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ID1122101100

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    Plenarprotokoll 11/221 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 221. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 23. August 1990 Inhalt: Begrüßung des Staatssekretärs Krause und einer Delegation aus der Deutschen Demokratischen Republik 17437 B Glückwünsche zum Geburtstag des Vizepräsidenten Stücklen 17437 B Zusatztagesordnungspunkt: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Beitrittserklärung der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt: Aussprache zur Vorbereitung der deutschen Einheit in Verbindung mit Tagesordnungspunkt: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 3. August 1990 und vom 20. August 1990 zur Vorbereitung und Durchführung der ersten gesamtdeutschen Wahl des Deutschen Bundestages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (Drucksachen 11/7624, 11/7652 (neu), 11/7716, 11/7653) Dr. Kohl, Bundeskanzler 17439 A Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes 17443 D Dr. Dregger CDU/CSU 17448 C Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 17450 C Dr. Graf Lambsdorff FDP 17451 C Bindig SPD 17453 D Frau Matthäus-Maier SPD 17454 A Trittin, Minister des Landes Niedersachsen 17455 B Dr. Waigel, Bundesminister BMF . . . . 17456 B Dr. Graf Lambsdorff FDP 17456 C Dr. Schmude SPD 17457 A Frau Unruh fraktionslos 17459 B Wüppesahl fraktionslos 17460A Zur Geschäftsordnung Jahn (Marburg) SPD . 17462C, 17464 A, 17466D Bohl CDU/CSU 17462D, 17466 D Frau Nickels GRÜNE 17463 B Wolfgramm (Göttingen) FDP . 17464D, 17467 A Hüser GRÜNE 17466 C Kleinert (Marburg) FDP 17467 B Stratmann-Mertens GRÜNE 17467 C Zusatztagesordnungspunkt: Bericht der Bundesregierung über die Tagung der WEU und EPZ-Sitzung zur Lage am Golf Genscher, Bundesminister AA 17468 B Wischnewski SPD 17470 B Lamers CDU/CSU 17473 A Frau Nickels GRÜNE 17473 C II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. August 1990 Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE . . . 17474 B Zeitler CDU/CSU 17474 C Dr. Hoyer FDP 17475 B Brück SPD 17475 C Frau Beer GRÜNE 17475 D Dr. Feldmann FDP 17477 B Dr. Müller CDU/CSU 17478 B Dr. Penner SPD 17479 A Nächste Sitzung 17479 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 17481* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. August 1990 17437 221. Sitzung Bonn, den 23. August 1990 Beginn: 15.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein CDU/CSU 23. 08. 90 Frau Adler SPD 23. 08. 90 Amling SPD 23. 08. 90 Frau Becker-Inglau SPD 23. 08. 90 Börnsen (Ritterhude) SPD 23. 08. 90 Buschbom CDU/CSU 23. 08. 90 Buschfort SPD 23. 08. 90 Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE 23. 08. 90 Daweke CDU/CSU 23. 08. 90 Dr. Ehrenberg SPD 23. 08. 90 Frau Eid GRÜNE 23. 08. 90 Engelsberger CDU/CSU 23. 08. 90 Frau Flinner GRÜNE 23. 08. 90 Frau Frieß GRÜNE 23. 08. 90 Frau Fuchs (Köln) SPD 23. 08. 90 Ganz (St. Wendel) CDU/CSU 23. 08. 90 Frau Geiger CDU/CSU 23. 08. 90 Gerster (Worms) SPD 23. 08. 90 Glos CDU/CSU 23. 08. 90 Grünbeck FDP 23. 08. 90 Grunenberg SPD 23. 08. 90 Dr. Haack SPD 23. 08. 90 Dr. Häfele CDU/CSU 23. 08. 90 Häuser SPD 23. 08. 90 Frau Dr. Hartenstein SPD 23. 08. 90 Heinrich FDP 23. 08. 90 Hinsken CDU/CSU 23. 08. 90 Höffkes CDU/CSU 23. 08. 90 Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 23. 08. 90 Hoss GRÜNE 23.08. 90 Dr. Jobst CDU/CSU 23. 08. 90 Frau Karwatzki CDU/CSU 23. 08. 90 Kirschner SPD 23.08. 90 Dr. Kunz (Weiden) CDU/CSU 23. 08. 90 Dr.-Ing. Laermann FDP 23. 08. 90 Frau Limbach CDU/CSU 23. 08. 90 Lowack CDU/CSU 23 .08. 90 Frau Männle CDU/CSU 23. 08. 90 Menzel SPD 23. 08. 90 Pesch CDU/CSU 23. 08. 90 Petersen CDU/CSU 23. 08. 90 Dr. Pick SPD 23. 08. 90 Reuschenbach SPD 23. 08. 90 Frau Saibold GRÜNE 23. 08. 90 Frau Schilling GRÜNE 23. 08. 90 Schmidbauer CDU/CSU 23. 08. 90 Frau Schmidt (Hamburg) GRÜNE 23. 08. 90 Schmidt (München) SPD 23. 08. 90 Dr. Schöfberger SPD 23. 08. 90 Schulhoff CDU/CSU 23. 08. 90 Seehofer CDU/CSU 23. 08. 90 Frau Dr. Segall FDP 23. 08. 90 Stahl (Kempen) SPD 23. 08. 90 Frau Verhülsdonk CDU/CSU 23. 08. 90 Frau Weiler SPD 23. 08. 90 von der Wiesche SPD 23. 08. 90 Wilz CDU/CSU 23. 08. 90 Windelen CDU/CSU 23. 08. 90 Frau Wollny GRÜNE 23. 08. 90
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Dregger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bitte meinen Vorredner, Ministerpräsident Lafontaine, es nicht als Mißachtung zu empfinden, wenn ich nicht breit auf seine Ausführungen eingehe. Dabei spielt die Tatsache eine Rolle, daß er keinerlei Alternativen zur Regierungspolitik aufgezeigt hat — an keiner Stelle.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Widerspruch bei der SPD)

