ernst, um zu lachen, lieber Herr Kollege Lippold.
Was die Bundesregierung jetzt mit ihrem Energiebericht vorlegt, ist ein Dokument des umweltpolitischen Scheiterns und des energiepolitischen Scheiterns. Noch einmal: Statt konkrete Handlungsprogramme zu beschließen, bleibt die Bundesregierung bei der Beschreibung allgemeiner energiepolitischer Ziele und hält — da wird sie dann konkret — an der dauerhaften Nutzung der Kernenergie fest.
Dieses Programm wird den tatsächlichen Herausforderungen in jeder Hinsicht nicht gerecht.
Meine Damen und Herren, ich will noch einmal die Unsinnigkeit unseres Lebensstils, die Art, wie wir produzieren und konsumieren, an zwei Beispielen deutlich machen, die in der Tat zeigen, daß eine radikale Umkehr notwendig ist. In einem Jahr verbrauchen wir so viel Erdöl, wie in sechs Millionen Jahren aus Sonnenenergie entstanden ist. Allein die rund 34 Millionen Autos in der Bundesrepublik verbrauchen in einem Jahr so viel Erdöl, wie sich in 120 000 Jahren herausgebildet hat. Und was jährlich an gewinnbarem, an nutzbarem, förderbarem Erdöl aus Sonnenenergie entsteht, reicht gerade aus, um mit 250 Autos täglich eine halbe Stunde zu fahren. Dieses Beispiel zeigt die rücksichtslose Vergeudungs- und Verschwendungswirtschaft, die wir betreiben.
— Von uns allen.
Ich will ein zweites Beispiel hinzufügen. Wir verbrauchen in der Schweinemast etwa 10 Kilokalorien Energie, um 1 Kilokalorie in Form von Schweineschnitzel zu gewinnen.
Wie oft haben wir Sozialdemokraten von diesem Pult aus die Bundesregierung aufgefordert, die Geschenke der niedrigen Energiepreise ab 1983 für eine entsprechende Politik des ökologischen Umsteuerns einzusetzen. Die Bundesrepublik hat allein in den Jahren 1984, 1985 und 1986 130 Milliarden DM weniger für mehr Importenergie ausgeben müssen, weil die Energiepreise damals gesunken sind. Statt nun diese eingesparten Mittel für eine Umstrukturierung, für rationelle, intelligente Energienutzung, für Förderung von erneuerbaren Energieträgern — deren Anteil auf 2 % gesunken ist, seit Sie regieren — einzusetzen, haben Sie sich an dem Strohfeuer der niedrigen Energiepreise gewärmt.
Heute stehen wir vor dem Dilemma. Der Umweltminister kennt das Problem, der Wirtschaftsminister geht vor die Presse und sagt: „Ich müßte zwar etwas tun, aber mir fehlt das Geld. "
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991 5715
Harald B. Schäfer
— Dann reden Sie gestern mit den Journalisten anders als heute. —
Es gibt nur Ankündigungen im Energiebericht, nicht eine einzige konkrete Maßnahme. Hier sitzt Kollege Schmidbauer. Das, was uns die Klima-Enquete an konkreten Handlungsweisen vorgelegt hat, findet sich in konkreten Maßnahmen in diesem Energiekonzept aber auch nicht mit einer Silbe.
Herr Töpfer flüchtet sich immer mehr ins Unverbindliche, um davon abzulenken, daß er mit seiner Klimaschutzpolitik innerhalb der Bundesregierung wirklich gescheitert ist. Von dem groß angekündigten nationalen Alleingang ist buchstäblich nichts mehr übriggeblieben. Die Bundesregierung hält zwar an ihrem Kabinettsbeschluß fest, bis zum Jahre 2005 die klimaschädigenden Treibhausgase um 25 bis 30 abzusenken, sie weiß aber ganz genau, daß sie dieses Ziel, das wir begrüßt haben, das richtig ist und das auch international bislang Leitfunktion hat, mit der von ihr vertretenen Politik nicht erreicht wird. Früher hat man eine solche Politik Roßtäuscherei genannt. Man gibt ein Ziel vor, von dem man weiß, daß es richtig ist, man unterläßt aber die Politik, die notwendig wäre, um eben dieses Ziel zu erreichen. Das ist Roßtäuscherei.
