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ID1111704800

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    Plenarprotokoll 11/117 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 117. Sitzung Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 Inhalt: Anteilnahme am Schicksal der Opfer des Absturzes eines amerikanischen Kampfflugzeuges auf ein Wohngebiet in Remscheid 8553 A Erweiterung der Tagesordnung 8553 B Zur Geschäftsordnung Kleinert (Marburg) GRÜNE 8553 C Seiters CDU/CSU 8554 C Bernrath SPD 8555 B Wolfgramm (Göttingen) FDP 8555 C Zusatztagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Straßmeir, Fischer (Hamburg), Börnsen (Bönstrup), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Richter, Gries, Kohn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Seeschiffahrtsregisters für deutsche Handelsschiffe im internationalen Verkehr (Drucksachen 11/2161, 11/3679) Fischer (Hamburg) CDU/CSU 8556 B Frau Faße SPD 8559 A Richter FDP 8560 C Frau Rock GRÜNE 8561 D Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär BMV 8563 B Straßmeir CDU/CSU 8563 D Ewen SPD 8564 B Funke FDP 8566 A Tagesordnungspunkt 26: Eidesleistung der Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit und des Bundesministers für Wirtschaft Frau Dr. Lehr, Bundesminister BMJFFG 8566 D Dr. Haussmann, Bundesminister BMWi 8567 A Tagesordnungspunkt 27: a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bernrath, Bindig, Duve, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Lage der Menschenrechte in der Türkei (Drucksache 11/2600) c) Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zur Hinrichtung von politischen Häftlingen in Indonesien (Drucksachen 10/6275, 11/3575) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Menschenrechte in Kolumbien (Drucksache 11/2404) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von den Abgeordneten Bindig, Dr. Schmude, Frau Bulmahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 (VN-GV- Res. 39/146) (Drucksache 11/3668) Dr. Kohl, Bundeskanzler 8568 A Brandt SPD 8573 B Frau Geiger CDU/CSU 8576 C Frau Olms GRÜNE 8578 D Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 8581 D Schäfer, Staatsminister AA 8584 A Dr. Schmude SPD 8585 C Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 8587 B Bindig SPD 8588 D Frau Eid GRÜNE 8590 C Zusatztagesordnungspunkt 10: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 11/2421, 11/3672, 11/3672 [neu], 11/3697) b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN: Änderung des Parteiengesetzes (Drucksachen 11/3097, 11/3672, 11/3697) Bernrath SPD 8591 C, 8594 D Spilker CDU/CSU 8592 B Lüder FDP 8596 D Frau Dr. Vollmer GRÜNE 8600 A Gerster (Mainz) CDU/CSU 8602 C Conradi SPD 8605 C Häfner GRÜNE 8609 B Wüppesahl fraktionslos 8611D Stiegler SPD 8613 A Namentliche Abstimmung 8614 A Ergebnis 8614 B Nächste Sitzung 8616A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 8617* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Struck und Catenhusen (beide SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 11/2421, 11/3672, 11/3673) 8617* C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frau Dr. Adam-Schwaetzer und Frau Dr. Hamm-Brücher (beide FDP) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 11/2421, 11/3672, 11/3673) 8617* D Anlage 4 Amtliche Mitteilungen 8618* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 8553 117. Sitzung Bonn, den 9. Dezember 1988 Beginn: 8.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 9. 12. Antretter* 9. 12. Bangemann 9. 12. Frau Beck-Oberdorf 9. 