    Er hat das Geschehen kommentiert.

    (Zuruf von der SPD: Sehr gut hat er das gemacht!)

    Das war teilweise interessant, z. B. seine Ausführungen über Nation Europa im Vergleich zu den Nationen. Wir haben da keine Probleme. Wir sind nicht nur die Deutschland-Partei, wir sind auch die Europa-Partei.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

    Aber wenn Sie schon einen Vergleich mit den Vereinigten Staaten von Amerika anstellen, dann muß man einen wesentlichen Unterschied nennen: In den USA sind die Einzelstaaten nur administrative Einheiten; in Europa sind die Staaten Gehäuse der nationalen Kulturen, der französischen, der italienischen, der britischen und der deutschen Kultur. Sie werden erhalten bleiben. Sie zu beseitigen wäre ein Unglück für die Welt; aber das wollen Sie ja auch nicht.
    Meine Damen und Herren, die Integration von Ausländern steht dem nicht entgegen. Es ist selbstverständlich, daß wir dazu bereit sind. Nachdem Sie, Herr Lafontaine, in den letzten Wochen neue Erkenntnisse zum Asylrecht gewonnen haben,

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    wäre es gut, wenn Sie Ihre Partei dazu bringen könnten, nun auf die Vorschläge einzugehen, die wir bereits seit Jahren machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Vielleicht könnte in dieser für das Leben der Bevölkerung außerordentlich wichtigen Frage ein nationaler Konsens entstehen.
    Ich will noch ein Zweites zu Ihren Ausführungen sagen. Diese Regierung hat die Opposition nun wirklich nicht von der Mitwirkung am politischen Geschehen ausgeschlossen. „Wir brauchen die Opposition
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. August 1990 17449
    Dr. Dregger
    nicht" — das ist kein Wort, das der Bundeskanzler oder ich ausgesprochen haben; das hat einmal Herbert Wehner gesagt. Wir waren uns immer darüber klar, daß wir im deutschen Einigungsprozeß natürlich auch die Opposition, insbesondere die größte Oppositionspartei, die SPD, brauchen.
    Ich möchte mich für die Zusammenarbeit, die wir in den letzten Wochen weitgehend erlebt haben, bei Ihnen, Herr Kollege Vogel, ausdrücklich bedanken.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir haben natürlich keinen Runden Tisch eingerichtet. Runde Tische braucht man dort, wo die Demokratie noch nicht verwirklicht ist.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: So ist es!)

