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ID1121901400

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    Plenarprotokoll 11/219 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 219. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Graf Huyn, Engelsberger und Schartz sowie des Bundesministers Dr. Zimmermann 17359 A Verzicht der Abg. Frau Schoppe auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag . . . 17359 B Eintritt des Abg. Dr. Roske in den Deutschen Bundestag 17359 B Tagesordnungspunkt 1: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. August 1990 zur Vorbereitung und Durchführung der ersten gesamtdeutschen Wahl des Deutschen Bundestages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik — Drucksache 11/7624 — Dr. Schäuble, Bundesminister BMI . . . . 17359 D Dr. Penner SPD 17361 D Lüder FDP 17365 B Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE . . . 17365 D Brück SPD 17365 D Häfner GRÜNE 17367 A Porzner SPD 17368 D Dr. Bötsch CDU/CSU 17370 D Conradi SPD 17372 A Frau Unruh fraktionslos 17374 A Wüppesahl fraktionslos 17374 D Nächste Sitzung 17375 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 17377* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990 17359 219. Sitzung Bonn, den 8. August 1990 Beginn: 14.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Biedenkopf CDU/CSU 09. 08. 90 Buschfort SPD 09.08.90 Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE 09. 08. 90 Dr. Dollinger CDU/CSU 09. 08. 90 Duve SPD 09.08.90 Dr. Ehrenberg SPD 8. 08. 90 Frau Folz-Steinacker FDP 9. 08. 90 Frau Garbe GRÜNE 09. 08. 90 Frau Geiger CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Geißler CDU/CSU 8. 08. 90 Dr. Häfele CDU/CSU 9. 08. 90 Heimann SPD 08.08.90 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 09. 08. 90 Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 09. 08. 90 Hoss GRÜNE 09.08.90 Kalisch CDU/CSU 09.08.90 Dr. Knabe GRÜNE 09. 08. 90 Kreuzeder GRÜNE 09.08.90 Lennartz SPD 09.08.90 Frau Luuk SPD 09. 08. 90 Dr. Mahlo CDU/CSU 09. 08. 90 Meneses Vogl GRÜNE 09. 08. 90 Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Menzel SPD 08.08.90 Dr. Mertens (Bottrop) SPD 08. 08. 90 Niegel CDU/CSU 09.08.90 Dr. Pfennig CDU/CSU 8. 08. 90 Pfuhl SPD 09.08.90 Rauen CDU/CSU 09.08.90 Dr. Riedl (München) CDU/CSU 9. 08. 90 Frau Rock GRÜNE 09. 08. 90 Frau Schilling GRÜNE 09. 08. 90 Schmidt (München) SPD 09. 08. 90 Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 09. 08. 90 Dr. Schneider (Nürnberg) CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Schöfberger SPD 09. 08. 90 Schreiber CDU/CSU 09.08.90 Schulhoff CDU/CSU 08.08.90 Schwarz CDU/CSU 08.08.90 Frau Dr. Segall FDP 09. 08. 90 Dr. Soell SPD 09. 08. 90 Frau Steinhauer SPD 08. 08. 90 Frau Teubner GRÜNE 08. 08. 90 Dr. Todenhöfer CDU/CSU 8. 08. 90 Frau Trenz GRÜNE 9. 08. 90 Frau Vennegerts GRÜNE 8. 08. 90 Waltemathe SPD 09.08.90 Dr. de With SPD 9. 08. 90 Dr. Wittmann CDU/CSU 08. 08. 90 Würtz SPD 08.08.90 Zink CDU/CSU 09.08.90
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    Rede von Wolfgang Lüder


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Ich muß auf Ihre Frage eine dreifache Antwort geben.

    (Kuhlwein [SPD]: Ja, ja oder nein, nein!)

    — Es kann auch eine dreifache Antwort geben. Wenn Sie glauben, nur in „ja, ja oder nein, nein" denken zu können, verschwinden die klaren Konturen, die wir brauchen.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: So einfach ist das!)

