Rede von
Friedrich
Vogel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit eineinhalb Jahren hat der Deutsche Bundestag einen Unterausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe als Unterausschuß des Auswärtigen Ausschusses. Als Vorsitzender dieses Gremiums stelle ich fest, daß die Schaffung
eines eigenen Gremiums des Parlaments für Menschenrechte ein richtiger Schritt gewesen ist. Wir haben zwischen den Mitgliedern aller Fraktionen ein nach meiner Beurteilung gutes Arbeitsklima herstellen können, und zwar unbeschadet unterschiedlicher Bewertungen einzelner Vorgänge. Ich bedanke mich herzlich bei allen Mitgliedern für diesen guten Geist der Zusammenarbeit.
Die von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP vorgelegte gemeinsame Entschließung für die heutige Beratung ist Ausdruck eines hohen Maßes an Übereinstimmung. Es gibt einen Schönheitsfehler, nämlich den, daß die Fraktion DIE GRÜNEN sich nicht hat bereit finden können, sich diesem Entschließungsantrag anzuschließen. Vielleicht können Sie ihm heute wenigstens zustimmen.
Lassen Sie mich einige Bemerkungen zur Art und Weise unseres Menschenrechtsengagements im Deutschen Bundestag machen. Wir haben den Unterausschuß für Menschenrechte nicht als Tribunal über andere Völker eingesetzt. Vielmehr müssen wir ihn seriös und behutsam als ein zusätzliches wichtiges Instrument für die mühselige Arbeit zur Durchsetzung des universellen Geltungsanspruchs der Menschenrechte sehen und handhaben.
Wir Deutschen tun gut daran, uns daran zu erinnern, daß wir nicht die Vorreiter des Menschenrechtsschutzes gewesen sind. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 war die Antwort der Völkergemeinschaft auf eine schreckliche Phase der Mißachtung der Würde des Menschen, für die wir Deutsche eine Hauptverantwortung tragen. Wir sollten deshalb die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 und die beiden vor unserem Beitritt entstandenen grundlegenden Menschenrechtspakte von 1966 als ein Geschenk der Völkergemeinschaft auch an uns begreifen, das die Chance und die Aufforderung enthält, unseren Beitrag zur Verbesserung des Menschenrechtsschutzes zu leisten.
Wir können und dürfen uns nicht als die berufenen Lehrmeister anderer Völker in Sachen Menschenrechte und erst recht nicht als die Oberzensoren aufspielen. Es steht uns gut an, bei aller Bereitschaft, einen hilfreichen Beitrag zu leisten, bescheiden aufzutreten.
Ich bin dankbar, daß dies auch der Herr Kollege Brandt in der gleichen Weise zum Ausdruck gebracht hat. Was berechtigt uns eigentlich, uns den anderen Völkern sozusagen als das Mustermodell darzustellen?
Ein kluger Ausländer, der viele Jahre als Botschafter seines Landes in der Bundesrepublik Deutschland gewesen ist, hat in einem jüngst erschienenen Büchlein zwei Sätze formuliert, die ich Ihnen gerne zitieren möchte:
Der Hang zum Extremen könnte die Deutschen vielleicht zu der Vermutung verleiten, der Anspruch auf ein allseits gültiges ,Modell Deutschland' sei legitim. Soll das alte Wort
8588 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988
Vogel
— so fragt er —
vom deutschen Wesen, an dem die Welt genesen soll, neue Wirkung erfahren?
Nein, wir haben nicht das „Modell Deutschland" in Sachen Menschenrechte zu vertreiben, sondern unseren Beitrag zur Durchsetzung dessen zu leisten, worauf die Völkergemeinschaft sich erfreulicherweise verständigt hat. Das gilt in Europa in besonderer Weise für die Umsetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention, der alle Mitgliedsländer des Europarates beigetreten sind.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einiges zur Türkei sagen. Das Thema wurde heute schon einige Male aufgegriffen, und wir haben einen Antrag der SPD-Fraktion zur Lage der Menschenrechte in der Türkei vorliegen. Ich stimme nachdrücklich der Auffassung zu, daß ein Land, das der westlichen Verteidigungsgemeinschaft angehört, die sich als Wertegemeinschaft begreift, und das Mitglied der Europäischen Gemeinschaft werden will, sich die Anlegung strengerer Maßstäbe gefallen lassen muß als viele andere Länder. Das berechtigt uns aber noch längst nicht zu einer Haltung der Selbstgerechtigkeit gegenüber der Türkei, und es entbindet uns auch nicht von der Verpflichtung, der Türkei Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Wir dürfen nicht vergessen, woher die Türkei kommt. Wir dürfen nicht unterschlagen, welchen Weg die Türkei in den letzten Jahren bei der inneren Demokratisierung und der Durchsetzung der Menschenrechte schon zurückgelegt hat. Die Verhältnisse haben sich doch nicht verschlechtert. Sie haben sich eindeutig verbessert.
Wenn die Türkei als erstes Mitgliedsland des Europarates das Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter ratifiziert und inzwischen die Individualbeschwerde zugelassen hat, dann bezeugt das den Willen und die Bereitschaft, den europäischen Standard auch für die Türkei maßgeblich zu machen.
Allerdings — das füge ich hinzu — muß sich die Türkei dann auch gefallen lassen, daß wir uns gerade bei ihr mit Menschenrechtsverletzungen, so sie vorkommen, befassen.
Wenn Folterungen vorkommen, gehören sie an den Pranger. Wenn Menschen zu lange in Haft gehalten werden, bevor das Gerichtsverfahren stattfindet, muß das kritisiert werden. Wenn die Rechte von Minderheiten mißachtet werden, muß die Türkei sich darauf ansprechen lassen. Wir werden ja Gelegenheit haben, uns mit alledem eingehender zu befassen. Aber wir müssen es seriös tun.
Wir müssen vor allem auch nach der Wahrheit dessen forschen, was von dort berichtet wird. Auf keinen Fall dürfen wir uns von solchen Kräften mißbrauchen lassen, die die Menschenrechte als Agitationswaffe zur Durchsetzung ihrer manchmal alles andere als demokratischen politischen Ziele benutzen.
Meine Damen und Herren, für die Fraktion der CDU/CSU danke ich dem Bundeskanzler für die Regierungserklärung, die er heute aus Anlaß der 40. Wiederkehr der Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte am 10. Dezember 1948 abgegeben hat. Der Bundeskanzler hat deutlich gemacht, daß der Schutz der Menschenrechte selbstverständlicher Bestandteil der Politik der Bundesrepublik Deutschland ist, daß er selbstverständlicher Bestandteil der Politik aller bisherigen Bundesregierungen gewesen ist, der bisherigen Bundesregierung ist und gewiß auch künftiger Bundesregierungen bleiben wird.
Meine Damen und Herren, ich möchte auch dem Kollegen Brandt für die Rede, die er hier heute gehalten hat, danken, weil ich der Auffassung bin, daß sie einen Geist zum Ausdruck bringt, von dem ich hoffe, daß er der Geist in Sachen Menschenrechte bei allen hier im Hause ist.
Dann werden wir der Versuchung widerstehen, die Menschenrechte für den innenpolitischen Schlagabtausch zu nutzen.
Mit der Entschließung, um deren Annahme ich Sie bitte, bekundet der Deutsche Bundestag ebenfalls sein leidenschaftliches, aber an den Zielen orientiertes Engagement für die Menschenrechte.
Ich danke Ihnen.