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    Plenarprotokoll 11i220 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 220. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 17379 A Absetzung des Punktes 2 von der Tagesordnung 17379B Stellungnahmen zur geschäftsordnungsrechtlichen Situation Bohl CDU/CSU 17379 C Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 17380 B Baum FDP 17381 A Häfner GRÜNE 17381 C Zusatztagesordnungspunkt 1: Aussprache zur Vorbereitung der deutschen Einheit Dr. Graf Lambsdorff FDP 17382 D Brück SPD 17384 C Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 17384 D Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes 17388A Stratmann-Mertens GRÜNE 17392 A Dr. Graf Lambsdorff FDP 17393 A Dr. Waigel, Bundesminister BMF 17394 A Dr. Ehrenberg SPD 17395 A Huonker SPD 17396 A Frau Matthäus-Maier SPD 17399 C Frau Dr. Vollmer GRÜNE 17400 C Rühe CDU/CSU 17404 B Klose SPD 17406 D Breuer CDU/CSU 17408 A Rühe CDU/CSU 17410 A Seiters, Bundesminister BK 17410 D Stratmann-Mertens GRÜNE 17411 C Dr. Haussmann, Bundesminister BMWi 17413 A Stobbe SPD 17414 C Dr. Blüm, Bundesminister BMA 17417 A Schreiner SPD 17418 B Dr. Penner SPD 17419 B Frau Matthäus-Maier SPD 17420 C Dr. Ehmke (Bonn) SPD 17421 A Gattermann FDP 17423 A Dr. Schäuble, Bundesminister BMI 17423 D Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 17425 A Dr. Sperling SPD 17425 B Frau Unruh fraktionslos 17426 D Wüppesahl fraktionslos 17428A Mischnick FDP 17430 B Namentliche Abstimmungen 17431 B, C Ergebnisse 17431C, 17433 B Nächste Sitzung 17434 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 17435* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Czaja, Dewitz, Sauer (Salzgitter), Lowack, Windelen, Jäger, Lummer, Schulze (Berlin), Nelle, Rossmanith, Dr. Kappes und Böhm (Melsungen) Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur vereinbarten Aussprache zur Vorbereitung der deutschen Einheit (Drucksache 11/7657) 17435* B Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 17379 220. Sitzung Bonn, den 9. August 1990 Beginn: 10.07 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Biedenkopf CDU/CSU 09. 08. 90 Buschfort SPD 09.08.90 Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE 09. 08. 90 Dr. Dollinger CDU/CSU 09. 08. 90 Duve SPD 09.08.90 Frau Folz-Steinacker FDP 09. 08. 90 Frau Garbe GRÜNE 09. 08. 90 Frau Geiger CDU/CSU 09. 08. 90 Grünbeck FDP 09.08.90 Dr. Göhner CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Häfele CDU/CSU 09. 08. 90 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 09. 08. 90 Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 09. 08. 90 Hoss GRÜNE 09.08.90 Kalisch CDU/CSU 09.08.90 Dr. Knabe GRÜNE 09. 08. 90 Kreuzeder GRÜNE 09.08.90 Lennartz SPD 09.08.90 Lenzer CDU/CSU 09.08.90 Frau Luuk SPD 09. 08. 90 Dr. Mahlo CDU/CSU 09. 08. 90 Meneses Vogl GRÜNE 09. 08. 90 Niegel CDU/CSU 09.08.90 Dr. Pfennig CDU/CSU 09. 08. 90 Pfuhl SPD 09.08.90 Rauen CDU/CSU 09.08.90 Dr. Riedl (München) CDU/CSU 09. 08. 90 Frau Rock GRÜNE 09. 08. 90 Frau Schilling GRÜNE 09. 08. 90 Schmidt (München) SPD 09. 08. 90 Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 09. 08. 90 Dr. Schneider (Nürnberg) CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Schöfberger SPD 09. 08. 90 Schreiber CDU/CSU 09.08.90 Schulhoff CDU/CSU 09.08.90 Frau Dr. Segall FDP 09. 08. 90 Dr. Soell SPD 09. 08. 90 Frau Trenz GRÜNE 09. 08. 90 Waltemathe SPD 09.08.90 Dr. de With SPD 09. 08. 90 Zink CDU/CSU 09.08.90 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Czaja, Dewitz, Sauer (Salzgitter), Lowack, Windelen, Jäger, Lummer, Schulze (Berlin), Nelle, Rosmanith, Dr. Kappes und Böhm (Melsungen) (alle CDU/CSU) zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur vereinbarten Aussprache zur Vorbereitung der deutschen Einheit (Drucksache 11/7657) (Zusatztagesordnungspunkt 1) Unser Abstimmungsverhalten zu Drucksache 11/7657 verbinden wir mit der nachdrücklichen Aufforderung Anlagen zum Stenographischen Bericht an die Bundesregierung, in einer Zusatzvereinbarung die Wahlberechtigung aller deutschen Staatsangehörigen, wo immer sie leben, zu ermöglichen, und stützen uns dabei auf folgende Gründe: 1. Der jetzige § 12 des Bundeswahlgesetzes entspricht nicht in allen Teilen den verfassungsrechtlichen Erfordernissen einer ersten gesamtdeutschen Wahl. Diese ist von einmaliger, überragender Bedeutung, da sie als einen „wichtigen Schritt zur Herstellung der Deutschen Einheit die Wahl des Deutschen Bundestages durch das ganze Deutsche Volk" regeln soll (so zweiter Präambelsatz des Vertrages). Nach allgemeiner Rechtsauffassung ist das Deutsche Volk im Sinne des Grundgesetzes, von dem nach Art. 20 GG „alle Staatsgewalt ausgeht" , die Summe aller deutschen Staatsangehörigen. Dies hat eben erst (in Sachen Kommunalwahlrecht für Ausländer) vor dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts Prof. Papier namens der Bundesregierung vorgetragen. Allen, die deutsche Staatsangehörige sind, muß, soweit sie es wünschen, die Beteiligung an der Wahl möglich sein. Dies verlangt das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG. 2. Die Wahlberechtigung ist in der Bundesrepublik Deutschland und in den westlichen Demokratien nicht an den Wohnsitz im Wahlgebiet gebunden. Nach § 12 des Bundeswahlgesetzes sind u. a. alle deutschen Staatsangehörigen in den 21 Mitgliedstaaten des