Rede von
Hans Gottfried
Bernrath
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Meine Herren! Wahlrecht ist Qualrecht, wie wir in diesen Tagen erfahren. Es gilt nun, unterschiedliche Meinungen nach den Vorlagen, die wir haben — den Gesetzentwürfen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion die GRÜNEN —, festzustellen, sie zu gewichten und, wenn möglich, so schnell wie möglich zusammenzuführen.
Das ist in einem langen, mühsamen Prozeß während der Sommermonate für das Wahlrecht zum 12. Deutschen Bundestag bereits geschehen. Nach einer Unzahl von Beratungen hatten sich CDU/CSU, SPD und FDP auf ein Ergebnis geeinigt, das dann in der Wahlrechtsvereinbarung seinen Niederschlag gefunden hat.
Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Ergebnis, wie bekannt, nicht für richtig gehalten und die Entscheidung des Gesetzgebers „kassiert" . Es ist hier nicht der Ort, sich mit dieser Entscheidung kritisch auseinanderzusetzen. Nur soviel heute: Es ist schon mutig, das Volk — immerhin den Souverän unserer Staatsordnung — zu zwingen, nach getrennten Wahlgebieten, nämlich in der bisherigen DDR und der bisherigen Bundesrepublik, für den 12. Deutschen Bundestag zu wählen — und das, nachdem das Volk in der DDR die Vereinigung Deutschlands gerade durchgesetzt hatte.
Zumindest nach dieser Entscheidung wird es künftig Abgeordnete unterschiedlicher Legitimierung, unterschiedlichen Rechts geben. Es steht immerhin im Grundgesetz geschrieben, daß alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht und daß diese „vom Volke in Wahlen und Abstimmungen" ausgeübt wird, also nicht etwa von der Bevölkerung der früheren DDR oder der ehemaligen Bundesrepublik Deutschland. Der wichtige — wenn nicht der wichtigste — Grundsatz im Wahlrecht, nämlich der der Gleichheit der Wähler und damit der Gleichgewichtigkeit der Stimmen, wird hier meines Erachtens gründlich außer acht gelassen. Art. 20 des Grundgesetzes, dem diese Überlegungen zugrunde liegen, steht zusammen mit Art. 1 und seinen Grundsätzen nach unserer Verfassung ganz obenan. Beide Artikel sind unabänderlich. Sie sind also nicht mit noch so großen Mehrheiten im Parlament und ebensowenig, meine ich, durch Entscheidungen in Karlsruhe zu verändern.