Rede von
Rudolf
Bindig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! So wichtig und richtig es ist, daß wir zum 40. Jahrestag der Verkündung der Allgemeinen Menschenrechtserklärung diese Debatte führen, so notwendig ist es, nicht nur mit dem Finger in der gesamten Welt herumzuzeigen, vielmehr gilt es vor allem auch, den Blick darauf zu werfen, ob wir denn, die Bundesrepublik Deutschland, überall da, wo es uns möglich ist und möglich war, unseren Beitrag zum Schutz der Menschenrechte erbringen und erbracht haben.
Was die Weiterentwicklung des internationalen Instrumentariums zum Schutz der Menschenrechte und ihrer Rechtsgarantien angeht, gibt es nun leider — durch die Säumigkeit der Bundesregierung veranlaßt — einige Defizite, die unserem Ansehen in diesen Fragen vor der Völkerfamilie abträglich sind.
Mehrere sehr wichtige Menschenrechtsverträge und -abkommen, die bereits seit einigen Jahren erarbeitet worden sind, sind noch immer nicht ratifiziert oder sogar noch nicht gezeichnet.
Auf der Herbsttagung der Interparlamentarischen Union in Sofia hat dieses Weltparlament alle Staaten aufgefordert, die erarbeiteten Konventionen zum Schutz der Menschenrechte zu ratifizieren, und hat, um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, die Zusammenstellung einer Liste gefordert, auf der die
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Staaten aufgeführt sind, welche wichtigen Abkommen noch nicht beigetreten sind.
Obwohl die SPD-Bundestagsfraktion seit Jahren immer wieder gemahnt und gedrängt hat, die erforderlichen Ratifikationsgesetze vorzulegen, findet sich die Bundesrepublik auf dieser Liste der säumigen Staaten wieder. Wahrlich kein Ruhmesblatt zum 40jährigen Gedenktag der Menschenrechtserklärung.
Am weitesten zurück ist die Bundesrepublik in der Frage des Beitritts zum Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, welches auch Einzelpersonen einen Beschwerdeweg in Menschenrechtsfragen eröffnen soll.
Selbst wenn es richtig ist, daß die Europäische Menschenrechtskonvention einen ähnlichen Beschwerdeweg enthält, sind die Motive, welche die Bundesregierung veranlassen, dieses weltweit wirkende Instrument zu ignorieren, nicht nachvollziehbar.
Hinderlich wirkt diese Haltung deshalb, weil sich die Bundesregierung andererseits selbst um die Entwicklung eines weiteren — zweiten — Fakultativprotokolls zum Zivilpakt bemüht, welches die weltweite Zurückdrängung der Todesstrafe zum Inhalt haben soll. So löblich diese Initiative ist, so hinderlich ist der Umstand, daß dadurch Staaten, welche die Todesstrafe beibehalten wollen, das Argument an die Hand gegeben wird: Ratifiziert doch selbst erst einmal das erste Zusatzprotokoll!, ganz abgesehen von der Peinlichkeit, daß einer der wenigen deutschen Politiker, die sich öffentlich für die Todesstrafe ausgesprochen haben, weiterhin Vertreter der deutschen Delegation im Menschenrechtsausschuß der UN ist.
Im Hinblick auf Genf ist weiter zu kritisieren, daß die Bundesregierung nach wie vor den beiden Zusatzprotokollen zu dem Genfer Rote-Kreuz-Abkommen zum Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte nicht beizutreten gedenkt.
Unerledigt ist auf der Ebene des UN-Systems auch die Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Seit Jahren wird die Ratifizierung dieser UN-
Antifolterkonvention hingezogen. Immer wieder werden auf unser dringendes Mahnen hin neue Ratifikationsabsichten und -termine angekündigt.
Wir sind diese Nachlässigkeit nun leid und haben deshalb von der SPD-Fraktion aus ein eigenes Ratifikationsgesetz eingebracht, welches wir hier heute in erster Lesung behandeln. Erst im Frühjahr dieses Jahres hatte die Bundesregierung bei der Beantwortung unserer Großen Anfrage zur Bekämpfung und Ächtung der Folter angegeben, daß der federführende Minister der Justiz die Herbeiführung eines Kabinettsbeschlusses zur Einbringung des Vertragsgesetzes zur UN-Antifolterkonvention für 1988 anstrebe. Nun ist der bedeutsame Jubiläumstag da, aber Ihr Gesetzentwurf fehlt weiterhin.
Ergänzend zu unserem Gesetzentwurf möchten wir noch klarstellen, daß wir selbstverständlich von der Bundesregierung erwarten, daß sie von der Möglichkeit der Art. 22 und 23 der Konvention Gebrauch macht, zu erklären, daß sie bereit ist, Untersuchungen anzuerkennen, wenn von anderen Staaten oder Einzelpersonen geltend gemacht wird, die Verpflichtungen aus der Antifolterkonvention würden nicht eingehalten.