Europarates, einschließlich aller deutschen Staatsangehörigen im EG-Gebiet und deutschen Staatsangehörigen in anderen Staaten, sofern sie nicht mehr als 10 Jahre dort ihren ordentlichen Wohnsitz haben, in der Regel wahlberechtigt. Vom Prinzip der „Seßhaftigkeit" wurde bei der Wahlberechtigung seit langem zugunsten des Demokratieprinzips abgegangen. Größere Gruppen deutscher Staatsangehöriger vom Wahlvorgang auszuschließen wäre nicht systemgerecht. Nicht wahlberechtigt sind jetzt deutsche Staatsangehörige, die über 10 Jahre im Ausland leben, insbesondere aber auch - bei gesamtdeutschen Wahlen besonders gravierend - alle deutschen Staatsangehörigen, „die vor Inkrafttreten der (Ost-) Verträge die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen" (BVerfG E 40,171). Das gilt nach deutschem Staatsangehörigkeitsrecht auch für deren Nachkommen. Allen deutschen Staatsangehörigen, auch jenen, die bei Beginn der Vertreibungsmaßnahmen die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen und die sich darauf berufen, sowie ihre Nachkommen, - auch wenn ihnen später die polnische Staatsangehörigkeit oktroyiert wurde - „steht diese Staatsangehörigkeit weiter zu" (BVerfG E 40,171). Denn es kann u. a. auch den Ostverträgen nicht die Wirkung beigemessen werden, „daß die Gebiete östlich von Oder und Neiße mit dem Inkrafttreten der Ostverträge aus der rechtlichen Zugehörigkeit zu Deutschland entlassen und der Souveränität, also sowohl der territorialen wie der personalen Hoheitsgewalt der Sowjetunion und Polens endgültig unterstellt worden seien" (BVerfG E 40,171). 17436* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 Das Bundesverfassungsgericht begründet dies auch mit völkerrechtlichen Hinweisen, u. a. mit den von polnischer Seite entgegengenommenen Erklärungen des Bundesaußenministers Scheel im November 1970, mit der über den Notenwechsel mit den Verbündeten vor Vertragsunterschrift unterrichteten Warschauer Regierung, mit dem für die Vertragsmächte erkennbaren Willen der Bundesrepublik, „nicht über den territorialen Status Deutschlands zu verfügen", mit dem Wortlaut von Art. IV des Warschauer Gewaltverzichtsvertrages (BVerfGE 40,171-174). „Nach alledem haben die Vertragspartner die Bundesrepublik Deutschland nicht für befugt halten können, Verfügungen zu treffen, die eine friedensvertragliche Regelung vorwegnehmen". Politische Absichtserklärungen, die weitergehen, können die Vertragsentscheidungen eines gesamtdeutschen Souveräns nicht präjudizieren und die Rechtslage der besonders bedrängten Deutschen nicht verändern. Unser Grundgesetz und seine Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht haben bis zu einer rechtmäßigen Entscheidung des gesamtdeutschen Souveräns mit rechtlicher Verbindlichkeit für das Handeln der deutschen Verfassungsorgane festgeschrieben, daß „Deutschland" rechtlich als Staat und Völkerrechtssubjekt vorerst in den Grenzen von 1937 fortbesteht. 3. Das Wahlrecht gehört zu den wichtigsten Rechten eines Staatsangehörigen. Die Ausgrenzung gerade der bedrängten deutschen Staatsangehörigen durch Ausschluß von der Ausübung des Wahlrechts bei den ersten gesamtdeutschen Wahlen würde einen besonders gravierenden Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, gegen das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG, gegen die von Verfassungs wegen auch für diese Deutschen bestehende Schutzpflicht bedeuten und nicht systemgerecht sein. „Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 GG) untersagt den unberechtigten Ausschluß von Staatsbürgern von der Teilnahme an der Wahl (BVerfG E 36,141). Er verbietet dem Gesetzgeber, bestimmte Bevölkerungsgruppen aus politischen ... Gründen von der Ausübung des Wahlrechts auszuschließen" (BVerfG E 28,229; 36,141). Anders als bei früheren Wahlen müssen diese deutschen Staatsangehörigen bei Wahlen „zur Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands" und zu deren Vorbereitung wahlberechtigt sein, da das gesamte Deutsche Volk aufgefordert bleibt, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Man darf die Deutschen in diesen vorerst noch nicht „aus Deutschland entlassenen Teilen" jenseits von Oder und Neiße nicht anders behandeln als die im Gebiet der DDR lebenden Deutschen oder gar als Deutsche z. B. in der Türkei oder in Argentinien. Ob eine spätere Verfassungsänderung den Deutschlandbegriff „aushebeln" könnte, wird anhand von Art. 25 GG und Art. 79 Abs. 3 GG zu prüfen sein; sie kann aber keinesfalls Grund- und Menschenrechte deutscher Staatsangehöriger beseitigen oder ungeschützt sein lassen. Jedenfalls sind jetzt die Deutschen aus allen Teilen Deutschlands am Wahlvorgang zu beteiligen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Helmut Haussmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zurück zum Hauptthema! Wer den Menschen in der DDR sozial und wirtschaftlich helfen will, muß dafür sorgen, daß die Leistungsbereitschaft und die Motivation der Menschen in der Bundesrepublik stabil bleiben. Nie waren die ökonomischen Voraussetzungen für eine politische Vereinigung der beiden deutschen Staaten so hervorragend wie heute. Deshalb sollten wir in dieser Debatte auch an die Menschen hier erinnern.
    In diesem Monat gibt es in der Bundesrepublik Deutschland einen neuen Rekord an Arbeitsplätzen. 28,4 Millionen Menschen haben sichere Arbeitsplätze mit guter D-Mark.

