Rede von
Prof. Dr.
Helmut
Haussmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zurück zum Hauptthema! Wer den Menschen in der DDR sozial und wirtschaftlich helfen will, muß dafür sorgen, daß die Leistungsbereitschaft und die Motivation der Menschen in der Bundesrepublik stabil bleiben. Nie waren die ökonomischen Voraussetzungen für eine politische Vereinigung der beiden deutschen Staaten so hervorragend wie heute. Deshalb sollten wir in dieser Debatte auch an die Menschen hier erinnern.
In diesem Monat gibt es in der Bundesrepublik Deutschland einen neuen Rekord an Arbeitsplätzen. 28,4 Millionen Menschen haben sichere Arbeitsplätze mit guter D-Mark.
Mehr als zwei Millionen Arbeitsplätze wurden seit 1983 von dieser Bundesregierung geschaffen. Die Massenkaufkraft wird sich real in diesem Monat beträchtlich steigern.
90 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik sehen ihre wirtschaftliche Zukunft positiv. Auch Sie, die Vertreter der Opposition, haben, wenn Sie der DDR helfen wollen, eine Verpflichtung, die nach wie vor vorherrschende positive wirtschaftliche Grundstimmung in der Bundesrepublik nicht kaputtzureden, meine Damen und Herren.
Wichtig für unsere Bürger und für unsere Unternehmer ist: Es darf keine Steuererhöhung geben, meine Damen und Herren.
Eine Steuererhöhung
wäre der bequemste Weg. Eine Steuererhöhung
würde dazu führen, daß in der DDR und bei uns mit
Steuergeldern nicht mehr sparsam umgegangen würde. Eine Steuererhöhung würde den Druck wegnehmen, daß wesentliche Subventionen abgeschafft werden müssen, nicht nur in der DDR, auch in der Bundesrepublik, meine Damen und Herren.
Deshalb sage ich voraus: Die Kosten der deutschen Einheit sind hoch, aber sie sind die wichtigsten Investitionen unserer Bürger und unserer Unternehmer in die deutsche Zukunft. Sie sind bezahlbar, meine Damen und Herren.
Sie werden solide finanziert
durch ein überdurchschnittliches Wachstum, durch mehr Steuereinnahmen. Und sie werden solide finanziert, indem wir in der nächsten Legislaturperiode auf allen Gebieten Subventionen abbauen werden. Wir können sie auf Grund der guten Lage auch abbauen.
Insofern hat der Bundeskanzler recht: Diese Art von Finanzierung macht die Bürger in der Bundesrepublik nicht ärmer.
Zu den positiven Erfahrungen der Menschen in der DDR nach 40 Tagen Marktwirtschaft, von denen bisher nicht die Rede war:
Erstens. Meine Damen und Herren, die Bürger in der DDR haben zum erstenmal eine richtige Währung. Für ihre Arbeit bekommen sie richtiges Geld.
Ich bitte, nicht zu unterschätzen, was das für die Menschen bedeutet.
Zweitens. Sie haben mehr Kaufkraft.
Drittens. Sie haben ein richtiges, ein breites Warenangebot, das sich von Woche zu Woche verbessert — trotz der uns bekannten Anfangsschwierigkeiten.
Viertens. Sie haben eine richtige Arbeitslosenversicherung. Das heißt, Hunderttausende sind bereits in Umschulungsmaßnahmen, auf dem Weg zu neuen Arbeitsplätzen.
Trotz dieser positiven Erfahrungen der ersten 40 Tage gibt es große Probleme. Mir liegt sehr daran, darauf hinzuweisen, daß die Bundesregierung vor Einführung der D-Mark auf diese wirtschaftlichen Probleme in der DDR aufmerksam gemacht hat. Ich habe auf vielen Veranstaltungen in der Bundesrepublik, aber auch in der DDR vor dem März folgendes erklärt. Wir bleiben ehrlich: Beim Übergang von der Planwirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft wird es auch schwierige Übergangsprobleme bis hin zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit geben. Die Schließung völlig unrentabel arbeitender, wettbewerbsun-
17414 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990
Bundesminister Dr. Haussmann
fähiger Staatsbetriebe ist unvermeidbar, meine Damen und Herren. — Das haben wir den Menschen vor den Wahlen gesagt. Das tritt jetzt ein, und davon kann sie niemand befreien.
Nach 40 Tagen Marktwirtschaft kann niemand erwarten, daß die DDR-Wirtschaft jetzt schon vom Kopf auf die Füße gestellt wurde und aus eigener Kraft laufen könnte. Bedenklich ist jedoch — darauf hat Graf Lambsdorff zu Recht hingewiesen — : Es hätte besser laufen können in der DDR. — Die Erwartungshaltung ist nach wie vor zu groß. Viele Menschen in der DDR und vor allem auch die Kombinatsdirektoren erwarten vom Staat, daß er ihnen Marktentscheidungen abnimmt.
Die langsame Klärung der entscheidenden Eigentumsfragen verhindert Hunderttausende von neuen Arbeitsplätzen.
Die Trägheit der immer noch im Sattel sitzenden alten SED-Demokratie in vielen Rathäusern der DDR verhindert eine rasche Ansiedlung neuer Unternehmen.
Trotzdem gibt es Hoffnung: Hunderttausend Gewerbeanmeldungen, meine Damen und Herren — hunderttausend Gewerbeanmeldungen! —, bedeuten, daß die kleinen und mittleren Betriebe, die Handwerksbetriebe, die Handelsbetriebe bereits von der Marktwirtschaft Gebrauch machen.
Um was geht es in Zukunft? Wir dürfen nicht neue Subventionen für die Übergangszeit erfinden, sondern wir müssen zunächst auch die Möglichkeiten des ersten Staatsvertrages ausschöpfen. Dazu gehören aus meiner Sicht vordringlich zwei Aufgaben: erstens die baldige Klärung der Finanzverfassung der DDR-Kommunen, um die finanzielle Handlungsfähigkeit herzustellen, und zweitens eine schnelle Entscheidung über die zukünftige regionale Wirtschaftsförderung mit einem positiven Gefälle zugunsten der DDR. Meine Damen und Herren, wenn wir darüber entscheiden, muß den Investoren klar sein, daß dies auch rückwirkend gilt, d. h. daß jede Investition in die DDR schon heute nicht zukünftig durch spätere Präferenzen bestraft wird. Investoren brauchen vorausschaubare Bedingungen, die nicht täglich in Frage gestellt werden. Deshalb wäre ein schneller Beitritt mit vorgezogenen gesamtdeutschen Wahlen der beste Beitrag zu mehr Investitionssicherheit in der DDR selbst gewesen.
Meine Damen und Herren, ich möchte in meinem kurzen Beitrag noch einmal auf einen Punkt hinweisen: Die von uns vorausgesagten Übergangsschwierigkeiten berechtigen niemanden — auch nicht in der Opposition — , Horrorszenarien zu entwerfen oder den Menschen Angst zu machen. Falsch wäre es, jede neue Schwierigkeit in der DDR mit neuen Subventionen fortspülen zu wollen. Auch in der DDR führt kein Weg daran vorbei: Der Aufschwung der Wirtschaft läßt sich nicht kaufen. Er muß selbst erarbeitet werden. Er muß investiert werden. An dieser Einsicht führt kein Weg vorbei.