Rede von
Wolfgang
Lüder
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich muß auf Ihre Frage eine dreifache Antwort geben.
— Es kann auch eine dreifache Antwort geben. Wenn Sie glauben, nur in „ja, ja oder nein, nein" denken zu können, verschwinden die klaren Konturen, die wir brauchen.
Dreierlei. Erstens. Es kann niemand verschweigen, daß es in der DDR bei den damaligen Blockparteien auch unrechtmäßig und rechtlich nicht mehr nachprüfbar erworbenes Vermögen gegeben hat. Dies kann nicht Vermögen der FDP werden. Zweitens. Es kann ebensowenig verschwiegen werden, daß es bei den Parteien drüben — sowohl der NDPD als auch der LDPD — im Laufe der Jahre auch rechtmäßig erworbenes Vermögen gegeben hat und daß es — drittens — auch Vermögen gab, das legal übergegangen ist.
Glauben Sie doch nicht, mit pauschalen Verdächtigungen Wahrheiten auflisten zu können!
Ich komme zurück zum Wahlthema. Ich sagte, wir wollten zwei Grundsätze durchsetzen, die für uns unverzichtbar sind: Erstens. Unser Wahlgesetz hat sich bewährt, und das System unseres Wahlgesetzes hat wesentlich dazu beigetragen, daß sich die Bundesrepublik Deutschland in den letzten 40 Jahren zu einem politisch stabilen, freiheitlichen Rechtsstaat entwikkelt hat. Wir wollen diese Bedeutung unseres Wahlgesetzes nicht missen. Wir haben uns zu einem Staat entwickelt, dem die DDR beitreten will, und wir sind stolz auf das, was wir erreicht haben.
Die FDP hat sich im Laufe der 40 Jahre unserer Geschichte stets jedem Versuch der Wahlrechtsmanipulation widersetzt, von wem auch immer diese Versuche kamen. Deswegen ist es für uns so wichtig, daß in dem Vertrag jetzt die Fünf-Prozent-Hürde bundesweit, bezogen auf das gesamte Wahlgebiet der erweiterten Bundesrepublik Deutschland, festgeschrieben wird. Jedes Schielen nach Länderklauseln hätte Manipulationsverdacht geschürt, jede Absenkung der Hürde demokratische Unsicherheit signalisiert.
Der zweite Grundsatz, der in dem Vertrag verankert werden mußte, ist der, daß die Wahlen schon am 2. Dezember dieses Jahres möglich werden, und wenn es die Parlamente in beiden deutschen Staaten mit den entsprechenden Mehrheiten so wollen, auch vorher.
Herr Kollege Penner, mit den Freien Demokraten wird niemand eine verfassungswidrige Wahlvorziehung machen. Aber so sehr Art. 39 des Grundgesetzes von uns akzeptiert wird und uneingeschränkt gilt, so sehr gilt auch Art. 79 des Grundgesetzes uneingeschränkt. Wenn wir uns darauf verständigen würden, hier eine Verfassungsänderung vorzunehmen, so wäre dies wohl ein verfassungsmäßig korrekter und zulässiger Weg.
Auf andere, abseitige Experimente würden wir uns nicht einlassen.
Vielleicht sollten wir auch noch eines sehen: So sehr die beiden Staaten und die beiden Parlamente gleichberechtigt sind, so sehr sollten wir doch politisch eigentlich dafür offen sein, daß das erste und bedeutendere Wort zum Wahltermin die Kollegen aus der Volkskammer haben sollten, denn die haben freie Wahlen zu lange vermißt.
Meine Damen und Herren, das Vertragswerk enthält Übergangsregelungen, die wir für die Übergangszeit in die staatliche Einheit akzeptieren, aber dauerhaft noch nicht festgeschrieben wissen wollen. Die vorgesehene Regelung für die Listenverbindungen ist nur verständlich und akzeptabel — Herr Kollege Schäuble hat das ausgeführt —, weil wir aus der Zeit der friedlichen Revolution in der DDR politische Entwicklungen haben, denen wir Rechnung tragen wollen. Aber dies kann nicht dauerhafter Grundsatz unseres deutschen Wahlrechts werden.
Wir werden im gesamtdeutschen Parlament auch zu prüfen haben, ob es bei der vorgesehenen Erweiterung der Zahl der Wahlkreise für immerhin 656 Abgeordnete bleiben soll oder ob wir nicht durch eine Neugliederung der Wahlkreise insgesamt in einem dann kleineren Parlament mehr Effektivität ermöglichen können.
Das aber ist Sorge für spätere Tage.
Heute möchte ich die Aufmerksamkeit noch auf zwei kritische Punkte lenken, die der Klärung in den Ausschußberatungen bedürfen.
Erstens. Ganz Berlin wird als Land behandelt, auch schon in der Vorbereitung der Wahl. Das ist gut, das ist deutschlandpolitisch vernünftig, und das ist richtig. Aber diese vollständige Einbindung in die Ländergleichheit wird verletzt, wenn es zu einer Ungleichbehandlung bei den Listenverbindungen ausgerechnet für das Land Berlin kommt. Die Begründung, die dem Gesetzentwurf beigegeben ist, ist für uns insoweit nicht überzeugend. Wir meinen, daß diese Regelung, wenn möglich, gestrichen werden sollte.
Wir wissen aber, daß wir es hier mit einem Vertragssystem zu tun haben und daß wir nicht einfach frei und völlig souverän einseitig korrigieren können. Deswegen halten wir es für notwendig — wenn dies nicht mehr verändert werden kann, was wir noch prüfen wollen —, daß dann zumindest klargelegt werden muß, daß dieser verfassungsrechtliche Schönheitsfehler nur aus einer Übergangssituation heraus einmalig tolerabel ist.
Der zweite kritische Punkt: Der Gesetzentwurf schweigt zur Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit der Regierung. Wir Freien Demokraten erwarten, daß wenigstens durch die Bundesregierung klargestellt wird, daß die Grundsätze über die Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit der Regierung in Wahlzeiten, wie sie vom Bundesverfassungsgericht festgesetzt sind, auch außerhalb des jetzigen engen Bundesge-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990 17367
Lüder
biets für die gesamten deutschen Wahlen im gesamten Wahlgebiet gelten werden.
Ich weiß, daß die Bundesregierung nicht für die Regierung der DDR sprechen kann. Aber eine politische Erklärung im Ausschuß wäre hilfreich, nämlich klarzustellen, daß diese Grundsätze nicht nur im engeren Bundesgebiet, sondern im gesamten Wahlgebiet Anwendung finden sollen.
Meine Damen und Herren, mit den Wahlen zum gesamtdeutschen Parlament werden die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, daß in dem dann vereinigten Deutschland die Grundlagen dauerhafter parlamentarischer Arbeit gelegt werden. Wir hoffen, daß wir zu Wahlen kommen, aus denen ein Parlament hervorgeht, in dem wir fair, offen und redlich miteinander für Deutschland arbeiten können.