Rede von
Dr.
Antje
Vollmer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Wort zu heute morgen vorweg: Lieber Herr Bernrath, ich kann mir vorstellen, daß es Sie sehr geärgert hat, heute morgen so früh aufzustehen. Aber daß Sie nun ausgerechnet der Fraktion der GRÜNEN vorgeworfen haben, wir kämen schlecht vorbereitet in die Ausschußsitzungen, war, wie Sie wissen, derbe gemogelt; da müssen Sie die beiden Oppositionsfraktionen verwechselt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir waren von Anfang an aus grundsätzlichen Erwägungen gegen Ihren Gesetzentwurf. Wir finden uns dabei in ungewöhnlicher Gesellschaft: Die FDP-Vorstandsmitglieder Irmgard Adam-Schwaetzer, Hildegard HammBrücher, Guido Westerwelle, Ingo von Münch und Robert Vogel stimmten ebenso gegen diese Vorlage wie offensichtlich eine ganze illustre Reihe von Sozialdemokraten, unter ihnen Ihr früherer Schatzmeister Wischnewski.
Wir finden auch, daß die FDP keine glückliche Hand bewiesen hat, als ausgerechnet Graf Lambsdorff aus Geldgründen am Nikolaustag eine Sondersitzung des FDP-Vorstands einberufen hat.
Das ist nicht ohne Pikanterie. In dem Sack steckt außer viel Geld auch ein Knüppel, der auf dem Rücken der Parteien tanzen könnte. Vielleicht hätte es sich Herr Lambsdorff noch einmal überlegen sollen, bevor er nach der Schlappe im Muskelspiel um die Fusion von Daimler-Benz und MBB nun zum zweitenmal sich als sehr willfähriger Koalitionspartner erwiesen hat.
Man fragt sich, ob Irmgard Adam-Schwaetzer in dieser Frage nicht doch eine höhere Standfestigkeit besessen hätte, wie das offensichtlich die Frauen in diesem Parlament immer mehr beweisen.
Als wesentlicher Fortschritt in der Überarbeitung der ursprünglichen Gesetzentwürfe wird die Einrichtung der Kommission beim Bundespräsidenten genannt.
Das ist wenig glaubwürdig. Wir hatten bereits eine Probe aufs Exempel: Die Sachverständigen in der Anhörung des Ausschusses waren genau identisch mit den Mitgliedern der Kommission beim Bundespräsidenten aus dem Jahre 1982/83.
Sie haben erhebliche und grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen den jetzigen Gesetzentwurf vorgetragen. Dem ist der Ausschuß zwar in einigen Punkten gefolgt, aber in den grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken gerade nicht. Wir werden, wenn wir einen neuen Bundesvorstand haben,
alle rechtlichen Möglichkeiten prüfen, dagegen vorzugehen.
Da ist zum ersten die Einführung des Sockelbetrags. Er bleibt verfassungsrechtlich bedenklich, da er eine Dauerfinanzierung der Parteien mit staatlichen Geldern auch unabhängig vom Wahlkampf beinhaltet.
Dies wird dadurch verstärkt, daß er an ein Quorum von 2 % der Stimmen gebunden ist, das aus demokratietheoretischen Gründen nicht geduldet werden kann, bevorzugt es doch die etablierten Parteien und macht es doch neue Parteigründungen bewußt unmöglich.
Die an sich begrüßenswerte Streichung des Sockelbetrags für die Europawahlen birgt ein neues Problem: Kleinere oder neu gegründete Parteien könnten in den Europawahlen leichter das Quorum von 2 % erreichen als in den Bundestagswahlen. Aus Gründen der Chancengleichheit könnten sie sich genötigt sehen, dagegen zu klagen. Ich sehe nicht, wie Sie damit in Karlsruhe durchkommen wollen.
Erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen auch gegen die Bestimmung, daß nur Spenden über 40 000 DM veröffentlicht werden müssen. Durchweg waren fast alle Sachverständigen in der Anhörung der Meinung, daß das Verfassungsgericht darin einen erheblichen Verstoß gegen seine Ent-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 8601
Frau Dr. Vollmer
scheidung, die Durchsichtigkeit der Großspenden zu gewährleisten, sehen dürfte.