    Der Runde Tisch hier ist dieses Parlament, ist dieses Haus, in dem jeder seine Meinung sagen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir, die CDU/CSU, begrüßen und unterstützen die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers, d. h. seine so überaus erfolgreiche Deutschlandpolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Die Zweistaatlichkeit Deutschlands wird am 3. Oktober beendet sein. Von diesem Zeitpunkt an wird es nur noch ein deutsches Parlament und nur noch eine deutsche Regierung geben, die für Deutschland und für das ganze deutsche Volk sprechen können. Damit, meine Damen und Herren, geht ein Ziel in Erfüllung, für das wir, die Union, über die Jahrzehnte hinweg ohne Schwanken eingetreten sind, seitdem es uns gibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Entscheidung über den Beitritt der DDR gemäß Art. 23 lag allein bei der Volkskammer der DDR. Wir beglückwünschen unsere Kolleginnen und Kollegen zu ihrem Beschluß, den sie am heutigen Morgen gefaßt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir danken in dieser Stunde vor allem dem Ministerpräsidenten der DDR, Lothar de Maizière, und seiner Regierung

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    für die schwere und erfolgreiche Arbeit, die sie aus dem Stand heraus — ohne Vorbereitung, ohne Erf ah-rung, ohne einen leistungsfähigen administrativen Unterbau, ohne Bundesländer und ohne eine kommunale Selbstverwaltung, wie wir sie kennen — übernehmen mußten.
    Ich bin sicher, daß unsere Kolleginnen und Kollegen in der DDR, insbesondere Lothar de Maizière, in der geschichtlichen Würdigung eine besseren Platz erhalten werden, als es aus der Kritik der letzten Wochen herausgeklungen ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Lothar de Maizère und diejenigen, die ihn unterstützt haben, haben im besten preußischen Sinne ihre Pflicht erfüllt.
    Jede darüber hinausgehende Einzelwertung mag ungerecht sein. Trotzdem möchte ich eine Frau und zwei Männer hervorheben. Ich meine die Präsidentin der Volkskammer, Frau Bergmann-Pohl,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    die dem ersten freien Parlament für das Gebiet der DDR nach Jahrzehnten der Unterdrückung mit Würde, Augenmaß und Charme vorgestanden hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich nenne den Fraktionsvorsitzenden der CDU (Ost), Günther Krause, der auch als Verhandlungsführer der DDR eine ganz ungewöhnliche politische Leistung erbracht hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Schulte [Hameln] [SPD]: Ein sauberes Bürschchen!)