Im übrigen müssen wir feststellen, daß die Ökologie in der tatsächlich betriebenen Politik der Bundesregierung sozusagen mit dem Rücken an der Wand steht. Noch nie in der Geschichte unseres Landes war der Gegensatz zwischen dem, was man weiß, was man tun müßte, und dem, was tatsächlich geschieht, größer, als er heute ist. Reden und Handeln, Erkenntnis und Tun klaffen immer weiter auseinander. Das ist das Dilemma, das wir zu beklagen haben. Das schadet übrigens auch der Glaubwürdigkeit des ganzen Hauses und fällt nicht nur auf Sie von den Koalitionsfraktionen zurück.
Wir stehen heute vor einer Jahrhundertaufgabe. Wir müssen in den Industrieländern wirtschaftliche Entwicklungen mit sinkendem Energieverbrauch erreichen. Die Entwicklungsländer benötigen zur Lösung ihrer vor allem sozialen Probleme mehr Energie. Wir, die Industrieländer, müssen unseren Energieverbrauch absolut verringern. Diese Herausforderung ist in der Geschichte des Industriezeitalters einmalig, und sie fordert, wirklich alle Kraft auf dieses Ziel zu konzentrieren.
Wir Sozialdemokraten stellen uns dieser Herausforderung. Wir haben unser Energiekonzept, unsere ökologisch orientierte Energiepolitik als Alternative auf den Tisch gelegt. Heute beraten wir über einen wichtigen Baustein dieses gesamten Konzepts, unser neues Energiegesetz. Wir haben seit Jahren Anträge gestellt, wir haben gemahnt und gefordert, endlich
massive öffentliche Hilfe für Energieeinsparmaßnahmen zu leisten, endlich die Kraft-Wärme-Kopplung zu fördern, weil man hier 85 % der eingesetzten Energie nutzen kann, statt uns mit Energietechnologien zufriedenzugeben, wo nur 30 % der eingesetzten Energie genutzt wird und 70 % die Klimasituation verschärfen.
Wir haben im Deutschen Bundestag ein Programm zur massiven Markteinführung von solaren Energieträgern eingebracht. Sie haben mit Ihrer Mehrheit alles niedergestimmt, obwohl Sie uns in der Sache recht geben und in den Zielorientierungen im neuen Energiebericht ebensolche Maßnahmen einfordern und ankündigen. Aber immer, wenn es konkret wird, sind Sie weggetaucht. Sonntags anders reden als werktags handeln, das kennzeichnet Ihre Energie- und Ihre Umweltpolitik.
Was die Energieeinsparung im Verkehrsbereich angeht, so haben wir da noch gar nicht angefangen. Wir wissen zwar alle, daß der Verkehrsbereich in immer größerem Umfang zur Umweltbelastung beiträgt, in immer größerem Umfang zur Klimadramatik beiträgt, in immer größerem Umfang den Energieverbrauch insgesamt bestimmt. Mehr als 25 % des Energieverbrauchs dienen dem Verkehr. Aber vom Energieeinsparen im Verkehr kann nicht einmal im Ansatz die Rede sein.
Der Bundesumweltminister sagt zwar, er hält es für wünschenswert, bis zum Jahre 2000 einen Kraftstoffverbrauch von 5 1 pro 100 km je Pkw zu erreichen. Da stimmen wir überein. Aber konkret ist bis zur Stunde nichts geschehen. Ich könnte diese Beispiele im Verkehr fortsetzen.
Statt sich zu überlegen, wie man die notwendige Mobilität bewahren kann — indem man beispielsweise auch überflüssigen Verkehr vermeidet —, haben wir einen Verkehrsminister, der ökologisch genau in die falsche Richtung rennt. Dies alles gehört in das Gesamtkonzept einer ökologisch integrierten Energiepolitik.
Wir haben uns schon im Regierungsprogramm von Oskar Lafontaine für eine ökologische Steuerreform eingesetzt. Wir wollen mit Steuern ökologisch steuern. Wir wollen den Produktionsfaktor Natur steuerlich stärker belasten und wollen die Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit entlasten. Das ist der Kern einer ökologisch orientierten Steuerreform. Es muß sich für das Einzelunternehmen rentieren, wenn es weniger Energie verbraucht. Es darf kein Wettbewerbsvorteil mehr sein, wenn man die Natur über Gebühr belastet. Deswegen ist für uns das Konzept der ökologischen Steuerreform ein strategisches Konzept einer vorwärts orientierten ökologischen, zukunftsfähigen Industriepolitik.