12. Becker (Nienberge) 9. 12. Frau Berger (Berlin) 9. 12. Dr. Biedenkopf 9. 12. Dr. Blens 9. 12. Böhm 9. 12. Börnsen (Bönstrup) 9. 12. Dr. Briefs 9. 12. Bühler (Bruchsal) 9. 12. Frau Conrad 9. 12. Daweke 9. 12. Deres 9. 12. Duve 9. 12. Engelsberger 9. 12. Frau Fischer 9. 12. Gansel 9. 12. Gattermann 9. 12. Gautier 9. 12. Genscher 9. 12. Dr. Glotz 9. 12. Dr. Götz 9. 12. Dr. Grünewald 9. 12. Dr. Hauff 9. 12. Frau Hämmerle 9. 12. Heinrich 9. 12. Dr. Hennig 9. 12. Hiller (Lübeck) 9. 12. Frau Hoffmann (Soltau) 9. 12. Hoss 9. 12. Irmer 9. 12. Jens 9. 12. Jung 9. 12. Kalb 9. 12. Dr. Köhler 9. 12. Kossendey 9. 12. Kreuzeder 9. 12. Dr. Kronenberg 9. 12. Frau Luuk* 9. 12. Dr. Mertens (Bottrop) 9. 12. Möllemann 9. 12. Frau Pack 9. 12. Paintner 9. 12. Petersen 9. 12. Pfuhl 9. 12. Rappe (Hildesheim) 9. 12. Regenspurger 9. 12. Reuschenbach 9. 12. Frau Schilling 9. 12. Frau Schmidt-Bott 9. 12. von Schmude* 9. 12. Freiherr von Schorlemer 9. 12. Dr. Soell* 9. 12. Steiner* 9. 12. Frau Trenz 9. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Warnke 9. 12. Wetzel 9. 12. Wilz 9. 12. Wimmer 9. 12. Zierer* 9. 12. Dr. Zimmermann 9. 12. Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Struck und Catenhusen (beide SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 11/2421, 11/3672, 11/3673) Da nach meiner Überzeugung die Einführung eines Sockelbetrages und die Heraufsetzung der Publizitätspflicht für Spenden von DM 20 000 auf DM 40 000 auf verfassungsrechtliche Bedenken stößt, werde ich mich der Stimme enthalten. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frau Dr. Adam-Schwaetzer und Frau Dr. Hamm-Brücher (beide FDP) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 11/2421, 11/3672, 11/3673) Die Unterzeichner dieser Erklärung sehen sich (abgesehen von möglichen verfassungsrechtlichen Bedenken) aus folgenden Gründen nicht imstande, der Novelle des Parteienfinanzierungsgesetzes zuzustimmen: 1. Die Mehrkosten von jährlich 68 Millionen DM, die zur Parteienfinanzierung aus Steuermitteln zur Verfügung gestellt werden sollen und die eine Steigerung der Zuwendungen von 20 Prozent ausmachen, können im Hinblick auf notwendige Kosteneinsparungen bei anderen öffentlichen Aufgaben gegenüber dem Bürger nicht überzeugend vertreten werden. 2. Die Bürger erwarten zu Recht von den Parteien, daß Wahlkämpfe so sparsam wie möglich geführt werden. Dies ist immer wieder nachzuweisen und auch möglich. 3. Die Berufung einer unabhängigen Kommission zur Festlegung der Zuschüsse an die Parteien durch den Bundespräsidenten ist ein wichtiger Schritt, um den notwendigen Bedarf der Parteien für ihre Ausgaben transparenter zu machen. Deshalb sollte vor einer Erhöhung der Wahlkampfkostenerstattung auf jeden Fall erst das Votum dieser unabhängigen Kommission eingeholt und die Erhöhung der Zuschüsse bis dahin zurückgestellt werden. 8618* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 11/936 Drucksache 11/1301 Drucksache 11/1537 Drucksache 11/1676 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 10/4184 Nr. 3 Drucksache 11/138 Nr. 3.39, 3.40 Drucksache 11/973 Nr. 2.4 Drucksache 11/2465 Nr. 2.8, 2.10 Drucksache 11/2580 Nr. 22 Drucksache 11/2956 Nr. 2.4 Drucksache 11/3021 Nr. 2.5 Drucksache 11/3200 Nr. 2.4 — 2.9 Drucksache 11/3311 Nr. 2.3-2.5, 2.7, 2.9 Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Drucksache 11/2724 Nr. 24, 25 Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Drucksache 11/439 Nr. 2.12
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    Rede von Dr. Jürgen Schmude