Wir wollen weder in diesem Punkte noch in der Frage der Abschiebung in einen Folterstaat irgendwelche zweifelhaften Vorbehalte. Gerade die Kontroll- und Überprüfungsmöglichkeiten in Folterfällen sind von besonderer Bedeutung. Da die UN-Antifolterkonvention hier nur sehr schwache Regelungen vorsieht, ist die europäische Antifolterkonvention so wichtig, weil sie vorsieht, daß in Verdachtfällen Nachprüfungen stattfinden können. Diese Konvention befindet sich nun endlich auf dem Gesetzgebungsweg.
Bei unserer Forderung nach dem Beitritt zu wichtigen Menschenrechtspakten übersehen wir natürlich keineswegs, daß der eigentliche Testfall für jeden Staat nicht der formale Beitritt zu den Antifolterkonventionen darstellt. Testfall ist vielmehr die alltägliche Praxis.
Bei der Türkei wird deutlich, wie sehr Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen können. Die Türkei ist zur Aufpolierung ihres ramponierten Ansehens im Menschenrechtsbereich sowohl der Antifolterkonvention der Vereinten Nationen als auch der europäischen Antifolterkonvention frühzeitig beigetreten, und dennoch wird in der Türkei in furchtbarer Weise gefoltert.
Die Tatsache des Beitritts der Türkei zu diesen Abkommen bietet uns allerdings eine besonders berechtigte Möglichkeit und Verpflichtung, die Türkei wegen ihrer Folterpraxis anzuklagen. Zur moralischen Verwerflichkeit der Folterpraxis kommt jetzt noch der Vorwurf des Bruchs einer völkerrechtlichen Verbindlichkeit hinzu.
Zur Verurteilung der Folter in der Türkei, zur Verfolgung der Kurden und zu weiteren Menschenrechtsverletzungen haben wir einen Entschließungsantrag im Bundestag eingebracht, zu dessen Unterstützung wir Sie auffordern.
Der Entschließungsantrag der GRÜNEN zum 40. Jahrestag übernimmt in weiten Passagen wortgleich die Forderungen von amnesty international. Die meisten der Forderungen werden auch von uns unterstützt. Die GRÜNEN haben in der Eile der Zusammenstellung dieses Antrags aber wohl übersehen, daß amnesty international rund 10 % der Forderungen an diesen Bundestag richtet. Wir können doch hier nicht einen Text beschließen, in dem der Bundestag den Bundestag auffordert, etwas zu tun. Wegen dieser handwerklichen und weiterer Mängel werden wir diesen Antrag leider ablehnen müssen.
Es liegt dann weiter von den GRÜNEN ein Antrag zu Südafrika vor. Auch hier unterstützen wir den Inhalt sehr. Dennoch enthält er eine solche Ungenauigkeit — hier ist nämlich davon die Rede, daß eine Kornmission eingesetzt werden soll, ohne daß gesagt wird, was für eine Kommission es sein soll — , daß wir mei-
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nen, dieser Antrag sollte besser in den Ausschüssen beraten werden; sonst ist er in dieser Form wohl nicht abstimmungsreif.
Die Informationen, die wir dieser Tage aus dem Iran erhalten, sind in erschreckender Weise gegensätzlich. Der Außenminister war zwei Tage lang mit Dutzenden von Wirtschaftsleuten im Iran, welche dort vielfältige Gespräche über eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit geführt haben, und es wurde ein neues Kulturabkommen geschlossen. Die Zeitungen berichteten groß: „Bonn hilft Teheran beim Wiederaufbau", „Im Iran winken große Bauaufträge". Zudem wird an neue, verlängerte Hermes-Bürgschaften gedacht. Andererseits wird bekannt, daß das Regime im Iran seine Gegner in erschreckender Weise mit politisch motiviertem Exekutionsterror verfolgt. Genscher hat in Teheran wiederholt nachhaltig die Menschenrechtslage angesprochen. Dies ist zu begrüßen. Es darf aber doch nicht zu einer Arbeitsteilung, wenn auch nicht gewollt, derart kommen: Der Außenminister spricht hartnäckig die Menschenrechte an, die Wirtschaft macht still im Hintergrund ihre Geschäfte.
Der Mammon darf nicht über die Moral siegen. Es muß unmißverständlich klar werden, daß eine Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran und die Menschenrechtslage inhaltlich zusammenhängen.
Ganz unerträglich ist es zudem, wenn zu hören ist, daß das Bundesland Rheinland-Pfalz dazu übergeht, abgelehnte Asylbewerber in den Iran abzuschieben. Glaubwürdigkeit beim Eintreten für die Menschenrechte beginnt hier in der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb müssen solche Fälle hier in der Bundesrepublik Deutschland anders behandelt werden.
Auch dies gehört in eine Debatte zum 40. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.