    Ich nenne schließlich den bisherigen Fraktionsvorsitzenden der SPD in der Volkskammer, Richard Schröder, der bis zu seinem Rücktritt vor wenigen Tagen unserem Land als Demokrat und deutscher Patriot in vorbildlicher Weise gedient hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Damen und Herren, es gibt vier Daten der deutschen Revolution, die von besonderer Bedeutung sind: der 9. November 1989, die Öffnung der Mauer, der 16. Juli 1990, die Einigung zwischen Kohl und Gorbatschow im Kaukasus, der 3. Oktober 1990, der Tag des Beitritts der DDR, und schließlich der 2. Dezember 1990, die gesamtdeutsche Bundestagswahl.
    Schon der Beginn dieser deutschen Revolution, die Demonstrationen von Tausenden, Hunderttausenden und Millionen Landsleuten in der DDR, war ungewöhnlich. Diese Demonstrationen verliefen ohne jede Gewalt von seiten der Demonstranten. Diese waren nicht vermummt. Sie trugen Kerzen durch die Straßen ihrer Städte und stellten sie den Bewaffneten vor die Stiefel. Die Welt hat es, durch die modernen Medien vermittelt, gesehen — mit Erstaunen, mit wachsendem Respekt und schließlich mit Bewunderung. Unsere Landsleute in der DDR haben damit, wie ich es schon in meinem kurzen Beitrag am 9. November 1989 in diesem Hause gesagt habe, ein moralisches Kapital geschaffen, das jetzt dem ganzen deutschen Volk zugute kommt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir akzeptieren den 3. Oktober 1990 als den Termin des Beitritts, den die Volkskammer beschlossen hat. Im Hinblick auf die außenpolitischen Aspekte war es der frühestmögliche Termin.
    Der Wahltermin vom 2. Dezember, meine Damen und Herren, ist — leider — nicht der frühestmögliche Termin. Aus diesem Hinauszögern einer wesentlichen vertrauensbildenden Maßnahme ergeben sich Nachteile. Hierfür tragen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, die Verantwortung, weil Sie sich im Hinblick auf die notwendige Zweidrittelmehrheit einem früheren Wahltermin verweigert haben. Wir werden es auch so schaffen. Ich bin davon überzeugt, daß die
    17450 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. August 1990
    Dr. Dregger
    auf Baisse gerichtete Spekulation Ihres Kanzlerkandidaten Lafontaine nicht aufgehen wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich hatte zu Beginn meines Beitrags den 16. Juli als wesentlichen Tag für den Prozeß der deutschen Einigung bezeichnet. Dieser Tag steht für den geschichtlichen Augenblick, in dem die Sowjetunion der staatlichen Einheit Deutschlands im westlichen Verbund zugestimmt hat. Dies bei den Gesprächen im Kaukasus mit Gorbatschow erreicht zu haben, ist die bisher größte staatsmännische Leistung des Bundeskanzlers Helmut Kohl.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Damit tritt das Deutschland des Jahres 1990 außenpolitisch unter besseren Bedingungen in die Geschichte ein als das Bismarck-Reich von 1871. Die geschichtliche Erfahrung aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist es, daß wir als Land in der Mitte Europas nicht ohne Verbündete leben können. Unsere Mitgliedschaft in der NATO verhindert eine Wiederholung dessen, was in den beiden ersten Weltkriegen passierte.
    Aber wir verkennen nicht unsere Aufgabe als Land in der Mitte Europas. Als Teil des Westens werden wir alles tun, um den Ausgleich mit dem Osten, mit der Sowjetunion, und unseren mittel-osteuropäischen Nachbarn, den Ungarn, den Tschechen und Slowaken und den Polen, herbeizuführen. Meine Damen und Herren, welch eine Chance, daß wir jetzt mit Zustimmung aller unserer Nachbarn die Einheit Deutschlands, damit aber auch die Einheit Europas herstellen können.
    Ist das für uns wirklich mit untragbaren Lasten verbunden? Ich frage umgekehrt, in die entgegengesetzte Richtung zielend — das ist die Zukunftsrichtung, die die Welt längst erkannt hat — : Wann hätte es das je gegeben, daß in einer seit Jahren prosperierenden Volkswirtschaft wie der unseren, deren knappstes und wertvollstes Gut die leistungsfähigen Menschen sind, 16 Millionen Deutsche, Menschen wie wir, der gleichen Sprache, der gleichen Mentalität und des gleichen Arbeitswillens, hinzugetreten sind? Begreifen unsere Kleingeister, die in diesem sich vereinenden Deutschland eine Politik des Neides nach beiden Seiten machen, eigentlich, wie sehr sie sich an unserer Zukunft versündigen?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Gewiß, wir haben einen Berg von Problemen zu lösen; das haben wir immer gewußt und auch gesagt. Aber wir haben auch gesagt, daß wir uns zutrauen, diese Probleme zu lösen. Das werden wir auch können. Niemand hat Anlaß, daran zu zweifeln. Das Wichtigste, was wir als Bundesrepublik Deutschland in das vereinte Deutschland einbringen, ist nicht unsere gegenwärtige Prosperität; die muß auch immer neu erwirtschaftet werden. Das Wichtigste — das ist auch die Basis jener Prosperität — sind Freiheit und Recht, ist die Rechtsstaatlichkeit, an der es in der DDR bislang völlig gefehlt hat. Die Diktatur hat die Menschen zu Untertanen gemacht, nicht zu Bürgern, und
    das wird sich ändern. Das ist die wesentlichste Änderungen für die DDR.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich sage daher: Wichtiger noch als die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion ist die Rechts- und Verfassungsunion, ist die Einheit Deutschlands auf der Grundlage der Freiheit, der Demokratie und der Menschenrechte. Der 3. Oktober 1990 ist ein glücklicher Tag in der Geschichte unseres Volkes und Europas.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beck-Oberdorf.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Marieluise Beck-Oberdorf


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frauen in der DDR und hier! Der Begriff der Freiheit hat in dieser Debatte in allen Beiträgen eine große Rolle gespielt. Ich möchte mich damit auseinandersetzen, wieviel Freiheit bei dieser Vereinigung für die Frauen übrigbleiben wird oder ob hier nicht ein Vereinigungsvertrag ansteht, in dem an der Beschneidung von Freiheiten für Frauen gearbeitet wird.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Daß die Rechte und Chancen der Frauen in der deutsch-deutschen Gemengelage bei den Herren Kohl und de Maizière nicht gut aufgehoben sind, ist uns hinlänglich bekannt. Richtig gruselig aber wird es, wenn wir uns vorstellen, wer am Dienstag morgen in der Koalitionsrunde zum Abtreibungsstrafrecht zusammengesessen hat. Da saßen die Herren Bötsch, Stoiber, Dregger, Schäuble, Seiters und Lambsdorff, was ich nicht beanstanden würde, wenn die Herren Skat gespielt hätten.

