Rede von
Michaela
Geiger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die feierliche Proklamation der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 war ein Ereignis, das Geschichte gemacht hat, das die Welt verändert hat, und zwar in einem guten Sinn. Zwar waren auch schon vor der Proklamation die Freiheitsrechte des einzelnen Menschen ein zentrales Thema in der geschichtlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Die Wurzeln der Menschenrechte reichen schließlich bis in die christliche Lehre vom Naturrecht und in die Aufklärung zurück, und in vielen Verfassungen und Dokumenten waren die Menschenrechte bereits verankert. Aber nie zuvor standen sie offiziell auf der Tagesordnung der internationalen Staatengemeinschaft.
Aus den bitteren Erfahrungen des Dritten Reichs und des Zweiten Weltkriegs heraus konnten vor 40 Jahren die Menschenrechte zum erstenmal zu einem Maßstab für die Beziehungen der Staaten untereinander werden. Der einzelne Bürger war danach nicht mehr nur das schutzlose Objekt des jeweiligen Staates, sondern er konnte, um seine Persönlichkeitsrechte geltend zu machen, sich von nun an auch auf internationalen Schutz berufen.
Die Vereinten Nationen haben sich ihrer selbstgesetzten Aufgabe in der Folgezeit mit großem Ernst und Nachdruck angenommen. Allerdings ist das Instrumentarium der Vereinten Nationen zur Durchsetzung der Menschenrechte bis heute unvollkommen geblieben. Zum Beispiel sind die Menschenrechte auch heute noch nicht weltweit einklagbar. Auch sind die juristischen Möglichkeiten der UNO unterentwickelt. Der Bundeskanzler ist darauf bereits eingegangen.
Trotzdem sind die großen Verdienste der Vereinten Nationen um die Förderung der Menschenrechte unbestritten. Seit dem 10. Dezember 1948 hat die UNO ein umfassendes menschenrechtliches Kodifizierungswerk geschaffen: vom Übereinkommen über die politischen Rechte der Frau von 1943 bis hin zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe von 1984. Als Kernstück sind die beiden internationalen Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen von 1966 zu nennen.
Heute gibt es ein weltweites Normensystem, an dem sich jeder Staat messen lassen muß. Dieses Normensystem gilt ohne Unterschied für alle Länder der Welt. Die Geltung der Menschenrechte kann deshalb auch nicht unter Berufung auf unterschiedliche Kulturtraditionen oder unterschiedliche Ideologien bestritten werden. Die Menschenrechte haben Vorrang vor jeder Ideologie und vor jeder Tradition.
Für alle Menschen dieser Welt haben die Menschenrechtspakte einen unschätzbaren Wert. Es ist deshalb eine unserer wichtigsten Aufgaben, ihre weltweite Geltung zu fördern. Zwar haben inzwischen an die 90 Staaten die Pakte ratifiziert. Aber ihre rechtliche und moralische Wirkung wäre noch stärker, wenn alle Staaten ihnen beiträten. Deshalb ist es sicherlich ein Manko, daß auch zwei ständige Sicherheitsrats-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1988 8577
Frau Geiger
mitglieder — die Volksrepublik China und die USA — die Pakte noch nicht ratifiziert haben; wobei gerade die Vereinigten Staaten nichts zu befürchten haben; in den USA gelten die Menschenrechte uneingeschränkt.
Es ist ein großer Fortschritt, daß sich jede Regierung für ihr menschenrechtliches Verhalten gegenüber ihren eigenen Staatsbürgern und vor der UNO verantworten muß. Die Ausrede, das sei eine Einmischung in innere Angelegenheiten, konnten Hitler und Stalin noch benutzen. Für Idi Amin, Baby Doc, Bokassa — um nur einige der schlimmsten Menschenrechtsverletzer der jüngsten Vergangenheit zu nennen — galt diese Ausrede rechtlich nicht mehr, ebensowenig wie sich heute Ceaueşcu oder die iranischen Mullahs dieser Diskussion entziehen können. Herr Brandt, Ihre Liste kann man leider noch erweitern.
Die Vereinten Nationen haben immer wieder den Versuch unternommen, ihr Instrumentarium zur Durchsetzung der Menschenrechte zu verbessern. So hat es durchaus positive Auswirkungen, daß in den Menschenrechtskommissionen der Vereinten Nationen ein Verfahren zur Behandlung von Mitteilungen über Verletzungen von Menschenrechten entwickelt wurde, daß dort Beschwerden von Menschenrechtsorganisationen und von einzelnen Bürgern entgegengenommen und bearbeitet werden und daß auch ein für die betroffenen Staaten gesichtwahrendes vertrauliches Verfahren besteht.
Gegenüber hartnäckigen und unbelehrbaren Menschenrechtsverletzern bleibt aber bis heute nur die Mobilisierung der Weltöffentlichkeit.
Auch unser Parlament muß tätig werden, wo es notwendig wird. Wir haben dies in der Vergangenheit oft und glücklicherweise mit großer Einmütigkeit getan, und wir werden unseren Einsatz für die Menschenrechte konsequent fortsetzen.
Zwei Aspekte haben für die Menschenrechtsthematik ganz entscheidende Bedeutung. Es ist dies zum einen der innere Zusammenhang zwischen der Achtung der Menschenrechte im Inneren eines Staates und seiner Friedensfähigkeit nach außen. Die Wahrung der Menschenrechte im Inneren ist eine Grundvoraussetzung für das friedliche Zusammenleben der Völker und Staaten in der Welt. Politische Systeme, die ihren Bürgern die Freiheit nehmen und fundamentale Menschenrechte verweigern, Staaten, in denen es keine Kontrolle der Staatsgewalt durch das Volk und durch unabhängige Gerichte gibt, in denen ein Klima der Angst, des Zwanges und der Bedrohung herrscht, solche Staaten besitzen auch nach außen hin nicht die Eigenschaften, die einen dauerhaften Frieden ermöglichen; im Gegenteil, sie stellen eine andauernde Bedrohung für ihre Nachbarn und damit für den Weltfrieden dar.
Umgekehrt gilt: Staaten, die die Menschenrechte achten, sind von Natur aus nicht in der Lage, durch expansives Machtstreben ihre Nachbarn zu verunsichern und zu bedrohen.
Die Durchsetzung der Menschenrechte ist deshalb ein nicht wegzudenkender Teil jeder Friedenspolitik. Es wäre auch völlig falsch, aus diplomatischen Rücksichten im Namen der Entspannung oder gar aus wirtschaftlichen Gründen Menschenrechtsverletzungen stillschweigend zu dulden. Interessen, die den Menschenrechten übergeordnet sind, darf es nicht geben.
Ich gebe ehrlich zu, daß ich tief betroffen darüber war, daß offenbar weder die vielen Appelle aus aller Welt noch der Einsatz des Bundesaußenministers die iranische Führung dazu bewegen konnten, die Hinrichtungen von zahlreichen politischen Häftlingen zu stoppen und die menschenrechtswidrigen Praktiken aufzugeben.
Bei aller Anerkennung der guten Beziehungen zum Iran, die zum Beispiel Geiselfreilassungen ermöglicht haben, hier ist ein deutliches Zeichen von unserer Seite notwendig!
Der andere Aspekt, den ich betonen möchte, ist die herausragende Stellung der Vereinten Nationen im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Beide Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen haben das Selbstbestimmungsrecht an die Spitze gestellt: Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung; so lautet der erste Satz von Artikel 1 beider Pakte.
Gerade für uns Deutsche, die wir gegen unseren Willen mit der Teilung unseres Vaterlandes leben müssen, haben diese Grundaussagen große Bedeutung. Sie geben uns die Hoffnung, daß eine Friedensordnung in Europa entstehen kann, in der auch das deutsche Volk wieder seine staatliche Einheit erhält.
Menschenrechte und Selbstbestimmung sind die unverzichtbaren Bausteine für jede dauerhafte und gerechte Friedensordnung. Deshalb werden sie auch im Ost-West-Dialog noch lange aktuelle Themen bleiben.
Sie sind die Grundlagen des KSZE-Prozesses. Was am KSZE-Prozef neben den schleppenden Fortschritten zu kritisieren ist, das sind nicht etwa die ausgehandelten Kompromisse, sondern die Tatsache, daß es nach wie vor eine Reihe von Staaten gibt, die eklatant gegen die KSZE-Beschlüsse verstoßen.
Als krassestes Beispiel aus jüngster Zeit muß ich hier erneut Rumänien nennen, dessen Regierung auf die menschenverachtende Zwangsumsiedlungspolitik und die sinnlose Zerstörung von Hunderten von Dörfern nicht verzichten will, auch wenn dieses Programm nun anders genannt wird. Wie im letzten Winter hungern und frieren die Bürger Rumäniens,
weil die Regierung unfähig ist, in diesem einst blühenden Agrarland die Versorgung mit dem Allernotwen-
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Frau Geiger
digsten sicherzustellen und darüber hinaus jede Hilfe aus dem Ausland ablehnt.
Hier muß der internationale Druck so groß werden, damit endlich Vernunft einkehrt.
Unser Grundgesetz, dessen 40. Jahrestag wir in einem halben Jahr feiern, hat uns aus den schlimmen Erfahrungen der Hitlerzeit heraus eine Rechtsordnung gegeben, in der Menschenwürde und Menschenrechte an erster Stelle stehen. Ich glaube, Herr Brand, das ist die Chance, die Sie gemeint haben. Die große Bedeutung, die das Grundgesetz der Verwirklichung der Menschenrechte beimißt, verpflichtet uns dazu, auch nach außen entschlossen für die Achtung der Menschenrechte einzutreten.