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Staatsminister, sehe ich das richtig, daß Ihr Appell, den Sie an unsere israelischen Freunde gerichtet haben, voll übereinstimmt mit den Sorgen, die der Deutsche Bundestag in seiner Debatte im März hier ausgedrückt hat; Sorgen, die jetzt nach Ablauf eines ganzen Jahres noch dringlicher geworden sind?
    Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege Schmude, ich sehe das genauso wie Sie. Ich glaube, deshalb sollte man hier nicht eine Stellungnahme zu solchen schwerwiegenden Vorgängen mit einer anti-israeli-
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 8585
    Staatsminister Schäfer
    schen Einstellung verwechseln, wie das leider immer wieder versucht wird. Ich muß das hier einmal in aller Deutlichkeit sagen. Wir bemühen uns um die Herstellung der Menschenrechte überall. Die Bundesrepublik Deutschland hat auch bei der Verabschiedung der UN-Resolution mitgestimmt, die aus der Sorge der Weltgemeinschaft geboren ist, daß die Zustände so nicht andauern können. Ich glaube, dazu müssen wir auch hier in aller Deutlichkeit ein Wort sagen.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Richtig!)

    Wir lassen uns dafür hier nicht an den Pranger stellen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

    Die Menschenrechtslage im Iran gibt uns Anlaß zu großer Sorge. Auch hier gilt, daß wir uns besonders betroffen fühlen, weil wir gute Beziehungen zum Iran haben und viele Iraner bei uns leben. Bundesminister Genscher hat Menschenrechtsfragen zu einem zentralen Thema seiner Gespräche in Teheran gemacht. Ich muß mich hier gegen Unterstellungen verwahren, als sei das nur am Rande geschehen, wie das von einigen Kollegen behauptet wurde. Dabei ist er auf die Berichte über vermehrte Hinrichtungen eingegangen, hat sich gegen die Verhängung der Todesstrafe ausgesprochen und sich mit großem Nachdruck für diejenigen Haftfälle eingesetzt, die ihm namentlich bekannt waren.
    Ich darf in diesem Zusammenhang nochmals auf das hinweisen, was ich im Ausschuß bereits gesagt habe, daß der Bundesminister der iranischen Regierung dringend empfohlen hat, den Sonderberichterstatter der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen nach Iran einreisen zu lassen und mit ihm zusammenzuarbeiten. Es ist ihm in Aussicht gestellt worden.
    Das deutliche Eintreten des Bundesaußenministers für die Menschenrechte ist im übrigen in Teilen der iranischen Presse nach seinem Abflug mit erheblicher Kritik versehen worden.
    Wo sollen die Schwerpunkte der künftigen Menschenrechtspolitik der Bundesregierung liegen? Wie können wir auf die stärkere Beachtung der Menschenrechte in aller Welt hinwirken? Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, religiöse Intoleranz und totalitäre Selbstherrlichkeit müssen wir überwinden. Sie sind Ursache zahlreicher Menschenrechtsverletzungen, die besonders bei Bürgerkriegen und inneren Unruhen in letzter Zeit in vielen Teilen der Welt gefährlich eskalieren. Es ist ein Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt, aus dem die Menschheit herauskommen muß, wenn sie ihr Überleben langfristig sichern will. So verstanden ist Menschenrechtspolitik auch Sicherheitspolitik. Wer die Menschenrechte bei sich achtet, wird die Rechte anderer Staaten respektieren. Wer zu Hause Unterdrückung zur Maxime politischen Handelns erhebt, wird auch in der internationalen Gemeinschaft zum Störenfried werden.
    Deutsche waren in diesem Jahrhundert mitverantwortlich für eine schreckliche Mißachtung der Menschenrechte in ihrem Land und in fast ganz Europa. Viele Deutsche haben damals geschwiegen. Schweigen dürfen und wollen wir heute nicht mehr, wenn Menschenrechte verletzt werden, einerlei, wo dies geschieht und durch wen dies geschieht.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Schmude.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Jürgen Schmude


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt leider zahllose Gründe, schwere und schwerste Menschenrechtsverletzungen zu beklagen und über ihre Häufigkeit erschreckt zu sein. Darauf ist auch in dieser Debatte mehrfach und mit Recht hingewiesen worden. Aber, meine Damen und Herren, Hinweise und Appelle sind nur so viel wert, wie auch unsere eigenen Taten solchen Appellen entsprechen.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Sehr gut!)

    Von ganz besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, wie wir unsere Antwort auf Menschenrechtsverletzungen geben, wenn die Betroffenen als Asylsuchende in unser Land kommen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

    Ich habe dankbar festgestellt, daß der Bundeskanzler vor kurzem jeder Änderung des Asylgrundrechts eine deutliche Absage erteilt hat. Aber

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was denn „aber"?)

    nun bitte ich ihn auch, der von seinen süddeutschen Parteifreunden quälend und immer wiederholt betriebenen Kampagne gegen dieses Grundrecht endlich Einhalt zu gebieten.