    (Hinsken [CDU/CSU]: Gott sei Dank! — Zuruf von den GRÜNEN: Teilzeitarbeitsplätze!)

    Mehr als zwei Millionen Arbeitsplätze wurden seit 1983 von dieser Bundesregierung geschaffen. Die Massenkaufkraft wird sich real in diesem Monat beträchtlich steigern.

    (Huonker [SPD]: Wie schafft die Regierung Arbeitsplätze? Alle im öffentlichen Dienst?)

    90 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik sehen ihre wirtschaftliche Zukunft positiv. Auch Sie, die Vertreter der Opposition, haben, wenn Sie der DDR helfen wollen, eine Verpflichtung, die nach wie vor vorherrschende positive wirtschaftliche Grundstimmung in der Bundesrepublik nicht kaputtzureden, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wichtig für unsere Bürger und für unsere Unternehmer ist: Es darf keine Steuererhöhung geben, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Eine Steuererhöhung

    (Zuruf von der FDP: Ist nicht notwendig!)

    wäre der bequemste Weg. Eine Steuererhöhung
    würde dazu führen, daß in der DDR und bei uns mit
    Steuergeldern nicht mehr sparsam umgegangen würde. Eine Steuererhöhung würde den Druck wegnehmen, daß wesentliche Subventionen abgeschafft werden müssen, nicht nur in der DDR, auch in der Bundesrepublik, meine Damen und Herren.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Fangen Sie doch endlich an! — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Welche denn?)

    Deshalb sage ich voraus: Die Kosten der deutschen Einheit sind hoch, aber sie sind die wichtigsten Investitionen unserer Bürger und unserer Unternehmer in die deutsche Zukunft. Sie sind bezahlbar, meine Damen und Herren.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Wieviel sind es denn?)

    Sie werden solide finanziert

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Wie denn?)

    durch ein überdurchschnittliches Wachstum, durch mehr Steuereinnahmen. Und sie werden solide finanziert, indem wir in der nächsten Legislaturperiode auf allen Gebieten Subventionen abbauen werden. Wir können sie auf Grund der guten Lage auch abbauen.

    (Huonker [SPD]: Das haben Sie schon ein paarmal angekündigt, ohne Folgen! — Dr. Briefs [GRÜNE]: Nennen Sie mal genaue Zahlen!)

    Insofern hat der Bundeskanzler recht: Diese Art von Finanzierung macht die Bürger in der Bundesrepublik nicht ärmer.
    Zu den positiven Erfahrungen der Menschen in der DDR nach 40 Tagen Marktwirtschaft, von denen bisher nicht die Rede war:
    Erstens. Meine Damen und Herren, die Bürger in der DDR haben zum erstenmal eine richtige Währung. Für ihre Arbeit bekommen sie richtiges Geld.

    (Hornung [CDU/CSU]: Und sie freuen sich nach wie vor darüber!)

    Ich bitte, nicht zu unterschätzen, was das für die Menschen bedeutet.
    Zweitens. Sie haben mehr Kaufkraft.
    Drittens. Sie haben ein richtiges, ein breites Warenangebot, das sich von Woche zu Woche verbessert — trotz der uns bekannten Anfangsschwierigkeiten.
    Viertens. Sie haben eine richtige Arbeitslosenversicherung. Das heißt, Hunderttausende sind bereits in Umschulungsmaßnahmen, auf dem Weg zu neuen Arbeitsplätzen.
    Trotz dieser positiven Erfahrungen der ersten 40 Tage gibt es große Probleme. Mir liegt sehr daran, darauf hinzuweisen, daß die Bundesregierung vor Einführung der D-Mark auf diese wirtschaftlichen Probleme in der DDR aufmerksam gemacht hat. Ich habe auf vielen Veranstaltungen in der Bundesrepublik, aber auch in der DDR vor dem März folgendes erklärt. Wir bleiben ehrlich: Beim Übergang von der Planwirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft wird es auch schwierige Übergangsprobleme bis hin zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit geben. Die Schließung völlig unrentabel arbeitender, wettbewerbsun-
    17414 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990
    Bundesminister Dr. Haussmann
    fähiger Staatsbetriebe ist unvermeidbar, meine Damen und Herren. — Das haben wir den Menschen vor den Wahlen gesagt. Das tritt jetzt ein, und davon kann sie niemand befreien.
    Nach 40 Tagen Marktwirtschaft kann niemand erwarten, daß die DDR-Wirtschaft jetzt schon vom Kopf auf die Füße gestellt wurde und aus eigener Kraft laufen könnte. Bedenklich ist jedoch — darauf hat Graf Lambsdorff zu Recht hingewiesen — : Es hätte besser laufen können in der DDR. — Die Erwartungshaltung ist nach wie vor zu groß. Viele Menschen in der DDR und vor allem auch die Kombinatsdirektoren erwarten vom Staat, daß er ihnen Marktentscheidungen abnimmt.
    Die langsame Klärung der entscheidenden Eigentumsfragen verhindert Hunderttausende von neuen Arbeitsplätzen.
    Die Trägheit der immer noch im Sattel sitzenden alten SED-Demokratie in vielen Rathäusern der DDR verhindert eine rasche Ansiedlung neuer Unternehmen.
    Trotzdem gibt es Hoffnung: Hunderttausend Gewerbeanmeldungen, meine Damen und Herren — hunderttausend Gewerbeanmeldungen! —, bedeuten, daß die kleinen und mittleren Betriebe, die Handwerksbetriebe, die Handelsbetriebe bereits von der Marktwirtschaft Gebrauch machen.
    Um was geht es in Zukunft? Wir dürfen nicht neue Subventionen für die Übergangszeit erfinden, sondern wir müssen zunächst auch die Möglichkeiten des ersten Staatsvertrages ausschöpfen. Dazu gehören aus meiner Sicht vordringlich zwei Aufgaben: erstens die baldige Klärung der Finanzverfassung der DDR-Kommunen, um die finanzielle Handlungsfähigkeit herzustellen, und zweitens eine schnelle Entscheidung über die zukünftige regionale Wirtschaftsförderung mit einem positiven Gefälle zugunsten der DDR. Meine Damen und Herren, wenn wir darüber entscheiden, muß den Investoren klar sein, daß dies auch rückwirkend gilt, d. h. daß jede Investition in die DDR schon heute nicht zukünftig durch spätere Präferenzen bestraft wird. Investoren brauchen vorausschaubare Bedingungen, die nicht täglich in Frage gestellt werden. Deshalb wäre ein schneller Beitritt mit vorgezogenen gesamtdeutschen Wahlen der beste Beitrag zu mehr Investitionssicherheit in der DDR selbst gewesen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ich möchte in meinem kurzen Beitrag noch einmal auf einen Punkt hinweisen: Die von uns vorausgesagten Übergangsschwierigkeiten berechtigen niemanden — auch nicht in der Opposition — , Horrorszenarien zu entwerfen oder den Menschen Angst zu machen. Falsch wäre es, jede neue Schwierigkeit in der DDR mit neuen Subventionen fortspülen zu wollen. Auch in der DDR führt kein Weg daran vorbei: Der Aufschwung der Wirtschaft läßt sich nicht kaufen. Er muß selbst erarbeitet werden. Er muß investiert werden. An dieser Einsicht führt kein Weg vorbei.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stobbe.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dietrich Stobbe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß gestehen, daß ich diese Debatte in einem ganz bestimmten Punkt sehr eigentümlich und merkwürdig finde. In der DDR bricht der Wirtschaftskreislauf zusammen. Die politische Stabilität ist nicht mehr das, was sie am Beginn der Regierungszeit de Maizière war.

    (Zuruf von CDU/CSU: Sozialisten haben die DDR bankrott gemacht!)

    Die Leute haben Sorgen. Was geschieht hier? Der Kanzler läßt seinen Finanzminister vortragen, wie gesund die Finanzen der Bundesrepublik Deutschland seien.

    (Hinsken [CDU/CSU]: Eine gute Rede!)

    Er läßt seinen Wirtschaftsminister das Hohelied von der Hochkonjunktur in der Bundesrepublik Deutschland singen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Auch das stimmt! — Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)

    Die SPD wendet sich den konkreten Problemen der Menschen in der DDR zu und macht durch den Kanzlerkandidaten Lafontaine zehn Vorschläge und das Angebot zum Sachgespräch.

    (Beifall bei der SPD — Hornung [CDU/CSU]: Sagen Sie mal ein Beispiel!)

    Was macht der Kanzler? Der Kanzler schweigt und schweigt und schweigt. Herr Bundeskanzler, können Sie sich denn nicht vorstellen, daß die Menschen, sowohl unsere Bürger hier als auch die Menschen in der DDR, in dieser krisenhaften Entwicklung in der DDR ein Wort von Ihnen erwartet hätten?

    (Reddemann [CDU/CSU]: Sie reden wie damals, als man Sie als Bürgermeister rausgesetzt hat!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen vor der riesengroßen Aufgabe, einheitliche Lebensverhältnisse und Lebenschancen für alle Menschen in Deutschland zu schaffen. Diese Aufgabe verlangt von allen Bürgern Opfer und Leistungsbereitschaft. Sie verlangt Verständnis und vor allem Solidarität. Die Politik hat die Aufgabe, berechenbare Rahmenbedingungen zu schaffen, die auf einem breiten gesamtgesellschaftlichen Konsens beruhen sollten, Herr Bundeskanzler. Diesen Konsens kann man nur durch das Sachgespräch zwischen den politischen Kräften im Lande und anderen beteiligten Kräften herstellen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aber der Lafontaine will das doch gar nicht!)

    Wer wie ich im fast täglichen Umgang mit den Menschen in der DDR seit dem 9. November miterlebt hat, was auf den Straßen in Leipzig, in Berlin und in anderen Städten der DDR so großartig begann, wer miterlebt hat, wie diese Entwicklung die Köpfe und Herzen unserer Mitbürger mit Freude und mit Hoffnung erfüllt hat, der weiß auch, daß die Bereitschaft zum gesamtgesellschaftlichen Konsens und zur Solidarität in jenen Tagen und Wochen lebendig empfunden und auch praktiziert wurde. Doch wo am Anfang Freude
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 17415
    Stobbe
    und Zuversicht herrschten, machen sich jetzt Sorgen und Ängste breit. Herr Bundeskanzler, Sie haben es zu verantworten, daß der gute Wille so vieler unserer Bürger nicht genutzt wurde.

    (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Da klatscht noch nicht einmal Ihre Fraktion!)

    Die Bürger in der Bundesrepublik wissen ganz genau, daß die Einheit teurer wird als Sie vorgeben, Herr Bundeskanzler. Ich gehe weiter: Unsere Bürger sind sogar der Auffassung, daß die Einheit einen hohen Preis wert ist. Warum muten Sie ihnen diese peinliche Vernebelung der wahren Kosten für die deutsche Einheit zu?

    (Beifall bei der SPD)

    Das macht die Politik insgesamt unglaubwürdig, und das schadet der Einheit.
    Sie vernebeln nicht nur die Kosten für die Einheit, sondern Sie haben auch bewußt Illusionen geweckt. Statt den Menschen klar und deutlich zu sagen, daß mit der Umstellung der Wirtschaft in der DDR erhebliche soziale Risiken verbunden sind, haben Sie die Menschen in dem Glauben gelassen, die soziale Marktwirtschaft könne über Nacht Wunder bewirken.

    (Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Sie wissen es doch besser!)

    Sie haben Enttäuschungen hervorgerufen, weil sich Ihre Prophezeiungen über die Investitionsbereitschaft der westdeutschen Industrie in der DDR auf der Grundlage des ersten Staatsvertrages offenkundig als falsch erweisen.
    Herr Bundeskanzler, ich frage mich, warum Sie heute mit solchen Vorwürfen konfrontiert werden, die wir hier nicht nur als Opposition vortragen, sondern die wir landauf, landab hören.

    (Pfeffermann [CDU/CSU]: Von Ihren eigenen Leuten!)

    Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, daß es für die falschen Ansätze Ihrer Politik im deutschen Einigungsprozeß eine gemeinsame Ursache gibt. Das ist Ihr Versuch, die große Sache der deutschen Einigung parteipolitisch zu monopolisieren und CDU-Interessen vor sachlich gebotene Entscheidungen zu stellen.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Es gibt zahlreiche Belege dafür. Der bislang sichtbarste ist Ihr Versuch, im Zusammenspiel mit Herrn de Maizière das Wahlrecht und den Wahltermin parteipolitisch zu manipulieren; wir haben uns darüber heute schon unterhalten. Ich möchte Ihnen sagen, Herr Bundeskanzler, daß dieser Versuch gerade in der DDR auf totales Unverständnis gestoßen ist, weil die Menschen dort zu Recht verlangen, daß Sie, Herr Bundeskanzler, sich um die Lebenschancen der Menschen mehr kümmern als um die Wahlchancen Ihrer Partei.
    Im Mittelpunkt Ihrer Politik muß doch stehen: Wie schaffen wir einheitliche Lebensverhältnisse im vereinten Deutschland? Wie schaffen wir es, daß die
    Menschen in der DDR ihre Hoffnung auf Besserung in überschaubaren Zeiträumen erhalten? Wie schaffen wir es, daß sie nicht aus Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes, der Angst vor den steigenden Preisen, Tarifen und Kosten ihren Mut und ihre Leistungsbereitschaft verlieren?
    Nun beobachten wir alle den wirtschaftlichen Verfall in der DDR. Gewiß, der Hinweis, daß diese Wirtschaft bereits in der Verantwortung der Kommunisten bankrott war, bleibt richtig; diesen Hinweis haben wir genauso gemacht wie Sie. Aber er allein hilft nicht weiter. Denn jetzt geht es in dieser Debatte und in den kommenden Wochen darum, daß die Währungsunion eben nicht so greift, wie vorher behauptet wurde. Das liegt vor allen Dingen daran, daß es an begleitenden Strukturmaßnahmen und Hilfsprogrammen für die Wirtschaft gefehlt hat, die gerade die SPD in diesem Bundestag in Verbindung mit dem ersten Staatsvertrag immer wieder gefordert hat.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Sie wollten doch nur ein Stück Planwirtschaft retten!)

    Wir diskutieren heute in einer Situation, die gekennzeichnet ist durch den rapiden Verfall der staatlichen Autorität in der DDR, den Geldmangel der Gemeinden, die Überforderung der bestehenden Verwaltungen, den fehlenden Aufbau einer neuen Administration. Und wohin man blickt: Vollzugsdefizite an allen Ecken und Enden, von denen niemand überrascht sein darf; denn auf diese Gefahren wurde rechtzeitig hingewiesen.
    In dieser Situation, Herr Bundeskanzler, ist vor allen Dingen Regierungshandeln gefordert, und zwar jetzt, in den kommenden Wochen und Monaten.

    (Beifall bei der SPD — Pfeffermann [CDU/ CSU]: Und nicht miesmachen; da haben Sie recht!)

    Ansatzpunkte dafür sind doch da. Der erste Staatsvertrag enthält — übrigens auf Druck der SPD — die Möglichkeit, durch Gespräch, durch Nachverhandeln mit der DDR-Regierung Wirtschaftsförderungsinstrumente bereitzustellen, mit deren Hilfe die notwendigen Strukturanpassungen in der DDR in Angriff genommen werden können. Zehn konkrete Fragen und Vorschläge hat Ihnen Oskar Lafontaine in dieser Debatte gestellt bzw. gemacht. Sie sind bislang alle ohne Antwort geblieben.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Nennen Sie eine davon!)

    Auch der Einigungsvertrag könnte genutzt werden, z. B. durch eine wasserdichte Regelung für die Eigentumsfragen, die u. a. die notwendige Rechtssicherheit für private Investoren in der DDR schafft.
    Es ist auch notwendig, daß der Finanzbedarf, der in der nächsten Zeit auf alle Deutschen zukommt, von dieser Bundesregierung umgehend festgestellt und öffentlich gemacht wird, so daß wir darüber reden können, wie diese Kosten unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit aufgebracht werden können. Herr Bundeskanzler, die Dinge regeln sich nicht von allein; das ist ein Irrtum von Ihnen. Es ist wahr: Sie
    17416 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990
    Stobbe
    müssen den Tatsachen, wie sie in der DDR sind, ins Auge sehen. Ihre Entschlossenheit ist gefordert.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Die hat er nicht!)

    Die SPD hat gesagt — ich möchte das hier wiederholen — : Wir sind bereit, uns den Aufgaben zu stellen und nach Lösungen für die Menschen und ihre Probleme zu suchen. Wir sind auch bereit, Entscheidungen mitzutragen, wenn sie der Sache dienen und wenn wir in die Entscheidungsprozesse auf eine parlamentarisch einwandfreie Weise einbezogen werden. Allerdings warnen wir mit Nachdruck vor einem neuerlichen Versuch, sich durch das Wecken von Illusionen über die Runden bringen zu wollen, Herr Bundeskanzler. Hüten Sie sich davor, den Menschen in der DDR oder hier in der Bundesrepublik Deutschland vorgaukeln zu wollen, mit dem Akt des Beitritts und dem Vollzug der staatlichen Vereinigung sei gewissermaßen automatisch ein Ende der wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten in unmittelbare Nähe gerückt.

    (Hornung [CDU/CSU]: Wenn es nach Ihnen ginge, hätten wir noch das alte System!)

    Die SPD ist angesichts der krisenhaften Entwicklung in der DDR, wie der Antrag der SPD in der Volkskammer beweist und wie wir es auch hier heute gesagt haben, dafür, daß wir zu einem frühestmöglichen Beitritt der DDR kommen. Wir wollen, daß die Verantwortung für die weitere Entwicklung klargestellt wird. Diese Verantwortung liegt dann bei der Bundesregierung.
    Dennoch heben wir schon heute ins Bewußtsein: Der Akt des Beitritts selbst löst die Wirtschafts- und Sozialprobleme des vereinten Deutschlands nicht automatisch. Dafür wird dieses Land Jahre brauchen. Das ist die Wahrheit. Deshalb darf nicht zugelassen werden, daß die berechtigte Freude der Menschen über den Vollzug der staatlichen Einheit benutzt wird, um die Menschen in dem Glauben zu wiegen, mit dem Vollzug der Einheit seien alle Probleme gelöst; denn damit würde der Bundeskanzler sie nur in eine neue Täuschung treiben.
    Die Wahrheit ist, daß wir uns auch im vereinigten Deutschland auf einen langen Weg vorbereiten müssen, um die dringend nötigen wirtschaftlichen und sozialen Angleichungen gerecht zu gestalten, und zwar sowohl für die Menschen dort wie auch hier. Dabei wird sich zeigen, meine Damen und Herren, daß die SPD aus ihrer traditionellen sozialen Verantwortung heraus für diese Wegstrecke mit besseren Konzepten aufwarten kann als die Konservativen mit ihren Mogelpackungen.