    Dreierlei. Erstens. Es kann niemand verschweigen, daß es in der DDR bei den damaligen Blockparteien auch unrechtmäßig und rechtlich nicht mehr nachprüfbar erworbenes Vermögen gegeben hat. Dies kann nicht Vermögen der FDP werden. Zweitens. Es kann ebensowenig verschwiegen werden, daß es bei den Parteien drüben — sowohl der NDPD als auch der LDPD — im Laufe der Jahre auch rechtmäßig erworbenes Vermögen gegeben hat und daß es — drittens — auch Vermögen gab, das legal übergegangen ist.

    (Kuhlwein [SPD]: Unrechtsstaat!)

    Glauben Sie doch nicht, mit pauschalen Verdächtigungen Wahrheiten auflisten zu können!

    (Beifall bei der FDP)

    Ich komme zurück zum Wahlthema. Ich sagte, wir wollten zwei Grundsätze durchsetzen, die für uns unverzichtbar sind: Erstens. Unser Wahlgesetz hat sich bewährt, und das System unseres Wahlgesetzes hat wesentlich dazu beigetragen, daß sich die Bundesrepublik Deutschland in den letzten 40 Jahren zu einem politisch stabilen, freiheitlichen Rechtsstaat entwikkelt hat. Wir wollen diese Bedeutung unseres Wahlgesetzes nicht missen. Wir haben uns zu einem Staat entwickelt, dem die DDR beitreten will, und wir sind stolz auf das, was wir erreicht haben.
    Die FDP hat sich im Laufe der 40 Jahre unserer Geschichte stets jedem Versuch der Wahlrechtsmanipulation widersetzt, von wem auch immer diese Versuche kamen. Deswegen ist es für uns so wichtig, daß in dem Vertrag jetzt die Fünf-Prozent-Hürde bundesweit, bezogen auf das gesamte Wahlgebiet der erweiterten Bundesrepublik Deutschland, festgeschrieben wird. Jedes Schielen nach Länderklauseln hätte Manipulationsverdacht geschürt, jede Absenkung der Hürde demokratische Unsicherheit signalisiert.
    Der zweite Grundsatz, der in dem Vertrag verankert werden mußte, ist der, daß die Wahlen schon am 2. Dezember dieses Jahres möglich werden, und wenn es die Parlamente in beiden deutschen Staaten mit den entsprechenden Mehrheiten so wollen, auch vorher.
    Herr Kollege Penner, mit den Freien Demokraten wird niemand eine verfassungswidrige Wahlvorziehung machen. Aber so sehr Art. 39 des Grundgesetzes von uns akzeptiert wird und uneingeschränkt gilt, so sehr gilt auch Art. 79 des Grundgesetzes uneingeschränkt. Wenn wir uns darauf verständigen würden, hier eine Verfassungsänderung vorzunehmen, so wäre dies wohl ein verfassungsmäßig korrekter und zulässiger Weg.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Auf andere, abseitige Experimente würden wir uns nicht einlassen.
    Vielleicht sollten wir auch noch eines sehen: So sehr die beiden Staaten und die beiden Parlamente gleichberechtigt sind, so sehr sollten wir doch politisch eigentlich dafür offen sein, daß das erste und bedeutendere Wort zum Wahltermin die Kollegen aus der Volkskammer haben sollten, denn die haben freie Wahlen zu lange vermißt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, das Vertragswerk enthält Übergangsregelungen, die wir für die Übergangszeit in die staatliche Einheit akzeptieren, aber dauerhaft noch nicht festgeschrieben wissen wollen. Die vorgesehene Regelung für die Listenverbindungen ist nur verständlich und akzeptabel — Herr Kollege Schäuble hat das ausgeführt —, weil wir aus der Zeit der friedlichen Revolution in der DDR politische Entwicklungen haben, denen wir Rechnung tragen wollen. Aber dies kann nicht dauerhafter Grundsatz unseres deutschen Wahlrechts werden.
    Wir werden im gesamtdeutschen Parlament auch zu prüfen haben, ob es bei der vorgesehenen Erweiterung der Zahl der Wahlkreise für immerhin 656 Abgeordnete bleiben soll oder ob wir nicht durch eine Neugliederung der Wahlkreise insgesamt in einem dann kleineren Parlament mehr Effektivität ermöglichen können.

