Rede von
Marieluise
Beck-Oberdorf
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frauen in der DDR und hier! Der Begriff der Freiheit hat in dieser Debatte in allen Beiträgen eine große Rolle gespielt. Ich möchte mich damit auseinandersetzen, wieviel Freiheit bei dieser Vereinigung für die Frauen übrigbleiben wird oder ob hier nicht ein Vereinigungsvertrag ansteht, in dem an der Beschneidung von Freiheiten für Frauen gearbeitet wird.
Daß die Rechte und Chancen der Frauen in der deutsch-deutschen Gemengelage bei den Herren Kohl und de Maizière nicht gut aufgehoben sind, ist uns hinlänglich bekannt. Richtig gruselig aber wird es, wenn wir uns vorstellen, wer am Dienstag morgen in der Koalitionsrunde zum Abtreibungsstrafrecht zusammengesessen hat. Da saßen die Herren Bötsch, Stoiber, Dregger, Schäuble, Seiters und Lambsdorff, was ich nicht beanstanden würde, wenn die Herren Skat gespielt hätten.
Aber nein, diese Herren nahmen sich das Recht, in einer existentiellen Frage über das Leben von Frauen zu entscheiden,
nämlich darüber, ob und unter welchen Bedingungen Frauen darüber entscheiden können, ob sie eine Schwangerschaft austragen oder nicht. Die Tatsache, daß diese Männerrunde sich überhaupt anmaßt, so tiefgreifend in das Leben von Frauen einzugreifen, ist schon empörend genug.
Es gehört nicht viel dazu, sich vorzustellen, daß diese Herren nicht einmal ahnen, was in einer Frau vorgeht, die gegen ihren Willen schwanger geworden ist. Wenn diese Männer es sich vorstellen könnten, wenn sie diese Situation am eigenen Leibe erfahren könnten, würden sie kaum an solch zynischen Bevormundungsgesetzen basteln, wie es jetzt wieder einmal getan worden ist. Dazu paßt auch, wie diese Herren alle die Frauen beiseite geschoben haben, die in den vergangenen Monaten über eine Neuregelung des § 218 StGB nachgedacht haben, die sowieso schon lange ansteht, jetzt aber durch die Vereinigung noch einmal brisanter geworden ist. Die Frauen aus der Politik durften nicht mehr als gedemütigte Kommentare in den Abendnachrichten von sich geben. Das ist
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. August 1990 17451
Frau Beck-Oberdorf
der Geist, meine Herren, der dieser Runde entspricht.
Ich glaube, daß der Kommentator — übrigens ein männlicher Kommentator — einer Tageszeitung recht hat, wenn er konstatiert, daß es bei der von Ihnen jetzt vorgelegten Regelung um mehr geht als um Politik. Es geht um politische Unterwerfung und Demütigung. Aber es geht auch um das Sichdemütigenlassen, und das geht insbesondere an die Frauen der FDP.
Ich will mich in diesem kurzen Beitrag gar nicht so sehr damit auseinandersetzen, daß das von Ihnen jetzt vorgelegte Wohnortprinzip rechtspolitisch absolut skandalös ist. Wichtiger ist mir, daß es vielleicht wenigstens dieses eine Mal den Männern nicht gelingen möge, die Frauen weiter zu demütigen und zu unterwerfen. — Ich würde Sie bitten, Frau Präsidentin, für Ruhe zu sorgen. Ich finde den Krach sehr störend. Ich finde, auch dies ist ein Zeichen von Mißachtung: wenn Sie nicht bereit sind, sich mit solchen Beiträgen auseinanderzusetzen und den Rednern zuzuhören.
Schon lange ist in unserer Gesellschaft — und das nicht nur unter den Frauen — das Bewußtsein verankert, daß die Frage, ob eine Schwangerschaft ausgetragen oder abgebrochen werden soll, von derjenigen beantwortet und entschieden werden muß, in deren Körper der Embryo heranwächst, und daß diese Frage im Strafrecht nichts zu suchen hat. Das hat inzwischen sogar Ihre Kollegin Süssmuth vertreten.
Können Sie sich vorstellen, meine Herren, daß in Ihrem Körper ein Kind heranwächst, das Sie nicht wollen, das Sie nicht zur Welt bringen wollen, es vielleicht auch nicht können, weil die Lebensumstände es nicht zulassen, und daß Sie per Gesetz dazu gezwungen würden? Es ist an der Zeit — und jede Frau in der DDR und auch hier weiß das — , endlich mit den Gesetzen zur Bevormundung von Frauen in diesen Fragen Schluß zu machen. Das würde ehrlicherweise die Streichung des § 218 bedeuten.
Aber wenigstens — und das wäre das mindeste — stünde jetzt an, nicht hinter die DDR-Fristenregelung zurückzufallen, die wenigstens für einen Zeitraum von zwölf Wochen die Entscheidung allein der betroffenen Frau überläßt. Das wissen die Frauen von der SPD, und das weiß auch die FDP.
Deswegen legen wir heute einen Antrag vor, der genau diese Regelung vorschlägt. Ich fordere alle Frauen und Männer in diesem Hause auf, ja ich möchte sie fast beschwören: Ergreifen Sie wenigstens einmal die Chance, Druck von Frauen wegzunehmen, statt ihn auch noch zu verstärken!
Wir GRÜNEN werden dem Antrag der SPD zur Festschreibung des Tatortprinzips zustimmen, weil wir helfen wollen, jede Verschlechterung für Frauen zu unterbinden. Aber, mit so wenig kann sich die SPD
nicht davonschleichen. Es müssen mehr Initiativen von Ihnen kommen.
In der nächsten Legislaturperiode wird dann die Zeit gekommen sein, unter den Frauen in der Gesellschaft und letztlich dann in diesem Hause noch einmal darum zu streiten, daß der § 218 endlich aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird.