Rede von
Dr.
Graf
Otto
Lambsdorff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Weil die Entscheidung über den Weg der Vereinigung der beiden deutschen Staaten eine Entscheidung der Wähler der DDR ist. Art. 23 des Grundgesetzes setzt eine Willenserklärung der DDR voraus. Die müssen entscheiden; und denen lassen wir diese Entscheidung.
Meine Damen und Herren, der saarländische Ministerpräsident sagt, die frühe Wahl schaffe keinen Arbeitsplatz mehr.
Dies, Herr Lafontaine, ist ökonomisch genau falsch.
Die DDR braucht Arbeitsplätze. Für die Arbeitsplätze braucht sie Investitionen. Die Investitionen sind bisher hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben.
— Hinter Ihren nicht? — Die möglichen Investoren schreckt eine Regierung mit eingeschränkter Souveränität, vor allem aber eine ihnen fremde, eine für sie unsichere Rechtslandschaft. Eines haben wir nämlich alle miteinander nicht richtig gesehen: die tiefgreifende Zerstörung bürgerlicher westlicher Rechtsgrundlagen im Wirtschaftsrecht der DDR durch 40 Jahre Kommunismus.
Das muß zu Ende gehen. Glücklicherweise ist im Einigungsvertrag vorgesehen, daß mit dem Beitritt grundsätzlich bundesdeutsches Recht auf dem Gebiet der DDR gilt, wobei Ausnahmen selbstverständlich möglich sind, aber einzeln festgelegt werden müssen.
Wir behaupten nicht, daß die frühe Wahl eine Investitionslawine lostreten werde oder daß sich die Probleme von selbst lösten. Aber Beitritt und schnelle Wahl verbessern die psychologische Situation, verbessern die Rahmenbedingungen und die Vertrauensgrundlage. Psychologie — das weiß jeder, der sich mit Wirtschaft und Wirtschaftspolitik beschäftigt, ist bei Investitionsentscheidungen die halbe Miete.
Hinzu kommt eines: Wir sind doch längst im Wahlkampf.
Wir sind alle längst im Wahlkampf, und wir wissen es doch alle. Jeder Tag, den dieser Wahlkampf länger dauert als unbedingt nötig, ist ein Tag, der für die DDR von Übel ist.
Das Strickmuster ist schon jetzt sichtbar: Regierung und Koalition sind in der Gefahr, die Lage in der DDR schöner zu reden, als sie ist, und Defizite mit Geld zuzudecken.
Die Opposition spricht von „Krise" , von „Chaos", von „Katastrophe", sie malt schwarz in schwarz. Glauben Sie, das schafft Arbeitsplätze?
Soll das bis zum 2. Dezember so weitergehen, und soll das der DDR helfen, soll das Investitionen und Beschäftigung bringen?
Nein, meine Damen und Herren von der Opposition, wer wirklich die Menschen in der DDR im Auge hat und wer sie besser kennt als der Ministerpräsident des Saarlands, der muß doch sagen: Schluß mit dem Übergangsstadium; Beitritt und Wahl schnell!
Meine Damen und Herren, schon jetzt beginnt der fruchtlose, der unnütze, ja der schädliche Streit. Ein katastrophaler Fehler sei die schnelle Einführung der D-Mark am 1. Juli gewesen; so sagt die SPD. Oder sagt es doch nur ihr Kanzlerkandidat? Der SPD-Fraktionsvorsitzende in der Volkskammer, Richard Schröder, gestern abend wörtlich: „Die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion war richtig." Punkt; ohne jeden Zusatz!
Haben Sie vergessen oder verdrängt, daß Sie es waren, die zuerst auf die schnelle Währungsunion gedrängt haben?
Frau Matthäus-Maier in ihrem Interview in der „Zeit" , und die Diskussion hier! Ich gestehe Ihnen ja zu, am Ende hatten Sie recht, und wir sind den Weg gegangen, wenn auch in etwas abgeänderter Form. Haben Sie vergessen oder verdrängt, wie es damals hieß: Entweder die D-Mark kommt zu uns, oder wir kommen zur D-Mark? Haben Sie die Übersiedlerprobleme einfach abgeheftet? Wohl denkbar, wenn man miterleben muß, daß der Ministerpräsident des Saarlandes jetzt das Grundrecht auf Asyl einschränken will.
Meine Damen und Herren, so wird die SPD zu einer Partei, deren einziger Grundsatz es ist, keine Grundsätze mehr zu haben.