    (Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Abgeordneten der FDP)

    Das Ausmaß des Elends der Menschenrechte darf aber nicht dazu verleiten, die in vielen Ländern eingetretenen nachhaltigen Verbesserungen der menschenrechtlichen Lage zu übersehen. Menschenrechtserörterung darf nicht nur Problemschilderung sein, sie darf sich nicht in Klagen erschöpfen, und sie darf vor allen Dingen nicht in Resignation hineinführen. Das wäre nämlich eine andere Art der Einseitigkeit, die das ganze Bild verkürzt. Denn auch zur Ermutigung gibt es Anlaß, und das nicht nur vereinzelt. Meinen Redebeitrag möchte ich nutzen, um diesen Gesichtspunkt der Ermutigung zu betonen.
    Entwicklung, Verwirklichung und Sicherung der Menschenrechte erfolgen in einem langwierigen Prozeß, der schmerzhafte Stadien abschließen und Hindernisse überwinden muß. Im ganzen gesehen ist dieser Prozeß seit der Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vor vierzig Jahren und vor allem in den beiden letzten Jahrzehnten erfreulich verlaufen. Ich bin Ihnen, Frau Hamm-Brücher, sehr dankbar, daß Sie unseren Blick auf die Entstehungsgeschichte dieser allgemeinen Erklärung gelenkt haben.
    8586 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988
    Dr. Schmude
    Inzwischen befinden wir uns in einer Entwicklungsphase, die, so glaube ich, zu weiteren Hoffnungen auf einen erfreulichen Verlauf Anlaß gibt. Das gilt sogar für den Umgang mit der Todesstrafe. In Westeuropa ist sie praktisch abgeschafft, nachdem Frankreich diesen Schritt 1981 vollzogen hat und Versuche der Wiedereinführung in Großbritannien wiederholt gescheitert sind. Die Abschaffung in der DDR ist ein weiterer Fortschritt, der hoffen läßt, daß nach und nach in allen Ostblockstaaten die gesetzlich sanktionierte Vernichtung von Menschenleben aufhören wird. In diesem Zusammenhang kann man nur mit großer Freude die Ankündigung Generalsekretär Gorbatschows von vorgestern vor der UNO zur Kenntnis nehmen, man werde die Strafartikel über die Todesstrafe in der Sowjetunion überprüfen. Der weltweite Kampf um die Abschaffung der Todesstrafe ist damit nicht gewonnen. Er findet aber zunehmend stärkere Ausgangspositionen.
    Der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen sind in den letzten Jahren zahlreiche völkerrechtliche Vereinbarungen zum Schutz der Menschenrechte gefolgt, so die schon erwähnten internationalen Pakte, die Vereinbarungen für bestimmte Bereiche des Menschenrechtsschutzes, z. B. die Antifolterkonvention, und regionale Menschenrechtskonventionen, z. B. im Bereich des Europarats. Gewiß sind solche Rechtsnormen von unterschiedlicher Verbindlichkeit. Oft genug läßt die volle Verwirklichung auf sich warten. Aber sie schaffen ein internationales Einvernehmen der Verpflichtung auf die Menschenrechte, das in Erinnerung gebracht, das politisch und manchmal auch rechtlich zur Geltung gebracht werden kann.
    Nutzen und Gewicht dieses Regelsystems lassen sich auch daran ablesen, daß der hier wiederholt mit Recht zurückgewiesene Einwand der Einmischung in innere Angelegenheiten eines anderen Landes durch Geltendmachung der Menschenrechte schwächer geworden ist. Das wird den Staaten bewußt. Mehr und deutlicher als früher lassen sie sich heute ansprechen.
    Dazu hat nicht zuletzt die KSZE-Schlußakte von 1975 beigetragen. Sie begründete keine völkerrechtlichen Verpflichtungen, sondern ist, wie man sagt, nur ein politisches Dokument. Und doch hat sie im Ostblock die Menschen ermutigt, die versprochenen Rechte und Möglichkeiten einzufordern. Die KSZE-Schlußakte hat das allgemeine Bewußtsein verändert und nicht nur die Freiheit der Aussprache über Menschenrechte ermöglicht, sondern mit dieser die Verbesserung der menschenrechtlichen Lage selbst einhergehen lassen.
    Sehr wesentlich ist, daß die Schlußakte von Helsinki nicht der Schluß, sondern der Beginn einer Entwicklung geworden ist, die im KSZE-Prozeß gehaltvolle Folgedokumente erbracht hat. Der Prozeß ist nicht abgeschlossen. Gerade jetzt wird auf der Wiener Folgekonferenz ein weiteres Dokument zum Abschluß gebracht, das u. a. die Reisefreiheit und die Informations- und Meinungsfreiheit stärken soll. Damit zeichnen sich bei aller Langwierigkeit des Prozesses und aller Schwierigkeit dieser Folgeverhandlungen Verbesserungen für die Menschenrechte ab, die auch die
    früheren Kritiker dieser KSZE bei uns in der Bundesrepublik längst in hoffnungsvolle Anhänger dieses Vorhabens verwandelt haben.
    Die Sowjetunion und die anderen Ostblockstaaten sind in den Prozeß nicht nur eingebunden, sie tragen ihn auch mit und befördern ihn. Es gibt neben zahlreichen Mängeln und Mißständen in den Staaten des Warschauer Pakts auch viele inzwischen verwirklichte Fortschritte und handfeste Anzeichen für eine weitere Wendung zum Guten. Man denke an die Entwicklung in der Sowjetunion mit ihrem Zuwachs an Meinungsfreiheit und weiteren bürgerlichen Freiheiten bis hin zur Religionsfreiheit.
    Aus dem Menschenrechtsausschuß der UNO wird berichtet, daß die Sowjetunion erstmals aufgeschlossen an der Erstellung menschenrechtlicher Berichte mitarbeitet. Mehr noch, Generalsekretär Gorbatschow hat vorgestern in der UNO-Vollversammlung die erweiterte Teilnahme der Sowjetunion an den menschenrechtlichen Kontrollmechanismen der UNO angekündigt und die Verbindlichkeit von Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag zu den Menschenrechten für alle Staaten gefordert. Die in unserem heutigen Entschließungsantrag befürwortete Errichtung eines Internationalen Gerichtshofes für die Menschenrechte findet in Gorbatschows Äußerung eine interessante und verheißungsvolle Entsprechung.