    (Beifall bei der FDP)

    Das aber ist Sorge für spätere Tage.
    Heute möchte ich die Aufmerksamkeit noch auf zwei kritische Punkte lenken, die der Klärung in den Ausschußberatungen bedürfen.
    Erstens. Ganz Berlin wird als Land behandelt, auch schon in der Vorbereitung der Wahl. Das ist gut, das ist deutschlandpolitisch vernünftig, und das ist richtig. Aber diese vollständige Einbindung in die Ländergleichheit wird verletzt, wenn es zu einer Ungleichbehandlung bei den Listenverbindungen ausgerechnet für das Land Berlin kommt. Die Begründung, die dem Gesetzentwurf beigegeben ist, ist für uns insoweit nicht überzeugend. Wir meinen, daß diese Regelung, wenn möglich, gestrichen werden sollte.
    Wir wissen aber, daß wir es hier mit einem Vertragssystem zu tun haben und daß wir nicht einfach frei und völlig souverän einseitig korrigieren können. Deswegen halten wir es für notwendig — wenn dies nicht mehr verändert werden kann, was wir noch prüfen wollen —, daß dann zumindest klargelegt werden muß, daß dieser verfassungsrechtliche Schönheitsfehler nur aus einer Übergangssituation heraus einmalig tolerabel ist.
    Der zweite kritische Punkt: Der Gesetzentwurf schweigt zur Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit der Regierung. Wir Freien Demokraten erwarten, daß wenigstens durch die Bundesregierung klargestellt wird, daß die Grundsätze über die Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit der Regierung in Wahlzeiten, wie sie vom Bundesverfassungsgericht festgesetzt sind, auch außerhalb des jetzigen engen Bundesge-
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990 17367
    Lüder
    biets für die gesamten deutschen Wahlen im gesamten Wahlgebiet gelten werden.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Ich weiß, daß die Bundesregierung nicht für die Regierung der DDR sprechen kann. Aber eine politische Erklärung im Ausschuß wäre hilfreich, nämlich klarzustellen, daß diese Grundsätze nicht nur im engeren Bundesgebiet, sondern im gesamten Wahlgebiet Anwendung finden sollen.
    Meine Damen und Herren, mit den Wahlen zum gesamtdeutschen Parlament werden die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, daß in dem dann vereinigten Deutschland die Grundlagen dauerhafter parlamentarischer Arbeit gelegt werden. Wir hoffen, daß wir zu Wahlen kommen, aus denen ein Parlament hervorgeht, in dem wir fair, offen und redlich miteinander für Deutschland arbeiten können.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Häfner.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Gerald Häfner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während wir hier reden, verlieren Tausende von Menschen in der DDR ihren Arbeitsplatz, ihre Lebensgrundlage, ihr Haus oder auch ihr Grundstück, etwa weil das Grundstück z. B. plötzlich irgendeinem Herrn im Westen zugesprochen wurde, der dies wiederum von seinen Eltern geerbt und

    (Zuruf von der CDU/CSU: Na und?)

    davon vielleicht lange Zeit überhaupt nichts gewußt hat und der selber zehnmal soviel Wohlstand und Luxus hat wie die armen Betroffenen dieser merkwürdigen „Wiedergutmachung" in der DDR, die nun um ihre Existenz und um ihre Zukunft fürchten.

    (Dr. Müller [CDU/CSU]: Märchenstunde!)

    Ich sage dies aus folgendem Grunde: In der DDR herrscht eine katastrophale wirtschaftliche und soziale Lage. Hunderttausende verlieren ihren Arbeitsplatz, verlieren ihren Lebensraum, ihre Zukunft. Die Bundesregierung, die dies alles mit ihrem überhasteten Gestolpere in die Einheit zu verantworten hat, bleibt davon merkwürdig kalt und unberührt. Sie sorgt sich mehr um ihr eigenes Überleben, um ihre Wahlchancen als um das Überleben der Betriebe und der Menschen in der DDR.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das ist schlimmer als das, was Ehmke sagte!)