    (Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN)

    Aber nein, diese Herren nahmen sich das Recht, in einer existentiellen Frage über das Leben von Frauen zu entscheiden,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Von Kindern!)

    nämlich darüber, ob und unter welchen Bedingungen Frauen darüber entscheiden können, ob sie eine Schwangerschaft austragen oder nicht. Die Tatsache, daß diese Männerrunde sich überhaupt anmaßt, so tiefgreifend in das Leben von Frauen einzugreifen, ist schon empörend genug.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    Es gehört nicht viel dazu, sich vorzustellen, daß diese Herren nicht einmal ahnen, was in einer Frau vorgeht, die gegen ihren Willen schwanger geworden ist. Wenn diese Männer es sich vorstellen könnten, wenn sie diese Situation am eigenen Leibe erfahren könnten, würden sie kaum an solch zynischen Bevormundungsgesetzen basteln, wie es jetzt wieder einmal getan worden ist. Dazu paßt auch, wie diese Herren alle die Frauen beiseite geschoben haben, die in den vergangenen Monaten über eine Neuregelung des § 218 StGB nachgedacht haben, die sowieso schon lange ansteht, jetzt aber durch die Vereinigung noch einmal brisanter geworden ist. Die Frauen aus der Politik durften nicht mehr als gedemütigte Kommentare in den Abendnachrichten von sich geben. Das ist
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. August 1990 17451
    Frau Beck-Oberdorf
    der Geist, meine Herren, der dieser Runde entspricht.
    Ich glaube, daß der Kommentator — übrigens ein männlicher Kommentator — einer Tageszeitung recht hat, wenn er konstatiert, daß es bei der von Ihnen jetzt vorgelegten Regelung um mehr geht als um Politik. Es geht um politische Unterwerfung und Demütigung. Aber es geht auch um das Sichdemütigenlassen, und das geht insbesondere an die Frauen der FDP.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    Ich will mich in diesem kurzen Beitrag gar nicht so sehr damit auseinandersetzen, daß das von Ihnen jetzt vorgelegte Wohnortprinzip rechtspolitisch absolut skandalös ist. Wichtiger ist mir, daß es vielleicht wenigstens dieses eine Mal den Männern nicht gelingen möge, die Frauen weiter zu demütigen und zu unterwerfen. — Ich würde Sie bitten, Frau Präsidentin, für Ruhe zu sorgen. Ich finde den Krach sehr störend. Ich finde, auch dies ist ein Zeichen von Mißachtung: wenn Sie nicht bereit sind, sich mit solchen Beiträgen auseinanderzusetzen und den Rednern zuzuhören.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    Schon lange ist in unserer Gesellschaft — und das nicht nur unter den Frauen — das Bewußtsein verankert, daß die Frage, ob eine Schwangerschaft ausgetragen oder abgebrochen werden soll, von derjenigen beantwortet und entschieden werden muß, in deren Körper der Embryo heranwächst, und daß diese Frage im Strafrecht nichts zu suchen hat. Das hat inzwischen sogar Ihre Kollegin Süssmuth vertreten.
    Können Sie sich vorstellen, meine Herren, daß in Ihrem Körper ein Kind heranwächst, das Sie nicht wollen, das Sie nicht zur Welt bringen wollen, es vielleicht auch nicht können, weil die Lebensumstände es nicht zulassen, und daß Sie per Gesetz dazu gezwungen würden? Es ist an der Zeit — und jede Frau in der DDR und auch hier weiß das — , endlich mit den Gesetzen zur Bevormundung von Frauen in diesen Fragen Schluß zu machen. Das würde ehrlicherweise die Streichung des § 218 bedeuten.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Aber wenigstens — und das wäre das mindeste — stünde jetzt an, nicht hinter die DDR-Fristenregelung zurückzufallen, die wenigstens für einen Zeitraum von zwölf Wochen die Entscheidung allein der betroffenen Frau überläßt. Das wissen die Frauen von der SPD, und das weiß auch die FDP.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Und die Männer von der SPD!)

    Deswegen legen wir heute einen Antrag vor, der genau diese Regelung vorschlägt. Ich fordere alle Frauen und Männer in diesem Hause auf, ja ich möchte sie fast beschwören: Ergreifen Sie wenigstens einmal die Chance, Druck von Frauen wegzunehmen, statt ihn auch noch zu verstärken!

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    Wir GRÜNEN werden dem Antrag der SPD zur Festschreibung des Tatortprinzips zustimmen, weil wir helfen wollen, jede Verschlechterung für Frauen zu unterbinden. Aber, mit so wenig kann sich die SPD
    nicht davonschleichen. Es müssen mehr Initiativen von Ihnen kommen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    In der nächsten Legislaturperiode wird dann die Zeit gekommen sein, unter den Frauen in der Gesellschaft und letztlich dann in diesem Hause noch einmal darum zu streiten, daß der § 218 endlich aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)