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ID1111704000

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    Plenarprotokoll 11/117 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 117. Sitzung Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 Inhalt: Anteilnahme am Schicksal der Opfer des Absturzes eines amerikanischen Kampfflugzeuges auf ein Wohngebiet in Remscheid 8553 A Erweiterung der Tagesordnung 8553 B Zur Geschäftsordnung Kleinert (Marburg) GRÜNE 8553 C Seiters CDU/CSU 8554 C Bernrath SPD 8555 B Wolfgramm (Göttingen) FDP 8555 C Zusatztagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Straßmeir, Fischer (Hamburg), Börnsen (Bönstrup), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Richter, Gries, Kohn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Seeschiffahrtsregisters für deutsche Handelsschiffe im internationalen Verkehr (Drucksachen 11/2161, 11/3679) Fischer (Hamburg) CDU/CSU 8556 B Frau Faße SPD 8559 A Richter FDP 8560 C Frau Rock GRÜNE 8561 D Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär BMV 8563 B Straßmeir CDU/CSU 8563 D Ewen SPD 8564 B Funke FDP 8566 A Tagesordnungspunkt 26: Eidesleistung der Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit und des Bundesministers für Wirtschaft Frau Dr. Lehr, Bundesminister BMJFFG 8566 D Dr. Haussmann, Bundesminister BMWi 8567 A Tagesordnungspunkt 27: a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bernrath, Bindig, Duve, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Lage der Menschenrechte in der Türkei (Drucksache 11/2600) c) Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zur Hinrichtung von politischen Häftlingen in Indonesien (Drucksachen 10/6275, 11/3575) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Menschenrechte in Kolumbien (Drucksache 11/2404) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von den Abgeordneten Bindig, Dr. Schmude, Frau Bulmahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 (VN-GV- Res. 39/146) (Drucksache 11/3668) Dr. Kohl, Bundeskanzler 8568 A Brandt SPD 8573 B Frau Geiger CDU/CSU 8576 C Frau Olms GRÜNE 8578 D Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 8581 D Schäfer, Staatsminister AA 8584 A Dr. Schmude SPD 8585 C Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 8587 B Bindig SPD 8588 D Frau Eid GRÜNE 8590 C Zusatztagesordnungspunkt 10: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 11/2421, 11/3672, 11/3672 [neu], 11/3697) b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN: Änderung des Parteiengesetzes (Drucksachen 11/3097, 11/3672, 11/3697) Bernrath SPD 8591 C, 8594 D Spilker CDU/CSU 8592 B Lüder FDP 8596 D Frau Dr. Vollmer GRÜNE 8600 A Gerster (Mainz) CDU/CSU 8602 C Conradi SPD 8605 C Häfner GRÜNE 8609 B Wüppesahl fraktionslos 8611D Stiegler SPD 8613 A Namentliche Abstimmung 8614 A Ergebnis 8614 B Nächste Sitzung 8616A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 8617* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Struck und Catenhusen (beide SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 11/2421, 11/3672, 11/3673) 8617* C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frau Dr. Adam-Schwaetzer und Frau Dr. Hamm-Brücher (beide FDP) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 11/2421, 11/3672, 11/3673) 8617* D Anlage 4 Amtliche Mitteilungen 8618* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 8553 117. Sitzung Bonn, den 9. Dezember 1988 Beginn: 8.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 9. 12. Antretter* 9. 12. Bangemann 9. 12. Frau Beck-Oberdorf 9. 12. Becker (Nienberge) 9. 12. Frau Berger (Berlin) 9. 12. Dr. Biedenkopf 9. 12. Dr. Blens 9. 12. Böhm 9. 12. Börnsen (Bönstrup) 9. 12. Dr. Briefs 9. 12. Bühler (Bruchsal) 9. 12. Frau Conrad 9. 12. Daweke 9. 12. Deres 9. 12. Duve 9. 12. Engelsberger 9. 12. Frau Fischer 9. 12. Gansel 9. 12. Gattermann 9. 12. Gautier 9. 12. Genscher 9. 12. Dr. Glotz 9. 12. Dr. Götz 9. 12. Dr. Grünewald 9. 12. Dr. Hauff 9. 12. Frau Hämmerle 9. 12. Heinrich 9. 12. Dr. Hennig 9. 12. Hiller (Lübeck) 9. 12. Frau Hoffmann (Soltau) 9. 12. Hoss 9. 12. Irmer 9. 12. Jens 9. 12. Jung 9. 12. Kalb 9. 12. Dr. Köhler 9. 12. Kossendey 9. 12. Kreuzeder 9. 12. Dr. Kronenberg 9. 12. Frau Luuk* 9. 12. Dr. Mertens (Bottrop) 9. 12. Möllemann 9. 12. Frau Pack 9. 12. Paintner 9. 12. Petersen 9. 12. Pfuhl 9. 12. Rappe (Hildesheim) 9. 12. Regenspurger 9. 12. Reuschenbach 9. 12. Frau Schilling 9. 12. Frau Schmidt-Bott 9. 12. von Schmude* 9. 12. Freiherr von Schorlemer 9. 12. Dr. Soell* 9. 12. Steiner* 9. 12. Frau Trenz 9. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Warnke 9. 12. Wetzel 9. 12. Wilz 9. 12. Wimmer 9. 12. Zierer* 9. 12. Dr. Zimmermann 9. 12. Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Struck und Catenhusen (beide SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 11/2421, 11/3672, 11/3673) Da nach meiner Überzeugung die Einführung eines Sockelbetrages und die Heraufsetzung der Publizitätspflicht für Spenden von DM 20 000 auf DM 40 000 auf verfassungsrechtliche Bedenken stößt, werde ich mich der Stimme enthalten. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frau Dr. Adam-Schwaetzer und Frau Dr. Hamm-Brücher (beide FDP) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 11/2421, 11/3672, 11/3673) Die Unterzeichner dieser Erklärung sehen sich (abgesehen von möglichen verfassungsrechtlichen Bedenken) aus folgenden Gründen nicht imstande, der Novelle des Parteienfinanzierungsgesetzes zuzustimmen: 1. Die Mehrkosten von jährlich 68 Millionen DM, die zur Parteienfinanzierung aus Steuermitteln zur Verfügung gestellt werden sollen und die eine Steigerung der Zuwendungen von 20 Prozent ausmachen, können im Hinblick auf notwendige Kosteneinsparungen bei anderen öffentlichen Aufgaben gegenüber dem Bürger nicht überzeugend vertreten werden. 2. Die Bürger erwarten zu Recht von den Parteien, daß Wahlkämpfe so sparsam wie möglich geführt werden. Dies ist immer wieder nachzuweisen und auch möglich. 3. Die Berufung einer unabhängigen Kommission zur Festlegung der Zuschüsse an die Parteien durch den Bundespräsidenten ist ein wichtiger Schritt, um den notwendigen Bedarf der Parteien für ihre Ausgaben transparenter zu machen. Deshalb sollte vor einer Erhöhung der Wahlkampfkostenerstattung auf jeden Fall erst das Votum dieser unabhängigen Kommission eingeholt und die Erhöhung der Zuschüsse bis dahin zurückgestellt werden. 8618* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 11/936 Drucksache 11/1301 Drucksache 11/1537 Drucksache 11/1676 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 10/4184 Nr. 3 Drucksache 11/138 Nr. 3.39, 3.40 Drucksache 11/973 Nr. 2.4 Drucksache 11/2465 Nr. 2.8, 2.10 Drucksache 11/2580 Nr. 22 Drucksache 11/2956 Nr. 2.4 Drucksache 11/3021 Nr. 2.5 Drucksache 11/3200 Nr. 2.4 — 2.9 Drucksache 11/3311 Nr. 2.3-2.5, 2.7, 2.9 Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Drucksache 11/2724 Nr. 24, 25 Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Drucksache 11/439 Nr. 2.12
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    Rede von Michaela Geiger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die feierliche Proklamation der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 war ein Ereignis, das Geschichte gemacht hat, das die Welt verändert hat, und zwar in einem guten Sinn. Zwar waren auch schon vor der Proklamation die Freiheitsrechte des einzelnen Menschen ein zentrales Thema in der geschichtlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Die Wurzeln der Menschenrechte reichen schließlich bis in die christliche Lehre vom Naturrecht und in die Aufklärung zurück, und in vielen Verfassungen und Dokumenten waren die Menschenrechte bereits verankert. Aber nie zuvor standen sie offiziell auf der Tagesordnung der internationalen Staatengemeinschaft.
    Aus den bitteren Erfahrungen des Dritten Reichs und des Zweiten Weltkriegs heraus konnten vor 40 Jahren die Menschenrechte zum erstenmal zu einem Maßstab für die Beziehungen der Staaten untereinander werden. Der einzelne Bürger war danach nicht mehr nur das schutzlose Objekt des jeweiligen Staates, sondern er konnte, um seine Persönlichkeitsrechte geltend zu machen, sich von nun an auch auf internationalen Schutz berufen.
    Die Vereinten Nationen haben sich ihrer selbstgesetzten Aufgabe in der Folgezeit mit großem Ernst und Nachdruck angenommen. Allerdings ist das Instrumentarium der Vereinten Nationen zur Durchsetzung der Menschenrechte bis heute unvollkommen geblieben. Zum Beispiel sind die Menschenrechte auch heute noch nicht weltweit einklagbar. Auch sind die juristischen Möglichkeiten der UNO unterentwickelt. Der Bundeskanzler ist darauf bereits eingegangen.
    Trotzdem sind die großen Verdienste der Vereinten Nationen um die Förderung der Menschenrechte unbestritten. Seit dem 10. Dezember 1948 hat die UNO ein umfassendes menschenrechtliches Kodifizierungswerk geschaffen: vom Übereinkommen über die politischen Rechte der Frau von 1943 bis hin zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe von 1984. Als Kernstück sind die beiden internationalen Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen von 1966 zu nennen.
    Heute gibt es ein weltweites Normensystem, an dem sich jeder Staat messen lassen muß. Dieses Normensystem gilt ohne Unterschied für alle Länder der Welt. Die Geltung der Menschenrechte kann deshalb auch nicht unter Berufung auf unterschiedliche Kulturtraditionen oder unterschiedliche Ideologien bestritten werden. Die Menschenrechte haben Vorrang vor jeder Ideologie und vor jeder Tradition.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP wie bei Abgeordneten der SPD)