    Deshalb reden wir — dem Antrag der Koalitionsfraktionen folgend — heute über das Wahlrecht und über den Beitrittstermin und nicht über die Erhöhung z. B. der Bundeszuschüsse für die Arbeitslosen-, Renten- oder die Krankenversicherung in der DDR, über die Sanierung der Umwelt und der Betriebe in der DDR. Sanieren, so hat uns im Ausschuß Deutsche Einheit Graf Lambsdorff gesagt, stehe übrigens gar nicht zur Debatte. Liquidieren nicht sanieren sei die Aufgabe der Treuhandanstalt, die jetzt die Verantwortung für die Betriebe in der DDR trägt. Das ist der Geist, in dem diese Einheit betrieben wird! Diese katastrophale wirtschaftliche und soziale Lage in der DDR ist nicht gottgegeben, sie ist menschengemacht. Sie, die Bundesregierung, tragen dafür die Verantwortung.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Wer jetzt so tut, als sei er über diese Entwicklung erstaunt,

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    — auch Sie — , der lügt oder hat von Anfang an nicht gewußt, was er tut, als er den Menschen in der DDR blitzartig Wohlstand versprochen und uns gesagt hat, das koste nichts.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wer so blauäugig und unverantwortlich in derartige Prozesse hineingeht, der ist ungeeignet, in solch sensiblen und labilen Phasen deutscher und europäischer Geschichte Verantwortung zu tragen. Das sollte hier einmal sehr deutlich gesagt werden.
    Die schlagartige Herstellung eines einheitlichen Marktes mit einheitlicher Währung konnte nur dazu führen, daß die wirtschaftlich Stärkeren die wirtschaftlich Schwächeren verdrängen. Dieses gleiche Verdrängen wollen Sie nun auch in der Frage des Wahlrechts praktizieren. Sie wollten die Wahl vorziehen — das ist der erste Schritt — , um den Folgen der eigenen Politik aus dem Weg zu gehen. Sie wissen, daß die meisten derjenigen, die jetzt in Kurzarbeit gedrängt werden, in Kürze auf der Straße stehen und arbeitslos sein werden.
    Sie glauben, es würde dadurch etwas besser werden, daß man möglichst schnell wählt, weil Sie — und das sehr zu Recht — Ihre Wahlchancen mit jedem Tag mehr schwinden sehen. Die Gründe aber, die Sie für dieses Vorziehen nennen, sind nur vorgeschoben. Denn die katastrophale wirtschaftliche und soziale Lage in der DDR wird nicht durch einen früheren Beitritts- oder Wahltermin geändert. Sie wird nur geändert durch sofortige materielle und wirtschaftliche Hilfe. Genau hier verschließen Sie sich mickrig und kleingläubig, weil Sie die Konsequenzen Ihrer eigenen Politik und Ihrer eigenen Versprechungen nicht tragen wollen und weil Sie sich nicht trauen, vor das deutsche Volk zu treten und zu sagen, daß die Behauptung, dies alles ginge ohne zusätzliche Kosten und Steuererhöhungen, schlicht falsch sei. Sie scheuen davor zurück, zuzugeben, daß Sie sofort noch tiefer in die Tasche greifen müssen, wenn Sie noch schlimmere Folgen verhindern wollen.
    Wie soll man solche Art gefährlicher Volksverdummung noch beurteilen? — Der Streit um das Wahlverfahren und um den Wahl- und Beitrittstermin trägt also nicht zur Lösung dieser Probleme bei, sondern, im Gegenteil, er lenkt nur davon ab. Zur Lösung beitragen würde, wenn Sie Ihre Fehler eingestehen und daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen würden.
    Was Sie in der Frage des Wahlrechts aufführen, das ist allerdings — das muß deutlich gesagt werden — an Schamlosigkeit kaum noch zu überbieten. Es tobt ein
    17368 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990
    Häfner
    Kampf aller gegen alle. Dabei geht es längst nicht mehr um das Wahlrecht, sondern um den Wahlsieg mit den Mitteln des Wahlrechts. Sie glauben, sich das Wahlrecht so hinbasteln zu können, wie Sie es wollen, und erhoffen so für sich selbst die größten Chancen.
    Nach dem Grundgesetz stellen die politischen Wahlen, wenn wir einmal von dem Grundsatz der Volksabstimmung, der noch immer nicht gesetzlich umgesetzt worden ist, absehen, das einzige Verfahren dar, in dem das Volk, repräsentiert durch die Wähler, als der ausschließliche Träger der Staatsgewalt seinen politischen Willen verbindlich äußern kann.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Eben!)