Sie, meine Damen und Herren, haben uns dafür im Wahlkampf als Steuerpartei, als Abgabenpartei beschimpft. Jetzt hat die EG-Kommission im Ansatz dieses Steuerreformkonzept übernommen. Ich freue
5716 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991
Harald B. Schäfer
mich ausdrücklich, daß sich Herr Töpfer und Herr Möllemann — sogar mit einer Zunge — dafür einsetzen, daß dieses EG-Konzept möglichst schnell — —
— Zusammen haben Sie zwei, das ist wahr. Aber Sie haben mitunter eine gespaltene Zunge. Ich will das jedoch nicht vertiefen.
Sie fahren morgen zur EG nach Brüssel. Ich hoffe, daß Sie sich dort gemeinsam dafür einsetzen, daß die Energiesteuer bald kommt und daß die CO2-Komponente wegfällt. Die CO2-Komponente führt nur dazu, daß die Kernenergie im Wettbewerb über Gebühr Vorteile erhält.
Meine Damen und Herren, wer einen neuen energiepolitischen Konsens will — und das wollen offenkundig alle in diesem Hause — , der muß radikal umsteuern, der muß bereit sein, langfristige, durchgreifende Instrumente zur Verbesserung der Umweltsituation, zur Absenkung des Energieverbrauches und zum Schutz des Klimas einzusetzen. Auch diese zweite Voraussetzung erfüllt der Energiebericht nicht.
Schließlich ist der Ausweg, den die Bundesregierung der Öffentlichkeit suggerieren möchte keiner. Die Kernenergie ist keine Option zur Lösung der globalen ökologischen Krise.
Die Vorstellung, wir könnten ein globales Risiko, den Treibhauseffekt, gegen das Risiko der Radioaktivität austauschen, ist Zynismus und für uns Sozialdemokraten jedenfalls nicht akzeptabel.
Im übrigen würde der weltweite Ausbau der Kernenergie gerade die Mittel binden, die weltweit gebraucht werden für Investitionen in regenerierbare Energien, insbesondere in Solarenergie. Jede Mark, weltweit in Solarenergie gesteckt, ist ein wirksamerer Beitrag gegen die drohenden Klimagefahren, als diese Mark in den Kernenergieausbau zu stecken. Das weiß jeder. Es ist nicht nur ökologisch, es ist auch ökonomisch sinnvoller, mit der Option Kernenergie in einer überschaubaren Zeit Schluß zu machen.
Mit uns Sozialdemokraten ist ein Zubau oder Ersatzbau von Kernkraftwerken nicht machbar. Das muß jeder zur Kenntnis nehmen als Tatbestand,
der eine langfristig sichere und tragfähige Energiepolitik will.
Der Wirtschaftsminister hat angekündigt — im Einvernehmen mit dem Umweltminister —, eine unabhängige Kommission für Energiefragen zu berufen. Damit wird der Energiebericht der Bundesregierung relativiert. Das ist richtig so. In diesem Stück Selbsterkenntnis liegt auch ein Stück Hoffnung. Wenn die Kommission, Herr Möllemann und Herr Töpfer, tatsächlich frei von politischen Vorgaben arbeiten kann und die verschiedenen, in der Gesellschaft diskutierten Entwürfe über eine künftige Energiepolitik auch personell vertreten sind, ergibt die Kommission einen Sinn. Dann sollten wir gemeinsam alles unterlassen, was eine sinnvolle Arbeit dieser Kommission erschweren könnte. Aber in diesem Sinne kann die Kommission, wie wir finden, sinnvoll sein.
Ich habe mich, meine Damen und Herren, auch wenn ich mir da den Unwillen von der rechten Seite des Hauses zugezogen habe, bewußt auf einige wenige, mehr grundsätzliche Ausführungen konzentriert. Die Redner meiner Fraktion, die nach mir sprechen, werden noch im einzelnen die Energiepolitik der Bundesregierung analysieren und unsere konkreten Vorschläge dazu unterbreiten.
Ich bedanke mich bei Ihnen für das Zuhören.