    Für alle Menschen dieser Welt haben die Menschenrechtspakte einen unschätzbaren Wert. Es ist deshalb eine unserer wichtigsten Aufgaben, ihre weltweite Geltung zu fördern. Zwar haben inzwischen an die 90 Staaten die Pakte ratifiziert. Aber ihre rechtliche und moralische Wirkung wäre noch stärker, wenn alle Staaten ihnen beiträten. Deshalb ist es sicherlich ein Manko, daß auch zwei ständige Sicherheitsrats-
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 8577
    Frau Geiger
    mitglieder — die Volksrepublik China und die USA — die Pakte noch nicht ratifiziert haben; wobei gerade die Vereinigten Staaten nichts zu befürchten haben; in den USA gelten die Menschenrechte uneingeschränkt.

    (Frau Olms [GRÜNE]: Oh, oh!)

    Es ist ein großer Fortschritt, daß sich jede Regierung für ihr menschenrechtliches Verhalten gegenüber ihren eigenen Staatsbürgern und vor der UNO verantworten muß. Die Ausrede, das sei eine Einmischung in innere Angelegenheiten, konnten Hitler und Stalin noch benutzen. Für Idi Amin, Baby Doc, Bokassa — um nur einige der schlimmsten Menschenrechtsverletzer der jüngsten Vergangenheit zu nennen — galt diese Ausrede rechtlich nicht mehr, ebensowenig wie sich heute Ceaueşcu oder die iranischen Mullahs dieser Diskussion entziehen können. Herr Brandt, Ihre Liste kann man leider noch erweitern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Vereinten Nationen haben immer wieder den Versuch unternommen, ihr Instrumentarium zur Durchsetzung der Menschenrechte zu verbessern. So hat es durchaus positive Auswirkungen, daß in den Menschenrechtskommissionen der Vereinten Nationen ein Verfahren zur Behandlung von Mitteilungen über Verletzungen von Menschenrechten entwickelt wurde, daß dort Beschwerden von Menschenrechtsorganisationen und von einzelnen Bürgern entgegengenommen und bearbeitet werden und daß auch ein für die betroffenen Staaten gesichtwahrendes vertrauliches Verfahren besteht.
    Gegenüber hartnäckigen und unbelehrbaren Menschenrechtsverletzern bleibt aber bis heute nur die Mobilisierung der Weltöffentlichkeit.
    Auch unser Parlament muß tätig werden, wo es notwendig wird. Wir haben dies in der Vergangenheit oft und glücklicherweise mit großer Einmütigkeit getan, und wir werden unseren Einsatz für die Menschenrechte konsequent fortsetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Zwei Aspekte haben für die Menschenrechtsthematik ganz entscheidende Bedeutung. Es ist dies zum einen der innere Zusammenhang zwischen der Achtung der Menschenrechte im Inneren eines Staates und seiner Friedensfähigkeit nach außen. Die Wahrung der Menschenrechte im Inneren ist eine Grundvoraussetzung für das friedliche Zusammenleben der Völker und Staaten in der Welt. Politische Systeme, die ihren Bürgern die Freiheit nehmen und fundamentale Menschenrechte verweigern, Staaten, in denen es keine Kontrolle der Staatsgewalt durch das Volk und durch unabhängige Gerichte gibt, in denen ein Klima der Angst, des Zwanges und der Bedrohung herrscht, solche Staaten besitzen auch nach außen hin nicht die Eigenschaften, die einen dauerhaften Frieden ermöglichen; im Gegenteil, sie stellen eine andauernde Bedrohung für ihre Nachbarn und damit für den Weltfrieden dar.
    Umgekehrt gilt: Staaten, die die Menschenrechte achten, sind von Natur aus nicht in der Lage, durch expansives Machtstreben ihre Nachbarn zu verunsichern und zu bedrohen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Durchsetzung der Menschenrechte ist deshalb ein nicht wegzudenkender Teil jeder Friedenspolitik. Es wäre auch völlig falsch, aus diplomatischen Rücksichten im Namen der Entspannung oder gar aus wirtschaftlichen Gründen Menschenrechtsverletzungen stillschweigend zu dulden. Interessen, die den Menschenrechten übergeordnet sind, darf es nicht geben.
    Ich gebe ehrlich zu, daß ich tief betroffen darüber war, daß offenbar weder die vielen Appelle aus aller Welt noch der Einsatz des Bundesaußenministers die iranische Führung dazu bewegen konnten, die Hinrichtungen von zahlreichen politischen Häftlingen zu stoppen und die menschenrechtswidrigen Praktiken aufzugeben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Leider wahr!)

    Bei aller Anerkennung der guten Beziehungen zum Iran, die zum Beispiel Geiselfreilassungen ermöglicht haben, hier ist ein deutliches Zeichen von unserer Seite notwendig!

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Der andere Aspekt, den ich betonen möchte, ist die herausragende Stellung der Vereinten Nationen im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Beide Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen haben das Selbstbestimmungsrecht an die Spitze gestellt: Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung; so lautet der erste Satz von Artikel 1 beider Pakte.
    Gerade für uns Deutsche, die wir gegen unseren Willen mit der Teilung unseres Vaterlandes leben müssen, haben diese Grundaussagen große Bedeutung. Sie geben uns die Hoffnung, daß eine Friedensordnung in Europa entstehen kann, in der auch das deutsche Volk wieder seine staatliche Einheit erhält.
    Menschenrechte und Selbstbestimmung sind die unverzichtbaren Bausteine für jede dauerhafte und gerechte Friedensordnung. Deshalb werden sie auch im Ost-West-Dialog noch lange aktuelle Themen bleiben.
    Sie sind die Grundlagen des KSZE-Prozesses. Was am KSZE-Prozef neben den schleppenden Fortschritten zu kritisieren ist, das sind nicht etwa die ausgehandelten Kompromisse, sondern die Tatsache, daß es nach wie vor eine Reihe von Staaten gibt, die eklatant gegen die KSZE-Beschlüsse verstoßen.
    Als krassestes Beispiel aus jüngster Zeit muß ich hier erneut Rumänien nennen, dessen Regierung auf die menschenverachtende Zwangsumsiedlungspolitik und die sinnlose Zerstörung von Hunderten von Dörfern nicht verzichten will, auch wenn dieses Programm nun anders genannt wird. Wie im letzten Winter hungern und frieren die Bürger Rumäniens,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Viele Millionen!)

    weil die Regierung unfähig ist, in diesem einst blühenden Agrarland die Versorgung mit dem Allernotwen-
    8578 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988
    Frau Geiger
    digsten sicherzustellen und darüber hinaus jede Hilfe aus dem Ausland ablehnt.
    Hier muß der internationale Druck so groß werden, damit endlich Vernunft einkehrt.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Unser Grundgesetz, dessen 40. Jahrestag wir in einem halben Jahr feiern, hat uns aus den schlimmen Erfahrungen der Hitlerzeit heraus eine Rechtsordnung gegeben, in der Menschenwürde und Menschenrechte an erster Stelle stehen. Ich glaube, Herr Brand, das ist die Chance, die Sie gemeint haben. Die große Bedeutung, die das Grundgesetz der Verwirklichung der Menschenrechte beimißt, verpflichtet uns dazu, auch nach außen entschlossen für die Achtung der Menschenrechte einzutreten.
    An erster Stelle unserer Bemühungen muß naturgemäß die Sorge stehen, daß die Menschenrechte für diejenigen deutschen Staatsbürger und Menschen deutscher Volkszugehörigkeit verwirklicht werden, die nicht unter dem Schutz unseres Grundgesetzes leben. Das hat nichts damit zu tun, daß wir, wie uns oft fälschlich vorgeworfen wird, Menschen deutscher Abstammung abwerben wollen. Wir wollen, daß in den Ländern, in denen deutsche Minderheiten leben, Lebensbedingungen hergestellt werden, die den Menschen das Bleiben ermöglichen. Mit Ungarn z. B. arbeiten wir auf diesem Gebiet erfolgreich zusammen; mit der Sowjetunion gibt es seit der Reise des Bundeskanzlers nach Moskau ermutigende Ansätze.
    Wenn aber Deutsche in ihren jetzigen Aufenthaltsländern unter schlimmen Bedingungen leiden, wenn sie keine Zukunft mehr sehen wie z. B. in Rumänien, nehmen wir sie selbstverständlich bei uns mit offenen Armen auf. Auch das ist aktive Menschenrechtspolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Leider gibt es auf der Welt immer noch so viele Menschenrechtsverletzungen, daß ihre Aufzählung den Rahmen dieser Debatte sprengen würde. Die Jahrbücher von amnesty international und der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte enthalten dazu bedrückendes Anschauungsmaterial. An dieser Stelle auch meinen herzlichen Dank und den Dank meiner Fraktion allen Mitarbeitern der Menschenrechtsorganisationen für ihren unermüdlichen Einsatz zugunsten gequälter, mißhandelter und entrechteter Menschen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Zu Menschenrechtsverletzungen dürfen wir nicht schweigen, ganz gleich, ob sie sich nun vor unserer Tür oder im Sudan, in Burundi oder im Irak ereignen. Es darf keine Rolle spielen, welchem politischen System die jeweilige Regierung zuzurechnen ist; denn alle Menschenrechte sind weder rechts noch links; sie gehören allen Menschen.
    Deshalb sollten wir im Bundestag die Menschenrechtsdebatte auch nicht durch innenpolitischen Streit belasten. Dies ist, wie gesagt, in der Vergangenheit glücklicherweise oft gelungen. Ich begrüße daher auch, daß der vorliegende Entschließungsantrag zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von der
    Koalition und der SPD-Fraktion gemeinsam eingebracht worden ist.
    Unser Parlament hat in dieser Legislaturperiode oft über Menschenrechtsprobleme debattiert, über Chile, über Rumänien, über Panama, über Afghanistan, über die Lage in den von Israel besetzten Gebieten, über den verabscheuungswürdigen Einsatz von chemischen Waffen im Krieg zwischen Iran und Irak. Wir haben über Nicaragua, El Salvador und mehrmals über Südafrika gesprochen.
    Es gibt jedoch auch Länder, in denen schlimme Menschenrechtsverletzungen geschehen, ohne daß wir uns eingehend damit befaßt hätten. Ich nenne nur drei Beispiele, obwohl es viel mehr gäbe: In Kuba gibt es laut dem jüngsten Jahresbericht der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte ca. 15 000 politische Gefangene.

    (Frau Olms [GRÜNE]: Jetzt müssen Sie auch amnesty international zitieren!)

    In Vietnam befinden sich der gleichen Quelle zufolge 50 000 bis 100 000 Personen in politischer Haft. In Burundi wurden blutige Stammesmassaker verübt. Auch um Länder, die unserem Blickfeld weiter entrückt sind, sollten wir uns in Zukunft stärker kümmern.
    Am Schluß noch eine weitere Anregung für unsere parlamentarische Arbeit: Wir sollten nicht nur negative, sondern auch positive Menschenrechtsentwicklungen aufzeigen. Wir sollten alle die Staaten und Kräfte ermutigen, die entschlossen sind, den Menschenrechten einen größeren Platz einzuräumen. Dabei denke ich zunächst an die Reformbestrebungen in Osteuropa, vor allem in der Sowjetunion und in Ungarn. Wir hoffen, daß die Reformbestrebungen auf den ganzen Ostblock eine ansteckende Wirkung haben werden, vor allem in der DDR, wo die Schikanen für Andersdenkende anhalten.
    Unsere tatkräftige Unterstützung verdienen aber auch diejenigen Länder der Dritten Welt, die sich nach Kräften bemühen, den Menschenrechten in ihren Ländern mehr Geltung zu verschaffen, obwohl dies dort aus der geschichtlichen Entwicklung heraus oft ganz besonders schwierig ist. Die Menschenrechtspolitik im Deutschen Bundestag sollte also nicht nur aus Anprangerung und Kritik bestehen, sondern durchaus auch aus Anerkennung und Ermutigung.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Olms.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ellen Olms


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor 40 Jahren, am 10. Dezember 1948 — ich war noch gar nicht geboren —, verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Diese Verabschiedung folgte als Reaktion auf das nationalsozialistische Terror- und Vernichtungsregime, das weltweit ohne Vergleich steht für die systematische Vernichtung und Ermordung von Millionen Juden in Europa, für die Aussonderung und Ermordung der
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 8579
    Frau Olms
    von den Nazis als „unwertes Leben" definierten Roma und Sinti, Homosexuellen, der sogenannten „Asozialen" und der geistig und körperlich Behinderten, für die Zerschlagung der Deutschen Arbeiterbewegung und die Ermordung ihr Angehörender, für die Verfolgung und Ermordung der sich im Widerstand befundenen Menschen in Ost- und Westeuropa. Vor 40 Jahren versprach diese Erklärung allen Menschen gleiche bürgerliche und politische Rechte.
    Die 1948 formulierten Artikel waren als ein internationales Dokument mit universaler Bedeutung ein Fortschritt in der Normsetzung der Würde des Menschen: das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person, das Verbot der Sklaverei, das Verbot der Folter, der Schutz vor willkürlicher Verhaftung, die Gleichheit vor dem Gesetz, das Recht auf Asyl. Jedoch zeigten sich damals schon die Grenzen des durch die bürgerliche Aufklärung geprägten westeuropäischen Menschenrechtsbegriffs. Dieser Begriff geht von der Vorstellung aus, daß jedem Menschen mit der Geburt von Natur aus unveräußerliche, unteilbare und universell geltende Rechte zukommen. Diese Individualrechte werden als sogenannte „politische" definiert und den sogenannten „sozialen" gleichgestellt. Es wird aber hierbei die Realität der in kapitalistischen Staaten nach westlichem Demokratiemuster lebenden Menschen ausgeblendet. Es ist doch so, politische Freiheit kann nur in Anspruch genommen werden, wenn soziale Gleichheit gegeben ist. Massenhafte Armut und Verelendung, Menschen, die nicht lesen und schreiben gelernt haben, Wohnungsnot, Säuglings- und Kindersterblichkeit, Erwerbslosigkeit degradieren dieses sogenannte angeborene Menschenrecht auf Freiheit zu einem Recht der Privilegierten, der Reichen, der Besitzenden.
    Allein, der Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte — „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren" — , verbunden mit den Rechten auf soziale Sicherheit, Arbeit, Bildung und dem Recht auf freie Meinungsäußerung, ist in der Bundesrepublik Deutschland nicht verwirklicht.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Hier gibt es keine „von Natur" aus unveräußerlichen, unteilbaren und universell geltenden sozialen Rechte, höchstens Ansprüche auf eine vom Staat gewährte soziale Grundsicherung in Form von Sozialhilfe, die jederzeit gekürzt oder gestrichen werden kann, wenn sich die Empfänger und Empfängerinnen dieses Gnadenaktes nicht konform verhalten.

    (Repnik [CDU/CSU]: Das ist doch verlogen! — Frau Unruh [GRÜNE]: Das stimmt!)

    Die Verantwortung für das Leben, die bloße Existenzabsicherung wird an das Individuum abgegeben und das Scheitern in diesem Gesellschaftssystem als individuelle Schuld, als Versagen gebrandmarkt.

    (Repnik [CDU/CSU]: So eine miese Konstruktion hier!)

    Das Verständnis vom westlichen Menschenrechtsbegriff zeigt sich jedoch auch in anderer Form: Die sogenannten westlichen „Garanten der Freiheit" und der Menschenrechte waren und sind gleichzeitig Kolonialmächte, die die aufkommenden Unabhängigkeitsbestrebungen in den „Kolonien" und „Hinterhöfen" ihrer Marktpolitik brutal unterdrückten und unterdrücken. Die Menschen Indiens, Algeriens, Vietnams — um nur einige Beispiele zu nennen — haben am eigenen Leib den Zynismus dieser „Gralshüter" kennengelernt.
    In den 40 Jahren seit Bestehen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat es zwar keinen dritten Weltkrieg, aber über 140 Kriege in regionalen Gebieten dieser Welt gegeben, und sie werden weiter existieren. Gestern erst wurde hier in der Bundesrepublik wieder Krieg mit tödlichem Ausgang geübt.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Frau Unruh [GRÜNE]: Menschenrechtsverletzungen! — Repnik [CDU/CSU]: Unglaublich! Noch nicht einmal bei diesem Thema können Sie zur Sache reden! — Frau Unruh [GRÜNE]: Das ist zur Sache!)

    Der Exekutivdirektor des UN-Hilfswerks UNICEF erhob anläßlich der Tagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank im September dieses Jahres in Berlin den Vorwurf, daß allein durch die Schuldenkrise in den letzten Jahren mehr als eine Million Kinder getötet wurden.
    Die „Vernichtung von Menschenleben in gesetzlicher Form", die Todesstrafe, ist weltweit noch immer nicht abgeschafft. In einem Land wie den Vereinigten Staaten von Amerika, von dem Präsident Reagan sagt: „Es ist die gottgewollte Bestimmung dieses großartigen Landes, den anderen Völkern das zu übermitteln, was wir mit Stolz als unsere größte Errungenschaft bezeichnen, die Segnungen der Menschenrechte", wird noch heute in 37 von 50 Staaten die Todesstrafe verhängt. 2 000 Menschen, hauptsächlich schwarze, sitzen in den Gefängnissen und warten — zum Teil schon seit Jahren — auf die Vollstreckung des Hinrichtungsurteils.
    Nach 40 Jahren Allgemeiner Erklärung der Menschenrechte ist diese Welt, dieses Land, die Bundesrepublik Deutschland, weit davon entfernt, Menschenrechte einzuhalten, einzuklagen oder durchzusetzen. 40 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte stehen für 40 Jahre Instrumentalisierung des Menschenrechtsbegriffs und für 40 Jahre Verletzung der Menschenrechte.
    Menschenrechte werden als Kalkül in der Außen- und Wirtschaftspolitik dieses Landes eingesetzt. Vorrang haben die politische Stabilität, die Zugehörigkeit zum westlichen politischen Lager und die ökonomischen Interessen der westlichen kapitalistischen Industrieländer gegenüber Staaten, die faschistisch sind, sich den Schein einer sogenannten politischen Neutralität und Blockfreiheit oder das Mäntelchen der formal-rechtsstaatlichen Demokratie umhängen.
    Folterungen und brutale Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, in Chile, in El Salvador, in Guatemala und in Südafrika werden nicht sanktioniert, die Einhaltung der Menschenrechte höchstens angemahnt; Konsequenzen erfolgen nicht.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    8580 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988
    Frau Olms
    Auf der anderen Seite wird die berechtigte Kritik an Menschenrechtsverletzungen in den osteuropäischen Ländern und die Einhaltung der Menschenrechte hier zum Gradmesser für weitere Gespräche und Abrüstungsverhandlungen gemacht. Richtig ist, daß in den osteuropäischen Ländern und in der Sowjetunion die elementarsten demokratischen Grundfreiheiten nicht gelten. Versammlungs-, Demonstrations-, Presse- und zum Teil auch die Religionsfreiheit waren in diesen Ländern weitgehend außer Kraft gesetzt.
    Die osteuropäischen Länder und die Sowjetunion haben lange Zeit argumentiert, daß das Einklagen der Menschenrechte seitens der westlichen Industriestaaten eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten bedeutet. Seit Unterzeichnung der Schlußakte der KSZE in Helsinki haben unsere östlichen Nachbarstaaten die Menschenrechte faktisch auch für ihren eigenen Machtbereich anerkannt, ohne daß daraus jedoch schon weitreichende Konsequenzen gezogen wurden.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Erst die Reformentwicklungen in Ungarn und die Glasnost-Politik in der Sowjetunion haben dort Diskussionen freigesetzt, die Rechte, vor allem aber den Schutz der einzelnen Bürger vor staatlicher Willkür auch gesetzlich zu sichern. In Ungarn und der Sowjetunion ist — bei aller Unterschiedlichkeit des Verlaufs des Reformprozesses — die Notwendigkeit einer Rechtsstaatlichkeit erkannt worden. Es ist erkannt worden, daß die Diktatur des Proletariats zur Herausbildung despotischer Formen der Herrschaft unter Berufung auf das revolutionäre Subjekt geführt hat,

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    die das kulturelle, soziale Leben erstickte und die wirtschaftlichen Entwicklungen hemmte. In Ungarn und in der Sowjetunion sind daraus einschneidende Konsequenzen gezogen worden, die vor einem Jahrzehnt noch kaum vorstellbar waren.
    Dieser Demokratisierungsprozeß vollzieht sich jedoch nicht in allen Ländern gleichzeitig. Besondere Barrieren existieren vor allem in Rumänien, auch in der DDR und der Tschechoslowakei, wo den Menschen nach wie vor die elementarsten Menschenrechte verwehrt werden.
    Staaten, in denen durch soziale Revolutionen Gesellschafsformen entstanden sind, die sich in das kapitalistische Weltwirtschaftssystem nicht einbinden lassen wollen, werden — wie wir es z. B. aus Nicaragua kennen — mit politischen, ökonomischen und militärischen Sanktionen belegt und die reaktionäre Elite als Freiheitskämpfer und -garanten unterstützt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, die Menschenrechtspolitik dieser Bundesregierung, die sich auch als Garant der freiheitlichen Rechte ausgibt, zeichnet sich als einäugig und instrumentalisierend aus. Hierfür nur einige Beispiele: Im Golfkrieg wurden die ökonomischen Interessen der Bundesrepublik durch Waffenlieferungen an den Iran und Irak voll befriedigt. Nach dem Krieg reiste Bundesaußenminister Genscher mit einer Wirtschaftsdelegation in den Iran, vermittelte Geschäfte, schloß ein Kulturabkommen ab, leitete die Wiedereröffnung des Goethe-Instituts in die Wege, obwohl sich seit Juli dieses Jahres und insbesondere seit dem Waffenstillstandsabkommen im Golf die Berichte über massenhafte Hinrichtungen im Iran häuften. Amnesty international hat diese Hinrichtungen aufgezeigt, und der Sonderbeauftragte der UN-Menschenrechtskommission hat im November, vor nicht einmal drei Wochen, einen Bericht hierüber vorgelegt. Noch am Mittwoch haben wir hier auf einer Pressekonferenz erschütternde Berichte von Menschen gehört, deren Familienangehörige in der Nacht zuvor hingerichtet wurden. Es wurden Hunderte, vielleicht auch Tausende von Menschen hingerichtet. Die iranischen Herrschenden geben wie auch sonstwo in der Welt keine öffentliche Rechenschaft ihrer Taten ab, und diese Taten müssen von uns mühsam ermittelt werden.
    Nur knapp eine Woche später hat Bauminister Schneider im Gefolge namhafter Manager bundesdeutscher Baufirmen ein Memorandum über die beabsichtigte Beteiligung der bundesdeutschen Bauwirtschaft beim Wiederaufbau des Irans unterzeichnet.

    (Sellin [GRÜNE]: Ein Skandal!)

    Die Bundesregierung soll jetzt nach der Forderung der Bauwirtschaft positiv über Hermes-Bürgschaften entscheiden. Die massenhaften Hinrichtungen und andere eklatante Menschenrechtsverletzungen sind nicht Hauptgegenstand der Gespräche des Außenministers und seines Anhangs gewesen.
    Meine Damen und Herren, am massenhaften Tod und Elend der Menschen im Iran und Irak wird durch den Krieg und beim Wiederaufbau Profit gemacht, die Menschenrechte werden mit Füßen getreten. Dieser Zynismus ist nicht zu überbieten.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Folterländer, wie die Türkei, deren Staatspräsident Evren hier in der Bundesrepublik mit allen Ehren empfangen wird, das südafrikanische Apartheidregime, gegen das keine Sanktionen verhängt werden sollen, da dies angeblich die schwarze Bevölkerung am härtesten treffen würde, werden hofiert. Hier ließen sich noch unzählige Beispiele finden.
    Die politischen und ökonomischen Interessen dieser Bundesregierung, der CDU/CSU/FDP-Koalition und die hinter ihnen stehende Lobby der Konzerne wollen und werden keine Einbußen in der Profitmaximierung in Kauf nehmen. Das ist das wahre Gesicht von Menschenrechtspolitik.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Repnik [CDU/ CSU]: Spärlich der Beifall, so spärlich wie die Aussage! Geradezu peinlich!)