    Hier also konkretisiert sich das Demokratieprinzip des Grundgesetzes: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. " Wahlen entsprechen nur dann dem demokratischen Prinzp des Art. 20 Abs. 2, wenn alle Bürger und Bürgerinnen die gleiche Chance der Beeinflussung des demokratischen Meinungsbildungs- und Machtbildungsprozesses und alle politischen Kräfte die gleiche Chance des demokratischen Machterwerbs besitzen.
    Das heißt, daß das Wahlrecht ein äußerst sensibler Gegenstand ist, der nicht nach machtegoistischen Gesichtspunkten gehandhabt und — das ist an dieser Stelle besonders problematisch — nach unserer festen Überzeugung nicht von einer Mehrheit des Bundestages oder von einer Allianz übereinstimmender Parteiinteressen zwischen den großen Parteien — den Altparteien — benutzt werden kann, um andere in ihren Wahlchancen zu behindern. Aber genau das haben Sie gemacht.
    Das wird ein Grund für das Bundesverfassungsgericht sein, das hier vorgelegte Gesetz außerordentlich genau zu prüfen. Das Wahlrecht ist nämlich nicht irgendein Verschiebebahnhof, auf dem derjenige, der gerade das Sagen hat, die Weichen beliebig stellen und andere Züge als den seinen aufs Abstellgleis schieben kann, sondern das Wahlrecht ist das oberste demokratische Recht überhaupt, das der Bevölkerung eine Beteiligung an der politischen Willensbildung einräumt. Es darf daher keinesfalls parteiegoistischen oder machtopportunistischen Gesichtspunkten geopfert werden.
    In diesem Kampf um das Wahlrecht zeigt sich immer deutlicher, daß sowohl Helmut Kohl als auch Oskar Lafontaine offensichtlich nicht mehr auf die Kraft ihrer Argumente setzen. Ich sage Ihnen: Streiten sollten wir in den Wahlkämpfen, streiten sollten wir mit Argumenten, streiten sollten wir über Inhalte. Ich freue mich auf diesen Streit; denn wir haben ihn am allerwenigsten zu fürchten, gerade nach dem, was in den letzten Monaten die beiden genannten Seiten, die Koalition und die SPD, geliefert haben; wir freuen uns auf diesen Streit.
    Aber wir meinen, man sollte in Wahlkämpfen streiten. Über das Wahlverfahren, also über die Art und Weise, wie gewählt wird, sollte es jedoch möglichst keinen Streit geben; dieses sollte nach Möglichkeit im Konsens geregelt werden. Der oberste, heiligste Grundsatz für den Inhalt des Wahlgesetzes ist der Grundsatz der Gleichheit der Wahl, wie es übrigens auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 38 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes sagt.
    Diese Gleichheit der Wahl verlangt, daß jede in der Wahl abgegebene Stimme gleich viel zählt und das gleiche Gewicht bei der Umrechnung der Mandate hat. Das heißt, daß es den gleichen Zählwert und den gleichen Erfolgswert der Stimmen gibt. Gegen dieses Prinzip wird durch den vorliegenden Gesetzentwurf eklatant verstoßen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die sogenannte einheitliche Anwendung der Fünfprozentklausel im gesamten Wahlgebiet ist schon deshalb ein Verstoß gegen das Prinzip der Chancen-und der Stimmengleichheit, weil diese Fünfprozentklausel für Parteien auf dem Gebiet der DDR real eine Sperrklausel von 23,75 To bedeutet, wie Sie alle wissen.
    Wir haben eben am 2. Dezember — ich gehe davon aus, daß es bei diesem Termin bleibt — nicht die 12. Bundestagswahl, sondern wir haben die erste gesamtdeutsche Wahl. Und das ist eine Wahl, die besonderen Bedingungen entsprechen muß. Unter anderem muß sie dem Umstand Rechnung tragen, daß wir 40 Jahre getrennte Geschichte in den beiden deutschen Staaten haben.