An erster Stelle unserer Bemühungen muß naturgemäß die Sorge stehen, daß die Menschenrechte für diejenigen deutschen Staatsbürger und Menschen deutscher Volkszugehörigkeit verwirklicht werden, die nicht unter dem Schutz unseres Grundgesetzes leben. Das hat nichts damit zu tun, daß wir, wie uns oft fälschlich vorgeworfen wird, Menschen deutscher Abstammung abwerben wollen. Wir wollen, daß in den Ländern, in denen deutsche Minderheiten leben, Lebensbedingungen hergestellt werden, die den Menschen das Bleiben ermöglichen. Mit Ungarn z. B. arbeiten wir auf diesem Gebiet erfolgreich zusammen; mit der Sowjetunion gibt es seit der Reise des Bundeskanzlers nach Moskau ermutigende Ansätze.
Wenn aber Deutsche in ihren jetzigen Aufenthaltsländern unter schlimmen Bedingungen leiden, wenn sie keine Zukunft mehr sehen wie z. B. in Rumänien, nehmen wir sie selbstverständlich bei uns mit offenen Armen auf. Auch das ist aktive Menschenrechtspolitik.
Leider gibt es auf der Welt immer noch so viele Menschenrechtsverletzungen, daß ihre Aufzählung den Rahmen dieser Debatte sprengen würde. Die Jahrbücher von amnesty international und der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte enthalten dazu bedrückendes Anschauungsmaterial. An dieser Stelle auch meinen herzlichen Dank und den Dank meiner Fraktion allen Mitarbeitern der Menschenrechtsorganisationen für ihren unermüdlichen Einsatz zugunsten gequälter, mißhandelter und entrechteter Menschen.
Zu Menschenrechtsverletzungen dürfen wir nicht schweigen, ganz gleich, ob sie sich nun vor unserer Tür oder im Sudan, in Burundi oder im Irak ereignen. Es darf keine Rolle spielen, welchem politischen System die jeweilige Regierung zuzurechnen ist; denn alle Menschenrechte sind weder rechts noch links; sie gehören allen Menschen.
Deshalb sollten wir im Bundestag die Menschenrechtsdebatte auch nicht durch innenpolitischen Streit belasten. Dies ist, wie gesagt, in der Vergangenheit glücklicherweise oft gelungen. Ich begrüße daher auch, daß der vorliegende Entschließungsantrag zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von der
Koalition und der SPD-Fraktion gemeinsam eingebracht worden ist.
Unser Parlament hat in dieser Legislaturperiode oft über Menschenrechtsprobleme debattiert, über Chile, über Rumänien, über Panama, über Afghanistan, über die Lage in den von Israel besetzten Gebieten, über den verabscheuungswürdigen Einsatz von chemischen Waffen im Krieg zwischen Iran und Irak. Wir haben über Nicaragua, El Salvador und mehrmals über Südafrika gesprochen.
Es gibt jedoch auch Länder, in denen schlimme Menschenrechtsverletzungen geschehen, ohne daß wir uns eingehend damit befaßt hätten. Ich nenne nur drei Beispiele, obwohl es viel mehr gäbe: In Kuba gibt es laut dem jüngsten Jahresbericht der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte ca. 15 000 politische Gefangene.
In Vietnam befinden sich der gleichen Quelle zufolge 50 000 bis 100 000 Personen in politischer Haft. In Burundi wurden blutige Stammesmassaker verübt. Auch um Länder, die unserem Blickfeld weiter entrückt sind, sollten wir uns in Zukunft stärker kümmern.
Am Schluß noch eine weitere Anregung für unsere parlamentarische Arbeit: Wir sollten nicht nur negative, sondern auch positive Menschenrechtsentwicklungen aufzeigen. Wir sollten alle die Staaten und Kräfte ermutigen, die entschlossen sind, den Menschenrechten einen größeren Platz einzuräumen. Dabei denke ich zunächst an die Reformbestrebungen in Osteuropa, vor allem in der Sowjetunion und in Ungarn. Wir hoffen, daß die Reformbestrebungen auf den ganzen Ostblock eine ansteckende Wirkung haben werden, vor allem in der DDR, wo die Schikanen für Andersdenkende anhalten.
Unsere tatkräftige Unterstützung verdienen aber auch diejenigen Länder der Dritten Welt, die sich nach Kräften bemühen, den Menschenrechten in ihren Ländern mehr Geltung zu verschaffen, obwohl dies dort aus der geschichtlichen Entwicklung heraus oft ganz besonders schwierig ist. Die Menschenrechtspolitik im Deutschen Bundestag sollte also nicht nur aus Anprangerung und Kritik bestehen, sondern durchaus auch aus Anerkennung und Ermutigung.
Ich danke Ihnen.