    Die spektakulären Auftritte des CDU-Generalsekretärs Geißler 1986 und des Ministers für Arbeit und Sozialordnung, Blüm, 1987 in Chile, sind uns allen noch gut in Erinnerung. Sie „kämpften" angeblich, ausgehend von ihrer christlichen Leitidee der Menschenrechte, für die Menschenrechte in Chile, dies jedoch nur, um nach der Abwirtschaft Pinochets die desolate Situation in Chile aufzufangen und einen Stabilisierungsprozeß für eine christliche Regierung Chiles zu erreichen. Für Südafrika hat dann der
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 8581
    Frau Olms
    „kurze Atem für Menschenrechte" nicht mehr gereicht; in dieses Land reiste Strauß, um das rassistische Regime zu hofieren.
    Meine Damen und Herren, Menschenrechte anzuklagen, Berichte über den Hungertod zigtausender Frauen, Kinder und Männer, Berichte über Gewaltübergriffe und Folterungen von Frauen, Kindern und Männern zu lesen, mit diesen Menschen zu reden, ist kaum zu ertragen, verfolgt mich — und sicher auch andere, die diese Berichte lesen und die Gespräche führen — noch in den Träumen. Aber es schärft auch den Blick und die grundsätzliche Haltung und Achtung gegenüber den Rechten des einzelnen Menschenlebens. Mit dem Recht auf Leben und dem Recht auf individuelle Freiheit ist für uns untrennbar das Recht auf Nahrung, das Recht auf eine intakte Umwelt, das Recht auf Wohnung, auf Existenzabsicherung verbunden.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wie kann sich zum Beispiel ein Kind überhaupt entwickeln, wenn diese Grundvoraussetzungen nicht erfüllt sind, um auch alle anderen Rechte wahrnehmen zu können?
    Bei meiner Teilnahme am achten Jahreskongreß des Lateinamerikanischen Verbandes der Familienangehörigen der Verhaftet-Verschwundenen FEDEFAM in Bogota habe ich Frauen kennengelernt, durch das „Verschwinden" ihrer Kinder, Ehemänner, Eltern und ihre eigene Verfolgung leidvoll geprägt, starke und mutige Frauen, die die Regime ihrer Länder, aber auch die westlichen Industrieländer, diese Bundesrepublik der Mitverantwortung anklagen. Diese Frauen grüße ich von hier aus und wünsche ihnen weiterhin diese Kraft und Stärke.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Es gibt in Lateinamerika 90 000 durch die unabhängigen Menschenrechtsorganisationen registrierte „Verschwundene"; eine für uns neue, aber seit langer Zeit praktizierte „Todesstrafe" in Lateinamerika. In den 10 Tagen, in denen ich in Kolumbien war, sind 55 Menschen erschossen worden, davon allein 43 in Segovia. Der Besuch der bundesdeutschen Delegation in Segovia wurde für uns zu einem traumatischen Erlebnis: Zu sehen, wie Paramilitärs, gedeckt durch das Militär, eine Kleinstadt in ihren Grundfesten zerstören. Die Frauen und Männer von Segovia und anderswo klagen die Militärs und die mit ihnen operierenden Todesschwadronen an, die auch für die Anklagenden bedrohlich sind, weil diese versuchen, eine internationale Öffentlichkeit für das „Verschwindenlassen" zu erreichen.
    Beeindruckend war, wie präzise die Frauen die politische, ökonomische und soziale Situation ihres jeweiligen Landes analysierten, sich gegenseitig stützten und den Willen zur Weiterarbeit stärkten.
    Auch bei meiner Zusammenarbeit mit Flüchtlingen und Flüchtlingsinitiativen treffe ich oft solche starken und mutigen Frauen. Gewalt, Unterdrückung und Folter von Frauen, die in die Bundesrepublik flüchten, werden in diesem Haus noch viel zu wenig wahrgenommen.
    Frauen werden inhaftiert, gefoltert, hingerichtet. Sie werden verachtet, gedemütigt, bestraft, verstümmelt, sind männlicher und staatlicher Gewalt ausgesetzt, weil sie gegen die kulturellen Normen und Sitten — definiert von Männern ihrer jeweiligen Heimatländer — verstoßen und gegen den ihnen zugewiesenen Platz in der Gesellschaft opponieren.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Frauen werden als Familienangehörige verfolgt, um Aussagen von Vätern, Brüdern, Ehemännern zu erpressen. Frauen werden wegen ihrer politischen Aktivitäten und ihres Widerstandes verfolgt. Die Verfolgung und sexistische Folter sind auch Strafe für sogenanntes „unfrauliches" Handeln und Verhalten.
    Gelingt Frauen die Flucht, sind sie auf diesen Wegen ebenfalls Vergewaltigung und Bedrohung durch männliche Schlepper und Fluchthelfer ausgesetzt. Erreichen sie die Bundesrepublik, werden ihre Verfolgungs- und Fluchtgründe nicht anerkannt; ein eigenständiges Aufenthaltsrecht wird ihnen verwehrt.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    Die Flucht überhaupt erst anzutreten, setzt ein hohes Maß an Verzweiflung voraus und erfordert viel Mut und Stärke.
    Bei einer dieser Frauen habe ich die Abschiebung bis Zürich verfolgen können. Sie, pakistanische Staatsangehörige, ist von ihrem Ehemann des Ehebruchs bezichtigt worden und befürchtete, gesteinigt zu werden. Die Flucht dieser Frau dauerte zwei Jahre. Danach lebte sie drei Jahre illegal, da ihr Asylantrag abgelehnt wurde, in Berlin. Ihre Fluchtgründe sind nicht anerkannt worden; nach einer Ausweiskontrolle wurde sie in Abschiebehaft genommen und unter Tabletteneinfluß in ein Flugzeug verfrachtet. Ich habe sie bis Zürich begleitet in der Hoffnung, ihr noch helfen zu können, leider vergebens. Ich hoffe, daß sie jetzt überhaupt noch lebt.
    All diese Erfahrungen bestärken mich und viele andere, uns immer weiter für das Recht auf Asyl und die Einhaltung und Erweiterung der Menschenrechte und des Menschenrechtsbegriffs einzusetzen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)