    (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Nennen Sie uns einmal ein gutes Konzept!)

    Ich möchte ein Wort über die Verantwortungsbereitschaft der SPD und über die Grenzen dieser Verantwortungsbereitschaft sagen. Hier in Bonn sind wir Opposition, in der DDR regieren wir — ich sage: noch — mit. Wir haben als Opposition in Bonn von Anfang an gesagt, daß wir zur Mitverantwortung bereit sind. Der Bundeskanzler hat unsere ständig wiederholte Bereitschaft zu dieser Mitverantwortung
    fahrlässig zurückgewiesen und damit dem deutschen Einigungsprozeß geschadet.
    Die Situation ist auch nicht viel besser geworden, seitdem die SPD im Bundesrat über eine Mehrheit verfügt. Diese Mehrheit zwingt die Bundesregierung zwar zu einer gewissen Zusammenarbeit — es ist also wahr, daß auch die SPD-geführten Länder an den Verhandlungen zum Einigungsvertrag mitwirken —, dennoch hat sich am politischen Verhalten der Bundesregierung nichts geändert. Sie versucht auch jetzt noch, der Öffentlichkeit zu suggerieren, in den Verhandlungen, die jetzt anstehen, sei Wesentliches erreicht worden. Dies wird mit einer gewissen politischen Technik gemacht, um die Menschen in Ruhe zu wiegen.
    Dies geschieht, obwohl bislang wesentliche Forderungen der SPD nicht berücksichtigt worden sind. Ich kann Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU und auch von den Freien Demokraten, nur sagen: Wenn das so weitergeht, dann wird es schwierig sein, in Bonn eine Verständigung über den Einigungsvertrag zu erreichen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie bringen das alles in Ordnung!)

    In der Regierung de Maizière in Berlin steht es um die Zusammenarbeit mit der SPD und um die Koalitionsbedingungen noch schlechter. Ich weiß aus persönlicher Erfahrung, daß die Sozialdemokraten in der DDR in diese Koalition mit einem tief empfundenen Gefühl der Verantwortung für das Schicksal der Menschen in der DDR eingetreten sind. Sie haben über eine längere Wegstrecke sehr viel eingebracht, um dieser Verpflichtung gerecht zu werden.
    Wir haben Achtung vor Ministerpräsident de Maizière empfunden, der auf der Grundlage der geschlossenen Koalitionsvereinbarung und der von der gesamten deutschen Öffentlichkeit kochgeachteten Regierungserklärung große Anstrengungen unternommen hat, um die DDR auf den Beitritt zur Bundesrepublik vorzubereiten. Aber auch dort in der Koalition hat sich die Zusammenarbeit schlagartig verschlechtert, seitdem Herr de Maizière die Fragen des Wahlrechts und den Beitrittstermin ganz offenkundig nicht nach sachlich gebotenen Kriterien, sondern nach parteipolitischen Interessen behandelt.

    (Beifall bei der SPD)

    Dabei sind die Sozialdemokraten zweimal aufs schwerste düpiert worden. Jeder dieser Vorgänge wäre eigentlich Anlaß genug gewesen, die Koalition zu verlassen. Wenn die Sozialdemokraten in der DDR diesen Schritt noch nicht gemacht haben, dann deshalb, weil sie sich verpflichtet fühlen, im Interesse der Menschen der DDR in den anstehenden Verhandlungen ihre Vorstellungen durchzusetzen.
    Aber wenn Sie sich, meine Damen und Herren von der CDU hier in Bonn, und wenn sich auch die Christdemokraten in Berlin-Ost weiterhin so engstirnig verhalten und die deutsche Einheit unter parteipolitischen Gesichtspunkten betreiben, dann werden die Sozialdemokraten in der DDR die Koalition noch während der Verhandlungen verlassen, und dann muß Herr de Maizière mit einer Minderheitenregierung
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. August 1990 17417
    Stobbe
    die nächsten Schritte in die deutsche Einheit verantworten. Überlegen Sie, ob das der richtige Weg ist!

    (Beifall bei der SPD)