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU])

    Die Verwirklichung dieses Ziels ist nahegerückt. Um so wichtiger wird es freilich sein, daß auch der Westen den Gerichtshof in Den Haag vorbehaltlos respektiert und daß sich Fälle der Brüskierung und Mißachtung — wie beim Konflikt um Nicaragua — nicht wiederholen.

    (Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    In den Ostblockstaaten geht die Entwicklung größerer Rechte und Freiheiten für die Menschen unterschiedlich schnell voran. Mit besonderer Anerkennung — das ist hier schon deutlich geworden — verfolgen wir den Fortschritt in Ungarn. Aber auch die DDR, sosehr wir sie immer wieder wegen der menschenrechtlichen Praxis kritisieren müssen, hat erfreuliche Verbesserungen aufzuweisen. Der Menschenrechtsbericht einer unabhängigen Wissenschaftlerkommission, den die Bundesregierung im November 1987 dem Bundestag vorgelegt hat, würdigt positiv, daß die DDR hinsichtlich der Ausreiseintensität in westlicher Richtung eine Spitzenstellung im Warschauer Pakt einnimmt und — trotz aller Ärgernisse — ein im Vergleich zu anderen kommunistischen Ländern hohes Maß an Religionsfreiheit gewährt.
    Wenn jetzt eine Verordnung über Westreisen erlassen und eine Verwaltungsgerichtsbarkeit eingerichtet werden soll, liegt darin die Chance eines weiteren Zugewinns an Menschenrechten. Gerade die Verweigerung jeglichen gerichtlichen Verwaltungsrechtsschutzes hatte die Wissenschaftlerkommission als krassen Völkerrechtsverstoß gewürdigt und beanstandet.
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 8587
    Dr. Schmude
    Es gibt nach wie vor viele Gründe zur Beanstandung und zu weitergehenden Forderungen. Natürlich ist die Ungeduld derer verständlich, denen die ganze Entwicklung nicht schnell genug geht. Aber sie geht voran, und wir sollten das würdigen.
    Mit alledem soll nicht von der immer noch vielfältigen Praxis der Mißachtung der Menschenrechte abgelenkt, sollen Not und Leid unterdrückter Menschen nicht verharmlost werden. Diese zeigen die ganze Notwendigkeit des weiteren Kampfes für die Menschenrechte. Die positiven Erfahrungen und hoffnungsvollen Anzeichen freilich — und es sind ja heute in der Debatte auch eine Reihe anderer solcher Anzeichen genannt worden — können und sollen auch den ermutigen, dem vor dem Ausmaß der Aufgabe die Kräfte schwinden wollen. Der energische Kampf für die Verwirklichung der Menschenrechte hat sich schon tausendfach gelohnt. Er lohnt sich weiter.